Cinema Moralia – Folge 31
Angst vor dem Kino |
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Schockschwerenot! Zwei Zombies aus der Henckel-von-Donnersmark-Retorte – der Trailer sieht irgendwie aus wie James Bond für ganz Arme. Findet in ein paar Jahren vielleicht Platz auf der Best-Trash-Liste | ||
(Foto: Studiocanal GmbH) |
Im kommenden Jahr zeigt die Berlinale eine Bergman-Retrospektive. Warum eigentlich Bergman ist nicht ganz klar, aber da kann man auch mit »Warum nicht?« antworten. Was ich damit anfangen kann, frage ich mich noch, ob ich überhaupt etwas damit anfangen kann. Merkwürdig fremd scheint Bergman allem heutigen Kino zu sein. Ist vielleicht aber nur eine Illusion. Vielleicht steht Bergman vor allem für eine Intensität des Umgangs mit Kino, die man heute gar nicht mehr kennt und wahrhaben
will. Das zeigt vor allem eine Bemerkung, die neulich Michael Klier gemacht hat: Er habe früher ein bisschen Angst gehabt, in einen neuen Bergman-Film zu gehen, erzählt er, denn er habe bei Bergman immer das Gefühl gehabt, seinem eigenen Leben werde der Spiegel vorgehalten, und das habe etwas Beängstigendes gehabt.
Angst vorm Kino – das klingt für uns heute doch wie aus einer ganz anderen Zeit. Und doch eigentlich wie genau das, um das es gehen soll.
Ich habe zwar auch Angst, in
einen neuen Donnersmarck-Film zu gehen, aber doch aus ganz anderen Gründen.
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»Donnersmarck!!!!!!« trompetet es seit einer knappen Woche aus jeder Zeitung. Warum eigentlich? Jetzt könnten wir über den »Adelswahn« reden, den eine nette österreichische Schauspielerin neulich im Gespräch bei den Deutschen glaubte bemerkt zu haben, aber das allein kann es ja wohl auch nicht sein. Trotzdem: Immer wieder »Donnersmarck!!!!!!« Im Gespräch mit der FAS, der WamS, mit Dieter Oswald, der das dann unter anderem dem Münchner Merkur angedreht hat, in
Drehberichten bei epd und beim Spiegel. Wahrscheinlich nennt man das gutes Marketing. Keiner hat bisher den Film gesehen, beziehungsweise, die paar, die ihn gesehen haben, dürfen noch nicht darüber schreiben. Sperrfrist bis 10.12.!
Andererseits kann man genau wissen, was drin vorkommt, wenn man nur mitbekommen hat, dass es sich um ein ziemlich schlichtes Remake des französischen Films von Jérôme Salle von 2005 handelt, der seinerzeit auf dem Fantasy Filmfest lief,
und Anthony Zimmer heißt. Jetzt kommt er pünktlich zum FHvD-Start bei »FilmConfect Home Entertainment« heraus unter dem Titel Fluchtpunkt Nizza. In dem unübersehbar an Hitchcocks Stil angelehnten Krimi geht es um eine schöne Frau, die den titelgebenden Anthony Zimmer sucht, der mit viel Geld vor Polizei und Gangstern auf der Flucht ist. Der sendet ihr Botschaften, wie die, den Zug nach Nizza zu nehmen und sich einen ihm ähnlichen Typen
aufzureißen, um die Polizei abzulenken. Damit lenkt sie auch den Zuschauer ab, denn am Ende entpuppt sich der falsche Anthony Zimmer (Yvan Attal) als der echte.
Wir dürfen jetzt, wie gesagt, nichts über das FHvD-Remake sagen, auch nicht, ob sich an dem Plot überhaupt etwas geändert hat, und ob er schlechter ist, aber wir dürfen sagen, dass wir Sophie Marceau, die bei Salle die Hauptrolle spielt, immer schon in jeder Hinsicht attraktiver fanden als Angelina Jolie. Was will man da noch fragen?
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»Donnersmarck!!!!!!« Worüber wir aber schon was schreiben dürfen, sind unsere lieben Kollegen. Denn man fragt sich dann ja doch, wie gesagt, was eigentlich dieser ganze »Donnersmarck!!!!!!«-Hype soll? Weil er den Oscar gewonnen hat? Als Caroline Links neuer Film herauskam, kann ich mich an ein auch nur annährend vergleichbares Mediengewitter nicht erinnern. Bescheidenheit zahlt sich also doch nicht aus.
Oder liegt’s an irgendetwas im Unbewussten der lieben Kollegen? Die Sehnsucht nach ästhetischem Führertum, oder so was? Die gewählte Sprache zumindest deutet darauf hin. Es geht ja auch nicht nur um die bloße Masse des Gedruckten. »Unter Genieverdacht« titelt der Spiegel allen Ernstes seinen Text über Donnersmarck. Geht’s noch? Genauer: Geht’s nicht wenigstens eine halbe Nummer kleiner? Wenn schon FHvD nach einem einzigen Film unter Genieverdacht steht, was macht dann der Spiegel eigentlich mit Bergman?
Müssen wir FHvD in Zukunft also mit »Meister« anreden? Das Wort Genie kommt dann glücklicherweise im Text doch nur einmal vor. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob ein Autor, auch einer vom Spiegel, der einen Regisseur das ganze Jahr über begleiten »durfte« (musste?), eigentlich noch kompetent, und das heißt ja auch, mit der gebotenen Distanz über ihn schreiben kann. Ob das wirklich gutes Marketing ist? Mein Eindruck ist, dass dieser Über-Hype vor Filmstart dem ganzen eher schaden wird. Vielleicht verkauft man ein paar Kinokarten am ersten Wochenende mehr, aber Film und Regisseur werden auch unter ungeheuren Druck gesetzt. Mal abwarten. Der Spiegel tut sich damit jedenfalls keinen Gefallen, aber vielleicht will man dort auch nicht mehr als kritisches Blatt ernstgenommen werden.
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Wir könnten jetzt auch noch ein paar Stilblüten aus unseren liebsten FHvD-Inteviews sammeln, aber weil da bestimmt noch viel dazukommt, warten wir besser bis nächste oder übernächste Woche.
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Lieber noch etwas zum Europäischen Filmpreis. Den gewann am Samstagabend Roman Polanski für seinen neuesten Film The Ghost Writer. Und das gleich sechsmal, darunter in den wichtigsten Kategorien als »Bester Film« und »Bester Regisseur« – ein neue Rekordmarke. Weitere Preise gingen an Lourdes und Carlos.
»Ich fühle mich sehr geehrt...« – per Livestream war Polanski aus Paris in die estnische Hauptstadt Tallinn zugeschaltet und bedankte sich erkennbar gerührt. Aus nur allzu bekannten Gründen ist der große polnisch-französische Regisseur zuletzt reisescheu geworden, und konnte so die Stunde eines seiner größten Triumphe nicht persönlich mitfeieren. Eine Flasche Champagner im Kreis von Familie und Freunden, dürfte er sich allerdings wohl gegönnt haben.
Zur Erinnerung: The Ghost Writer, der bereits bei seiner Berlinale-Premiere im Februar den Regie-Bären gewann, ist die Verfilmung des Romans »The Ghost« des britischen Bestseller-Autors Robert Harris. Dabei handelt es sich um einen Schlüsselroman über den britischen Ex-Premier Tony Blair, für den Harris einst als Redenschreiber arbeitete. Im Roman heißt er Adam Lang und wird bei Polanski von Peirce Brosnan gespielt. Im Zentrum des Romans steht ein Journalist (Ewan McGregor, der für den Auftritt als »bester Darsteller« ausgezeichnet wurde), der als Schattenautor für Langs Memoiren verpflichtet wird, und im Zuge seiner Recherchen auf Ungereimtheiten stößt. Polanski schrieb das Drehbuch zusammen mit Harris; unter seiner Regie wird aus der Geschichte ein Vexierspiel über Lüge und Wahrheit in der aktuellen Politik, ein im fast altmodischen Stil inszenierter Politthriller über Paranoia und moralische Korruption.
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Der Preis war bestimmt auch eine moralische Solidaritätsgeste für den gebeutelten Regisseur. Für Europas »Oscar« war dieser Film aber auch ein guter Kompromiss. Wahrscheinlich gab es bessere Filme in einem insgesamt mäßigen Kinojahr, aber es gab keinen besseren mehrheitsfähigen Film. Schon im Vorfeld schälten sich drei Filme als klare Favoriten heraus: Neben The Ghost Writer noch Lebanon vom Israeli Samuel Maoz, der mit französisch-deutschem Fördergeld produziert wurde, und deswegen als »europäisch« gilt, und der türkische Film Bal von Semih Kaplanoglu. Zu recht ging der spekulative Lebanon, der zugleich tendenziös ist und es dann doch politisch allen recht machen will, fast leer aus. Und auch Bal erfüllt – niedliche Kinder, schöne Natur, sentimentale Story, »magischer« Realismus – allzusehr die Kategorien des Arthouse-Konfektionskinos, als das er einen Hauptpreis wirklich verdient hätte.
Meist hielten sich die Akademiemitglieder an die großen Festival-Jurys. Etwas ungerecht scheint es, dass der hervorragende französische Film Von Menschen und Göttern, der in Deutschland nächste Woche anläuft, ganz leer ausging. Immerhin je eine Auszeichnung gewann Silvie Testud für ihre Hauptrolle in Lourdes von der Österreicherin Jessica Hausner, und Olivier Assayas' glänzender Carlos (Bester Schnitt). Nominierung und Preisvergabe zeigen damit zugleich einmal mehr auch die Fragwürdigkeit derartiger Massenabstimmungen. Über Kunst kann man nicht mit Mehrheit entscheiden. Dann gewinnt am Ende eben, wie geschehen, ein Film sechs von sieben möglichen Preisen. Eine Jury, das gilt wie beim Deutschen Filmpreis auch hier, könnte besser differenzieren.
Die nominierten Deutschen – Fatih Akin für Soul Kitchen und Sibel Kikeli für Die Fremde – gingen ebenfalls leer aus. Die Deutschen konnten sich trotzdem nicht beklagen: Zum einen wurden sämtliche Preisträger mit deutscher Beteiligung produziert und mit Bruno Ganz ging der diesjährige Ehrenpreis zwar an einen Schweizer, der aber nicht nur als Präsident der deutschen Filmakademie längst vom deutschen Kino adoptiert wurde. Wenigstens im Kino ist die Bundesrepublik eben Deutschland bunt und ungemein integrationsfreudig.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.