69. Filmfestspiele Cannes 2016
Monster am Mittelmeer |
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George Clooney ist das »Money Monster« in Jodie Fosters gleichnamigen Film (außer Konkurrenz) | ||
(Foto: Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH) |
»Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren Ineinander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir praktisch nur so auszukommen, dass wir unser Verhalten auf jedem Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen Prinzip absolut regieren lassen.
Auf diesem Wege aber holt jene Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns immer wieder ein.«
– Georg Simmel: »Philosophie des Geldes«
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Woody Allens Café Society war dann doch ein Eröffnungsfilm, der schnell verblasste. Was von diesem Alterswerk bleibt, sind allein die tollen Hauptdarsteller Kristin Stewart und Jesse Eisenberg, und ein gewisses Gefühl von Nostalgie für die 30er Jahre. Das Allen hier auch Dinge verklärt, muss man nicht weiter erwähnen, aber Verklärung gehört dazu.
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Ansonsten bleibt Unerfreuliches: Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung berichteten übereinstimmend, es sei so peinlich gewesen wie noch nie. Der Moderator muss Woody Allen wohl sinngemäß angesprochen haben, er sei überrascht, dass er nicht von der Polizei wegen Vergewaltigung verhaftet worden sei. Und hat der 80-jährige Allen tatsächlich auf der Bühne gesagt, er finde »rape-jokes« lustig?
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Das Echo davon ereilte auch mich am nächsten Tag. Da hatte ich einer geschätzten Regionalzeitung meinen Eröffnungstext gemailt, und bekam folgende Mail:
»Lieber Rüdiger, die Agenturen laufen gerade heiß mit den Vorwürfen von Allens Adoptivsohn. Kann ich das mit einem Satz in deinen Text einfügen?«
Untendrunter stand dann die dpa-Meldung über einen Text von Ronan Farrow im Hollywoodreporter. Tenor: »Die langsame Entwicklung der Old-School-Medien hat dazu beigetragen, eine
Kultur der Straffreiheit und des Schweigens zu schaffen«. So etwas kommt in unseren puritanischen Zeiten auch außerhalb Amerikas gut an.
Meine Antwort: »Von den Missbrauchsvorwürfen redet hier natürlich niemand. Und ich sollte ja aus Cannes berichten... Wollt ihr das nicht besser unter Vermischtes melden, wenn’s sein muss?«
Mal sehen, wie der Text jetzt aussieht.
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Zum Echo gehört dann, dass aber trotzdem darüber berichtet wird. Dabei hat Farrow in seinem Text, der inhaltlich nur die seit Jahren bekannten und nie belegten Vorwürfe aufwärmt, das Entscheidende selbst geschrieben: »Er wird seine Stars an seiner Seite haben. Sie können sich auf die Presse verlassen, dass sie ihnen keine störenden Fragen stellen wird. Das ist nicht der Augenblick, das ist nicht der Ort, das macht man nicht.«
Genau das: Das macht man nicht, und Cannes ist nicht der
Ort. Farrow nutzt nur die Aufmerksamkeit, die auf Cannes liegt, um seine 15 Minuten Aufmerksamkeit abzubekommen, und dafür rechtstaatliche Grundsätze wie »keine Verurteilung ohne Beweis« und »im Zweifel für den Angeklagten« über Bord zu werfen.
Und wenn einen die schon nicht interessieren – wahrscheinlich ist Rechtsstaat auch »Old School« – dann könnte man doch wenigstens versuchen, Kunst und Moral auseinanderzuhalten, und ein Festival, das einen Film zeigt,
nicht gleich zum Quasi-Komplizen von Kindesmissbrauchstätern zu erklären.
Kann man ein Kunstwerk nicht von seinem Schöpfer trennen, analytisch meine ich?
Die Autorin von Spiegel-Online kann es leider nicht. In ihrem Text schwurbelt sie beides elegant ins eins. Das geht dann so: »Bald findet sich Vonnie in einem Liebesdilemma wieder, das sich so auflöst, wie man es von Woody Allen erwarten muss: Wenn sich eine Frau zwischen einem gleichaltrigen und einem deutlich älteren
Mann entscheiden kann, wählt sie den deutlich älteren. Dass die 26-jährige Stewart in ihrer Rolle als Gespielin des 53-jährigen Carell dauernd Babydoll-Kleider und Schleifchen im Haar trägt, lässt einen noch stärker an dieser Paarung zweifeln. Passenderweise hat Allens eigener Sohn Ronan Farrow gerade erst im Branchendienst ›Hollywood Reporter‹ ein längeres Stück dazu geschrieben, wie die Medien mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Allen 2014 umgegangen sind. Seiner Meinung
nach haben sie die Anschuldigungen seiner Schwester Dylan, die Allen sexuelle Übergriffe in ihrer frühen Jugend vorwarf, nicht ernst genug genommen.
Was auch immer sich damals zugetragen hat – das thematische Echo, das Allens Filme bis hin zu diesem immer wieder bieten, ist erschreckend. Der durchwachsene Applaus, den der Film bei der Eröffnung erhielt, hatte damit wohl nichts zu tun. Der war eher dem Umstand geschuldet, dass Allens Porträt von Old Hollywood und seiner
Oberflächlichkeit selbst wenig gehaltvoll ausfallen ist. Da hat die Berlinale mit der Showbiz-Farce Hail, Caesar! von den Coen-Brüdern in diesem Jahr deutlich besser dagestanden. Letztlich sollte beides der Festivalleitung von Cannes zu denken geben, ob man die Festspiele wirklich noch mit einem Film von Allen eröffnen kann.«
Warum sollte Cannes das nicht können? Weil es die Vorwürfe gibt, oder weil der Film schlecht ist, oder weil der Applaus nur durchwachsen war? Ich finde den Film ja auch nur durchwachsen, aber darum geht es nicht.
Ich wünsche der Autorin, dass sie nie irgendwann mal mit unbewiesenen, aber harten Vorwürfen konfrontiert wird, und dann Dritte ihren Kopf fordern.
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Da passt dann wieder der gute Dialog-Satz, das Leben sei eine Komödie, »verfasst von einem sadistischen Autor.« Das glamouröse »Festival der Stars«, dass die Veranstalter für dieses Jahr versprochen haben, ging am Donnerstag weiter. Da kamen dann Julia Roberts, George Clooney und Jodie Foster. Letztere führte Regie in Money Monster. Das Monster ist hier vor allem das Geld und die Gier, aber auch ein nimmersatter Finanzhai und CEO, der seiner Firma mit einem organisierten Computer-»glitch« 800 Millionen abgeluchst hat. Hauptfigur in dem turbulenten Finanzthriller, der manchmal wie eine sarkastische Komödie funktioniert, ist aber ein von Clooney gespielter TV-Moderator, der mit einer ein bisschen debilen, ein bisschen kritischen Börsensendung zum Star geworden ist. Mitten in seiner eigenen Sendung wird er als Geisel genommen. Ein geprellter Kunde will die wahren Hintergründe eines Börsencrashs aufklären. Money Monster, von Clooney produziert, ist einerseits Beispiel für das Beste an Hollywood: Engagiert, aber mainstreamtauglich und daher breitenwirksam wird ein brennendes Thema kritischer angepackt, als es die oft von Lobbyinteressen und Ideologien gefangene Politik und die längst zur unkritischen Unterhaltung geronnenen Medien tun, die nur noch ihr Geschäft – Quoten und Auflage – im Kopf haben.
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Einleuchtend zeigt der Film den Zynismus der Verhältnisse. Nur ist er einfach nicht gut genug, und schwankt zu sehr zwischen Finanzdrama, Crimethriller, und Komödie. Auch leiern manche Erzählstränge, und ist die Handlungslogik fragwürdig. All das tut dem Vergnügen freilich wenig Abbruch.
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Das ästhetische Problem, das Money Monster mittelbar auch stellt: Wie zeigt man Geldströme und unsichtbares Kapital? Klar, erstmal muss die Geschwindigkeit, mit der in Sekundenbruchteilen Milliarden verschoben werden, durch Tempo verkörpert werden, schnelle Schnitte. Die noch gravierendere Frage der Darstellung der Komplexität des Börsengeschehens wird durch elektronische Musik
gelöst, Kamerafahrten durch riesige Computerhallen, Aufnahmen blinkender Leuchtdioden, Zahlenkolonnen.
Dazu Clooney Stimme: »You dont have a clue, where your money is.«
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So könnte man kritisieren: Wie so viele Filme, die vermeintlich kritisch mit dem Finanzmarkt umgehen, verfällt auch dieser wieder der eigenen Bildsprache des Finanzkapitals, die immer ein bisschen propagandistisch ist und noch im Scheitern an ihrem Glamour, ihrer Selbstmythisierung arbeitet. Diesem Glamour leisten auch noch so vermeintlich – und in ihrer Selbstwahrnehmung – extrem kritische Filme wie die von Oliver Stone oder zuletzt Adam McKays The Big Short am Ende Vorschub.
The Big Short zeigte nur eine andere – vermeintlich (!!!) – sympathischere Seite: Die Börsen-Hippies, die Handvoll Männer, die aus Überzeugung wie Gier wie Konspirationstheorie gegen den Trend spekulieren und mit Erfolg auf das Platzen der Finanzblase setzen,
setzen sich äußerlich von der Konkurrenz ab: In T-Shirt und Shorts, vulgär schreiend, autistisch im Büro Musik machend, paranoid mit acht Telefonen und Geheimnummern hantierend – der Film zeigt die Hippieseite der Börse.
Wie in Money Monster wird der Finanzmarkt immerhin kurz von seiner schöpferischen Seite erkennbar: Auch die Börse »würfelt nicht« (Albert Einstein) und unter vielen
klugen Spekulanten gibt es ein paar Genies, die die Zukunft vorherzusagen vermögen.
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Dass die Börse grundsätzlich aber eine einzige Fiktionsmaschine ist, wird hier deutlich und ist schon längst keine originelle Einsicht mehr. Binsenweisheit ist, dass hier mit Erwartungen gehandelt wird, mit Ängsten und Hoffnungen, Prognosen für die Zukunft also. Die Realität, der Gegenwert eines Unternehmens oder Geschäfts im Jetzt und Hier zählt eigentlich gar nichts. Denn wenn sich auch nur zehn Prozent der Händler das auszahlen ließen, was ihre Aktien angeblich wert sind,
wäre der große Krach da, und viele von ihnen pleite. Es zählt also, was einer nicht hat oder jedenfalls nicht »realisiert«, wie der Börsenjargon treffend heißt. Aktien sind Irrealia, wie das Geld überhaupt, das schon Georg Simmel, der Soziologe unter den Philosophen, in seiner immer noch unter Wert gehandelten »Philosophie des Geldes« als »flüssiges« »Medium« charakterisiert hat.
Dies alles zu verstehen, heißt aber nicht, dass Börse und Finanzmarkt, Geld gar, als reine
Phantastik abzuwerten seien. Es bedeutet im Gegenteil, das Phantastische im Leben gegenüber der schnöden Pragmatik wieder aufzuwerten.
Die Börse – das ist so etwas wie der Roman des Neoliberalismus, die große Erzählung des freien Marktes. Darum braucht sie eigentlich keine Filme. Außer jenen Filmen, die ihr Widerstand entgegensetzen, ohne sie gleich moralisch, also plump zu kritisieren. Filme die sie auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen, dekonstruieren.
(to be continued)