Cinema Moralia – Folge 48
Wie die Filmakademie sich selbst abschafft |
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Anonymous: Deutsch machen, was nicht Deutsch ist | ||
(Foto: Sony) |
Ein Autor, meinte Pasolini, müsse »mit der Feder in der Hand und mit der Pistole in der Hosentasche« schreiben – gerade in diesen Tagen ein ermutigender Ratschlag. Also dann....
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Familie, das ist ein Terrorzusammenhang – an diese feststellende Beobachtung Alexander Kluges musste man als erstes denken, als man in der ARD-Aufzeichnung der Filmpreisverleihung Iris Berben davon reden hörte, wie schön es sei, dass sich »die ganze deutsche Filmfamilie« wiederum in Berlin zusammengefunden habe. Mag schon sein, dass das da eine Familie war, und so gesehen machte es auch einigen Sinn, dass die Verleihung des Bundesfilmpreis' der marketingmäßig
jetzt als »Deutscher Filmpreis verkauft (wahres Wort!) wird, im Ost-Berliner Nakedei-Showtempel ›Friedrichstadtpalast‹ stattfand.
Die Brüder und Schwestern des freien Teils der deutschen Filmfamilie fanden sich woanders, weit entfernt, an jenem Ort, der einmal ›Westdeutsche Kurzfilmtage‹ hieß, jetzt politisch, sachlich und sprachlich korrekt ›Internationale Kurzfilmtage‹, in Oberhausen also.
Es ist wahrscheinlich wirklich nur
Zufall, dass die Deutsche Filmakademie in den letzten Jahren ihren Filmpreis immer genau am Wochenende der Oberhausener Kurzfilmtage verleiht. Aber auch Zufälle sprechen ja eine Sprache, und diesmal, zum 50ten Jubiläum des Oberhausener Manifest, war die Ignoranz besonders offenkundig, die die Filmakademie, also nicht nur einzelne verantwortliche Personen, sondern die Institution als Ganze, tagtäglich praktiziert, die ihr zur ersten, zur eigentlichen Natur geworden ist.«
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Man ärgert sich ja schon aus der Distanz rein professioneller Betrachtung, schämt sich fremd für alle die da für irgendetwas verantwortlich sind, was mit Redenschreiben und Öffentlichkeitsarbeit zu tun hat. Es wäre so einfach gewesen: Man lässt die Berben einfach einen Text ablesen, in dem sie die Oberhausener Kurzfilmtage auf der anderen Seite der Republik »von Herzen« grüßt aus Berlin, und sowas beliebig Verbindlich Unverbindliches dahersagt, wie: Das tolle Oberhausener Manifest von damals, vor 50 Jahren, das war wichtig, war mutig, das hat die Türen geöffnet, und jene superdooper Filmförderung geschaffen, durch die wir jetzt hier stehen, und so lauter großartige Filme und Filmschaffende haben, wie die heute Abend nominierten. Basta! Klassische Umarmungs- und Vereinnahmungsstrategie, gegen die sich Oberhausen nicht hätte wehren können, und Anonymous wäre plötzlich quasi als das direkte Ergebnis von Oberhausen dagestanden. (Ist es ja eigentlich auch, aber das führt jetzt vom Thema ab.) Aber für diese Umarmungsstrategie sind die Verantwortlichen einfach zu blöd. Stattdessen regiert die pure Ignoranz. Oberhausen, Manifest wie Kurzfilmtage, kann über beides froh sein.
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Das Dröhnen der Berliner Party drang trotzdem bis nach Oberhausen. Zum einen, weil dort in der Fußgängerzone vor dem »Lichtburg«-Kino fast genausoviel Bundesfilmpreisträger herumliefen, wie in Berlin. Einige von ihnen allerdings selbst Kennern völlig unbekannt, was uns vor allem erzählt, wieviel diese Preise auf Dauer wert sind. Zum anderen, weil natürlich nicht wenige Kollegen trotzdem irgendetwas zum Filmpreis zu Papier bringen mussten, und also im Fernsehen oder im Netz ein
bisschen guckten, entsetzt den Kopf schüttelten, und sich dann miteinander besprachen, ob nur sie selbst das alles so schlimm fanden, oder die anderen auch.
Und es war ja fürchterlich, diese Ansammlung der Unvermeidlichen des deutschen Kinos zu verfolgen, dieser vielen Gesichter, deren Namen man sich nicht merken will, und die man sowieso noch auf keiner Leinwand, aber auf vielen Fernsehschirmen gesehen hat. Andererseits fehlten auch einige bemerkenswerte Leute. Warum
eigentlich war Bruno Ganz zum Beispiel abwesend, der doch immerhin einer der Präsidenten der Filmakademie ist und eines ihrer renommierten Mitglieder?
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»Die Kiste« – das ist im Jargon der deutschen Filmszene jene Box mit DVDs die dann angeblich alle von angeblich allen Akademiemitgliedern angeguckt werden. »Von 90 Filmen waren 80 Langweiler und auch handwerklich schlecht gemachte Filme« sagte dazu Schauspieler Winfried Glatzeder (Die Legende von Paul und Paula).
Carlo Rola, Ehemann der Akademiepräsidentin wird noch hübscher
zitiert: »Die Kiste des Grauens«.
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Und dann schlug wieder die Schwarmintelligenz der Filmakademie zu. Es ist ja schon lustig: Da wettert man auf Seiten der Akademie (zur »Veranstaltung« der Akademie, »Propagandashow« wäre präziser, am Tag des Geistigen Eigentums dann mehr nächste Woche) und auch auf der Veranstaltung in silbernen Worten gegen die Piraten und ihre Partei, praktiziert aber genau deren Politikbegriff: Ungesteuerte Abstimmung, und damit Sieg des kleinsten gemeinsamen Nenners. Anders gesagt:
Flache Demokratie.
Das Resultat zeigte, dass nicht »das unsichtbare deutsche Kino«, das in unserer neuen Ausgabe besprochen wird, das Problem ist, sondern der sichtbare deutsche Film. Das was wir sehen, das was zum Filmpreis nominiert wurde, repräsentiert nichts außer schlechtem Geschmack, Industriemacht und kleinster gemeinsamer Nenner.
Es gewannen also wieder genau die Filme, die fast immer gewannen in den letzten acht Jahren, seit nicht mehr eine unabhängige Jury, sondern die
Deutsche Filmakademie den Preis vergibt und ausrichtet: Teure Mainstreamblockbuster – diesmal Roland Emmerichs so depperter wie wichtigtuerischer Bombastfilm ANONYMOUS – bekommen die technischen Preise, liebenswerte Darsteller, vor allem aus dem Osten – diesmal Alina Levshin, Milan Peschel, Dagmar Manzel, Otto Mellies – die Darstellerpreise, und ein unanstößiger Konsensfilm mit Wellness-Elementen – diesmal Andreas Dresens Krebsdrama Halt auf freier Strecke – den Hauptpreis.
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Ich weiß: Alle lieben Dresen, noch mehr als seine Filme. Außer mir aber wenigstens noch ein anderer nicht: Peter Körte, der in der FAS über den Film schrieb: »Wie sich die Majorität der Akademie das deutsche Kino vorstellt, das bekräftigte sie endgültig mit dem Preissegen für Andreas Dresens Halt auf freier Strecke. Das war ... Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung. Ein Ja zum kruden Naturalismus, zum Fetisch des vermeintlich Authentischen, eine Bereitschaft, sich derart unter Betroffenheitsdruck setzen zu lassen, dass man vor lauter Menschelei gar nicht mehr genau hinschaut, wie reduktionistisch Dresens Blick ist, in der ostentativen Bescheidenheit seiner erzählerischen Mittel, vor allem aber im Porträt eines Menschen, der nicht nur für seine Angehörigen auf sein Sterben reduziert wird.«
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Auch sonst: Keine einzige Überraschung und kaum Auszeichnungen für künstlerisch relevante Filme: Den inhaltlich starken Kriegerin von David Wnendt und Christian Petzolds ästhetisch herausragenden Barbara, der ansonsten trotz acht Nominierungen leer ausging.
Diese Entscheidungen verweisen auf
eines der Hauptprobleme der Filmpreis-Vergabe per Massenabstimmung: Barbara und Kriegerin muss man wie Hell im Kino sehen, damit sie wirken. Die meisten der ca. 1000 Akademiemitglieder sehen den Film –
wenn überhaupt – aber daheim auf DVD. Und dort wirkt manches viel schwächer.
Insofern war wieder alles beim Alten beim Filmpreis. Er wird zwar immer noch öffentlich finanziert, aber privat vergeben, von einer »Deutschen Filmakademie«, die sich nicht so nennt, weil sie etwa mit dem Akademischen besonders was am Hut hätte, sondern weil das gut klingt, irgendwie nach »Academy«. Also Oscar.
Und in der immerhin etwa die Hälfte der wichtigeren Filmschaffenden Deutschlands
vertreten sind. Das schützte noch in keinem Jahr vor Kritik, auch aus der Filmbranche selbst – aber lange nicht gab es soviel Rumoren vor und hinter den Kulissen, wie in diesem Jahr.
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»In der Akademie sind halt zu viele dumme Schauspieler, und ansonsten werden die Interessen der Industrie bedient.« Es überrascht nicht, dass der Regisseur, der dies später sagte, ungenannt bleiben möchte. Namentlich gezeichnet hatte am Tag vor der Preisverleihung der Regisseur Dominik Graf seinen Text in der Wochenzeitschrift »Zeit«, eine saftige ganzseitige Abrechnung mit dem Unverständnis der Akademie für Unterhaltungskino wie für Kunstfilme.
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Meine Lieblingsstelle ist das Ende des Textes: »Und auf einem anderen Blatt dieses Kinojahrgangs streift Ulrich Köhlers Hauptfigur in Schlafkrankheit durch das neue Afrika, findet das originale ›Grauen‹ des irren Kurtz wieder – aber ganz anders. Der Film kommentiert stillschweigend die weltweite Political Correctness und mündet in ein tiefes Fremdsein, in eine verheerende Einsamkeit. Vielleicht ist gerade in diesem Sinn all unsere Bedeutungs- und Themenfilmerei wieder nur eine Lüge. Der Selbstbetrug einer Gesellschaft – inklusive ihrer Künstler –, die ein bereits zu Tode gentrifiziertes Land partout ins neue globale ›Gute‹ hinüberretten möchte, inklusive Frauenquote, Nichtraucher-Verordnung und Relevanzkino. Da log der deutsche Heimatfilm in den Fünfzigern ehrlicher.«
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Diese kalte Wut, die Energie und Leidenschaft von Graf sind nachvollziehbar, sympathisch und verständlich. Er hat völlig recht, was die Gesamtsituation angeht. Er hat aber nicht ganz recht, was die Filmpreisnominierten angeht. Und auch manche Details kann ich nicht teilen. Zum Beispiel, dass ein Kritiker Christian Petzolds Barbara »in einen fatalen Kontext mit anderen
DDR-Bewältigungsfilmen stellte und ihm dabei wie in einem inoffiziell ausgeschriebenen Wettbewerb die bisherige Bestnote verlieh: 'Man muss weit zurückgehen, um einen Film zu finden, der für die DDR ein ähnlich präzises Gespür hat wie Barbara.'« – das ist für mich kein Vorwurf. Klar: Barbara ist viel mehr; auch klar: Man kann Barbara als Ärzteroman erzählen, oder als Film eines Westdeutschen der sich in die DDR der Spätsiebziger verirrt hat, und diese romantisiert. Wie alle Filme Petzolds ist Barbara eine Genrevariation und wie alle seine Filme auch sehr sehr künstlich, gekünstelt – also weit weg vom kruden Sozialrealismus eines Dresen. Gottlob!
Aber
der Film ist eben auch »der« Gegenentwurf zu Das Leben der Anderen. Warum kann er nicht das alles gleichzeitig sein?
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Auf Facebook gibt es zu dem Text eine kleine Debatte zwischen Freunden von mir, den Filmregisseuren RP Kahl, Michael Dreher und dem BR-Kritiker Carlos Gerstenhauer. Wie alles auf Facebook primär Stammtisch, aber daher auch lustig. Carlos glaubt allen Ernstes dass das Fernsehen noch etwas mit Bildungsauftrag zu tun hätte – dabei gilt der noch nicht mal für »kinokino«. Deformation professionelle. RP hat recht, wenn er zu spüren glaubt, dass die more or less »einhellige«
Zustimmung für Grafs Text etwas Verlogenes hat. Sein Vorwurf, Graf hänge ja selber am Tropf der Förderung kommt mir dagegen recht kleinkariert vor. Denn ganz grundsätzlich ist es ja nicht so, dass einer, der gefördert wird, schon deshalb sein Recht verwirkt hätte, die bestehenden Fördersysteme zu kritisieren, und sich etwas Besseres zu wünschen.
Aber eines stimmt natürlich: »Film als Spaß, Film als herrlich künstlicher Glanz, Film als Spannungsexplosion, als direkte, triviale
Verführung« möchte man auch in Grafs Filmen noch mehr sehen. Er erreicht das immer wieder scheint mir, für Momente, für einzelne Szenen, manchmal einen ganzen Film lang, wie in Das unsichtbare Mädchen, der im Herbst in Hof lief und im Juni in Ludwigshafen zu sehen ist. Aber ausgerechnet im Genreexperiment Dreileben ist sein Beitrag (den ich im Gegensatz zu RP sehr mag) der am wenigsten genrehafte.
RP Kahl macht auf seine Weise genau
das Kino, das Graf wünscht. Er wird von der Filmakademie wie von Festivals konsequent ignoriert. Wie Lemke, wie Thome, wie diesmal Köhler, wie in der Preisverlehung Tim Fehlbaum, wie in der Vergangenheit etwa Michel Dreher oder Wolfgang Fischer. etc etc.
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Bei einer Veranstaltung in der Berliner AdK zu »unerzählten Geschichten aus Deutschland« (die in ein paar Tagen vollständig im Netz stehen wird) sagte der Kritikerkollege Bert Rebhandl übrigens für mich sehr überraschend, der deutsche Film stehe viel besser da und sei viel besser, als er von den deutschen Kollegen eingeschätzt werde. Rebhandl ist Österreicher. Er sehe »im Jahr ungefähr 60 gute deutsche Filme«. Wir kamen dann nicht mehr dazu, über die Titel dieser Filme zu sprechen, aber die Liste der 60 würde ich gern mal lesen.
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Noch einmal Graf: »Der deutsche Film wirkt trotz seines stetig zunehmenden formalen Könnens in der überwiegenden Masse wie eine Palette von Besinnungsaufsätzen. Der Ton der Filme scheint sich anzugleichen. In der Inszenierung regieren der flach gehaltene Ball, möglichst wenig Filmmusik und das Diktat von (oft grandioser) Authentizität in Schauspiel und Kameraführung.«
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Und keiner bei der Akademie redet mehr über Kriterien und Verfahren. Schwarmintelligenz, das ist auch die Intelligenz der Schafe im Gatter. Als nächstes kommt der Metzger.
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Halböffentlich war eine anonym gehaltene, ironisch mit »Fritz Lang« unterzeichnete Email, die uns schon eine gute Woche zuvor erreichte: In der wird gut informiert und informativ und durchaus schlüssig mit Auszügen aus den Gesetzesbüchern argumentiert, der Massensieger Anonymus sei gar kein deutscher Film.
Sie lautet: »Man kann zu Anonymus von der Qualität her stehen wie man will, aber dass dieser Film jetzt für den Deutschen Filmpreis nominiert ist, hat doch einen sehr seltsamen Beigeschmack.
Mit welchem Recht erhebt Anonymus eigentlich Anspruch auf den deutschen Filmpreis? Mal ganz abgesehen davon, daß der Film auf englisch gedreht
wurde, mit englischen Darstellern besetzt ist, in England spielt und ein englisches Thema hat.
Der Regisseur hat (auch) die deutsche Staatsbürgerschaft, aber der Filmpreis dient ja in erster Linie der Förderung des Herstellers des Films. Das Preisgeld steht dem Hersteller zu. Die Produzenten nehmen auf der Bühne die Statue entgegen, nicht der Regisseur.
Schon für die Nominierung zum deutschen Filmpreis wird der Hersteller des Films 250.000 EUR Förderung vom deutschen Staat für
sein nächstes Projekt erhalten. Kein Darlehen, wohlgemerkt, sondern einen nicht rückzahlbaren Zuschuss. So gut wie Bargeld.
Doch wer ist der Hersteller dieses Films?
Laut Abspann des Films liegen alle Rechte bei Sony Pictures.
Unter Hersteller versteht man laut FFG (Filmfördergesetz) jedoch die Produktionsfirma, die den Film hauptverantwortlich hergestellt hat.
Laut Abspann sind das vier Firmen:
1. Anonymous Pictures Limited
2. Vierzehnte Babelsberg Film GmbH
(GmbH für Anonymus)
3. Siebte Babelsberg Film GmbH (GmbH für The International)
4. Achte Babelsberg Film GmbH (GmbH für Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat)«
zu 1: Diese Firma ist eine Limited von Sony Pictures mit Sitz in London, Adresse SONY PICTURES EUROPE HOUSE, 25 GOLDEN SQUARE, LONDON W1F 9LU. Diese Firma ändert immer wieder ihren Namen und dient wohl zur Abwicklung diverser Sony Produktionen. Die laut anderer Quellen an der Produktion beteiligten Firmen »relativity media« (ein mittelgroßes Studio aus Hollywood) und »centropolis« (die millliardenschwere Produktionsfirma der Geschwister Emmerich) dürften ihre Anteile über diese britische Limited in die Produktion eingebracht haben, um überhaupt Zugang zu EU Fördermitteln zu bekommen. Das ist eine der üblichen Maschen der Hollywood Firmen, um an staatliche europäische Gelder zu kommen: man schlüpft für die Dauer der Produktion unter den Deckmantel einer Limited.
Zu 2. bis 4.: Hier handelt es sich laut Bundesanzeiger (siehe bundesanzeiger.de) offensichtlich um sogenannte »Wegwerf GmbH« der Studio Babelsberg Motion Pictures GmbH. Keine dieser Gesellschaften beschäftigt auch nur einen Mitarbeiter. Sie haben keine Sachanlagen und kein Betriebsvermögen. Diese GmbHs werden offensichtlich nur verwendet, um einzelne Produktionen abzuwickeln. Diese Praxis kommt aus den USA und wird angewandt, um das Risiko zu minimieren. Der Gewinn wird
nach dem Ende der Produktion sofort rausgezogen. Scheitert ein Film, oder erhebt jemand Schadensersatzforderungen, macht die Firma pleite und die Gläubiger gehen leer aus. Eigentlich eine fragwürdige Praxis, vor allem wenn man bedenkt dass diese Firmen erhebliche Förderungen aus staatlichen Quellen bezogen. Bis vor kurzem war es unmöglich, mit Wegwerf- GmbHs Filmfördermittel zu bekommen, da eine solche Praxis die heimischen Produktionsstrukturen schädigen kann, wenn
Zulieferer und Kreative auf offenen Forderungen sitzen bleiben. Außerdem macht diese Praxis natürlich auch die Rückzahlung der staatlichen Darlehen sehr unsicher. Üblich war es bis vor kurzem, im Produktionsbereich auf verlässliche Partner zu setzen.
Man müsste mal bei der BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) nachfragen, welcher der drei Babelsberg Firmen das deutsche Ursprungszeugnis beantragt hat. Wahrscheinlich die Vierzehnte Babelsberg Film GmbH. Wie
will eine Firma ohne Mitarbeiter nun einen neuen Spielfilm produzieren? Was macht diese »Schein«- Firma nun mit den 250.000 EUR staatlichen Zuschüssen?
Wie dem auch sei, die Beteiligung der deutschen Firmen am Projekt kann bei einem Gesamtbudget von 30 Millionen Dollar (22 Mio EUR) nur minoritär sein. In den Bilanzen der Babelsberg GmbHs im Bundesanzeiger findet man nur 5- oder 6-stellige Beträge.
Auch die gewährten Förderungen deuten darauf hin:
Medienboard: 900.000
DFFF: 424.267
FFA: 500.000
FFF Bayern: 200.000
Unterm Strich sind das in etwa 2 Millionen aus deutschen Förderungen. Rechnet man den laut FFG geforderten Eigenanteil von 5% dazu, sowie eventuell von Sony bezahlte Minimumgarantien für Deutschland, landen wir summa summarum bei einem deutschen Anteil von maximal 3 Millionen Euro, das sind 13% des Gesamtbudgets.
DER DEUTSCHE HERSTELLER HATTE
ALSO EINEN ANTEIL VON 13%.
Darf so ein Film um den deutschen Filmpreis antreten? Ein auf englisch gedrehter Film, der von einem britischen Dichter handelt, mit einem ausschließlich britsch-amerikanischen Cast, nur zu 13% aus Deutschland finanziert?
Das widerspricht sogar der Richtlinien über die Teilnahme am Auswahlverfahren zur Nominierung der deutschen Filmakademie. Dort heißt eine Bedingung (siehe 1.4):
»Die finanzielle Beteiligung des deutschen Herstellers bzw.
der deutschen Hersteller an einem Film ist mindestens so groß wie die finanzielle Beteiligung eines ausländischen Herstellers oder die gemeinsame Beteiligung mehrerer ausländischer Hersteller mit Sitz in demselben Land«
Da die Beteiligung von Studio Babelsberg sicher nicht mindestens so groß war wie die der Anonymous Ltd, wurde nicht einmal diese – ohne schon sehr kulante – Bedingung erfüllt.
Doch im nächsten Satz heißt es schon: »Kann aufgrund dieser Kriterien eine erhebliche deutsche kulturelle Prägung nicht eindeutig bestimmt werden, so bedarf es eines positiven Beschlusses des Vorstands, damit der Film am Auswahlverfahren für den Deutschen Filmpreis teilnehmen kann.«
Das dürfte in diesem Fall passiert sein.
Auf gut deutsch (...) heißt das also, wenn ein Film nicht wirklich deutsch ist, kann der Vorstand der Filmakademie ihn deutsch machen.
Die Richtlinien verlangen im Übrigen kein deutsches Ursprungszeugnis, sondern nur eine »Bescheinigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gemäß § 17 FFG«. In der neuesten Fassung reicht des FFG dafür aber eine auf deutsch synchronisierte Fassung (!), oder ein deutscher Finanzierungsanteil, oder sogar nur ein EU-Finanzierungsanteil.
Die neueste Fassung des FFG setzt nämlich deutschen Ursprung dem EU-Ursprung gleich. Die Bezeichnung »deutscher Filmpreis«
wird damit zur Farce. Es reicht wenn der Regisseur und ein Produzent – egal wie klein sein Anteil am Film ist – dem »deutschen Kulturkreis« zuzurechnen ist, und der deutsche Finanzierungsanteil so groß wie irgendein ausländischer Anteil ist, egal wie klein er auch sein möge.
So kann sich nun also der Hersteller eines größtenteils amerikanisch produzierten Hollywood Films mit einem Hollywood Regisseur deutscher Abstammung, der nur zu 13% in Deutschland finanziert wurde, und ansonsten hauptsächlich von einem der konservativsten Hollywood Studios (Sony), über staatliche Preisgelder in Höhe von 250.000 EUR freuen. Wohlgemerkt, Hersteller heißt in dem Fall eine GmbH ohne einen einzigen Mitarbeiter, die nur diesen einen Film produziert hat.
Streng
genommen eine Scheinfirma.
Und die vielen kleinen deutschen Produzenten, die das Geld wirklich bitter benötigen würde, die wirklich hierzulande künstlerisch arbeiten und die Kultur fördern, und für die dieser Kulturpreis auch erfunden wurde, schauen in die Röhre.
Gerade für diese waren die Filmpreisgelder immer ein wichtiges Mittel, um radikale Projekte zu entwickeln. Der besondere, sperrige Film, er hat von diesem Geld, dem letzten »gremienfrei« vergebenen Geld, immer profitiert. Die Produzenten von so interessanten und preisgekrönten Filmen wie Der Albaner, Die Unsichtbare, Die Summe meiner einzelnen Teile, The System, Schlafkrankheit, Unter dir die Stadt – sie gingen alle leer aus.
Das hat auch noch folgenden Grund: Über die Nominierung zum deutschen Filmpreis entscheiden ausschließlich Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten, keine anderen Kreativen (6.1.1). Wenn man sich nun die Mitgliederliste anschaut, stellen die Produzenten, die zahlenmäßig in der Akademie sowieso überproportional vertreten sind, mindestens drei Viertel dieser Gruppe. Und Produzenten denken naturgemäß in finanziellen Parametern. Die Finanzen, der finanzielle Erfolg, er
bestimmt letztendlich ihr Denken, ihr Handeln. Die Zahlen, die verkauften Tickets, prägen ihre Ausbildung, ihre Leben. Dadurch stehen kommerziellere Filme klar im Vorteil. Keiner der 2012 nominierten Filme hatte weniger als 100.000 Zuschauer im Kino. Dadurch wird der Sinn und Zweck des deutschen Filmpreises, nämlich künstlerisch wertvolle Filme ohne Rücksicht auf kommerziellen Erfolg zu prämieren, und ihre weitere Arbeit zu erleichtern, ein weiteres Mal ad absurdum
geführt.
Studio Babelsberg ist ein rein profitorientierter Dienstleister für Großproduktionen, der jetzt sicher nicht damit beginnen wird, kulturell hochstehende deutsche Filme herzustellen.
Dann machen der oder die Autoren noch Vorschläge, um sicherzustellen, dass wenigstens 50% des Films produktionstechnisch unter deutscher Beteiligung entstanden.
Tatsächlich muss die Frage erlaubt sein: Was eigentlich ist deutsch an einem englischsprachigen Film über den britischen Dichter William Shakespeare mit Hollywoodstars und einem Regisseur, der zwar Deutscher ist, aber seit 20 Jahren in Amerika arbeitet?
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Allgemeine Übereinstimmung auch unter den vielen Lästermäulern war immerhin: Das Gesamtbild der vergebenen Preise war wenigstens ehrlich – man gibt sich nicht kultivierter und kunstinteressierter, als man ist. Der Mainstream und das Wirtschaftsinteresse haben Vergabe wie Veranstaltung fest im Griff.
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Zur Öffentlichkeitsarbeit noch eine Anmerkung: Die beauftragte PR-Agentur hat eine gewohnt flott-anbiedernd formulierte – »In den Wochen vor der Verleihung des Deutschen Filmpreises am 27. April wird es spannend«- sachlich aber falsche Pressemitteilung verschickt. Darin heißt es wörtlich: »Der Deutsche Filmpreis – die renommierteste und höchst dotierte Auszeichnung für den deutschen Film – ist mit Preisgeldern in einer Gesamthöhe von 2,955 Mio. Euro des
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) dotiert«.
Schlechtes Deutsch erstmal: Der Preis ist genaugenommen keine »Auszeichnung für den deutschen Film« – das könnte nämlich auch der Oscar oder die Goldene Palme sein, wenn sie ein deutscher Film bekäme, sondern eine deutsche bzw. in Deutschland verliehene Auszeichnung. Und dass der Goldene Bär zum Beispiel ganz objektiv die renommiertere Auszeichnung ist, möchten wir auch mal behaupten. Aber das ist
Kleinkram. Wichtiger: Die Preisgelder sind keine des BKM, sondern welche des Bundestags. Hier verwechselt man mal eben Legislative mit Exekutive, aber das ist auch nur eine Verwechslung, die Methode hat im deutschen Film.
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Nimmt man alles zusammen, schafft sich die Film-Akademie selber ab. Sie hat ihre Legitimität verspielt, auch wenn sie noch zehnmal die Verfahren ändert, und sich jedes Jahr noch demokratischer gibt. Wenn sie das noch betont, verspielt sie allenfalls auch noch die Legitimität des Demokratischen.
Die Akademie ist, wie Andreas Kilb in der FAZ schrieb, »am Nullpunkt«. Wie ein Zombie. Es gibt sie noch, aber sie lebt nicht mehr.
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Derweil blubbert die Debatte über das geltende Urheberrecht, seine erforderlichen Veränderungen und über den Schutz des geistigen Eigentums weiter. Was auch dazugehört, ist die geradezu hysterische Hatz auf die Piratenpartei, die diese Partei im Effekt nur aufwertet, mitunter regelrecht unfreiwillige Propaganda macht. Jeder zweite der derzeitig täglich im Dutzend erscheinenden Texte zur Piratenpartei beweist nichts anderes, als die Unfähigkeit ihrer Autoren, eine offenbar neue Generation und deren Denke auch nur zu verstehen. Und natürlich auch den Unwillen dazu. Kompensieren soll das dann Aggression – eine Methode die noch nie funktioniert hat. Die Witze über die pizzafressenden Nerds, und die Bilder, die das dann illustrieren sollen, sind ungefähr so niveauvoll, wie das Geifern der Spießer von 1967 über »die Langhaarigen« und wie die Argumente jener Sozialdemokraten von 1982, die mit den Latzhosen- und Turnschuhträgern der frühen Grünen mittels Dachlatte fertigwerden wollten.
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Die Erfolge dieser Taktiken sind bekannt, und zu den wichtigen Fragen des geistigen Eigentums und seines Schutzes trägt all das naturgemäß sowieso gar nichts bei.
Das gilt leider auch für Teile jener Pressemitteilung, die uns heute erreichte. Sie stammt von Klaus Staeck, dem berühmten Polit-Graphiker und Präsidenten der Berliner »Akademie der Künste«. Unter der schönen Überschrift »Akademie der Künste verteidigt Urheberrecht« [Der vollständige Wortlaut hier] heißt es: »Das Urheberrecht ist ein Menschenrecht. Die autonome Verfügung über sein geistiges Eigentum ist ein unveräußerliches Recht eines jeden Bürgers. Das Urheberrecht ist ein hart erkämpftes Freiheitsrecht.«
Man freut sich, denkt bei sich ein wenig »schön wär’s« und ist vor allem erstaunt über das Pathos, das hier erkennbar wird.
Weiter geht’s: »Die Akademie der
Künste setzt sich für einen freien Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu Kunst, Wissenschaft und Medien ein. Doch frei bedeutet nicht kostenfrei.« Alles völlig richtig. Die entscheidende Fragen sind aber auch hier wieder (absichtlich/unabsichtlich?) ausgeblendet: Wer zahlt, und auf welche Weise und an wen?
Wenn stattdessen »klare Regeln« gefordert werden, geht das an der unklaren Realität im Globalen Netz vorbei. Anders gesagt: Nichts gegen klare Regeln, aber wer soll sie weltweit
durchsetzen? Und man darf sich nichts vormachen: An Rechte-Piraterie verdienen auch viele Urheber mit – das ist eine der komplizierten Tatsachen der schönen neuen unklaren Digitalwelt.
Dann aber ein Haudraufsatz: »Die konsequente Entwicklung des Urheberrechts unter digitalen Produktions- und Verbreitungsbedingungen wird vom zuständigen Bundesministerium der Justiz in unvertretbarer Weise verzögert.« Über den wundert sich der Leser vor allem deswegen, weil Klaus
Staeck ein wackerer Sozialdemokrat ist, und hier die einzige tatsächlich liberale Ministerin der schwarzgelben Koalition attackiert – die Frau, die ACTA stoppte, und die Vorratsdatenspeicherung verhindern will. Dass Staeck ausgerechnet auf Schnarri draufhaut, ist meiner Ansicht nach mindestens taktisch unklug, weil die CSU nun in Zukunft mit seiner Pressemitteilung herumwedeln kann...
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Wer für Freiheitsrechte eintritt, wird sicherlich das Recht der Bürger auf freizügigen, bezahlbaren Zugang zu Kunst, Wissenschaft und anderen Kulturgütern nicht weniger zu schätzen wissen, wie das Recht der Kreativen auf angemessene Entlohnung. Man freut sich daher auf künftige Veranstaltungen der Adk zum Geistigen Eigentum, zur Kulturflatrate, zu den Piraten, die ja auch das Urgeberrecht schützen wollen, aber auch die Zugangsbarrieren senken, und daher andere Bezahlmodelle als die gegebenen favorisieren. In einer Zeit, in der die Künstler sich aus lauter Angst vor dem ein wenig undurchschaubaren Internet von den Rattenfängern der Lobbys in ebenso hysterische wie undurchdachte Debatten einspannen lassen, könnte die AdK mit ausgewogenen, allen Positionen gegenüber fairen Veranstaltungen punkten, und Lösungen ausarbeiten, auf die eine Öffentlichkeit wartet, die sich größtenteils nicht säuberlich in Kreative und User, potentielle Räuber und potentiell Beraubte aufteilen lässt.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.