65. Filmfestspiele von Venedig 2008
Merkel und Kim Jong-il gegen Godzilla |
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PESCUIT SPORTIV | ||
(Foto: Xenix (Schweiz)) |
Merkel hat graue Haare. Beim G-8-Gipfel in Tokio liest die deutsche Bundeskanzlerin Angelika Merkel ausgerechnet dem Gastgeber die Leviten und zeigt sich als unerbittliche Moralpredigerin: »Damit gibt man der Welt ein schlechtes Beispiel«, mahnt sie wieder die Untätigkeit in der Klimapolitik. Ihr japanischer Kollege hat Magenprobleme, er pfurzt und muss mitten in seiner Rede aufs Klo. Purtin sagt: »We welcome global warming.« Der Franzose Sarkolzy versucht mit der Dolmetscherin ins Bett zu steigen, US-Präsident Burger hat keine Manieren, und der Italiener redet nur von Pizza. Doch dann wird die harmonische Gipfelatmosphäre gestört. Ein Godzilla-artiger Monsterrabauke schlägt bei Sapporo ein, purzelt gegen Hochhäuser und Strommasten – die Welt scheint bedroht. Und die G-8-Staatsmänner nehmen den Kampf mit dem Monster auf.
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Politsatire à la Japan: Monster X Strikes Back: Attack the G8 Summit! heißt dieser kuriose Film des Japaners Minoru Kawasaki, der mit ziemlich beißendem Humor und überaus gleich und gerecht verteilten Geschmacklosigkeiten bei seiner Premiere am Donnerstag bei den Filmfestspielen von Venedig für Lachsalven sorgte. Keine Nation, am wenigsten die eigene, bleibt vom Spott des Filmemachers verschont.
Gegen das Monster wenden dann die Italiener alte römische Kampftechniken an, die Amis passenderweise eine Operation »Brainwash«, die Russen kaum überraschend Polonium-Gift, die Deutschen klarerweise Gas... – keine Geschmacklosigkeit wird ausgelassen. Ausgerechnet der Ex-Premier Japans Oizumi/Koizumi schlägt den Einsatz von Atomwaffen vor – doch entpuppt er sich dann als ein maskierter Kim Jong-il – man muss den Film gesehen haben, um zu begreifen, wie gut dieser gesammelte Unsinn funktioniert – und um zu bedauern, dass Derartiges nicht auch in Europa gemacht wird.
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Ein großer Reiz des mit viel Liebe und Einfallsreichtum inszenierten Films liegt auch in seinen bewusst auf »Old School« getrimmten Effekten: Keine Digitaltricks erzeugen das Film-Monster, sondern die klassische »Rubber Suit«-Technik der 50er-Jahre-Godzilla-Filme: Ein Mann im Gummianzug. »Ich denke«, lässt sich der Regisseur im Katalog vernehmen, »Monsterfilme sind eine von Japans traditionellsten Formen der Unterhaltung, genau wie Kabuki und Nô-Stücke.« Wie ernst er es meint, belegt ein weiterer Satz: »Die Wahrheit kann in sehr lächerlichen Dingen gefunden werden.«
Eine Sekte im Wald und ein achtarmiger indischer Gott, gespielt von Japans Comicstar »Beat« Takeshi Kitano, besiegt dann schließlich das große Krümelmonster. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tagen sie noch heute...
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Kaum kommen die Filmfestspiele von Venedig so richtig in Gang, gibt es vor dem ersten Festivalwochenende schon Krach. In einem Festival-Vorbericht in der letzten Printausgabe des »Spiegel« war die Auswahl des Filmprogramms kritisiert worden. Das Festival zeige zu viele italienische Filme, nämlich vier im Wettbewerb, insgesamt elf.
Die Vorwürfe zeigten Wirkung: Gestern flatterte eine Pressemitteilung des Kulturministeriums in Pressefach der Journalisten. Die war
nur auf Italienisch formuliert, was zunächst einmal dazu führen dürfte, dass zwei Drittel der Akkreditierten sie nicht verstehen können. Wer es doch kann, fand darin viel Geschimpfe im bekannt vulgären Grundton des Berlusconi-Regimes und die nicht überraschende Zurückweisung aller Vorwürfe. Der Hinweis auf die Stärke des italienischen Kinos das »vor einer neuen Blüte« stehe, und besonders die der neuen italienischen Kulturpolitik durfte nicht fehlen, und zwischen den Zeilen war
die Aussage klar: Was bilden sich diese Deutschen eigentlich ein, sie, die wir doch vor gerade mal 2000 Jahren aus der Barbarei geführt haben, wollen uns Kulturpolitik lehren…
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Tatsächlich ist nationale Erbsenzählerei bei einem Filmfestival reichlich überflüssig, es sollte jedermann nur interessieren, dass die Filme gut sind, nicht, woher sie kommen. Und es unterscheidet Filmfestivals auch von Fußballweltmeisterschaften, dass Film-Journalisten nicht als patriotische Jubelperser mit »unserem Team« bangen müssen, und wünschen, dass es auch mindestens das Finale erreicht. Insofern hat der »Spiegel« genauso unrecht wie der italienische Kulturminister.
Aber in der wirklichen Welt zählen nationale Kriterien natürlich auch in der Kunst. Und im Kern seiner Argumentation, dass nämlich das Venezianer Filmfestival das kulturpolitische Ziel verfolge, das ramponierte Image von Italien aufzuwerten, hat »Spiegel«-Autor Wolfgang Höbel völlig recht.
Venedig-Festivaldirektor Marco Mueller hat daher auch bereits vergangene Woche in einem Zeitungsinterview erklärt, es sei an der Zeit, dass endlich einmal ein italienischer Film gewinne. Nun mag es sein, dass Mueller vor allem um seine Vertragsverlängerung besorgt ist. Aber man muss sich nur einmal vorstellen, dass Berlinale-Chef Dieter Kosslick so etwas im Vorfeld seines Festivals erklärte, am Ende gar im »Spiegel«.
Jetzt streitet Mueller öffentlich gegen den »Spiegel«, fühlt sich aber offenbar doch irgendwie schuldig, denn im Interview mit »Il Sole« rechnete er jetzt die italienische Beteiligung auf acht Filme herunter (indem er Koproduktionen ignoriert).
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Am Ende könnten Muellers Kommentare und die jetzige Debatte eher kontraproduktiv für die italienischen Preischancen sein. Denn wie könnte die Jury unter Präsident Wim Wenders jetzt noch einen Italiener küren, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, sie habe sich dem Druck des Festivalleiters gebeugt? Gibt es doch einen Preis, wird man sagen: Wenders hat sich beeinflussen lassen.
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Ein Kollege, der nicht genannt werden möchte, kommentierte dazu: »Vorhin hab ich Donata Wenders die ganze Zeit im Hotel des Bains beobachtet. Die läuft da auf und ab und macht Geschäfte. Wahrscheinlich heißt es dann: Ihr müsst schon mindestens drei Fotobände herausgeben, dann bekommt ihr auch den Preis.« Böse, böse.
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Ein Sommertag. Vollkommener Frieden. Hitze, Grillen zirpen, Vögel zwitschern, ein See plätschert. Zunächst hat der Film vor zwanzig Minuten begonnen mit einem Paar, das aufbricht, einer Autofahrt durch ein sommerliches Bukarest, dabei wird fortwährend debattiert, es gibt Streit, der allmählich eskaliert. Es stellt sich heraus, dass die zwei Micha und Micaela heißen; sie sind nicht miteinander verheiratet, aber Micaela hat einen Mann, und heute wollen sie zusammen rausfahren, einen Ausflug machen zum See. Während der Fahrt reden sie über vorgetäuschte Orgasmen, über Nutten, und darüber, ob er nicht zu einer gehen könnte. Auch über ihren Ehemann, gegenüber dem sie behauptet hat, sie sei heute bei ihrer Mutter. Um Lebenslügen und heimliche Hoffnungen dreht sich also untergründig gleich alles in diesem Film, in dem man auf den ersten Blick ein geradezu protestantisches Wahrheitspathos, etwas Ibsenhaftes entdecken könnte.
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Der Stil dieses erstaunlich souveränen, fesselnden Regie-Debüts Pescuit sportiv vom 1971 geborenen Rumänen Adrian Sitaru ist von Anfang an durch die Handkamera dominiert: Total hektisch, unter Druck wirkt alles schon in der ersten Sekunde, wie in einem dänischen »Dogma«-Film, und auch wenn man es nicht glaubt, hat der eigentliche Film, hat die Eskalation dieser Paar-Situation noch gar nicht begonnen.
Zu ihrem Auslöser wird eine dritte Person, eine Fremde: Erst merkt man es gar nicht, dann hört man einen lauten Schlag, und plötzlich, etwa zeitgleich mit den beiden Insassen, begreift auch der Zuschauer: Auf der Landstraße, die die beiden jetzt entlangfahren, haben sie einen Menschen touchiert, ein Girl aus dem Nichts, das plötzlich am Wegesrand stand. Wie tot liegt sie auf dem Boden, das Paar streitet weiter, jetzt darüber, was zu tun ist, sie plädiert fürs Ignorieren und Weiterfahren, »a bloody prostitute« sei das doch wahrscheinlich nur; und er, typisch Mann, weiß nicht, was er machen soll, schickt sich also an, ihr zu gehorchen. Es liegt wohl nur an dem Auto, das gerade entgegenkommt, dass sie das Mädchen, ohne sichtbare Verletzungen, aber immer noch bewusstlos, in den Wagen laden, mit ihr in ein Waldstück fahren, wo man sie leicht unbeobachtet wegwerfen kann, liegenlassen wie ein paar Müllsäcke. Doch als das gerade geschehen soll, kommt das Girl zu sich, weiß von nichts, sie lügen natürlich, behaupten, sie hätten sie gefunden, wollten ihr helfen, und dann nehmen sie sie mit, fahren zu Dritt an den See.
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Sie heißt Ana, spricht Dialekt, wirkt total frisch, echt und direkt neben den beiden, ein authentisches Kind aus den niederen Ständen neben einem überkomplizierten Bürgerpärchen. Sie ist in dieser Konstellation ein Jungbrunnen, aber auch ein kleiner Teufel. Denn Ana bleibt rätselhaft, und schnell hat sie alles durcheinander gebracht.
Am Strand bereitet man ein Picknick vor, man hat Musik dabei, Harry Belafonte singt »Mathilda«, Ana macht schnell auf Freundin, obwohl man sich
kaum kennt, und man fragt sich: Warum hat sie sich so schnell erholt? Warum benimmt sie sich so? Ana ist etwas zu neugierig, ein kleiner Dämon, der Grenzen überschreitet, schnüffelt, sich einmischt, Dinge durcheinander bringt: »Es ist offensichtich, dass was zwischen Euch nicht in Ordnung ist, … dass Du einen Lover hast…«, sagt sie zu Micaela. Aber Ana ist auch wie eine Fee, die selbstlos Glück stiften will: »Du solltest zu Micaela gehen, und ihr sagen, dass Du sie liebst.
Verstehst Du? Ihr seid so ein super-wunderbares Paar.«
Im gleichen Moment ist sie aber auch verführerisch: »Du hattest wohl eine Weile keinen Sex. Ich sehe, dass Du meiner Brüste anguckst.« Sie nimmt seine Hand und führt sie an ihren Busen. »Du musst wissen, was Du willst.« Als Micha erzählt, er habe gerade gekündigt, »um meiner Freiheit willen«, lacht sie nur höhnisch: »Freiheit! Wer ist wirklich frei? Arbeitest Du für Geld?« – »Klar geht es auch darum.« – »Nun, ich arbeite
für Geld, und dann muss ich auch das tun, was die Leute wollen, die mich bezahlen!«
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Und so geht es weiter in diesem Reigen zu dritt: Gespräche über Freiheit und Arbeit, über die Früchte des Kapitalismus. Bis zum Ende hat der Film den Vorteil der Überraschung. Er zeigt eine unalltägliche Situation, spitzt sie permanent zu, hält den Zuschauer bei der Stange, und spielt mit Annahmen. Ein Film über Misstrauen. Über Freiheit und Glück. Eine philosophische Konstellation, ein »Dejeuner sur l’herbe«. Am Schluss scheint Offenheit zu dominieren, doch dann sieht man noch einen CACHE-Blick aus dem Wald... Sind sie die ganze Zeit beobachtet worden? War alles arrangiert? Von wem? Unsicherheit...
Rüdiger Suchsland