28.06.2012

Eröff­nungs­spiel

Starbuck
Jubel, Trubel, Heiterkeit:
Der Eröffnungsfilm des 30. Filmfest Starbuck
(Foto: Ascot Elite Filmverleih GmbH / 24 Bilder Film GmbH)

Vor dem Festival ist vor dem Festival: Zur Eröffnung des Filmfest München, das dieses Jahr seinen 30. Geburtstag unter neuer Leitung feiert

Von Dunja Bialas

Am Freitag beginnt das 30. Filmfest München. Es hat eine neue Leiterin, Diana Iljine, ein neu struk­tu­riertes Programm und ein neues Design. Und natürlich gibt es vor dem Festival schon diverse Aufreger, wobei einige zum Genre der ganz normalen Festival-Aufreger gehören.

Aufreger No. 1: Die Sonnen­brille als Festi­val­motiv. Was, bitte, hat eine Sonnen­brille mit einem Filmfest zu tun? Oder ist es doch eine 3D-Brille? Antwort: Die Sonnen­brille ist ein »uner­läss­li­ches Acces­soire des Sommer­fes­ti­vals« (Pres­se­mit­tei­lung Filmfest München). Wir erinnern uns an die Plakate unter Hauff, an die Paar-Motive, denen jeweils ein schmach­tendes Motto mitge­geben wurde (»Im Kino ist man nie allein«). Unter Ströhl flogen seit dem Jahr 2008 Puste­blumen-Samen über das Plakat, von Jahr zu Jahr redu­zierter, bis letztes Jahr der Mini­ma­lismus siegte: ein einziger Puste­blumen-Fall­schirm verharrte schüch­tern am Rande des Plakats, während sich in Pink der Schriftzug über Gelb, dem neuen Pink, ergoss.

Aufreger No. 2: Der Trailer. Hatte man es in den letzten Jahren endlich verstanden, wie die großen Festivals Berlin oder Rotterdam einen schlichten, jedes Jahr gleichen, als Jingle funk­tio­nie­renden Trailer zu haben, sind wir jetzt wieder in die Jahre der bedeu­tungs­vollen Insze­nie­rungen der Ära Hauff zurück­ge­worfen. Hier kann man sehen, wie eine nymphen­hafte Elfe dem Gewässer der rena­tu­rierten Isar entsteigt. Ästhe­tisch verharrt das unent­schieden zwischen Krom­ba­cher Biere, Schöff­er­hofer Weizen und 30er-Jahre-Schön­heits­ideal und ist angelegt an die Film-Vorspänne der großen Produk­ti­ons­firmen. Die Klein-Mädchen-Phantasie passt sich der neuen Retro-Type des Corporate Design bestens an, auf eine Art, die diffuses Unwohl­sein erzeugt.

Aufreger No. 3: Die Titel der neuen Reihen. Begrüßens­wert ist, dass sich Filme nicht mehr nach Länder­re­gionen aufteilen, begrüßens­wert hier vor allem die Reihe »Inter­na­tional Inde­pend­ents«. Verwir­rend sind hingegen die Reihen »Spotlight«, »CineMaster« und »CineVi­sion«. Übersetzt heißt das: CineMas­ters zeigt die neuesten Werke arri­vierter Regis­seure, CineVi­sion ist die Reihe, in der die Filme um den gleich­na­migen Preis laufen (also soge­nannte »Regie-Talente«, die hier mit ihrem ersten oder zweiten Film vertreten sind). Spotlight (von engl. »Rampen­licht«) ist für die großen Publi­kums­filme reser­viert, wenn die Umschrei­bung »ausge­wählte Filme für alle Fans von großen Geschichten und großen Stars vor und hinter der Kamera« so richtig inter­pre­tiert ist. Merken!

Aufreger No. 4: Der Eröff­nungs­film. Starbuck des Québec-Kanadiers Ken Scott regt aber gar nicht auf, sondern ist ein bezeich­nend ausge­wählter Konsens­film, in dem viel gelacht werden kann und in dem keine großen intel­lek­tu­ellen Klimmzüge, will man der Handlung folgen, unter­nommen werden müssen. In den vergan­genen Jahren war es ja oftmals der Cannes-Gewinner, der das Filmfest eröffnete und den Münchnern damit ein tolles Privileg einbrachte. Kaum einer der 22 dieses Jahr in Cannes im Wett­be­werb program­mierten Filme läuft auf dem Filmfest, weder der Gewinner (und Münchner) Haneke, noch Vinter­berg, Loach, Mungiu, Kiaros­tami, Seidl, Reygadas oder Resnais. Liegt das an der Politik des Filmfests, keine Lizenz­ge­bühren zu zahlen? (Siehe dazu auch unser Portrait von Diana Iljine Aus dem Zusam­men­hang gerissen.) Nimmt das Filmfest mit seiner Haltung in Kauf, dass auf lange Sicht die großen, inter­na­tional bedeut­samen Regie­s­tücke wegfallen?

Starbuck ist unter­haltsam, harmlos und hat absolut nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun (auch wenn die Idee auf einer wahren Geschichte basiert). David Wozniak hat in seinen jungen Jahren, um sich zu finan­zieren und seiner Herkunfts­fa­milie Gutes zu tun, Samen gespendet. Genau 533 Kinder sind daraus entstanden, die jetzt in einer Sammel­klage den Namen ihres biolo­gi­schen Vaters erfahren wollen. Bald witzelt die Presse über »el mastur­bator«, während David seine erwach­senen Kinder heimlich kennen­lernt, ohne freilich sich zu erkennen geben. An dieser Stelle klappt das Portfolio der Charak­ter­komödie auf: vom Profi-Fußballer über den Schwulen, den Behin­derten, den Sympa­thi­schen, der Drogen­ab­hän­gigen, den Musi­kanten, den Weird ist einfach alles dabei. Und alle haben David, den anonymen Vater, lieb, denn wo er auftaucht, mögen ihn die Menschen. Parallel dazu hat er in einem Geschlechtsakt noch ein Kind gezeugt, dummer­weise will aber die Mutter ihn nicht als Vater akzep­tieren, solange er sein Leben als Berufs­ju­gend­li­cher weiter­führt. Am Schluss des Films – soviel darf verraten sein – türmen sich die Geburts­tags­ge­schenke der 533 Halb­ge­schwister im Baby­zimmer des Neuge­bo­renen.
Dies durfte verraten werden: Denn der Plot ist erstens vorher­sehbar, gehorcht zweitens der seriellen Struktur des Abzähl­verses, und aufgrund dieser Vorher­seh­bar­keit zieht sich der Film stre­cken­weise doch sehr in die Länge. Er ist ein harmloser, vergnüg­li­cher Film, dem man wenig vorhalten kann, wenn man das Rein-Raus-Kino mag (rein ins Kino, angenehm unter­halten werden, raus aus dem Kino, Film vergessen). Aber in seiner Auswahl zum Eröff­nungs­film zum 30. Filmfest, da kann man, muss man seine Harm­lo­sig­keit auf einmal schwer nehmen.