69. Filmfestspiele Cannes 2016
Menschen-Zoo und Art-Deco |
||
In einer Kutsche fahren passt gut zu Cannes, dem Karneval der Tiere und Woody Allen: Café Society | ||
(Foto: Warner Bros. Entertainment GmbH) |
»Live everyday like its your last and one day you'll be right.«
– Woody Allen
»Dreams are dreams.« – Dieser Satz fällt zweimal in Woody Allens Café Society. »Dreams are dreams«, das klingt wie Träume sind Schäume. Traum und Wirklichkeit, Sein und Schein und ihre Differenz stehen im Zentrum des Films, mit dem am Donnerstagabend bei für Cannes sehr untypischem Wind und Nieselregenwetter die 69. Ausgabe der Filmfestspiele offiziell eröffnet wurde. Dass Träume uns auch eine Wahrheit erzählen, zeigt sich allerdings ganz klar gegen Ende des Films.
+ + +
»Life is a comedy, written by a sadistic comedy-writer.« – »Das Leben ist eine Komödie, verfasst von einem sadistischen Autor.« Dieser andere Dialogsatz aus Woody Allens Cannes-Eröffnungsfilm könnte auch als Beschreibung des ganzen Festivalbetriebs taugen, der von nun an knapp zwei Wochen lang das sonst eher beschauliche Urlaubsstädtchen an der Croisette gefangen hält.
Auf Allens Film selbst trifft der Satz aber nicht zu: Eher milde, wenn man so will auch ein
bisschen alterweise und abgeklärt wirkt dieser Film, in jedem Fall melancholisch und auf angenehme Weise sehr nostalgieerfüllt wirkt diese Zeitreise in die dreißiger Jahre. Wenn man den Trailer gesehen hat, ist das Ergebnis enttäuschend.
Ließ dieser Trailer, an Irreführung grenzend, noch eine bissige Hollywood-Satire und Selbstreflexion des Mediums Film erwarten, so entpuppt sich dieser ganze Aspekt schnell als nur ein Nebenstrang einer komplexen Liebesgeschichte. Der junge Bob ist Spross einer kleinbürgerlichen, zwischen Spießigkeit und Amoral gespaltenen jüdischen Familie aus New York. Er kommt nach Los Angeles, um sich dort von seinem Onkel einen Job besorgen zu lassen. Denn dieser Onkel ist der Einzige in der Familie, der es geschafft hat, dem Umfeld zu entkommen. Heute ist er ein einflussreicher Agent in Hollywood. Während er langsam in der Filmszene Fuß fasst, verliebt sich Bob nebenbei in Vonnie (Kristin Stewart), die Sekretärin seines Onkels. Was er nicht weiß: Vonnie hat auch eine Affaire mit seinem Onkel, und so entspinnt sich ein turbulenter Liebeshändel, der bald nicht nur an der Westküste, sondern auch in New York spielt, wo Bob einen erfolgreichen Nacht-Club aufmacht, und Bobs Familie, besonders seinen Gangsterbruder und seine mit einem Kommunisten verheiratete Schwester miteinschließt.
+ + +
So weit der Plot. Es geht also irgendwie um Familie, es geht vor allem um die Liebe, und was man bereit ist, dafür zu opfern, und um das Verhältnis von Liebe und Ehe. Der Onkel lässt sich scheiden – um wieder zu heiraten. Und zwar die Frau, die er wirklich liebt. Und Bob heiratet eine Frau, die er schätzt, und begehrt, weil er die, die er liebt, nicht bekommen kann. »Life is not rational. You fall in love, you marry someone you don’t love.«All das ist in dem Film, Woody
Allen weiß womöglich selbst genau, wovon er da erzählt, und trotzdem ist er alles andere als ernst, sondern eine Komödie.
Was Allen eigentlich interessiert, sind vielleicht einfach die historischen Aspekte. Dies ist eine Zeitreise in die dreißiger Jahre, in Art-Deco-Design und das Hollywood in seiner größten Zeit. Dies ist vor allem auch ein prächtiger Ausstattungsfilm, voller Nostalgie für die 30er Jahre, etwas clean vielleicht, aber ohne die Überhitzung des »Great Gatsby«.
Allen erzählt nicht frei von Sehnsucht, jedenfalls von Faszination, von jüdischen Gangstern, Mobstern, Clubbesitzern, von korrupten Politikern, von Wirtschaftsbossen mit »undergraded fiancees«.
+ + +
Dies ist alles in allem ein etwas müder, irgendwann dahinplätschernder Film, ein Alterswerk, dem an jeder Stelle Schärfe fehlt, trotz spitzer Dialoge. Der gut ist, aber spürbar besser sein könnte, wenn sich Allen ein wenig mehr Mühe gäbe. Kristen Stewart ist sehr gut, Jesse Eisenberg noch besser.
»He is too conscious, I dont like him«, meinte allerdings Ernesto aus Chile am Abend. Sich der Dinge zu bewusst: ein Kommentar, über den man nachdenken sollte.
+ + +
Allens Film bietet trotz solcher Einwände alles, was man von einem perfekten Eröffnungsfilm wie von einer Woody-Allen-Komödie erwarten darf: Große Party? Durchaus! Unterhaltung? Ganz klar. Seine tiefere Bedeutung liegt vor allem darin, dass er vorführt, dass die Dinge oft nicht so sind wie sie zu sein scheinen. Die Vermutung, dass es also nur um den Schein gehe, nicht um das, was »wirklich« dahinter steckt – dieser Gedanke lässt sich gut auch auf Cannes beziehen.
+ + +
Die Selbstbeschreibung dieses Festival lautet: »Karneval der Tiere« – so heißt Saint-Saens' Suite, das die traditionelle Begleitmelodie des Festivaltrailers bildet, der vor jedem Film gezeigt wird, und den man auch beim Parcours auf dem roten Teppich spielt, wenn hier allabendlich die Stars und ihre Regisseure im Blitzlichtgewitter Hunderter von Photographen den Weg ins Palais du Cinema beschreiten. Sie tun das vor Dutzenden von Fernsehkameras und vor manchmal
mehreren tausend Fans, die sich kreischend und johlend in dichten Trauben um den roten Teppich drängen.
Würde und Boulevard, eine fast höfische Zeremonie und die Vulgarität eines Rummelplatzes, liegen eng beieinander in diesem Filmfestival, das ohne Frage das Wichtigste der Welt ist, und selbst eine Art Karneval der Filmtiere, ein großer Menschen- und Kino-Zoo, in dem sich alles findet: Populisten und Autisten, Zarte und Engagierte, Händler und Helden, Autorenfilmer und
Marktschreier.
+ + +
Cannes, der erste Tag bevor es richtig losgeht, wie oft hab ich das schon erlebt? Die eigenen Vorbereitungen sind professionalisiert, Routine. Zugleich habe ich den Eindruck, dass diesmal am Dienstag alles voller und hektischer war, als sonst, die Schlangen länger. Oder die Leute haben einfach einen ähnlichen Rhythmus. Nil aus Istanbul ging es allerdings am Dienstag ähnlich.
Andererseits meinte sie heute nach dem Eröffnungsfilm, ihr Eindruck sei, die Screenings seien ein
bisschen leerer. Zumindest sind offenbar die Hotelpreise in diesem Jahr zurückgegangen.
+ + +
Emma, die für einen Verleih arbeitet, erzählt von den horrenden Interviewpreisen. 800 Euro zahlt der deutsche Verleih für jeden (!) deutschen Interviewplatz in einem Roundtable, 1200 gar für ein Fersehinterview, das dann 3-5 Minuten lang ist. Ohne Sendegarantie!
+ + +
Ugo Busaporco, der italienische Kritiker, der aus Verona kommt, erzählt, dass er in Cannes Venedig und sogar Berlin glücklicher sei, als zuhause, weil er dort frei sei, zuhause aber als Festivalleiter von Politikern belämmert würde. Über seine Heimatstadt sagt er: »If you want to know Verona, watch Senso from Visconti«, sagt Ugo, »the history of Verona is military and
prostitutes.« Verona sei »die einzige Stadt Europas, die Gesetze gegen Homosexuelle erlassen hat, und deshalb jährlich eine Strafe an die EU zahlen muss.«
Zum Zustand der Filmkritik meint er: »I am very sad, today everyone produces highlightened noise-shit.«
+ + +
Gewettet hat Ugo bisher noch nicht. Die schon traditionelle Wettrunde am Vorabend des Festivals zeigte sich ziemlich gespalten: Zweimal Jarmusch, ansonsten Park Chan-wook, Assayas, Jeff Nichols, Verhoeven. Ich selbst habe auf Maren Ade gesetzt – aus Überzeugung, aber auch weil alle anderen Preise nicht weniger unwahrscheinlich sind.
+ + +
Auch das bewährte Orakel der Firma Weltkino, die in den letzten Jahren immer den Sieger aller drei großen A-Festivals gekauft hatten, ist diesmal wenig aussagekräftig: Denn die Leipziger Firma hat gleich drei Filme gekauft: Die von Jim Jarmusch, von Xavier Dolan und von Olivier Assayas.
+ + +
»Hoffnung ist in diesem Jahr das Thema«, sagt Ernesto, »Glück, wir sind umgeben von Polizei und Überwachungstechnik. Da muss das Kino einen Kontrapunkt setzen.«
»You Germans«, sagt er zu meiner Vermutung, die Waffen seien wohl kaum geladen. Selbst wenn das stimme: »There are Snipers in every building.« Chilenische Erfahrungen.
(to be continued)