Der Glamour-Komplex |
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Bei Euch piepst’s wohl! – Melanie Griffith, das Glamour Girl des Münchner Filmfests, zeigt allen einen Vogel Foto: Greg Corman, Filmfest München |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Es beginnt mit heißer Gulaschsuppe bei 35°C.
Der Ballsaal des Bayerischen Hofs, innen, nachts. Das Dach ist geöffnet, aber die heiße Luft tut es den Gästen gleich und steht. Der Schweiß strömt unaufhaltsamer als der Freialkohol.
Die Hitze ist hier ein großer Gleichmacher: Wo in Cannes oder bei den Oscars der Dresscode rigoros durchgesetzt wird, zerfließen hier im Fegefeuer der Uneitelkeiten schnell die Grenzen. Die meisten Anzugträger entledigen sich zwanglos ihres
Jacketts. Die Damen in luftigen Designerroben werden hingegen bald beneidet von den für Abendgarderobe-Ansage zu coolen oder vernünftigen Jeansträgerinnen – welche sie zuvor noch wegen ihrer vermeintlichen Selbstinszenierung belächelten.
Es spricht sich rum: Wer Musik will, muss in den Keller. Und 10 Euro Eintritt zahlen. Dort legt Festivalgast Giorgio Moroder auf. Hier oben stört höchstens das allgemeine Gemurmel das Gespräch. Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier.
Während wir uns unbedarft noch um eine Weißweinschorle bemühen, wird um uns herum an diesem Abend wahrscheinlich bereits das gesamte Aussehen des kommenden deutschen Kino- und Fernsehjahrs ausgehandelt – von den siebzehn diversen Til
Schweighöfer-Filmen bis Die Wanderhure 3: Sind wir bald da?.
Das Buffet bietet bodenständiges Fingerfood für Edward mit den Löffelhänden: Gulaschsuppe. Pichelsteiner. Kartoffelsuppe mit Chiliwürstchen.
Manche mögen’s heiß.
Bzw. einer hätte es gerne heiß gehabt: Spät am Abend begegnen wir dem einzigen Kollegen, der sich tatsächlich auf die heiße Tasse gefreut hatte. Sie war lauwarm.
Es ist die feierliche Eröffnungsgala das 30. Filmfests.
München halt.
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»Ach, da werden auch Filme gezeigt? Aus verschiedenen Ländern? Das klingt ja interessant. Ich dachte, Filmfest ist nur so deutsche Schauspieler, die im Bayerischen Hof rumstehen.« Dies – wir schwören! – im O-Ton ein Hausnachbar von Herrn Willmann, der seine Vorstellung vom Filmfest allein aus der Berichterstattung in der Presse bezog.
»Wieder mehr Glamour!«, wurde von der neuen Leitung als Parole ausgegeben. Und es war abzusehen, dass das in doppelter Hinsicht
fragwürdige Resultate bringen würde: Einerseits weil München eh kein Ort für wahren Glamour ist. Zu unbeirrbar ist sein »Mia san mia«-Gefühl. Was nicht das Unsympathischste an dieser Stadt ist.
Zum anderen weil die Aufmerksamkeit, die alle Glamour-Versuche auf sich ziehen, eh immer nur den Glamour-Versuchen selbst dient, und nie dem Wesentlichen. »Ich hab noch gar keinen Film gesehen« war einer der häufigst gehörten Sätze auf Empfängen, Feiern und Toiletten.
Personifiziert wird der Neue Glamour von: Melanie Griffith.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Melanie Griffith ist eine von den Guten. Wir freuen uns wirklich, dass Melanie Griffith da war. Wir mögen Melanie Griffith.
Melanie Griffith hat in einigen richtig schönen Filmen mitgespielt. Aber: Das war in den 1980ern, 1990ern. Und veritable Klassiker sind keine darunter.
Melanie Griffith ist weder aktueller Star, noch wahre Legende. Im gnadenlosen Kastensystem des Ruhms ist
sie heute zweite Garde. Was alles völlig okay wäre – wenn man damit entsprechend souverän umginge.
Wenn man vor dem Carl-Orff-Saal an der Fotowand mit Erinnerungen an 30 Jahre Filmfest und seine Gäste vorbeiflanierte, fiel einem nicht nur auf, wie konstant wirklich hochkarätig die anwesenden Stars und Starregisseure waren – sondern vor allem wie entspannt der Umgang mit ihnen. Rang und Namen schienen egal – die selbstsichere Münchner Gemütlichkeit hat so ziemlich alle für sich gewonnen. Man sieht keine Starposen, sondern kinobegeisterte Menschen im Gespräch,
vermutlich über filmverwandte Themen wie z.B. Bier. Man war mit dem Gilliam Terry auf Floßfahrt, hat den Maddin Guy durch Bergausflüge zu Careful inspiriert, man hat mit der Hayek Selma getanzt und ist dem Malkovich Hans oder der Christie Jule auf Augenhöhe begegnet.
Und jetzt macht man vor Melanie Griffith einen Bückling.
Von der ersten Pressekonferenz-Ankündigung ab wird es als die große Sensation verkauft, dass die neue Festival-Leiterin Diana Iljine es aufgrund ihrer früheren Kontakte aus dem Filmrechte-Handel geschafft hat, den heißbegehrten Weltstar nach München zu holen.
Man könnte glauben, der Hypeversuch um ihre Person sei der Schauspielerin selbst zu viel geworden, so dass sie uns dann vom Titelbild des Filmfest-Magazins einen Vogel zeigte.
Überhaupt: das Magazin. Einst auch
äußerlich einfach die kostenlose, praktischere Ausgabe des Katalogs, näherte es sich dieses Jahr mit dem Stargast-Covergirl der Anmutung einer Lifestyle-Zeitschrift an, wie sie in Ärztewartezimmern heimisch wäre.
Das setzt bewusst ein Zeichen: Bisher standen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit die Filme. Und sie standen, in ordentlichen Reihen, groß und klein, gleichberechtigt neben- und übereinander. Jetzt wird uns ein neuer Fokus aufgedrängt: Das Gesicht des Festivals soll
der Stargast sein, und dann folgen, in absteigender Reihenfolge und Schriftgröße, zwei weitere namhafte Ehrengäste, und erst zum Schluss dann doch noch eine Erwähnung der Filme.
Es ist der übertriebene Stolz, mit dem das diesjährige Filmfest Melanie Griffith zur ganz großen Nummer zu stilisieren versuchte, durch den es sich viel kleiner macht als nötig.
Keinesfalls die Einladung Griffiths – nur das höfische Gebaren um sie wirkt provinziell. Das hat schnell was von der Überschwänglichkeit, mit der ein Autohaus in Traunstein seine Eröffnung durch Marianne Rosenberg feiert.
Melanie Griffith ist auf dem Festival, um ihren neuen Film The Grief Tourist zu bewerben. Und The Grief Tourist ist auf dem Festival, damit Melanie Griffith kommt, um ihn zu bewerben.
Es ist eine Weltpremiere – aber man kann sich nicht ganz sicher sein, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Möglicherweise handelt es sich nur um einen neuen Weg der Filmverwertung: Nicht »Direct to DVD«, sondern »Direct to Munich«.
Beim
Blackbox-Gespräch – schon um eine Stunde nach hinten verschoben, und dann noch mit rund 20 Minuten Warten auf Griffith verbunden – erzählt sie, der unparteiische Mr. Banderas halte ihn für einen der besten Filme überhaupt. Das Filmfest hat ihn um 23 Uhr im Arri programmiert. Der rote Teppich wurde umsonst ausgerollt: Griffith bleibt, entgegen der Ankündigung, ihrer Premiere fern.
+ + +
Vielleicht lässt sich das Phänomen auf diese Weise fassen: Die Berlinale – die sich auch schon mehr als schwer tut mit wahrem Weltklasse-Glamour – hat L’Oréal. In der Goody-Bag des Filmfest München waren Produkte von Dr. Hauschka. (Unter anderem ein Bronzing Fluid – vielleicht, nachdem es letztes Jahr mit dem Sommer in Orange nicht geklappt hat?)
Man braucht sich
damit überhaupt nicht verstecken, im Gegenteil: Konzept und Inhaltsstoffe sind für sich mindestens ebenso stimmig, vielleicht sogar integerer. Die Verpackung, die Marke heischt halt nur nicht diesen Glanz der großen Welt, hat nicht diese Medienpräsenz. Und fährt am Besten damit, wenn es zu seinen wahren Qualitäten steht, auf sie vertraut. Klar, nett wenn in Berlin Penelope, Milla & Co. von den Sponsor-Plakaten lächeln. Aber was hätte der redliche Doktor zu gewinnen, wenn er sich
entsprechend mit Veronica Ferres brüsten würde?
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Es ist ja auch überhaupt nicht so, dass das Filmfest München plötzlich das Familiäre verlernt hätte, dass es schon immer konnte. Das ist geblieben – man versucht nur, es in der Wahrnehmung hinter die großspurigeren Ambitionen zu schieben.
Das wahre, eigentliche Filmfest München, das erlebte man dieses Jahr etwa in der durchgängigen Anwesenheit von Udo Kier:
Von der ersten begeisterten Sichtung am exponierten Ehrentisch der Eröffnungsfeier. Über den gemeinsamen frühmorgendlichen, vernebelten Zapfenstreich bei der Indie-Party. Bis zum liebevollen »Immer dieser Udo!«-Gefühl, wenn man in die nächste Pressevorstellung hetzte und dabei einmal mehr Herr Kier ungünstig zwischen Tür und Angel stand.
Das wahre, eigentliche Filmfest München erlebte man, wenn Götz Otto zwischen den Filmen und Spielstätten mit dem Fahrrad an einem vorbeiradelte und sich vor der Blackbox artig mit dem Fußvolk anstellte um Einlass zum Podiumsgespräch des Kollegen James Franco.
Und einem jeden zweiten Tag rund ums Isartor Wigald Boning über den Weg lief und man sich fragte: »Hat der jetzt eigentlich einen Film hier?«
Das wahre, eigentliche Filmfest München erlebte man, wenn Todd Haynes frag- und klaglos noch zu den spätesten Vorstellungen seiner Filme erschien und höchstens mal entschuldigte, er würde nicht gar so lang Rede und Antwort stehen, weil man vorher schon ein bisserl getrunken habe.
Und wenn einem später der Hauptdarsteller des wunderbaren Strutter in die Arme läuft und einem erzählt, er habe sich mit Haynes auf dem Festival über die gemeinsame Begeisterung
für die obskureren Werke von James M. Cain verbrüdert.
Der wahre, eigentliche Glamour des Filmfest München sieht so aus: Nicht die Blitzlichtsalven am roten Teppich zum Empfang von James Franco.
Sondern der Moment davor.
Wo wir auf dem Weg zu seinem Blackbox-Auftritt den Hügel am Gasteig erklommen und neben uns Filmfest-Limousinen bemerkten. »Sag mal ist das jetzt Franco?«
»Ja – und er hat mich grade fotografiert.«
Nicht Starfotografien nachjagen, sondern selbst von Star-Fotografen abgelichtet werden –
das ist Filmfest München.
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Der Geist des Filmfests München erweist sich sowieso als resistent gegen aufgezwungene Veränderungen.
Die Stimmung beim öffentlichen Abschlussfest am Gasteig ist gut. Die Außentemperatur nähert sich jetzt eher der von Gazpacho. Die Musik ist diesmal kostenlos, der Alkohol dafür nicht.
Um 3 Uhr sind noch ungewohnt viele Leute übrig, die hier weiterfeiern würden, wenn man dürfte.
Die üblichen Verdächtigen der Filmfest-Crew planen also den kollektiven Ortswechsel. Früher ging’s nun meistens noch irgendwohin, wo man überdacht und bei akzeptabler Lautstärke weiter über filmrelevante Themen reden konnte, wie z.B. Bier.
Diesmal sickert die Ansage von oben durch: Es geht ins »Charlie«. Den meisten sagt das nichts; es wird kolportiert, Diana Iljine sei mit dem Inhaber bekannt; man dackelt treu der Meute hinterher.
Nach 7 Euro Eintritt (ohne Ausnahme)
entpuppt sich das Ganze als gesteckt volle, dröhnende Kellerdisco. Unter anderen Umständen sicher okay – aber nichts für einen Filmfest-Ausklang.
Das Separatisten-Kommando »Zwischenmenschliche Kommunikation & Gemütlichkeit« tritt den Rückzug an. Eine Einzelkämpferin wird noch einmal zurück ins Gefecht geschickt, um dort rauszuholen, wer zu retten ist. »No man left behind!,« ertönt die Losung – aber vergebens.
Wir trauern um: S.G., C.G., B.K., M.S.
Immerhin ein rundes Dutzend – darunter die fahrenden Musikanten vom Publikumspreisträger – macht sich auf zum Brückenbier am Isarkiosk.
Der Himmel blaut.
Die letzte Gnaden-Currywurst gibt Zehrung für den Endmarsch Richtung Sendlinger Tor.
Unter nicht mehr lange unnützen Sonnenschirmen sinken wir an den Tisch. Sitzbier. Aaaaaah!
München halt.
Jemand bestellt Gulaschsuppe.
Was könnte es in diesem Moment Besseres geben?