65. Berlinale 2015
Schöne Frauen sind einfach schöner |
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Mein persönlicher goldener Bär: Victoria | ||
(Foto: Senator) |
Schon ein paar Tage her, vor einem Film im Gespräch mit Heike. Über Malick sind wir uns einig: Endlich mal ein Film mit Niveau. Keine Einschränkungen wie bei DD und DD a la, wenn die Dialoge nicht wären, wäre er ja ganz gut. Der Kunst nutzt es, wenn einer frei ist, da sind wir uns einig. Ganz frei. Und als ich referiere, dass ihm alle, leider auch sehr gute KritikerInnen vorwerfen, dass die Frauen zu gut aussehen, sagt Heike: »Schöne Frauen sind einfach schöner.«
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Klarer könnte man’s nicht sagen. Das Problem ist halt, dass für die allzu viele der angeblichen Kunstkritiker Schönheit gar keine Kategorie ist. Oder, schlimmer noch: Eine verdächtige.
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Darum hat Malick auch nichts bekommen. Ist nicht schlimm. Sagt nur was über die Szene: Dass man diesem Film nichts geben muss, nichts geben will, sich nicht dafür schämen muss, ihn zu ignorieren. Er steht auf meiner persönlichen Bestenliste sehr weit oben. Dazu kommen vier andere Filme, eine Reihenfolge muss man jetzt nicht festlegen, im Einzelnen werde ich noch über sie schreiben: Der sehr sehenswerte Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern von Stina Werenfels. Iraqi Odyssey vom aus Bagdad stammenden Schweizer Samir. Dominik Grafs Film Was heißt hier Ende? über Michael Althen. Howard Hawks Gentlemen Prefer Blondes, der einzige Film der Retrospektive, den ich gesehen habe, heute als letzten überhaupt dieser Berlinale und der nicht nur großartig ist, sondern sich als unverhofft modern entpuppte.
Und Sebastian Schippers Victoria.
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Deutsche Filme erkennt man immer an so gut gelaunter Musik schon gleich zu Anfang. Und doch holpert’s zunächst einmal ein wenig, bis dieser Film in Fahrt kommt. Die Idee ist klar: Sind eigentlich zwei: erstens eine lange, lange Einstellung, eine einzige, ein Sog. Zweitens: Die Großstadt, ein fremdes Mädchen aus einem fernen, nicht zu fernen Sehnsuchtsland, und ein proletarischer Kleingangster, der auf dicke Hose macht, aber doch sensibel genug ist, und in den sie sich verguckt.
Anders gesagt: Außer Atem in Berlin.
Das ist ja immerhin schon mal eine Fallhöhe, die andere gar nicht erst herunterstürzen können.
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Nun ist Frederik Lau kein Belmondo, und Laia Costa beim besten Willen auch keine Jean Seberg. Aber beide, besonders sie, sind interessant genug, dass man ihnen zweieinhalb Stunden gern dabei zuguckt, wie sich die Schlinge des Schicksals um sie legt, die jungen kurzen Träume ihrer Figuren erstickt.
Ganz zu recht ist Victoria der einzige unter den deutschen Wettbewerbs-Beiträgen,
der eine Auszeichnung bekam. Der Spielfilm von Sebastian Schipper ist nicht nur virtuos, indem er mit einer zweieinhalb Stunden lang nahtlos pulsierenden Kamera gedreht ist, und so den Taumel des Geschehens auf die Zuschauer überträgt. Dieser Film, der ebenso gut den Schauspielpreis hätte gewinnen können, lebt auch von seinen Figuren, ihrer existentiellen Verlassenheit und der Verbindung, die sie mit der Stadt Berlin eingehen, mit der Nacht der Metropole – hier ist sie: Die
so oft vermisste Aura des Kinos.
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Der Plot in einem einzigen, vollkommenen ungeschnittenen Satz: Vier Kleinkriminelle aus einem Berliner Problembezirk lernen gegen vier Uhr nachts eine vollgedröhnte, aber immer noch recht umsichtige Spanierin kennen, flirten, kiffen, saufen mit ihr bis zum frühen Morgen und dann kommt sie, weil einer der vier als Schnapsleiche ausfällt, an seiner Stelle mit und macht den vierten »Mann« bei einem Banküberfall, den einer der vier zwar als Gegenleistung einem Exknacki schuldet, andererseits aber gar nicht liefern kann, weil er zu blöd und zu breit ist und die anderen zu ängstlich und zu unfähig, bis auf die Spanierin natürlich, weswegen die auch, als dann die Polizei doch noch auftaucht, und einen nach dem anderen ganz undeutsch ins Jenseits ballert, den Überblick behält, die Chance, die sie nicht hat, nutzt, und im letzten Bild mit ner Tüte voller Euroscheine als einzige Überlebende im Westernsherrifstil über die Straße geht.
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Klar: Man glaubt das nicht. Alles zu konstruiert. Paar Wendungen und Schicksalsschläge zu viel. Das Mädchen ist zu hübsch, zu clever, zu bürgerlich, als dass sie mit den vier besoffenen Supernasen auch nur zehn Minuten mitgeht. Oder gar, dass sie dann die Bank macht. Alles ist auch a bisserl zu hektisch, um den Mythen, die hier beschworen werden, überhaupt Zeit zur Entfaltung zu lassen. Die Bilder sind zu Dogma-haft wackelig und ungestaltet, um der Schönheit der reinen Empfindung
und des bloßen Gedankens immer die benötigten Bilder zur Seite zu stellen.
Alles richtig. Aber, aber...
Es ist immer alles möglich in diesem Film. Der Sog funktioniert und hält an bis zum Schluss. Der Einfall, völlig ohne Schnitt zu arbeiten, ist nicht zwingend, ist aber auch nicht gewollt, ist nie posig. Vielleicht sollte man es nur einfach nicht erzählen, nicht vorab im Presseheft verbreiten und betonen, denn dann klingt es, als ob man’s nötig habe, also wie
Originalitätsquatsch und Formgehubere, das keiner braucht und hören will. Einfach den Film zeigen, und für sich sprechen lassen, ohne die Frage, wer hier den Längsten hat, zu beantworten, bevor sie überhaupt gestellt wird.
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Das ist aber auch nur eine Nebensache. Die Hauptsache: Wow! Mutig. Erstmal ein Gefühl, später hält es den Gedanken statt. Dass sie nämlich auch genauso kaputt ist, wie die Jungs, ihre suicidal tendency, das Scheitern im Konsvervatorium, der Irrsinn, mit der sie mal kurz eben Klavier spielt, wird nur ganz unaufdringlich eingeführt. Ist aber da.
Darauf, dass manches zu konstruiert ist, kommt es nicht an, wenn man einmal akzeptiert hat, dass wir hier ein Märchen sehen. Wenn das
Auto vor der Bank nicht anspringt, nervt mich zwar der und-das-auch-noch-oh-nee-echt-jetzt-Gedanke, aber der Spannungsmoment funktioniert.
Dann auch: Wow! Ein filmischer Amoklauf, der – im Unterschied zum Beispiel zum alles manisch bebildernden Dresen – auch mal etwas nicht zeigt, ohne pädagogischen Zeigefinger. Gerade darin liegt die Power dieses Films.
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Schippers Titelheldin erlebt über Nacht das Aufschließen einer neuen Welt, erlebt die Entdeckung ihrer eigenen Tatkraft und Entschlossenheit und staunt über sich selbst. Wir sehen ihr dabei zu, wie sie sich findet, wie ihr Mut und Tapferkeit passieren. Heldentum.
Die Jungsgang besteht natürlich aus lauter Losern, aber sie bezaubern durch ihren Lebenswillen, ihre Energie.
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Victoria ist ein ausgezeichneter Film, er wäre mein persönlicher Goldener Bär gewesen – nicht weil er der beste ist, sondern weil er die beste, schönste Überraschung ist, und weil Malick ihn nicht braucht.
Wer alles liebt, liebt gar nichts. Wer nichts riskiert, lebt verkehrt. Victoria weiß das, die Berlinale leider nicht.