12.07.2012

Der Glamour-Komplex

Melanie Griffith, das Glamour Girl des Münchner Filmfests
Bei Euch piepst’s wohl! –
Melanie Griffith, das Glamour Girl des Münchner Filmfests, zeigt allen einen Vogel
Foto: Greg Corman, Filmfest München

Viel Glamour, echten Glamour, hat die neue Filmfestchefin versprochen. Was hat’s gebracht? Ein Selbstversuch entlang der Partymeile.

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Es beginnt mit heißer Gulasch­suppe bei 35°C.
Der Ballsaal des Baye­ri­schen Hofs, innen, nachts. Das Dach ist geöffnet, aber die heiße Luft tut es den Gästen gleich und steht. Der Schweiß strömt unauf­halt­samer als der Frei­al­kohol.
Die Hitze ist hier ein großer Gleich­ma­cher: Wo in Cannes oder bei den Oscars der Dresscode rigoros durch­ge­setzt wird, zerfließen hier im Fegefeuer der Unei­tel­keiten schnell die Grenzen. Die meisten Anzug­träger entle­digen sich zwanglos ihres Jacketts. Die Damen in luftigen Desi­gner­roben werden hingegen bald beneidet von den für Abend­gar­de­robe-Ansage zu coolen oder vernünf­tigen Jean­strä­ge­rinnen – welche sie zuvor noch wegen ihrer vermeint­li­chen Selbst­in­sze­nie­rung belächelten.

Es spricht sich rum: Wer Musik will, muss in den Keller. Und 10 Euro Eintritt zahlen. Dort legt Festi­val­gast Giorgio Moroder auf. Hier oben stört höchstens das allge­meine Gemurmel das Gespräch. Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier.
Während wir uns unbedarft noch um eine Weiß­wein­schorle bemühen, wird um uns herum an diesem Abend wahr­schein­lich bereits das gesamte Aussehen des kommenden deutschen Kino- und Fern­seh­jahrs ausge­han­delt – von den siebzehn diversen Til Schweig­höfer-Filmen bis Die Wander­hure 3: Sind wir bald da?.

Das Buffet bietet boden­s­tän­diges Finger­food für Edward mit den Löffel­händen: Gulasch­suppe. Pichel­steiner. Kartof­fel­suppe mit Chili­würst­chen.
Manche mögen’s heiß.
Bzw. einer hätte es gerne heiß gehabt: Spät am Abend begegnen wir dem einzigen Kollegen, der sich tatsäch­lich auf die heiße Tasse gefreut hatte. Sie war lauwarm.

Es ist die feier­liche Eröff­nungs­gala das 30. Filmfests.
München halt.

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»Ach, da werden auch Filme gezeigt? Aus verschie­denen Ländern? Das klingt ja inter­es­sant. Ich dachte, Filmfest ist nur so deutsche Schau­spieler, die im Baye­ri­schen Hof rumstehen.« Dies – wir schwören! – im O-Ton ein Haus­nachbar von Herrn Willmann, der seine Vorstel­lung vom Filmfest allein aus der Bericht­erstat­tung in der Presse bezog.
»Wieder mehr Glamour!«, wurde von der neuen Leitung als Parole ausge­geben. Und es war abzusehen, dass das in doppelter Hinsicht frag­wür­dige Resultate bringen würde: Einer­seits weil München eh kein Ort für wahren Glamour ist. Zu unbe­irrbar ist sein »Mia san mia«-Gefühl. Was nicht das Unsym­pa­thischste an dieser Stadt ist.
Zum anderen weil die Aufmerk­sam­keit, die alle Glamour-Versuche auf sich ziehen, eh immer nur den Glamour-Versuchen selbst dient, und nie dem Wesent­li­chen. »Ich hab noch gar keinen Film gesehen« war einer der häufigst gehörten Sätze auf Empfängen, Feiern und Toiletten.

Perso­ni­fi­ziert wird der Neue Glamour von: Melanie Griffith.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Melanie Griffith ist eine von den Guten. Wir freuen uns wirklich, dass Melanie Griffith da war. Wir mögen Melanie Griffith.
Melanie Griffith hat in einigen richtig schönen Filmen mitge­spielt. Aber: Das war in den 1980ern, 1990ern. Und veritable Klassiker sind keine darunter.
Melanie Griffith ist weder aktueller Star, noch wahre Legende. Im gnaden­losen Kasten­system des Ruhms ist sie heute zweite Garde. Was alles völlig okay wäre – wenn man damit entspre­chend souverän umginge.

Wenn man vor dem Carl-Orff-Saal an der Fotowand mit Erin­ne­rungen an 30 Jahre Filmfest und seine Gäste vorbei­fla­nierte, fiel einem nicht nur auf, wie konstant wirklich hoch­karätig die anwe­senden Stars und Star­re­gis­seure waren – sondern vor allem wie entspannt der Umgang mit ihnen. Rang und Namen schienen egal – die selbst­si­chere Münchner Gemüt­lich­keit hat so ziemlich alle für sich gewonnen. Man sieht keine Starposen, sondern kino­be­geis­terte Menschen im Gespräch, vermut­lich über film­ver­wandte Themen wie z.B. Bier. Man war mit dem Gilliam Terry auf Floßfahrt, hat den Maddin Guy durch Berg­aus­flüge zu Careful inspi­riert, man hat mit der Hayek Selma getanzt und ist dem Malkovich Hans oder der Christie Jule auf Augenhöhe begegnet.
Und jetzt macht man vor Melanie Griffith einen Bückling.

Von der ersten Pres­se­kon­fe­renz-Ankün­di­gung ab wird es als die große Sensation verkauft, dass die neue Festival-Leiterin Diana Iljine es aufgrund ihrer früheren Kontakte aus dem Film­rechte-Handel geschafft hat, den heiß­be­gehrten Weltstar nach München zu holen.
Man könnte glauben, der Hype­ver­such um ihre Person sei der Schau­spie­lerin selbst zu viel geworden, so dass sie uns dann vom Titelbild des Filmfest-Magazins einen Vogel zeigte.
Überhaupt: das Magazin. Einst auch äußerlich einfach die kosten­lose, prak­ti­schere Ausgabe des Katalogs, näherte es sich dieses Jahr mit dem Stargast-Covergirl der Anmutung einer Lifestyle-Zeit­schrift an, wie sie in Ärzte­war­te­zim­mern heimisch wäre.
Das setzt bewusst ein Zeichen: Bisher standen im Mittel­punkt der Aufmerk­sam­keit die Filme. Und sie standen, in ordent­li­chen Reihen, groß und klein, gleich­be­rech­tigt neben- und über­ein­ander. Jetzt wird uns ein neuer Fokus aufge­drängt: Das Gesicht des Festivals soll der Stargast sein, und dann folgen, in abstei­gender Reihen­folge und Schrift­größe, zwei weitere namhafte Ehren­gäste, und erst zum Schluss dann doch noch eine Erwähnung der Filme.

Es ist der über­trie­bene Stolz, mit dem das dies­jäh­rige Filmfest Melanie Griffith zur ganz großen Nummer zu stili­sieren versuchte, durch den es sich viel kleiner macht als nötig.
Keines­falls die Einladung Griffiths – nur das höfische Gebaren um sie wirkt provin­ziell. Das hat schnell was von der Über­schwäng­lich­keit, mit der ein Autohaus in Traun­stein seine Eröffnung durch Marianne Rosenberg feiert.

Melanie Griffith ist auf dem Festival, um ihren neuen Film The Grief Tourist zu bewerben. Und The Grief Tourist ist auf dem Festival, damit Melanie Griffith kommt, um ihn zu bewerben.
Es ist eine Welt­pre­miere – aber man kann sich nicht ganz sicher sein, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Mögli­cher­weise handelt es sich nur um einen neuen Weg der Film­ver­wer­tung: Nicht »Direct to DVD«, sondern »Direct to Munich«.
Beim Blackbox-Gespräch – schon um eine Stunde nach hinten verschoben, und dann noch mit rund 20 Minuten Warten auf Griffith verbunden – erzählt sie, der unpar­tei­ische Mr. Banderas halte ihn für einen der besten Filme überhaupt. Das Filmfest hat ihn um 23 Uhr im Arri program­miert. Der rote Teppich wurde umsonst ausge­rollt: Griffith bleibt, entgegen der Ankün­di­gung, ihrer Premiere fern.

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Viel­leicht lässt sich das Phänomen auf diese Weise fassen: Die Berlinale – die sich auch schon mehr als schwer tut mit wahrem Welt­klasse-Glamour – hat L’Oréal. In der Goody-Bag des Filmfest München waren Produkte von Dr. Hauschka. (Unter anderem ein Bronzing Fluid – viel­leicht, nachdem es letztes Jahr mit dem Sommer in Orange nicht geklappt hat?)
Man braucht sich damit überhaupt nicht verste­cken, im Gegenteil: Konzept und Inhalts­stoffe sind für sich mindes­tens ebenso stimmig, viel­leicht sogar integerer. Die Verpa­ckung, die Marke heischt halt nur nicht diesen Glanz der großen Welt, hat nicht diese Medi­en­prä­senz. Und fährt am Besten damit, wenn es zu seinen wahren Quali­täten steht, auf sie vertraut. Klar, nett wenn in Berlin Penelope, Milla & Co. von den Sponsor-Plakaten lächeln. Aber was hätte der redliche Doktor zu gewinnen, wenn er sich entspre­chend mit Veronica Ferres brüsten würde?

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Es ist ja auch überhaupt nicht so, dass das Filmfest München plötzlich das Familiäre verlernt hätte, dass es schon immer konnte. Das ist geblieben – man versucht nur, es in der Wahr­neh­mung hinter die groß­spu­ri­geren Ambi­tionen zu schieben.

Das wahre, eigent­liche Filmfest München, das erlebte man dieses Jahr etwa in der durch­gän­gigen Anwe­sen­heit von Udo Kier:
Von der ersten begeis­terten Sichtung am expo­nierten Ehren­tisch der Eröff­nungs­feier. Über den gemein­samen früh­mor­gend­li­chen, verne­belten Zapfen­streich bei der Indie-Party. Bis zum liebe­vollen »Immer dieser Udo!«-Gefühl, wenn man in die nächste Pres­se­vor­stel­lung hetzte und dabei einmal mehr Herr Kier ungünstig zwischen Tür und Angel stand.

Das wahre, eigent­liche Filmfest München erlebte man, wenn Götz Otto zwischen den Filmen und Spielstätten mit dem Fahrrad an einem vorbei­ra­delte und sich vor der Blackbox artig mit dem Fußvolk anstellte um Einlass zum Podi­ums­ge­spräch des Kollegen James Franco.
Und einem jeden zweiten Tag rund ums Isartor Wigald Boning über den Weg lief und man sich fragte: »Hat der jetzt eigent­lich einen Film hier?«

Das wahre, eigent­liche Filmfest München erlebte man, wenn Todd Haynes frag- und klaglos noch zu den spätesten Vorstel­lungen seiner Filme erschien und höchstens mal entschul­digte, er würde nicht gar so lang Rede und Antwort stehen, weil man vorher schon ein bisserl getrunken habe.
Und wenn einem später der Haupt­dar­steller des wunder­baren Strutter in die Arme läuft und einem erzählt, er habe sich mit Haynes auf dem Festival über die gemein­same Begeis­te­rung für die obsku­reren Werke von James M. Cain verbrü­dert.

Der wahre, eigent­liche Glamour des Filmfest München sieht so aus: Nicht die Blitz­licht­salven am roten Teppich zum Empfang von James Franco.
Sondern der Moment davor.
Wo wir auf dem Weg zu seinem Blackbox-Auftritt den Hügel am Gasteig erklommen und neben uns Filmfest-Limou­sinen bemerkten. »Sag mal ist das jetzt Franco?«
»Ja – und er hat mich grade foto­gra­fiert.«
Nicht Star­fo­to­gra­fien nachjagen, sondern selbst von Star-Foto­grafen abge­lichtet werden – das ist Filmfest München.

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Der Geist des Filmfests München erweist sich sowieso als resistent gegen aufge­zwun­gene Verän­de­rungen.
Die Stimmung beim öffent­li­chen Abschluss­fest am Gasteig ist gut. Die Außen­tem­pe­ratur nähert sich jetzt eher der von Gazpacho. Die Musik ist diesmal kostenlos, der Alkohol dafür nicht.
Um 3 Uhr sind noch ungewohnt viele Leute übrig, die hier weiter­feiern würden, wenn man dürfte.

Die üblichen Verdäch­tigen der Filmfest-Crew planen also den kollek­tiven Orts­wechsel. Früher ging’s nun meistens noch irgend­wohin, wo man überdacht und bei akzep­ta­bler Laut­stärke weiter über film­re­le­vante Themen reden konnte, wie z.B. Bier.
Diesmal sickert die Ansage von oben durch: Es geht ins »Charlie«. Den meisten sagt das nichts; es wird kolpor­tiert, Diana Iljine sei mit dem Inhaber bekannt; man dackelt treu der Meute hinterher.
Nach 7 Euro Eintritt (ohne Ausnahme) entpuppt sich das Ganze als gesteckt volle, dröhnende Keller­disco. Unter anderen Umständen sicher okay – aber nichts für einen Filmfest-Ausklang.
Das Sepa­ra­tisten-Kommando »Zwischen­mensch­liche Kommu­ni­ka­tion & Gemüt­lich­keit« tritt den Rückzug an. Eine Einzel­kämp­ferin wird noch einmal zurück ins Gefecht geschickt, um dort raus­zu­holen, wer zu retten ist. »No man left behind!,« ertönt die Losung – aber vergebens.
Wir trauern um: S.G., C.G., B.K., M.S.

Immerhin ein rundes Dutzend – darunter die fahrenden Musi­kanten vom Publi­kums­preis­träger – macht sich auf zum Brücken­bier am Isarkiosk.
Der Himmel blaut.
Die letzte Gnaden-Curry­wurst gibt Zehrung für den Endmarsch Richtung Send­linger Tor.
Unter nicht mehr lange unnützen Sonnen­schirmen sinken wir an den Tisch. Sitzbier. Aaaaaah!
München halt.

Jemand bestellt Gulasch­suppe.
Was könnte es in diesem Moment Besseres geben?