Cinema Moralia – Folge 52
Wolken ziehen vorüber |
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Alles hängt mit allem zusammen – derart erbauliche Unterweisungen bekommen wir in Cloud Atlas | ||
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH) |
»Unsere Welt folgt einer naturgegebenen Ordnung, und wer versucht, sie umzukrempeln, dem wird es schlecht ergehen.« (Aus Cloud Atlas)
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Jetzt ist es soweit; endlich muss man stöhnen. Endlich startet Cloud Atlas. »Endlich« nicht, weil wir den Film so bange erwartet hätten, nicht »endlich«, weil wir nicht bessere Filme wüssten, die wir unseren Lesern gern empfehlen möchten, und in die wir selbst reingehen wollen, sondern »endlich«, weil es dann jetzt in ein paar Tagen vorbei ist. Vorbei mit dem Marketinggetöse, mit dem Cloud Atlas auf allen Kanälen. Dann ist der Film »durch«, dann kann man wieder über andere Dinge schreiben.
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Cloud Atlas, David Mitchells Kultbestseller wie seine Verfilmung, erzählt sechs Geschichten, die auf sechs Zeitebenen spielen, und durch lose Bezüge und subtile Verweise miteinander verbunden sind – ein faszinierender, aber schwerverdaulicher Brei aus Figuren und Motiven. Nicht anders ist auch das Drumherum, ein komplexes Durcheinander, das doch irgendwie miteinander verbunden ist, und gerade in seiner Gesamtheit viel über die deutsche Filmlandschaft, über die Kinosituation erzählt.
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Mitte September. Der Film wird seine Premiere in Toronto haben. Man spekuliert, wie man es immer tut: Offenbar hat Venedig den Film abgelehnt. Warum nicht die Berlinale – schließlich ist es doch ein deutscher Film. Bereits am 28. Juli erscheint in der »Süddeutschen« ein Text – über den Trailer! Drei-spaltig!! Plus Bild!!! Wann hätte man so etwas schon mal in der SZ zu einem anderen Film gelesen? Der Text – Titel: »Erster Blick« – liest sich, als hätte ein Siebenjähriger im Sommer bereits die versteckten Weihnachtsgeschenke gefunden. Oder anders gesagt: Wie ein Werbeflyer, denn ein Mitarbeiter der zuständigen Presseagentur verfasst hat, nicht ein Filmkritiker.
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Anfang Oktober erreicht uns dann »Persönliche Einladung« zu den bundesweiten Pressevorführungen von Cloud Atlas. In der Einladung, die garniert ist mit den leider heute üblichen »Sicherheitshinweisen« – 1. Diese Einladung ist nur für Sie PERSÖNLICH bestimmt und darf nicht an Dritte weitergeleitet werden! 2. Der Einlass erfolgt nach
Namensliste! Sollten Sie verhindert sein und eine Vertretung schicken wollen, teilen Sie dies bitte rechtzeitig unter xxx mit. Vertretungen, die nicht angemeldet wurden, können wir leider nicht zulassen. 3. Elektronische Geräte jeglicher Art müssen vor Beginn der Vorführung abgegeben werden. Hierfür steht eine Garderobe zur Verfügung. Vor dem Saal erfolgt eine Taschenkontrolle. Um unnötiges Anstehen zu vermeiden, würden wir Sie bitten Taschen, Rucksäcke etc. ebenfalls an der
Garderobe abzugeben. Bitte planen Sie hierfür ausreichend Zeit ein, insbesondere da die Vorführungen pünktlich beginnen müssen.
Ansonsten ist die Rede von einem »visionären Werk«, »meisterhafter Filmadaption«, »magisches Kinoerlebnis voller Action, Dramatik und großer Emotionen«. Statt des Originals kommt der Satz: »Wir freuen uns, Ihnen bereits die deutsche Fassung präsentieren zu können, die von Tom Tykwer persönlich verantwortet wurde.« Dazu dann auch der Versuch, die
Berichterstatter zu lenken wie Schafe zur Schlachtbank: »Bitte beachten Sie, dass Filmkritiken/Filmbesprechungen erst in den November-Ausgaben (bei Monatsmagazinen) bzw. erst ab 26. Oktober 2012 bei tagesaktuellen Medien veröffentlicht werden dürfen – dies gilt für alle Arten von Medien (Print, Online, TV, Hörfunk) sowie für Social Media Plattformen (Facebook, Twitter etc.). Mit der Teilnahme an den Pressevorführungen erklären Sie sich mit dieser Bedingung
einverstanden.« Man wüsste gern, wie das gehen und erlaubt sein soll, wo der Film doch bereits im September in Toronto lief und seit Mitte Oktober in den USA. Auch der X-Verleih wird nicht aus schlechter Erfahrung klug und begreift leider immer noch nicht, dass er mit derartigen Manipulationsversuchen und versuchter Lenkung/Einschränkung der Kritiker nur Eigentore schießt, genau so uncool rüber kommt, wie er es nicht will und genau das erreicht, was er vermeiden möchte: schlechte
Stimmung.
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Die deutschen Zeitungen überbieten sich in Berichterstattung: sehr wohlwollend, ungemein umfangreich. Zum Teil in ganzen Artikelserien. Die privaten Verbandelungen mit dem Marketingbetrieb wollen wir hier gar nicht expliziter erwähnen. In einer überregionalen Tageszeitung schreiben kluge Köpfe nicht weniger als viermal über den Film. Warum eigentlich? Warum begleiten Filmkritiker den Start eines deutschen Films, in dem viel Geld steckt, anders, als den eines deutschen Films, in dem wenig Geld steckt? Was haben sie mit dem Film und seinem Verkaufserfolg zu schaffen? Warum werden andere deutsche Filme nicht so begleitet?
Warum wird ein mittelmäßiger Fantasy-Omnibus-Film auch noch von der seriösen Filmkritik zum Event hochgejazzt, und damit das Marketing-Grundrauschen nur verstärkt, das durch BILD auf einer Seite und »Wetten das?«-Auftrittsspektakel längst hergestellt ist.
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Über den Verband der Filmkritik erreicht mich am Montag die Anfrage der Praktikantin Tanja Gerlach der »LandesWelle – Thüringens Rock & Pop Radio« aus Erfurt (www.landeswelle.de) unter »Betreff: Anfrage für ein Telefongespräch«: »Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Vormittagsmoderatorin Isabell Schmidt würde am Donnerstag gern in ihrer Vormittagssendung einen Beitrag zu dem Film ›Cloud Atlas‹ bringen. Wir suchen dafür einen Experten, der mit unserer
Moderatorin ein kurzes Gespräch am Telefon führen könnte. Ich hoffe, Sie können mit [Sic!] weiterhelfen! Über eine positive Rückantwort würde ich mich freuen!« Ich antworte mit der kurzen Gegefrage, ob das Gespräch denn honoriert werde? Daraufhin die Antwort: »Sehr geehrter Hr. Suchsland, dass [Sic!] Gespräch würde nicht honoriert werden. Mit der namentlichen Erwähnung bzw. Nennung könnten Sie aber Werbung in eigener Sache machen. Gern können wir Ihnen auch einen Mitschnitt zur Verfügung
stellen, über den Sie frei verfügen können. Es würde uns freuen, wenn Sie trotzdem für eine kurze Filmkritik zur Verfügung stehen würden.« Immer noch alles von der Praktikantin. Daraufhin schreibe ich ihr folgende Mail: »Liebe Tanja Gerlach, tut mir leid, aber ich arbeite für Geld. Kostenlos arbeite ich nur für Freunde. Geld ist im Kapitalismus Ausdruck der Wertschätzung von Arbeit und glücklicherweise bekomme ich von meinen Auftraggebern sonst sehr wohl etwas für meine Arbeit. Was
nicht bezahlt wird, ist nichts wert. Ich hoffe sogar sehr, auch Sie als Praktikantin werden bezahlt – anderenfalls sollten Sie sich nicht lang ausbeuten lassen, sondern sich schnell nach einem besseren Praktikumsplatz umsehen.
Dass ich darauf bestehe, ist meine Art der Werbung in eigener Sache. Denn meine Arbeit ist etwas wert, und sollte Iihnen (Ihren Chefs) auch etwas wert sein. Und tatsächlich finde ich, ein Radiosender – ob privat oder öffentlich – muss es
sich allemal schuldig sein, Leistungen zu honorieren und nicht um Almosen zu betteln. Sonst wird man ihn nicht ernst nehmen. Ihr Sender würde auch von Ihren Werbekunden Geld nehmen, und ich nehme an, bei Ihnen werden die Redakteure sehr wohl bezahlt.
Im Übrigen: Ein Verband der Filmkritik ist eine Interessenvertretung der Filmkritiker – wir würden unseren Mitgliedern einen schlechten Dienst leisten, würden wir ihnen empfehlen, Ihr Programm ohne Gegenleistung
aufzuwerten.
Nichts für ungut – es trifft mit Ihnen als Praktikantin natürlich die Falsche und ist daher alles andere als persönlich gemeint. Bitte übermitteln Sie die Mail daher Ihren Vorgesetzten.«
Dies blieb bisher ohne Antwort.
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Man muss es in diesen Tagen wohl hinzufügen: Stefan Arndt ist ein sympathischer Mensch. Und er ist ein guter Produzent. Wir müssen nicht alle seine Filme mögen, wir müssen nicht alles richtig finden, was er tut und denkt, es genügt, zu konstatieren, dass der Produzent von Cloud Atlas viel Respekt verdient.
Trotzdem scheint dort die nackte Verzweiflung
zu herrschen, anders gesagt: X-Filme geht der Arsch auf Grundeis. In den letzten Wochen erreichten uns Mails, die man als Bettelbriefe bezeichnen muss. Sie waren gezeichnet mit »An die Freunde des guten Films«. Die heutige lautete so:
»Heute Abend finden in vielen Kinos, die morgen Cloud Atlas starten, Previews statt. Und dann sei daran erinnert, dass der
Mittwoch der ideale Tag ist, sich fürs Wochenende mit Freunden fürs Kino zu verabreden... Die verehrten Freunde Kinobetreiber haben meist Webseiten, auf denen man Karten vorbestellen oder sogar käuflich erwerben kann!
Um beschwingt ins Kino zu gehen, veröffentlichen wir nun auch den vierten und letzten Teil der Making Of Reihe, heute zum Thema Action.
Wenn dieses oder eines der
anderen Making Of´s Euch gefällt, nutzt die social medias zur Verbreitung, oder leitet einfach diese Mail weiter.
Wir hatten ja durchaus Zweifel, wie denn das deutsche Feuilleton so reagieren wird. Aber der Produzent hatte heute einen schönen Sonnenaufgang in Köln und dann einen noch schöneren Flug nach Berlin mit folgenden Presseorganen:
Peter Zander hat heute einmal mehr eine große, vor Superlativen nur so strotzende Hymne für die WELT KOMPAKT (Titel & Tagesthema!)
& BERLINER MOPO verfasst: ›Der Klassiker von morgen‹ – ›der stärkste Film 2012‹
›Cloud Atlas‹ ist keine solche Schnellware ...... Weil er einen hochkonzentrierten Zuschauer verlangt. Aber, diese These wagen wir jetzt mal mutig, dieser Film wird bleiben. Er wird reifen wie ein guter Wein. Weil er eben
nicht so ein Fließbandprodukt ist, das nur Massen ins Kino ziehen soll. Sondern ein klares Antiprogramm läuft wider all die Blockbuster und Fortsetzungen und Remakes und Comicadaptionen. Cloud Atlas ist der mutigste und stärkste Film des Jahres. Und Berlin darf sich glücklich schätzen, dass er, obwohl er in jeder einzelnen seiner 172 Minuten so
aussieht, eben kein Hollywoodfilm ist, sondern ein Heimprodukt.«
»Die Stars spielen, dass es eine Lust ist.«
»Alles (...) ist verbunden. Und das wird zu großer Kinomagie. Eine Augenweide. Ein Meilenstein.«
Und auch die SZ schwärmt: »ein großartiges Filmepos«.
Die einzigen, die heute mit ihrer Kritik ausscheren, sind (erwartungsgemäß) die Nörgler von der TAZ... Und dem einen Schreiber der gestrigen Hauptstadtzeitung empfehle ich die nochmalige Betrachtung der
Kritikerszene in Cloud Atlas und dass er diesmal mit der Richtigstellung – zumindest der Fakten – nicht wie bei Good Bye, Lenin! Wochen ins Land ziehen lässt!
Heiko Rosner prognostiziert in der CINEMA »einen Jahrhundertfilm«! – Immerhin sind es neben Titeleinklinker acht ganze Seiten geworden.
Heute am Kiosk erschienen daneben
noch die BRIGITTE (Filmaufmacher), EMOTION (2 Seiten TT-Interview), ZITTY mit einer Seite positiver Kritik von Martin Schwarz.
Der Vollständigkeit halber zu erwähnen: Die positive Besprechung in den NÜRNBERGER NACHRICHTEN sowie gestern die ganz tolle Besprechungen in der RHEINISCHEN POST (»der kühnste Film des Jahres«) & der WAZ (»ein großes Kino-Abenteuer«) und die halbe Seite in der BILD über die grandiose Katy Karrenbauer, die gemeinsam mit Jim Sturgess in Cloud Atlas eine Berliner Kneipe zerlegt!
Ich wünsche viel Vergnügen im Kino Eures Vertrauens,
Beste Grüße, Stefan Arndt
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Soviel zum Verhältnis deutscher Produzenten zur Filmkritik. Den »Nörgler« von der FAS hat er wohl nicht gelesen. Na gut. Leidenschaft eines Produzenten fürs Kino, vor allem seine eigenen Filme ist etwas unbedingt Notwendiges, aber Liebe macht halt auch leicht blind. Viel Glück wünschen wir jedenfalls den netten Menschen, sie werden es auch brauchen. Vielleicht ist diese Art von Mail-Verkehr in Zeiten der Sozialen Netzwerke auch angemessen. An den Erfolg glauben können wir aber nicht. Cloud Atlas floppte in den USA und er wird auch in Deutschland eher verhalten »gehen«.
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Was sind hundert Millionen Dollar? Wie viele Studentenfilme könnte man dafür machen? Wäre nicht mindestens einer genauso gut, und einer besser, interessanter, innovativer, zukünftiger, als Cloud Atlas?
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Wetten, dass Cloud Atlas deutsche Filmpreise bekommen wird? Wieviele? Und wieviele für nicht-technische Kategorien?
(To be continued)