Cinema Moralia – Folge 66
»It's just the wasted years so close behind« |
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Nico, die Ätherische, sich selbst übertreffend, sich selbst schmerzend (Nico – Icon) | ||
(Foto: Salzgeber) |
»Here she comes, you better watch your step/
She’s going to break your heart in two, it’s true«
Nico: »Femme Fatale«
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Sind 20 Jahre eine lange Zeit? 1988 war es unfassbar lang her, dass Nico Ende der 60er in New York mit »Velvet Underground« gesungen hatte. 1995 als Susanne Ofteringers Film Nico – Icon auf dem Filmfest München lief, schien 1988 schon recht lang her, das Jahr in dem Nico starb. Und heute denkt man, die zeit seit 1995 sei doch im Flugs vergangen. Nicht ganz vielleicht.
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Was ist eigentlich aus Susanne Ofteringer geworden? Wir erinnern uns an die Regisseurin, wie sie in München im Cinemaxx herumstand. Zwischen Triumph und Verlorensein. Keinen Film hat sie seitdem gemacht. Ein Kölner Bekannter erzählte etwas von Nervenklinik, aber dafür haben wir keine Beweise. Könnte auch mal wieder dieser idiotische Kurzschluß von Werk und Interesse auf Charakter sein. Wer mehr weiß, möge sich bitte melden.
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In Köln findet jedenfalls die »erste Kölner Niconale« statt. Im Cafe Central geht es vom 17.-19.juli um das filmische Experiment Nicos. Anschließend folgt Nico – Icon. Am 18. Juli läuft Nico – A Life On the Borderline, Teilnehmer Alan Wise (ex Manager Nicos) und Lyn Arthur Oakey (Musikerin, Freundin Nicos). am 19.Juli folgt der Konzertfilm »NICO + BAND, Live im Stollwerk 1982« und live-Musik.
Das Café liegt nahe der
Aachener Straße, in jener Gegend wo heute die, die keine Südstadtpatrioten sind, ausgehen. In der Aachener Straße lag früher die »Spex«-Redaktion, heute residiert hier Heike-Melba Fendels Firma Barbarella, die viel mehr ist, als eine Agentur, und hier wohnte auch die berüchtigste Kölnerin aller Zeiten Christa »Nico« Päffgen.
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Alles belegt. Auch in Berlin, der Stadt in der sie aufwuchs, erinnert man an Nico. Im Kino in der Brotfabrik am Caligariplatz 1, findet vom 18.–24. 7. eine kleine Retrospektive mit ein paar ihrer Filmauftritte statt. Dazu gehören die Stendhal-Verfilmung De l’amour und mehrere Dokumentarfilme.
Vor dem Kino kann man dann ihr Grab besuchen. Es liegt versteckt in einem der kleinsten Berliner Friedhöfe, dem auch »Friedhof der Namenlosen«
und »Selbstmörderfriedhof« genannten Friedhof »Grunewald Forst« am Schildhornweg in Grunewald. Ein verwunschener Ort nahe der Havel. Hier will man begraben sein, und genau dies sagte die 18-jährige Christa Päffgen zu ihrer Mutter, mit der sie den Friedhof besuchte: »Hier will ich begraben sein.« 1988 wurde sie im Grunewald beerdigt.
Im 19. Jahrhundert war das ein illegaler – auf wilde Bestattungen standen hohe Strafen – Totenacker für Selbstmörder und Wasserleichen
– bis 1920 als die neue Republik auch in Groß-Berlin das kirchliche Bestattungsmonopol abschaffte. Heute liegen hier mehrere Tausend Menschen – die Zahl der offiziellen Gräber ist wenig größer als hundert. Aber im Mai 1945 wurden am Schildhornweg über 1200 Bombenopfer beigesetzt. Woanders bekam man für sie keinen Platz mehr – unter der Erde war schon alles belegt.
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Bonjour fatigue. Müdigkeit ist es, was man immer wieder in ihrem Zusammenhang erwähnt. Sie war von Anfang an vielleicht einfach müde, vielleicht begründete das ihre besondere Aura, das geheimnisvoll-unnahbare Wesen dieser Elfenkönigin aus anderer Zeit, das Phillippe Garrel immer noch am besten erfasst hat. Angsteinflößend schön war ihr Gesicht.
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Vor 25 Jahren nun ist sie gestorben. Zum 25. Todestag von Nico am 18. Juli 2013 erinnern in ihrer Heimatstadt Köln einige Künstler und Musiker an ihr Lebenswerk, und versuchen, dessen Einfluss auf ihre eigene künstlerische Arbeit thematisieren und angemessen zu würdigen.
Christa Päffgen, geboren am 16. Oktober 1938 verließ nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zerstörte Heimatstadt. Mit ihrer Mutter Margarete Päffgen lebte sie in Lübbenau und Berlin. Als die junge, attraktive Christa nach einer erfolgreichen Karriere als Mannequin nach Paris zog, nahm sie den Künstlernamen »Nico« an. Bald danach trat sie in Federico Fellinis La Dolce Vita (1960) auf: Als diese Kunstfigur Nico, die betörende Schönheit aus Deutschland.
Nicos spätere Karriere als Schauspielerin, Textdichterin, Komponistin und Sängerin führte durch extreme Höhen und Tiefen. Nachdem sie 1962 Ari Päffgen zur Welt gebracht hatte – Alain Delon bestreitet bis heute die Vaterschaft – besuchte sie die Schauspielschule in New York, wo sie Musiker wie Bob Dylan, Brian Jones und Jimmy Page kennenlernte, und auch dem Heroin verfiel, das ihr Leben fortan prägte.
Sie spielte in Andy Warhols Film The Chelsea Girls, sang mit »The Velvet Underground« und bestand dabei auf dem Zusatz »…and Nico«, und startete eine Solo-Karriere als Sängerin und Komponistin – mit einer Musik, die zunehmend unkonventioneller wurde. In den 70er Jahren war der französische Filmemacher Philippe Garrel ihr Lebensgefährte, mit dem sie sieben Filme drehte und der ihre Drogensucht teilte. 1979 endete die Beziehung zu Garrel. Der Titel ihres vorletzten Studioalbums, veröffentlicht 1981, lautet »The Drama of Exile«.
Zahlreiche Konzerte prägten ihre letzten Lebensjahre. Am 5. Mai 1982 trat sie im Kölner Stollwerk auf, kam auf ihre Herkunft zu sprechen: »Köln ist schließlich meine Heimatstadt«. Am 18. Juli 1988, starb Nico auf Ibiza an den Folgen einer Hirnblutung.
Heute liegt Nico auf dem Friedhof Grunewald-Forst in der Nähe Berlins begraben. Die Grabinschrift trägt ihre beiden Namen, Nico und Christa Päffgen, und zeugt dabei nicht nur von einem Zwiespalt in ihrem Lebensweg, sondern auch von
ihrem Versuch, Konventionen und Mainstream-Trends der Popkultur mit künstlerischer Innovation und Kreativität zu verbinden.
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»Heinrich George – eines der stärksten Talente der deutschen Bühne, aber stets durch Disziplinlosigkeit, Herrschsucht, Sauferei (ohne Schwung oder Charme) eine unzuverlässige und schwierige, ja gefährliche Bühnenerscheinung, – war schon in der Zeit in der er sich als radikalster Kommunist aufspielte, ein Mensch der imstande war, in der Besoffenheit Kellner und Chauffeure zu prügeln.
Er hat zweifellos genialische Züge die er in selbstberauschter
Maßlosigkeit übersteigerte und bis zur Ungestalt übertrieb. Jählings von einem Tag auf den anderen wandelte er seine wildkommunistisch revolutionäre Gesinnung in ebenso raserischen Nationalsozialismus – wobei er in lichten Momenten oder nüchternen – oder vielleicht auch ganz betrunkenen – Augenblicken sich über seine Verräterei und deren Folgen klar wird und sein eigenes Todesurteil spricht. Er wagte es, als Götz von Berlichingen mit dem Hitlergruß
aufzutreten und wurde einer der Führer des nazistischen Theaters. Man schuf in Berlin eine eigene Bühne für ihn – das Schillertheater, das früher dem Staatstheater angehörte – die er jetzt noch (soweit nicht niedergebombt?) – als Direktor leitet.«
Carl Zuckmayer, »Geheimreport«, ein 1943/44 im Exil für den amerikanischen Geheimdienst verfasstes Dossier über deutsche Künstler und Intellektuelle.
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»Einige Filmproduzenten sind der Meinung, daß es für George nur noch eine große Herausforderung gebe: die Rolle seines eigenen Vaters Heinrich George zu spielen. Diese Idee klingt interessant, aber George muß sich nicht mehr gegenüber seinem eigenen Vater emanzipieren. Niemand anderes als Götz George selbst hat sich derart intensiv mit Heinrich George beschäftigt. Das oft bediente Klischee, er würde sich am eigenen Vaterbild abarbeiten, ist längst ein Gerücht. Er steht auf einer Stufe mit seinem Vater, auch wenn er dies selbst nie zugeben möchte. In langen Nächten erzählte George aus dem Leben seines Vaters, den er nur als kleiner Junge selbst miterlebt hat. Die Gespräche enden fast immer mit jener Geschichte, in der Heinrich George in russischer Haft plötzlich den sowjetischen Lagerkommandeuren deutsche Literatur auf russisch vorspricht. Götz George schließt diese Erzählung meistens mit folgenden Worten: Mein Vater hat immer die Zuwendung gesucht, auch die Hinwendung zum Publikum, egal ob es die Deutschen waren oder die Russen. Aber am Ende wollte er den Applaus. Er wollte vor allen Dingen eins: Zuwendung und Liebe.«
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Diese Sätze schrieb der Produzent und Regisseur Nico Hofmann vor recht genau zehn Jahren in einem Artikel zu Götz Georges 65. Geburtstag. Jetzt, zehn Jahre später hat Hofmann mit seiner Firma TeamWorxx »George« produziert, ein Dokudrama über Heinrich Georges Leben. Ich gebe zu, ich hatte nichts Gutes befürchtet – und muss jetzt Abbitte leisten. Denn was immer man vorher erwartet hatte – es wurde mehr Doku als Drama. Am 22. Juli um 20 Uhr läuft der Film im Kulturkanal ARTE, am
24.Juli um 21.45 in der ARD.
Gegen diese Terminierung haben Götz George und der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler protestiert. Er sei »Ausdruck bedauerlicher Gleichgültigkeit gegenüber unserer Kultur«, erklärte der Verband am Donnerstag in Berlin.
ARD-Programmdirektor Herres kontert, man plane, Götz George mit einem Filmabend eine besondere Ehre zu erweisen. »Das wird ein großer Abend für Götz George«, hatte Herres gesagt.
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Heinrich George galt als »Jahrhundertschauspieler«. Er spielte bei Fritz Lang den Werkmeister der Herzmaschine in Metropolis und den Franz Biberkopf in der Verfilmung von Döblins Roman Berlin Alexanderplatz. Als einer der renommiertesten Schauspieler der Weimarer Republik wurde er so populär, dass die Nationalsozialisten trotz seiner vielen linken und jüdischen Freunde nicht auf ihn verzichten mochten. Und er verstand sich anzupassen. Goebbels persönlich ebnete ihm den Weg, verlangte aber, dass er in ausgesprochenen Propagandafilmen wie Jud Süß und Kolberg mitspielte. Als regime-naher Künstler wurde er nach dem Krieg im sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen interniert, wo er 1946 an einem Hungerödem starb. In diesem Film mit Dokumentaraufnahmen und Spielszenen werden die Jahre Heinrich Georges seit 1933 rekonstruiert.
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Kommende Woche, am 23.Juli, wir Götz George 75 Jahre alt. Für mich ist er immer noch der etwas unbedarfte Haudrauf im Der Schatz im Silbersee, eine Figur, die Karl May nie geschrieben hatte. Ansonsten ist er natürlich der ewige Schimanski. Götz – benannt nach Heinrichs Lieblingsrolle des Bauernkriegshelden aus Goethes Stück »Götz von Berlichingen«
Vor zehn Jahren schrieb Nico
Hofmann weiter: »Götz George betrachtet sein Spiel physisch, ganz und gar körperlich und dabei voller Emotion. Eine Trennung von Rhythmus, Körper und Spiel ist bei ihm unmöglich. Alles wird einer präzisen Choreographie unterworfen, die aus Empfindlichkeiten, aus der Emotionalität entspringt, mit der George seine jeweilige Szene versteht. ... Er begreift seine Schauspielerei als Ausdruck physischer und psychischer Zustände. Alles gehorcht einer genauen Psychologisierung, nichts
ist dem Zufall überlassen. ... Er lebt für die Rolle, er lebt in seiner speziellen Liebe zur Figur, und er vergißt dabei seine Umwelt völlig. ... George mag George sein mit all seiner Physis, seiner Sprachbeherrschung, seinem exakt choreographierten körperlichen Spiel. Aber alles entsteht bei ihm aus Leidenschaft, aus Hingabe und doch mit einem hohen Risikopotential.«
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In dem kuriosen Blog »How to be German in 20 easy steps« ist ein Punkt für uns Berliner Ex-Münchner besonders interessant: »15. Feel mixed about Berlin«. Der Erläuterung ist laut zu widersprechen: »The average German has a complex relationship to its Hauptstadt. Berlin is the black sheep of the German family. Creative, unpunctual, prone to spontaneous displays of techno, unable to pay its taxes, over familiar with foreigners. To many Germans, Berlin is not really their capital, it’s more like a giant art project or social experiment that only turns up when hungover, and in need of a hand out. To them, the true capital is probably somewhere more like Frankfurt.«
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Die wichtigste Ergänzung aus meiner Sicht lautet: Entspannt Euch! Wenn man wie ich gerade mal wieder München besucht, fällt einem nur eines auf: Die Münchner legen alle wahnsinnigen Wert darauf, klarzumachen, dass Berlin nicht der Nabel der Welt ist. Soviel wert, dass man anfängt zu denken: »Leute, Berlin muss Euch ja schon wahnsinnig zu schaffen machen. Dass ihr den Aufwand so nötig habt. Entspannt’s euch halt.«
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Die Welt bleibt trotz allem nicht stehen. Edward Snowdon sitzt immer noch im Transitbereich des Moskauer Flughafen, und nicht nur in Ägypten, auch in der Türkei geht der Widerstand des aufgeklärten Orients gegen den Islamismus weiter. Dazu gibt es in München einen Informationsabend des Vereins »Sinema Türk«, der sich auch sonst um türkisches Kino und Kultur verdient macht: In der IG-Feuerwache (Ganghoferstr. 41, 80339 München) gibt es am Freitag, 19.07., ab 19.00 Uhr eine Comic-Ausstellung, Videoberichte und Kurzreferate aus der Türkei und Diskussion zum Widerstand am Taksim.
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Leonard Cohens legendäres Lied »Joan of Arc« ging direkt auf Nico zurück: »I saw her wince, I saw her cry I saw the glory in her eye Myself I long, I long for love and light But must it come so cruel, and must it must it be so very bright?«
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.