65. Filmfestspiele von Venedig 2008
Emmanuelle Béart, Göttin des Urwalds |
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Im Land der roten Menschen: Vinyan | ||
(Foto: Koch Media) |
»Was können wir tun, um die Welt zu retten?« Natürlich ist das pathetisch formuliert, und natürlich diese Frage irgendwie unzeitgemäß in einer Epoche, die Kultur mit Entertainment gleichsetzt/verwechselt, und sich schon gestört fühlt, wenn ein Film den Zuschauer einmal nicht mit einem tröstenden Happy End und dem Versprechen alles Unangenehme schnell vergessen zu können, aus dem Kino verabschiedet. Dabei sollte es doch um genau das gehen, in der Kunst: Die Rettung der Welt.
Dabei sollte es doch um genau das gehen in der Kunst: Die Rettung der Welt. Wo, wenn nicht wenigstens noch bei einem Kunstfestival wie den Filmfestspielen von Venedig. Dort lief der Kurzfilm Do visivel ao invisivel des Portugiesen Manoel de Oliveira, der dieses Jahr 100 wird, und damit der älteste, aktive Regisseur der Welt ist. Der Satz ist der letzte des Films, ein schöner Satz, wenn es denn der Abschiedssatz von Oliveira werden sollte, aber auch ein wunderbares heimliches Festivalmotto für eine Mostra, die ihren Weg an den ersten Tagen noch nicht gefunden hatte, noch kaum einen Film gezeigt hatte, der alle fesselte, der Debatten auslöste, sich in die Gedanken der Besucher einschlich oder faszinierte. Venedig 2008, das ist bisher ein etwas müdes Dahinplätschern, geprägt von latenter Enttäuschung und vager Hoffnung, es könnte besser werden.
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Um die Welt zu retten, müssen, folgt man den Wettbewerbsfilmen der ersten Tage, offenbar die Frauen leiden. Selten sah man in so wenigen Filmen so viele in unterschiedlichster Weise verwundete Frauen: Verbrannt, vergewaltigt, verlassen, gekauft, gefoltert, betrogen. Schon mit der von Nina Hoss gespielten Ehefrau in Christian Petzolds Jerichow ging es los, es folgten die beiden
Hauptfiguren in The Burning Plain vom Mexikaner Guillermo Arriaga. Den kannte man bisher vor allem als Drehbuchautor der komplex aufgebauten Ensemble-Filme Amores perros, 21 Gramms und Babel. Auch sein Regiedebüt ist ein in vier Erzähl- und Zeitsträngen komplex geknüpftes Melodram, in dessen Zentrum eine traumatisierte Frau steht, die von Schuldgefühlen gegenüber ihrer Mutter, für deren Tod sie verantwortlich war und ihrer jungen, von ihr früh verlassenen Tochter geplagt wird. Eine Meditation über Gefühle, einerseits sehr spannend und bildkräftig inszeniert und in seinen Zeit- und Ortssprüngen
interessant verrätselt, andererseits rutscht alles dann doch immer stärker in ranzige Hollywood-Sentimentalitäten und Moralpredigten ab. Und wenn man die Konstruktion der vier Erzählebenen erst einmal durchschaut hat, bleibt vom Rätsel nur das schale Gefühl, einem formalen Trick aufgesessen zu sein. Was erzählt uns der Film Neues? Die Frage provoziert nur ein Achselzucken.
Und die Inszenierung von Traumata hinterläßt auch einen unguten Nachgeschmack: Kim Basinger mit
einer wegoperierten Brust und dicker roter Narbe stattdessen, Charlize Theron die sich selbst Brandwunden mit dem Feuerzeug zufügt und mit einem Stein das Fleisch der Schenkelinnenseiten aufritzt, Brandrituale zwischen Teenage-Lovern. Hm.
Uneingeschränkt eindrucksvoll ist der Auftritt von Charlize Theron (die den Film auch produzierte) in der Hauptrolle – kein Hollywoodstar verbindet Zerbrechlichkeit und Coolness so wie sie.
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Jerichow ist ein Meisterwerk, dem wir uns in einer der nächsten Venedig-Notizen eingehender widmen. Die Italiener, das ist gleich zu merken, verstehen den Film nicht richtig.
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In Injou, la bete dans l’ombre erzählt der Franzose Barbet Schroeder ein Fetischismusdrama in den etwas zu großen Fußstapfen von Hitchcock: Ein ziemlich arroganter französischer Jungautor (Benoit Magimel) fährt nach Japan auf Lesereise. Dort will er auch einen von ihm bewunderten, geheimnisvollen Schriftsteller treffen, den seit Jahren niemand mehr persönlich gesehen hat. Bald hat sich der Autor verliebt – ausgerechnet in eine Geisha, die zum Objekt allerlei expliziter und brutaler Fesselspiele wird, zugleich wird er selbst von seinem Idol bedroht und findet sich immer mehr als Beute im Spinnennetz einer undurchsichtigen Verschwörung gefangen – ein Thriller für Japan-Fans, interessant und unbedingt sehenswert ob vieler schöner Einfälle, aber doch zu unentschieden zwischen seinen zahlreichen Facetten, um völlig zu überzeugen.
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Über den todlangweilig inszenierten französischen Beitrag L’AUTRE – eine Frau wird zunehmend irr, als ihr Ex eine Neue hat –, sollte man ebenso gnädig schweigen, wie über Ferzan Özpeteks geschmacklos inszeniertes italienisches Depressionsdrama: Un giorno perfetto, in dem eine Frau von ihrem Ex geschlagen und vergewaltigt wird, eine Tochter von ihrem Vater niedergeschossen, weitere Schwiegermütter, Gattinnen und Geliebte, bedroht, beschimpft oder sonstwie schlecht behandelt werden – ohne dass der Zuschauer am Ende wüsste, ob er Familie nun schrecklich finden oder doch das Gefühl haben soll, Gefühle könnten auch in anderes münden, als in einen Gewaltakt.
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Beim Rausgehen aus L’autre (nach einer guten Stunde) treffe ich den alten Kollegen, den ich vom Sehen seit Jahren kenne. Folgender Dialog: »It’s boring, isn’t it« – »oh yeah, enough is enough.« – »Nothing will happen, Just at the end she will feel a bit better« – »Do you think so? But I won’t.«
Die Frage ist, was so ein Film überhaupt im Wettbeweb von Venedig zu suchen hat. In der Nebenreihe ok, in Wettbewerben höchstens
in Mannheim oder Karlovy Vari, hier aber nicht.
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Der einzige Film der letzten Tage, bei dem keine Frauen ernsthaft zu Schaden kamen, stammt aus China, spielt allerdings in Brasilien: Plastic City (i.O.: Dangkou) spielt zwar in Brasilien stammt allerdings von Hongkong-Regisseur Yu Lik-wai, der auch als Produzent und zuletzt besonders als Kameramann von Jia Zhang-ke bekannt wurde, der hier vor zwei Jahren mit Still Life den Goldenen Löwen gewann.
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In sattem Grüngelb geht es los, ein Mann ist auf der Flucht im Dschungel, und auf einmal steht vor ihm ein wunderschöner großer weißer Tiger. Ein mythisches Bild mit dem dieser Film im Wettbewerb von Venedig beginnt, der uns schnell in Brasiliens brodelnde Mnegacity Sao Paulo führt; und dort ins Chinesenghetto. Yu entfaltet ein faszinierend-flirrendes Portrait der Metropole Sao Paulo und des Milieus der dortigen Chinesen – das noch nach Herkunft (die drei Chinas: VR China,
Hongkong und Taiwan, der ältesten) und Einwanderungsgeneration differenziert ist.
Hier gibt Yuda den Ton an, ein harter Materialist, der sein Geld mit Piratenprodukten verdient – »our product is fake, but their cash is verdad.« –, der Politiker und Polizisten schmiert, und sich cleverer anstellt, als der Rest. Jetzt kommt »Senior Taiwan«, die von New York finanzierte Konkurrenz mit ihren moderneren Methoden; und alte und neue Ökonomie prallen unvermeidlich hart
aufeinander. Ein kühler Mafiaplot, keineswegs neu aber gut und straight, dabei mit viel Phantasie und vor faszinierendem Hintergrund entfaltet. Selbst die Morddrohungen haben hier ihr eigenes exotisches Flair: man wirft ein Krokodil in den Pool, und droht dessen Besitzer ihn hinterherzuwerfen – und das hübsche elegante Vieh vor blauem Grund im Scheinwerferlicht schwimmen zu sehen, das sieht zumindest im Kino sehr schön aus.
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Der eigentliche Reiz von Yu’s Film liegt sowieso in dem bisher so noch nicht gesehenen Brasilien-Portrait: Yu findet Bilder dafür, das Mosaik der Stadt – von Tatoo-Studios bis zu Evangelisten – zu zeigen, Sao Paulo als mythischen Ort aus Farben, Nacht und Neon zu zelebrieren; er badet in der Sexyness der Großstadt, in der Hitze der Nacht, im Party-Leben der Reichen und Schönen, ohne den ganzen Rest der Gesellschaft, den Alltag Brasiliens und das wirkliche Leben zu vergessen.
Korruption und Optimismus als brasilianisches Lebensgefühl sind auch ein absolutes Gegenmodell zur kühl-lebenssatten Melancholie Hongkongs. »Die Brasilianer leben auf einem anderen Planeten« fasst Yu Lik-wai seine persönliche Erfahrung zusammen. Man kann in diesem Film auch die prekäre Lage des China der Gegenwart entdecken, den vorweggenommen postolympischen Kater, der unweigerlich in eine neue Identitätssuche münden wird. »China und der chinesische Film müssen sich neu erfinden. Aber dafür brauchen wir eine Alternative zu Amerika und seiner Hollywood-Kultur« sagt Yu Lik-wai. Ob er die in Brasilien, überhaupt Lateinamerika findet?
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Zumindest cineastisch orientiert der Regisseur sich nach Europa, mehr noch als Rosi und Melville, den Spezialisten des realistisch-schwarzen Gangsterkinos, hin zum deutschen Expressionismus von Murnau und Lang und zu Langs sehr spezieller Neuer Sachlichkeit.
Plastic City war diese Orientierung anzusehen, die erste Stunde des Großstadtmärchens war durch Bilderkraft und poetischen Stilmix das Beste, was es in Venedig bisher zu sehen gab, und bot
mit dem ergreifend melancholischen Anthony Wong auch einen Anwärter auf den Schauspielpreis. In der zweiten Hälfte glitt dem Regisseur sein Film ein wenig aus der Hand, und man hat auch den sicheren Eindruck, dass der Film noch nicht fertig geschnitten war. Alles wirkte zeitweilig wie ein LSD-Trip – wie dieser war der Film aber eine einmalige, sehr besondere Erfahrung.
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Am Montag sorgte Bird watchers – la terra degli uomini rosse der neue Film von Mario Bechis für die erste echte positive Überraschung. Der Regisseur ist 1955 in Chile geboren, in Brasilien und Argentinien aufgewachsen, lebt seit Ende der 70er Jahre in Italien, und da sein Vater auch noch aus Italien stammt, wurde er von der einheimischen Presse in Venedig bereits eingemeindet – obwohl seine Filme bisher zumeist in Lateinamerika gesiedelt sind und in ihnen Spanisch gesprochen wird.
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Ein Boot fährt auf einem Fluss durch den brasilianischen Dschungel. In ihm sitzen Weiße, die italienisch sprechen, es wird viel fotografiert, was links und rechts am Ufer zu sehen ist. Offenbar Ethnologen oder Touristen auf Bootstrip. Plötzlich sieht man auf der einen Flußseite eine Gruppe von Indios auftauchen. Frauen und Kinder sind dabei. Die Indios tragen traditionelle Tracht, nur ein Lendenschurz bedeckt ihre Haut, die bunt und fremdartig bemalt ist. Stumm und mit
ausdruckslosen Gesichtern gucken sie auf das Boot und ihre Insassen, neugierig erregt gucken die anderen zurück: Die Begegnung zweier unvereinbarer Welten, so scheint es. Bedrohung liegt in der Luft. Als das Boot sich allmählich entfernt, schießen ihm die Indios ein paar Pfeile hinterher, die das Boot jedoch verfehlen.
Dann gehen die Indios in das Dickicht des Dschungels zurück, dazu setzt barocker Chorgesang ein, etwas Weihevolles, Heiliges gar suggerierend. Paradiesische
Ursprünglichkeit, die Unschuld der ersten Kulturbegegnungen, und Filme von Werner Herzog kommen einem in den Sinn.
Doch plötzlich zieht sich der erste Indio ein T-Shirt über, die Waffen und Lendenschürze werden abgelegt, ein Jeep wartet hinter dem Gebüsch, und eine Indiofrau erhält ein paar Geldscheine in die Hand gedrückt: »Zu wenig!« konstatiert sie bitter. Die Ökonom ie ist immer präsent.
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Schon der Anfang ist listig, weil er unsere Erwartungen konterkariert, mit den Kulturklischees auch des sich aufgeklärt dünkenden Kinozuschauers bricht – nix da Ursprünglichkeit. Schon das darauffolgende Bild zeigt ein Indiomädchen, das zu modernem Pop Tanzschritte übt. Die Indios von heute haben Plastikfolien über ihre Hütten gezogen, weil die besser vorm Regen schützen. Sie holen das Wasser vom Fluss mit modernen Kanistern, haben ein Mobiltelefon, und
Depressionen, weil ihnen das Leben im Reservat keinerlei Perspektive bildet. Nicht wenige von ihnen hängen sich darum kurzerhand im Dschungel auf.
Bird watchers – la terra degli uomini rosse erzählt nun von einer Indiogruppe, die das Dorf verlässt, und auf ihr ursprüngliches Land zurückkehrt, dort wo die Vorfahren begraben liegen. Das gehört längst einem Großgrundbesitzer, aber auf dem Grasstreifen zwischen Straße und Viehzaun können sie juristisch
nicht vertrieben werden, und genau dort siedelt die Gruppe.
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Im folgenden passiert, immer wieder kapitelweise gegliedert durch den Barockchoral alles Mögliche: Ein Indiojunge, der Schamane werden soll, interessiert sich für die Tochter des Grundbesitzers, und sie sich für ihn, sie bringt ihm Motorradfahren bei, und was man mit Mädchen sonst so machen kann, er staunt und guckt schweigend. Der Häuptling säuft, der Schamane erzählt, dass der Jaguar »unser Bruder ist«, beim Kaufmann in der Nähe lassen die Indios anschreiben, zum Arbeiten sind
sie aber zu faul, und jagen lieber verirrte Kühe im Dschungel, und Ethnologen stellen dumme Fragen.
Ohne Klischees in die philo- und teilweise auch anti-indianische Richtung kommt das nicht ganz aus. Man kann auch nicht sagen, dass die Indios hier sonderlich idealisiert würden, wohl aber, dass die weißen Brasilianer umgekehrt wirklich nicht gut wegkommen.
Allmählich eskaliert der Konflikt mit dem Grundbesitzer. Irgendwann werden Insektizide auf der Siedlung verspritzt, es
wird geschossen, und am Ende, das war aber von Anfang an klar, müssen die Indios weiterziehen. Interessant auch, dass hier gar keine Polizei oder andere Obrigkeit auftaucht.
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Der Film mischt ein modernes sozialrealistisches Politdrama, wie es auch von Ken Loach erzählt werden könnte, mit der Tradition der Landnahmewestern, in denen Hollywood gern Viehhirten gegen Farmer, und weniger gern manchmal auch Weiße gegen Indianer streiten ließ.
Die Indios, mit denen Bechis gedreht hat, sind Guarani-Kaiowa-Indios, der gleiche Stamm, mit dem einst »The Mission« entstand, und mit dem auch schon Werner Herzog gearbeitet hat – in seinem Fall, das zeigt
Herzog in seinen eigenen Dokumentationen, mit mäßigem Erfolg: Sie flohen vor ihm immer in den Dschungel, er wiederum schrie sie an, drohte und verführte wechselweise.
Bechis erzähle jetzt in Venedig, dass er die Indios anders vorbereitet hatte: »Ich zeigte ihnen zunächst Hitchcocks The Birds (Die
Vögel) und später Sergio Leones Once Upon A Time In The West (Spiel mir das Lied vom Tod) – jeweils dreimal hintereinander: Zuerst die Originalfassung, dann eine Version, bei der jede Szene von 2 Sekunden Schwarzfilm unterbrochen war, und drittens eine Fassung ohne Ton.« So konnten sie
verstehen, wie Film gemacht ist.
Das Ergebnis hat sich gelohnt: Mario Bechis beindruckender Film über Identität und Verrat sollte bei der Preisverleihung am Wochenende nicht leer ausgehen.
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In der Spontanreaktion glauben viele, den Höhepunkt des Wettbewerbs gesehen zu haben. Aber vielleicht wird der Film jetzt ein bisschen überschätzt, im Zusammenhang mit einem Wettbewerb, der schwach ist, wie noch nie. Es gibt bei Bechis auch einen Hauch von Wovon die grünen ameisen träumen. Aber Wim wird’s gefallen.
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Ein wenig kommt man sich auf einem Filmfestival immer auch wie ein Ethnologie vor: Andere Länder, andere Sitten und wenn einer eine Reise tut, kann er bekanntlich viel erleben. Mit einer unserer Lieblingsfranzösinnen, mit Emmanuelle Béart bzw. ihrem belgischen Regisseur Fabrice du Weltz sind wir beim Filmfestival von Venedig nun zum Beispiel nach Thailand gereist.
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Béart, die jetzt langsam in das Alter kommt, wo man den Begriff der Charakterrolle etwas freier interpretiert, spielt in dem Film Vinyan eine in Thailand lebende Mutter, deren zwölfjähriger Sohn beim großen Tsunami 2005 ums Leben kam. Jeanne glaubt daran, dass ihr Sohn noch lebt, es gibt Geschichten über Kinder, die in den Wirren der Katastrophe gekidnapped wurden, und dann sieht sie das Video einer Ärztin, die Dokumentaraufnahmen von Naturvölkern in
Burma gemacht hat. In einem der Jungen glaubt sie ihren Sohn zu erkennen.
Ihr Mann Paul ist skeptischer. Eher um die Gattin zu beruhigen, und weil er glaubt, dass ihr Schmerz erst dann zu lindern ist, wenn sie über den Tod des Sohnes Gewissheit hat, lässt er sich darauf ein, die Burma-Spur zu verfolgen.
Jeanne verläßt sich auch auf die Hilfe von Schamanen. Vor prächtiger Naturkulisse und zu schönen Bildern einer gelblichbraunen Tropennacht beobachtet der Film allerlei
sonderbare Hexereien, Zauberrituale und Drogentrips und lauscht kruden Sätzen wie »Spirit becomes angry, becomes vanyang« – alles natürlich im Dienst der guten Sache.
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Immer weiter und tiefer geht es in den Dschungel, und immer abgespaceder wird der Film. Allein Paul bleibt skeptisch, und das Ehepaar ähnelt – mit vertauschten Geschlechterrollen – immer mehr Scully und Mulder aus »Akte X«: Er setzt auf Vernunft, sie glaubt an Geister und Stimmen aus dem Nimmerland.
Dann setzt Dauerregen ein, Dörfer sind verlassen, die einheimischen Führer, erwartungsgemäß nur aufs Geld der Europäer aus, haben sich aus dem
Staub gemacht, und das Paar wandert einfach weiter durch den Dschungel. Dann taucht aus dem Nichts eine Tempellandschaft im Urwald auf, bewohnt von zahlreichen Eingeborenen-Jungen mit weiß bemalter Haut und in einem Alter kurz vor der Pubertät. Sie gucken ausdruckslos und stumm, oder sie lachen frech, jedenfalls ist alles latent bedrohlich. Man wartet eigentlich nur noch jeden Augenblick darauf, dass Colonel Kurtz um die Ecke kommt. »The horror, the horror«...
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Viel verdankt Vinyan dem Horror- und Paranoia-Film der 70er. Paul muss natürgemäß auch noch dran glauben, in einem eindrucksvollen, »schönen« Bild sieht man ihn von dutzenden Eingeborenen-Jungen umringt im Regen auf dem matschigen Urwaldboden liegend, während die bösen Kinder ihm den Leib aufgeschlitzt haben, und seine Eingeweide herausziehen und in alle Richtungen verteilen.
Emmanuelle Béart/Johanna hingegen verschmilzt mit der Natur. Im letzten Bild
sieht man ihren nackten, mit Schlamm beschmierten Leib. Ein paar Kinder dürfen den Busen anfassen. Da waren nicht wenige im Kino neidisch.
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Die Naturvölker bleiben uns auch nach diesem Film ein Rätsel.
Rüdiger Suchsland