30. Filmfest München 2013
Finstere Welten im Sommerbiergarten |
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Deutschboden | ||
(Foto: W-film Filmproduktion & Filmverleih) |
»Ich hasse Deutschland. ... weil’s hier so hässlich ist. Überfüllt mit unhöflichen ruppigen Menschen, Innenstätte ausgebombt, die ehemaligen Bombenkrater zugeschmiert mit Beton.... Stuttgart« – »Genau Stuttgart. ich weiß gar nicht, was die mit ihrem Bahnhof haben – die Stadt ist doch so hässlich, wenn man die abreißen würde, würde doch keinem weiter auffallen, oder?« – Corinna Harfouch und Bernhard Schütz in ihren Rollen in dem Film Finsterworld in der Reihe neuer deutscher Filme in München.
»Entweder Kracht oder Uslar – man muss sich da entscheiden, da kommt man nicht umhin...« So redeten manche während der zurückliegenden Filmfestwoche. Natürlich Unsinn. Auch wenn die Süddeutsche, im »wir-war'n-dabei-Ton« wieder mal Teil einer Jugendbewegung sein wollend, und doch mit dem richtigen Instinkt die beiden wichtigsten Filme ins Zentrum rückend, so tat, als ginge es hier um ein nachgeholtes Duell aus den Neunzigerjahren. Wieso überhaupt Kracht? Und wieso Uslar? Filme haben sie beide ja nicht gemacht. Aber sie waren wohl doch die Ideengeber von Finsterworld und Deutschboden, zwei bemerkenswerten Kino-Reisen in jene – auch innere – deutsche Provinz, die neuerdings wieder als Region aufgewertet wird.
Finsterworld stammt von Frauke Finsterwalder, die bisher mit mehreren Dokumentarfilmen bekannt wurde. In ihrem ersten Spielfilm, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem bekannten Pop-Schriftsteller Christian Kracht geschrieben hat, zeigt sie Deutschland als traurigen, depressiven, innerlich kaputten Ort – eine abgründige Märchenlandschaft, die Zeit und Raum entzogen ist, scheinbar aus der Zeit gefallen, und doch ganz gegenwärtig. Es ist ein Land des Sonnenscheins, der Autos und der Erinnerungen an die Verbrechen der Vergangenheit; bevölkert von einem Dutzend merkwürdiger Menschen – an einem einzigen Sommertag sind deren Schicksale auf absurde Weise miteinander verschlungen. Voller Liebe zum Kleinen geht es ums große Ganze: Den Untergang unserer Zivilisation. Den Tod. Die Liebe. Den Sieg des Bösen.
Finsterworld ist kein einfacher Film, er war aber in jedem Fall einer der originellsten, ungewöhnlichsten deutschen Filme der letzten Jahre und ohne Frage einer der Favoriten auf den »Förderpreis deutscher Film«, der endlich wieder zum Abschluss des Filmfests in München, statt in seiner Mitte verliehen wurde.
Das Filmfest warb zwar mit dem – so die Süddeutsche treffend – »verschnarchten« Motto »Starke Frauen, starke Filme«. Zumindest in den deutschen Filmen konnte man eher Männer sehen. Moderne wie Franz, der Held von Jakob Lass in Love Steaks, der nicht raucht, nicht trinkt, kein Fleisch ist, und für den nichtvorhandenen Panzer mit der Liebe einer Köchin belohnt wird. Oder klassisch-traditionelle: Die Raucher, Trinker, Fleischesser in Deutschboden. André Schäfers Film basierend auf dem gleichnamigen Reportage-Roman des Journalisten Moritz von Uslar ins Hackepeterland des deutschen Ostens. Und unter Mitwirkung des Autors. Schäfers Film bietet eine Studie aus dem Unterleib der Republik. Im scheinbaren Niemandsland von Brandenburg hat Uslar seine Liebe zur Provinz – nicht zur Region! – entdeckt, und erzählt vom Kultur-Clash zwischen Berlin-Mitte-Hipster und deutschen Bierbäuchen – ein Heimatfilm der anderen Art.
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Über Finsterworld redeten viele und zwar positiv, auch wenn es am Rande manch' lästerliches Gemurmel gab, in der SZ fand er allerdings zunächst gar nicht statt – ein sicheres Indiz dafür, dass Autor Rainer Gansera den Film doof fand. Und darum schob dann sein Redakteur nach. Über Deutschboden redete gar keiner. Denn dieser auch sehr witzige Film, wurde vom Filmfest völlig versemmelt – erst am vorletzten Tag gab es die Premiere. Dabei hätte das »der« Film sein können, der zum Gesprächsthema der ganzen Woche geworden wäre. Und im Nachhinein müssen sich die Macher ernsthaft fragen, ob es richtig war, den Film nicht bei einem anderen Festival zu zeigen, dass ihn – jedes andere hätte das getan – bestimmt besser behandelt hätte. Hof zum Beispiel. Da gibt es auch Hackepeterbrötchen.
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Das Filmfest, das zeigt sich an diesem Beispiel, zeigt immer noch viel zu viele Filme, zugleich wird da vieles belangloser präsentiert.
Zugleich gilt: Die deutsche Reihe ist mehr denn je das Zentrum des Münchner Filmfests, der weit und breit einzige Grund für professionelle Beobachter, nach München zu fahren. Alles andere? Hm. Fernsehen und Fernseh-Serien auf großer Leinwand, und ehrenwertes Nachspielen dessen, was man auf den großen Festivals so einladen will, und das dann auch
zusagt.
Die American-Independent-Reihe ist fünf Jahre nach dem Rücktritt von Ulla Rapp, vollends belanglos geworden.
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Und dann gibt es ein paar Dinge, die gehören einfach verboten: Die Retrospektive zu Alejandro Jodorowsky zum Beispiel. Der ist einer der großen Zauberer des Kinos, und wurde entsprechend angekündigt. Doch was tut das Filmfest? Sie spielen DVDs. Noch nicht mal BlueRays. Aber selbst dann... Das ist die Selbstentleibung eines Festivals. Denn ein Filmfestival existiert doch dazu, Standards zu pflegen, zu heben, wo nötig, nicht sie abzubauen. Ein Festival sollte sich solchem Downgrading verweigern. Anstatt wie eine alternde Hure jedem Freier hinterherzulaufen, nur um der paar Pfennige willen...
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Seit seiner Gründung im Jahr 1983 ist das Filmfest München vieles auf einmal: Ein Schaufenster des Weltkinos; eine Startrampe für junge deutsche Produktionen, vor allem aber eine Selbstfeier des Produktions- und Filmwirtschaftsstandorts München, eine Selbstvergewisserung des weiß-blau-katholischen »mir san mir« in einer nordöstlicher und protestantischer gewordenen Berliner Republik. Eine Weile glaubte man an der Isar gar, der Berlinale Konkurrenz machen zu können,
doch derartige Träume sind verwelkt und heute kämpft man in der Konkurrenz anderer deutscher Filmfestivals um den zweiten und dritten Platz und ist damit zufrieden, eines unter mehreren Sommerfestivals zu sein.
In den letzten zwei Jahren versucht sich das Filmfest München nun immerhin neu zu erfinden. Spürbar und zu Recht: Mit der neuen Leiterin Diane Iljane nach dem Abgang des erfolglosen Andreas Ströhl hat man die Anzahl der Filme schon mal um ein Drittel auf die immer noch viel zu
hohe Zahl von 174 reduziert. Bei 20 Filmen am Tag geht immer noch manches unter, zumal sich im recht willkürlichen Durcheinander von über elf Reihen – der viel größeren Berlinale genügen fünf – mit Titeln wie »Spotlight« oder »Cinevision« weder normale noch professionelle Zuschauer auskennen.
Zugleich sucht die neue Leiterin noch erkennbar ihren Kurs: »Glamour« war letztes Jahr die Parole – diesmal lautet das Schlagwort: »wir brauchen keine Stars«. Und das in der
Schicki-Micki-Metropole!
Auch gibt es neue Probleme: Der Etat ist mit 1,7 Millionen zwar der zweithöchste Deutschlands, aber für ein derart aufgeblähtes Programm trotzdem viel zu niedrig. Die von Ströhl vor Jahren vollmundig verkündete »Isar-Meile« gab es schon seit Jahren nicht mehr, als dem Filmfest das Deutsche Museum als Spiel- und Versammlungsort weggebrochen war. In diesem Jahr ging dem Filmfest auch die über 20 Jahre bewährte Spielstätte verloren: Das Cinemaxx war zwar nie schön, mit seinen sechs
Sälen aber sehr praktisch als Treffpunkt und Festivalzentrum. Jetzt ist das Filmfest über die ganze Stadt verstreut.
Jedes Jahr sind es mehr Zuschauer – ein Wunder, wie diese Erfolgsmitteilungen von allen Festivals immer wieder produziert werden. 72.000 Zuschauer macht knapp 178 Zuschauer pro Vorstellung, Presse- und Sonderveranstaltungen nicht eingerechnet. Wer das mit anderen Festivals vergleicht, wo im Schnitt locker über 300 Zuschauer im Saal sitzen, bei einzelnen
Festivals gar über 500, der weiß, dass dies keine allzu guten Zahlen sind. Die Behauptung vom Publikumsfestival ist damit relativiert. Interessant aber ist, dass Iljen mit einem Drittel weniger Filme als Ströhl mehr Zuschauer holt. Das best ätigt ihren Kurs der Verknappung und Konzentration des Programms.
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Daran, dass man hier immer manche guten Filme entdecken oder nachholen kann, sich ein engagiertes Programmerteam sich mit viel Liebe fürs Kino bemüht, ändern all diese strukturellen Probleme nichts. Aber reicht das?