65. Berlinale 2015
Streitkunst und Regelwerk |
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Jafar Panahi in seinem »künsterischen« Taxi | ||
(Foto: Weltkino Filmverleih GmbH) |
Und sie gilt wieder, die Berlinale-Regel! Es sind nur fünf Chancen von 23, und doch kann man sie voraussagen, die Sieger der Bären. Es gewinnen in Berlin fast immer Filme, die ihre Pressevorstellung an den ersten fünf Tagen hatten, und zwar um 9 Uhr morgens. Auch auf die anderen Preisträger traf dieses Gesetz in diesem Jahr fast vollkommen zu: Panahi Freitag morgen. der Guatemalteke am Samstag früh. Pablo Larrain aus Chile am Montagmorgen, der Russe dann am Dienstag. Nur Bill Condon mit Mr. Holme (Sonntagfrüh) hatte irgendwas falsch gemacht.
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Festivals seien dazu da, Filmen eine Aufmerksamkeit zu geben, die sonst nicht gesehen werden. Das hatte Darren Aronofsky irgendwann anfangs des Festivals gesagt.
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Das Offenkundige ist ja immer eine gute Prognose bei der Berlinale. Der Goldene Bär für den iranischen Regisseur Jafar Panahi – da konnte die Jury gar nichts falsch machen, denn sie unterstützt einen geschundenen, drangsalierten Künstler, der sich nicht einschüchtern lässt, und formuliert ein im Westen unstrittiges, irgendwie wohlfeiles, aber eben doch auch, gut vier Wochen nach »Charlie Hebdo«, notwendiges Beharren auf Kunst- und Meinungsfreiheit.
Dieser Preis ist
aber auch die verdiente Auszeichnung für einen der besten Filme des diesjährigen Wettbewerbs, einen Film, der eben nicht nur politisches Statement ist, sondern auch ein künstlerisches. Taxi, der bereits mit der Leipziger Firma »Weltkino« einen deutschen Verleih gefunden hat, denkt klug über das Kino nach, über den Sinn unseres Lebens, und versucht mit
So erinnerte die Entscheidung auch ein wenig an diese Zeugnisse für Erstklässler, wo auch den schwächsten Schülern noch ein paar ermunternde Herzchen ins Zeugnis geschrieben werden, Noten dagegen längst angeschafft sind, denn es gibt ja gar keine schlechten Filme mehr, sondern nur wenige Gute. Nach dieser Logik könnte man natürlich gleich allen Teilnehmern einen Preisbär geben.
Die Harmonie auf der Bühne fügt sich in die Gemütlichkeit eines Gute-Laune-Festivals. Wellness ist
allgemeiner Zeitgeist, insofern nicht überraschend. Man darf sich dann aber auch nicht wundern, warum die besseren, die wichtigeren, und – ja! – auch die politischeren Filme in Cannes laufen. In Interviews erklärt der Berlinale-Chef dazu fröhlich, die Berlinale stünde halt an dritter Stelle, statt zerknirscht und energisch daran zu arbeiten, dass selbst verspielte Terrain wieder aufzuholen.
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Trotzdem: Diese Berlinale war nicht die Schlechteste. Es war fast schon ein guter Wettbewerb für Berlinale-Verhältnisse, der Durchschnitt war deutlich besser, als in den letzten zwei, drei Jahren, auch wenn es nichts wirklich Herausragendes gab, auch in den Nebenreihen keine Filme, wie im Vorjahr Boyhood oder Snowpiercer, über die alle sprachen.
Gesprochen wurde unter den Festivalgästen dafür vor allem über das, was man gerade verpasst hatte – kein Wunder: Bei 411 Filmen kommen auch für den professionellen Vielseher auf jeden besuchten Film zehn, die man nicht gesehen hat. Ein Kino-Overkill, der offenbar nicht nur bei den Besuchern einen Tunnelblick erzeugt:
»Ich hab ja 'nen neuen Vertrag, und ... ich hab jetzt nichts mitgekriegt
von Kontroversen. Ich krieg' immer nur 'nen Pressespiegel mit guten Besprechungen.«
So Berlinale-Chef Dieter Kosslick bei der Abschlußzeremonie. Vielleicht sollte er sich mal anstatt mit den immergleichen Clacqueuren auch mit ein paar Leuten umgeben, die ihm auch neue Blickweisen eröffnen.
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Überraschend defensiv agiert, besser reagiert die Berlinale stattdessen sogar auf offener Bühne:
»Man ist so froh, dass man nicht Dieter Kosslick ist, oder? Weil man es den Kritikern nie recht machen kann...«
Das sagt die immerhin von Kosslick selbst engagierte Fernsehmoderatorin Anke Engelke bei der Abschlussgala. Ein solcher Satz beweist nur eines: Unsere Kritik zeigt Wirkung! Gut so.
Dabei sind die Kritiker ja genau genommen gar nicht wichtig – im Ernst: Es geht
nicht um Kritiker. Sondern bestenfalls um Kritik. Also um die Inhalte. Mit denen hat Kosslick aber ganz offenkundig gar kein Problem, sondern nur mit den Leuten, von denen sie stammt, und die er nicht mundtot machen, nicht zum Schweigen bringen kann.
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Also nochmal zum Mitschreiben, liebe Berlinale-Presseabteilung:
Erstens geht es nicht um »die Kritiker«, denen man es ja »nie recht machen kann.« Sondern allenfalls um ein paar Argumente. »Die Kritiker« gibt es sowieso nicht. Es geht allerdings schon darum, ein besseres Festival zu machen, dass derart für sich selber spricht, dass ein paar notorische Nörgler ohne Bedeutung bleiben.
Hier haben sie Bedeutung, weil sie Gehör finden unter Gästen, in der Branche, unter seriösen
Berichterstattern, beim Publikum.
Zweitens: Es geht um seriöses Auftreten, um Geschmack und um Souveränität. In Cannes oder Venedig wären auch solche Auftritte wie der des Berlinale-Direktors und die Moderation von Engelke undenkbar. Weil man sie geschmacklos findet.
Drittens: Es geht um Anspruch und Wirklichkeit. Konservativer formuliert: um Doppelmoral. Man behauptet »politisch« zu sein, und »ein politisches Festival« zu machen. Gut. Ist ja eine legitime Möglichkeit. Hier
müsste man aber jetzt natürlich, wenigstens ansatzweise definieren, was das heißen kann und soll. Und was man unter »Politik« und »politisch« eigentlich versteht.
Was Dieter Kosslick unter Politik versteht, weiß ich auch nach 14 Jahren nicht, oder allenfalls gibt es eine leise Ahnung. Ich habe den Eindruck, er versteht gar nichts darunter, bzw. alles.
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Politik, wie ich sie verstehe, heißt Streit. Eben zivilisiert, durch Regeln und Verfahren und Tabus, darum ist sie ja Politik und kein Krieg, aber durchaus Streit. Im besten Sinn: Wetteifern um das Richtige, Austragen eines Dissens. Dafür muss er klar kommuniziert werden. Dann kann am Ende auch ein Konsens stehen, oder ein Kompromiss. Das muss er aber nicht, denn manchmal wird man sich einfach nicht einig, auch unter vernünftigen Menschen, weil beide Seiten überzeugende Argumente
haben und auch vernünftige Menschen ihre blinden Flecken.
Politik heißt darum auch, Position zu beziehen. Mit Klarheit und mit Mut.
Es ist dann eben schon das Problem, wenn man in Interviews und Pressekonferenzen viel von der Gleichberechtigung der Frauen redet, aber dann so einen reaktionären Quatsch wie »Fifty Shades of Grey« zeigt und zum Event hochjazzt.
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Politisch Filme zu zeigen, ein politisches Festival zu machen, das hieße in diesem Verständnis, nicht alles zu machen, und jeden Widerspruch im Wellness-Bad versöhnen zu wollen. Sondern Widersprüche als produktive Herausforderungen zu verstehen, als Politisierungsakt, und sie darum zu fördern.
Ein politisches Festival hieße Mut zum Streit. Nicht Streit mit Kosslick-Kritikern, sondern Streit über Filme. Produktiv, nicht polemisch. Klare Kante und Kontur statt
Programm-Völlerei.
Gerade für das deutsche Kino, das die Berlinale doch gern hätscheln möchte, war der diesjährige Wettbewerb von der Ausnahme Victoria abgesehen, ein Reinfall. Andreas Dresen, Werner Herzog, Wim Wenders – große Namen, aber erschütternd schlechte Filme.
Denn nicht um Hege und Pflege darf es gehen, auch nicht darum, Regisseuren, die ihre beste Zeit lange
hinter sich haben und die Berlinale im Übrigen gar nicht brauchen, eine ökonomische Rampe für den Kinostart zu schenken.
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Sondern auch im übrigen Programm eines Festivals geht es eigentlich um etwas ganz einfaches: um sicheren Geschmack, kluges Kuratieren, um eine ordnende Hand. Darum nicht alles zu zeigen, sondern Bestimmtes. Wie die Liebe zu Menschen hat schließlich auch die Liebe zum Kino etwas mit Unterscheidungsvermögen zu tun.