Cinema Moralia – Folge 80
Die alten Ängste der jungen Frauen |
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Korinna Kraus als Fräulein Else | ||
(Foto: HFF Munich, Anna Martinetz) |
»War is an uncertain thing. The enemy has a brain, they adapt and adjust, and as Dwight Eisenhower said 'the planning is important, but the plan is nothing.'«
Donald Rumsfeld»Aber ich liebe Euch doch alle!«
Erich Mielke»...und dann und wann ein weißer Elephant.«
Rilke
Schwarze Tage an der Börse, mal wieder. Else, ein Mädchen aus gutem Haus, verwöhnt gewiss, aber weder dumm noch abgehoben, wird von ihren Eltern den Gläubigern zum Fraß vorgeworfen: Sie soll einen Reichen heiraten, damit der Kredit der Alten weiter fließt – ein Opfergang von ganz irdischem, also ungeheurem Ausmaß. Arthur Schnitzler schrieb seine auch heute noch atemberaubende Novelle Fräulein Else im Jahr 1924, also noch vor der großen Weltwirtschaftskrise – voller Vorahnung und auch als Kunstwerk seiner Zeit voraus, handelt es sich doch um den ersten inneren Monolog der Literaturgeschichte. Das ist schwer für Filmemacher und im Gegensatz zu anderen Schnitzler-Stoffen wurde diese Novelle kaum verfilmt. Nur Paul Czinners Stummfilm von 1928, noch zu Schnitzlers Lebzeiten mit Elisabeth Bergner, blieb im Gedächtnis.
Anna Martinetz hat es jetzt für ihren Münchner Regie-Abschluss gewagt, mit wunderbarem Ergebnis, den die Regisseurin nicht zuletzt ihrem Mut zu verdanken hat. Im Wettbewerb des Saarbrücker »Festival Max-Ophüls-Preis« hatte Martinetz' Version jetzt Premiere, die den Stoff unter Deutschen in einem postkolonial-dekadenten, zugleich prachtvoll traumverwunschenen Indien spielen lässt, in dem alles dem Verfall preisgegeben scheint – bis auf die Natur, die hier in Gestalt von Tigern und Elefanten so wild wie überlegen auftritt. Dies ist so phantastisch wie klug wie fürs Publikum mitreißend – es stach zudem ins Herz der Zeit, weil Martinetz eine moralisch korrupte Elterngeneration zeigt, die die Zukunft ihrer Kinder verspielt. Nicht die Erben sind das Problem, sondern die Erblasser.
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Dieser beste Film im Wettbewerb wurde aber leider von der Jury ebenso ignoriert, wie Johanna Moders High Performance, der immerhin den Publikumspreis bekam und Rick Ostermanns Wolfskinder, Highlights in einem starken Saarbrücker Jahrgang, der viele Filme voller Kraft, Spielfreude, Farben und Liebe
zum Kino bot.
Stattdessen folgte man bei den Preisen dem neuesten Trend des deutschen Kinos: Sowohl Jakob Lass' Outsider-Amour-Fou Love Steaks (Ophüls-Preis) als auch Isabel Subas Filmszene-Satire Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste (»Preis für den gesellschaftlich relevanten Film«; »Preis der
Jugendjury«) verbinden Newcomer-Charme und aktiv ausgestellten Unabhängigkeitsgestus mit einem, am ehesten von den Briten Ken Loach und Mike Leigh beeinflussten Sozialrealismus und hoffentlich nur ökonomisch bedingter Arte Povera. Das ist sympathisch, clever gemacht und gut anzusehen; aber soll das wirklich die Zukunft des deutschen Kinos sein? Trotz allem Indie-Flair sind beide Filme viel mehr auf der sicheren Seite, als anderes: Wolfskinder etwa gelingt zwar längst nicht alles, doch dafür versucht Rick Ostermann immerhin viel mehr als viele andere: Seinem Film sieht man an, dass er Rossellini ebenso kennt, wie Malick, und dass er sich nicht naiver stellt, als er ist – vielmehr versucht Ostermaann in dieser Geschichte um eine Gruppe elternloser Kinder im Nachkriegschaos 1946 (die bereits im Sommer in Venedig Premiere hatte),
mit bescheidenen Mitteln an die großen Vorbilder anzuknüpfen. In manchen Momenten gelingt das Unterfangen.
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Große Vorbilder haben auch Johanna Thalmann (München), die mit Mute eine Kurzgeschichte von Stephen King verfilmte, und die Berlinerin Lisa Violetta Gaß: A Promissed Rose Garden spielt unter den 20.000 Vietnamesen, die in Berlin eine wenig bekannte eigene große Community bilden und verbindet gekonnt das Gangstergenre mit dem Melodram – ein leidenschaftlicher Film. Auch »Mute« ist eine sehr souveräne Fingerübung, der Horrorfilm mit Roadmovie-Motiven mischt. Beide mittellangen Werke vereint das untergründige Sujet des »Desperate Housewife«, verzweifelter, nicht mehr ganz junger Frauen, sozusagen erwachsen gewordener Fräulein Elses – und weil beides von Regisseurinnen stammt, muss man vermuten, dass hier auch eigene Ängste vor Liebesschmerz und weiblicher Abhängigkeit in Männerwelten verarbeitet werden. So oder so waren das zwei herausragende filmische Visitenkarten – wieder einmal erweist sich Saarbrücken jenseits aller Jurygeschmäcker als beste, verlässlichste Talentschmiede und Nachwuchsschau des deutschen Films.
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Mittellange Filme sind Spielfilme im Kleinen – abgespeckt, oft konzentrierter, verdichteter, als die 80+X-Minuten-Filme, von denen jeder zweite zu lang geraten ist.
Ein grundsätzliches Problem des diesjährigen Wettbewerbs liegt woanders: Saarbrücken ist ein zu gutes und zu wichtiges Festival, als dass man Love Steaks, der bereits vor sieben Monaten in München vier Preise gewann
und weitere danach, hier noch einmal zusammen mit neuen Filmen nachspielen sollte – mit dem Verzicht auf Erstaufführung tut sich dieses ansonsten tolle Festival einen Bärendienst an.
Sonst sieht man dann immer wieder den gleichen Film, die gleichen Preise.
Eine weitere Beobachtung: Berliner Schule ist out! Kein einziger Film im Wettbewerb lernt auch nur annähernd beim Stil der Berliner. Ob das gut ist? Warten wir’s ab. Allemal gibt es dann nun bald auch die billige
Ausrede des Berliner-Schule-Bashings nicht mehr. Und die entscheidende Frage ist natürlich: Wo wenn nicht dort, liegt denn dann die Zukunft des deutschen Kinos?
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Wie Love Steaks soll auch HIGH PERFORMANCE improvisiert wirken, ohne es zu sein, nimmt sich im Vergleich aber weit weniger ernst.
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Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste ist wirklich improvisiert. Ein merkwürdiger Film, der auch nicht unbedingt zwei Preise hätte gewinnen müssen, aber immer anregend ist. Am Anfang bekommt man einen Schreck, weil man Minuten lang Leuten zusieht, die schlecht aussehen und sich schlecht benehmen, einander nur anschreien. »Lustig, lustig« signalisiert die Musik – so was ist auch immer kein gutes Zeichen.
Es ist dann so ein Film, in dem Filmemacher beim Festival in Cannes einen Film über das Festival gedreht haben – ein gefährliches Unterfangen, dem man nicht deshalb schon alles verzeiht, weil es wahnsinnig anarchistisch tut, und vielleicht sogar ist. Denn wie auch immer sieht man schon nach fünf Minuten Agnes Varda, ohne das der Film irgendwas draus macht – soviel Mut hatten sie dann doch nicht. Als ob die Filmemacher nicht wussten, wer das da ist. Was sie natürlich
wussten. So sehen wir einen Film, der in jedem Sinn sehr sehr deutsch ist, und vor allem deshalb interessant, weil er unbewusst vor allem von dem Problemfeld »Deutsche und die Filmwelt« erzählt, und alle Komplexe enthält, die Deutsche gegenüber Cannes immer noch haben. Am besten funktioniert dies dennoch als ungelenke Hommage AN DAS MEKKA DES KINO. Und natürlich dieses ewige Klischee von den Oberflächlichkeiten der Filmwelt, auf dem hier endlos herumgeritten wird.
Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste macht sich über den Glamour von Cannes lustig und zehrt doch von ihm.
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Alles bleibt chaotisch und ziemlich Handarbeit, erinnert darin an Muxmäuschenstill, der irgendwie ganz gut war und irgendwie von Anfang an überschätzt, auch so ein Ex-Saarbrückener one-hit-wonder, von dem man später nie wieder was gehört hat.
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Ich finde, es reicht jetzt mit Love Steaks! Ich finde diesen Erfolg übertrieben. Extrem übertrieben und in der Summe ungerecht. Das sind zu viele Preise und zu viel Preisgeld im Vergleich zur Qualität des Films und im Vergleich ungerecht gegenüber denen, die da leer ausgehen, oder auch gegenüber einem Film wie Oh
Boy, der sehr viel mehr filmische Qualitäten hat.
Ich geb’s zu: Ich verstehe nicht, warum Love Steaks einen derartigen Erfolg hat. Manche, man kann das nicht anders sagen, fallen da auf Effekte herein. Mein persönlicher Verdacht ist, dass Love Steaks deshalb so erfolgreich ist, weil er die feuchten
Träume aller Filmförderer ebenso bedient, wie das Ressentiment ihrer Gegner. Denn dies ist ein Film, der kaum was kostet und viel Geld verdient. Das wollen Förderer. Und der diesen »einfach machen«-Gestus hat, den man sich immer wünscht, der Filmförderung ignoriert.
Zugleich ist es so einer jener typischen Filme, in denen sich ein Festivalpublikum lustig macht über Leute, die unter ihnen stehen. Deutscher Humor.
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»Der Film stört keinen« sagt ein Freund, den ich nach einer Erklärung frage. Ich finde den Film nicht schlecht und in vielem ganz interessant: Ungewöhnliche Figuren, gutes Setting, spannende Machart, unverkennbare Leidenschaft. Ok. Was anderes muss man aber auch sagen: Ich hab ihn jetzt zweimal gesehen, und will ihn wirklich nicht zum dritten Mal gucken. Mir ist diese völlige, totale Abwesenheit von Glamour fremd – dies ist einfach nicht die Art von Kino, die ich wirklich gern sehe, wegen der ich Filmkritiker geworden bin.
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Eine kurze knappe Bemerkung noch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Filmförderung gestern: Das Urteil ist gut und richtig, löst aber kein einziges Problem. Denn es bestätigt nur, das Solidaritätsprinzip der Förderung und die Verantwortung des Bundes, die dieser nicht wahrnimmt.
Der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) begrüßt in seiner Presseerklärung das Karlsruher Urteil. »Solidarität ist gerade in Kulturfragen ein wichtiger Maßstab. Es kann
nicht sein, dass sich wenige reiche und mächtige Unternehmen aus der Solidargemeinschaft des Kinos verabschieden.« erklärt Frédéric Jaeger vom VdFk.
Klar ist uns allen ab er auch, dass diese positive Nachricht nicht von den bekannten vorhandenen Missständen ablenken darf. Vor allem die Position der Autoren und Regisseure muss jetzt gestärkt werden, ebenso die Position der Produktionsunternehmen gegenüber den Verwertern. Allen Ebenen muss auch die Unabhängigkeit des Kinos
gegenüber der Einflussnahme des Fernsehens gestärkt werden. Die im europäischen Vergleich einmalige Umklammerung des Kinos durch das Fernsehen muss ein Ende haben.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.