66. Filmfestspiele Cannes 2013
Rrrrmmmm, rrrrrrr rrrrrrrrrrr rrrrrrrrrrr rrrrmm! |
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Roman Polanskis gelungener Weekend of a Champion | ||
(Foto: Prokino Filmverleih GmbH / Twentieth Century Fox of Germany GmbH) |
Am Kaffee-Stand des Espressosponsors. Es gibt fast so viel Sorten wie Filme im Wettbewerb. Die Bedienung fragt meinen Nebenmann: »Sugar?« Er: »Yes… ah.. no. … or: yes, yes…« – Sie: »Yes – No« und ich sage ihr achselzuckend: »critics!«
Bzw: Ich möchte den Kaffee unbedingt ohne Zucker. Die Filme auch.
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Ryan Gosling hat seinen Besuch in Cannes am Mittwoch kurzfristig abgesagt. Es heißt, er sei mit dem Resultat von »Only God forgives« »pissed off« gewesen. Trotzdem er da recht hat, denke ich: What a Man? Ganz schön empfindlich. Könnte man dann nicht versuchen, das Beste draus zu machen?
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Roman Polanski ist bereits seit Mittwoch in Cannes, denn er hat dem Publikum noch etwas anderes mitgebracht: »Weekend of a Champion«, einen völlig vergessenen Dokumentarfilm, den er 1971 gedreht hat: Weekend of a Champion begleitet Jackie Stewart, seinerzeit einer berühmtesten
Formel-1-Rennfahrer der Welt und dreifacher Weltmeister (1969-1971-1973) bei dem Rennen von Monte Carlo inklusive aller Vorbereitungen und Trainingsfahrten. Dies ist einerseits ein Sportfilm mit knatternden Boliden, mit Tempo und Dynamik, einer Kamera im herumschlackernden Wagen. Autorennen sind ein besonders Kino-affiner Sport, und Polanski ist einguter Film geglückt, auch wenn er an die Ästhetik des besten Formel-1-Films, John Frankenheimers Grand Prix von 1966 nicht herankommt. Hinzu kommen viele Einblicke ins Innenleben der Formel 1, und gespeist ist von Polanskis Faszination für den Autorennsport. Polanski kommt auch selbst im Film vor. Weekend of a Champion ist aber vor allem
eine Reise in eine verlorene Zeit: Man sieht Grace Kelly als Fürstin von Monaco, eine Welt, die einfacher und unglamouröser scheint, direkter und geschlossener. Die Zuschauer und Fahrer kamen direkt in Kontakt. In Cannes gab es damals nur drei amerikanische Journalisten, heißt es bei Toback.
Vor 42 Jahren hatten die Männer noch Koteletten und lange Haare, »a trendy time« nennt es Stewart einmal im Film. Ihre Autos waren klein, zerbrechlich und schlecht gefedert, die Rennen
nicht nur auf dem engen Stadtkurs von Monaco mit seinen Haarnadelkurven lebensgefährlich – aber alles war echt, authentisch, glamourös. Sie waren Menschen, hatten auch abseits der Rennstrecke ein besonderes Leben: Frauen, Partys, tolle Wohnungen, Stil.
Diese Fahrer waren echte Helden in einem klassischen Sinn: Sie hatten dem Tod vielfach ins Auge gesehen. Minuten nach dem Tod seines Freundes Jochen Rindt stieg Stewart wieder ins Auto und fuhr »the fastest round I've ever
done.«
Man kann sich tatsächlich gar nicht mehr vorstellen, was damals die westliche Gesellschaft achselzuckend ertrug, während sie heute bei geringeren Unsicherheiten nervös wird: Ein Drittel aller Formel-1-Fahrer, die zwischen 1968 und 1973 ein Auto bestiegen, starben im Cockpit. Da galt noch: Nur wer sterben kann, kann zum Helden werden, und der Satz, dass das Kino den das Vergehen der Zeit und den Tod aufhält hat eine andere Bedeutung.
Es galt aber auch für die
Zuschauer, die ohne große Sicherheitsvorstellungen mitten drin im Rennen waren. Stewart sagt: Heute würde keiner der Fahrer der Gegenwart diese Zustände aushalten. »Sport was so violent in these days.« Und ich kann nicht leugnen, dass ich mir beim Zusehen diese Zeit der Gladiatoren/Helden zurückwünsche. Eigentlich unnötig zu bemerken, dass die Filme auch besser waren. Und schöner.
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Eine zweite Männerwelt, die mit dem Sport am Rande zu tun hat, sucht Steven Frears auf: Weiße Juristen in dunklen Räumen. Muhammads Alis Greatest Fight handelt vom Kampf des Boxweltmeisters gegen seinen Einstellungsbefehl zum Krieg in Vietnam. Ali appellierte ans US-Verfassungsgericht, und Frears zeigt deren inneren Kampf um die Urteilsfindung – Christopher Plummer, Frank Langella, Barry Levinson spielen einige der Richter, die Ali
schließlich einstimmig freisprechen.
Die ist ein klassischer Justizthriller mit flüssiger Kamera, forcierter Musik und liberaler Agenda: Gezeigt werden liberale Konservative, denen der Respekt vor Recht und Gesetz über das Parteibuch geht, und konservative Liberale, die auf die »Independence of the court« pochen. Es geht um tatsächlichen Streit zweier hochinteressanter Justizfiguren, politischer Gegner, die persönlich befreundet waren: Richter John Marshall Harlan und Warren E. Burger. Und natürlich um politische Justiz, die Frage, wann es naiv ist, Politik zu ignorieren.
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Wenn wir heute, am Tag vor der Preisverleihung mehr Zeit hätten, müssten wir jetzt über Arnaud des Pallières Michael Kohlhaas schreiben. Denn darin geht es natürlich um Recht, Gerechtigkeit, um die gewaltsame Natur des Rechts. Jetzt nur soviel: Es ist ein ruhiger, fast zen-buddhistscher Kohlhaas in starken Natur-Bildern, die an einen Italowestern erinnern, und dem Film einen Kamerapreis einbringen könnten.
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Ein sehr besonderer Mann war Wladziu Valentino Liberace, der 1919 als Kind einer polnischen Mutter und eines italienischen Vaters nach einer klassischen Pianoausbildung in den 30er Jahren als Wunderkind am Chicago Symphony Orchestra berühmt wurde, in den 50ern eine eigene TV-Show hatte, und später als Entertainer in Las Vegas auftrat – auch in seinem Hang zum ausschweifenden Leben und extravaganten Kostümen war »Liberace« ein Pionier des heutigen Showbusiness. Michael Douglas spielt ihn glänzend in Steven Soderberghs Behind the Candelabra. Der Film konzentriert sich ganz auf das letzte Lebensjahrzehnt des Stars und dessen private Seite: Sein vor der Öffentlichkeit geheim gehaltenes schwules Liebesleben und die Beziehung zu Scott Thorson (Matt Damon), der später sein Biograph wurde. Der Film macht großen Spaß, denn dies ist ein hedonistisches Werk über Oberflächen, Pomp und Extravaganz und die Lust daran. Es ist aber auch ein schneller, einfacher Genuss insofern, als er dem Zuschauer nicht viel abverlangt: Weder hat Soderbergh eine provokative, moralisch oder politisch anstößige Haltung, noch erkennbaren ästhetischen Ehrgeiz. Da Behind the Candelabra in Hollywood trotz seiner prominenten Macher kein Geld bekam – aus Homophobie? – wurde er als Fernsehfilm finanziert – und so sieht er auch aus: linear, dramaturgisch simpel, mit bildschirmgerechter Inszenierung – weit entfernt von der komplexen Ästhetik von TV-Highlights wie Homeland oder 24. Der Applaus war dennoch einhellig.
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In Cannes sind einem die Stars näher, als bei den beiden anderen großen Festivals. Gestern Abend, als wir wieder mal im »Le Crillon« draußen saßen, setzt sich Mathieu Amalric an den Nebentisch und trinkt ein Bier. Er spielt bei Er spielt bei Desplechin, über den wir auch noch in Ruhe schreiben müssen, einen französischen Psychoanalytiker im Amerika der 50er – auch diese Anstalt ist eine geschlossene Männerwelt. Und bei Polanski ist Amalric auch dabei. Nett zu beobachten. Auch ein besonderer Mann.