30.05.2013
66. Filmfestspiele Cannes 2013

Rrrrmmmm, rrrrrrr rrrrrrrrrrr rrrrrrrrrrr rrrrmm!

Weekend of a Champion
Roman Polanskis gelungener Weekend of a Champion
(Foto: Prokino Filmverleih GmbH / Twentieth Century Fox of Germany GmbH)

Knatternde Boliden, und Helden im engen Raum: Männerwelten verschiedenster Art ziehen sich durchs Programm der Filmfestspiele in Cannes – Cannes-Tagebuch, 5. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Am Kaffee-Stand des Espres­so­spon­sors. Es gibt fast so viel Sorten wie Filme im Wett­be­werb. Die Bedienung fragt meinen Nebenmann: »Sugar?« Er: »Yes… ah.. no. … or: yes, yes…« – Sie: »Yes – No« und ich sage ihr achsel­zu­ckend: »critics!«
Bzw: Ich möchte den Kaffee unbedingt ohne Zucker. Die Filme auch.

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Ryan Gosling hat seinen Besuch in Cannes am Mittwoch kurz­fristig abgesagt. Es heißt, er sei mit dem Resultat von »Only God forgives« »pissed off« gewesen. Trotzdem er da recht hat, denke ich: What a Man? Ganz schön empfind­lich. Könnte man dann nicht versuchen, das Beste draus zu machen?

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Roman Polanski ist bereits seit Mittwoch in Cannes, denn er hat dem Publikum noch etwas anderes mitge­bracht: »Weekend of a Champion«, einen völlig verges­senen Doku­men­tar­film, den er 1971 gedreht hat: Weekend of a Champion begleitet Jackie Stewart, seiner­zeit einer berühm­testen Formel-1-Renn­fahrer der Welt und drei­fa­cher Welt­meister (1969-1971-1973) bei dem Rennen von Monte Carlo inklusive aller Vorbe­rei­tungen und Trai­nings­fahrten. Dies ist einer­seits ein Sportfilm mit knat­ternden Boliden, mit Tempo und Dynamik, einer Kamera im herum­schla­ckernden Wagen. Auto­rennen sind ein besonders Kino-affiner Sport, und Polanski ist einguter Film geglückt, auch wenn er an die Ästhetik des besten Formel-1-Films, John Fran­ken­hei­mers Grand Prix von 1966 nicht heran­kommt. Hinzu kommen viele Einblicke ins Innen­leben der Formel 1, und gespeist ist von Polanskis Faszi­na­tion für den Auto­renn­sport. Polanski kommt auch selbst im Film vor. Weekend of a Champion ist aber vor allem eine Reise in eine verlorene Zeit: Man sieht Grace Kelly als Fürstin von Monaco, eine Welt, die einfacher und ungla­mouröser scheint, direkter und geschlos­sener. Die Zuschauer und Fahrer kamen direkt in Kontakt. In Cannes gab es damals nur drei ameri­ka­ni­sche Jour­na­listen, heißt es bei Toback.
Vor 42 Jahren hatten die Männer noch Kote­letten und lange Haare, »a trendy time« nennt es Stewart einmal im Film. Ihre Autos waren klein, zerbrech­lich und schlecht gefedert, die Rennen nicht nur auf dem engen Stadtkurs von Monaco mit seinen Haar­na­del­kurven lebens­ge­fähr­lich – aber alles war echt, authen­tisch, glamourös. Sie waren Menschen, hatten auch abseits der Renn­strecke ein beson­deres Leben: Frauen, Partys, tolle Wohnungen, Stil.
Diese Fahrer waren echte Helden in einem klas­si­schen Sinn: Sie hatten dem Tod vielfach ins Auge gesehen. Minuten nach dem Tod seines Freundes Jochen Rindt stieg Stewart wieder ins Auto und fuhr »the fastest round I've ever done.«
Man kann sich tatsäch­lich gar nicht mehr vorstellen, was damals die westliche Gesell­schaft achsel­zu­ckend ertrug, während sie heute bei gerin­geren Unsi­cher­heiten nervös wird: Ein Drittel aller Formel-1-Fahrer, die zwischen 1968 und 1973 ein Auto bestiegen, starben im Cockpit. Da galt noch: Nur wer sterben kann, kann zum Helden werden, und der Satz, dass das Kino den das Vergehen der Zeit und den Tod aufhält hat eine andere Bedeutung.
 Es galt aber auch für die Zuschauer, die ohne große Sicher­heits­vor­stel­lungen mitten drin im Rennen waren. Stewart sagt: Heute würde keiner der Fahrer der Gegenwart diese Zustände aushalten. »Sport was so violent in these days.« Und ich kann nicht leugnen, dass ich mir beim Zusehen diese Zeit der Gladia­toren/Helden zurück­wün­sche. Eigent­lich unnötig zu bemerken, dass die Filme auch besser waren. Und schöner.

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Eine zweite Männer­welt, die mit dem Sport am Rande zu tun hat, sucht Steven Frears auf: Weiße Juristen in dunklen Räumen. Muhammads Alis Greatest Fight handelt vom Kampf des Boxwelt­meis­ters gegen seinen Einstel­lungs­be­fehl zum Krieg in Vietnam. Ali appel­lierte ans US-Verfas­sungs­ge­richt, und Frears zeigt deren inneren Kampf um die Urteils­fin­dung – Chris­to­pher Plummer, Frank Langella, Barry Levinson spielen einige der Richter, die Ali schließ­lich einstimmig frei­spre­chen.
Die ist ein klas­si­scher Justiz­thriller mit flüssiger Kamera, forcierter Musik und liberaler Agenda: Gezeigt werden liberale Konser­va­tive, denen der Respekt vor Recht und Gesetz über das Partei­buch geht, und konser­va­tive Liberale, die auf die »Inde­pen­dence of the court« pochen. Es geht um tatsäch­li­chen Streit zweier hoch­in­ter­es­santer Justiz­fi­guren, poli­ti­scher Gegner, die persön­lich befreundet waren: Richter John Marshall Harlan und Warren E. Burger. Und natürlich um poli­ti­sche Justiz, die Frage, wann es naiv ist, Politik zu igno­rieren.

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Wenn wir heute, am Tag vor der Preis­ver­lei­hung mehr Zeit hätten, müssten wir jetzt über Arnaud des Pallières Michael Kohlhaas schreiben. Denn darin geht es natürlich um Recht, Gerech­tig­keit, um die gewalt­same Natur des Rechts. Jetzt nur soviel: Es ist ein ruhiger, fast zen-buddhist­scher Kohlhaas in starken Natur-Bildern, die an einen Italowes­tern erinnern, und dem Film einen Kame­ra­preis einbringen könnten.

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Ein sehr beson­derer Mann war Wladziu Valentino Liberace, der 1919 als Kind einer polni­schen Mutter und eines italie­ni­schen Vaters nach einer klas­si­schen Piano­aus­bil­dung in den 30er Jahren als Wunder­kind am Chicago Symphony Orchestra berühmt wurde, in den 50ern eine eigene TV-Show hatte, und später als Enter­tainer in Las Vegas auftrat – auch in seinem Hang zum ausschwei­fenden Leben und extra­va­ganten Kostümen war »Liberace« ein Pionier des heutigen Show­busi­ness. Michael Douglas spielt ihn glänzend in Steven Soder­berghs Behind the Cande­labra. Der Film konzen­triert sich ganz auf das letzte Lebens­jahr­zehnt des Stars und dessen private Seite: Sein vor der Öffent­lich­keit geheim gehal­tenes schwules Liebes­leben und die Beziehung zu Scott Thorson (Matt Damon), der später sein Biograph wurde. Der Film macht großen Spaß, denn dies ist ein hedo­nis­ti­sches Werk über Ober­flächen, Pomp und Extra­va­ganz und die Lust daran. Es ist aber auch ein schneller, einfacher Genuss insofern, als er dem Zuschauer nicht viel abver­langt: Weder hat Soder­bergh eine provo­ka­tive, moralisch oder politisch anstößige Haltung, noch erkenn­baren ästhe­ti­schen Ehrgeiz. Da Behind the Cande­labra in Hollywood trotz seiner promi­nenten Macher kein Geld bekam – aus Homo­phobie? – wurde er als Fern­seh­film finan­ziert – und so sieht er auch aus: linear, drama­tur­gisch simpel, mit bild­schirm­ge­rechter Insze­nie­rung – weit entfernt von der komplexen Ästhetik von TV-High­lights wie Homeland oder 24. Der Applaus war dennoch einhellig.

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In Cannes sind einem die Stars näher, als bei den beiden anderen großen Festivals. Gestern Abend, als wir wieder mal im »Le Crillon« draußen saßen, setzt sich Mathieu Amalric an den Neben­tisch und trinkt ein Bier. Er spielt bei Er spielt bei Desplechin, über den wir auch noch in Ruhe schreiben müssen, einen fran­zö­si­schen Psycho­ana­ly­tiker im Amerika der 50er – auch diese Anstalt ist eine geschlos­sene Männer­welt. Und bei Polanski ist Amalric auch dabei. Nett zu beob­achten. Auch ein beson­derer Mann.