69. Filmfestspiele Cannes 2016
Wird Maren Ade bald Französin? |
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Mehr als 5 Euro wert: Maren Ades Toni Erdmann, die neue deutsche Hoffnung | ||
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH) |
Dieser Samstag wird ein in vieler Hinsicht wichtiger Tag. In der spanischen Liga entscheidet sich die Meisterschaft, in der Bundesliga der Abstieg, und in Cannes hat mit Maren Ades Toni Erdmann der erste ernstzunehmende deutsche Film seit der Jahrtausendwende, also seit Menschengedenken, Premiere. Hans Weingartner, dessen Die fetten Jahre sind vorbei 2004 lief – wer erinnert sich noch? Oder an den Applausometer in der Süddeutschen? – war Österreicher, Palermo Shooting von Wenders hingegen nicht ernstzunehmen.
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»Die Zeit der Helden ist vorbei« titelte ein Magazin. Diese Woche erschütterte uns wie alle Nicht-Bayern-Fans die aus vielen Gründen unerfreuliche Nachricht, dass Mats Hummels nach München wechselt. Es gibt Dinge, die tut man nicht. Im Kino gibt es dazu gar keinen Vergleich. Das wäre so, als würde Maren Ade jetzt nach ihrer Cannes-Teilnahme Französin werden. So weit sind wir aber noch nicht.
Trotzdem sind wir natürlich besonders gespannt, welchen Fußballvergleich die
Kulturstaatsministerin Monika Grütters wohl von den Redenschreibern in ihre heutige Rede eingefügt bekam. Im letzten Jahr war es irgendetwas Positives über Bayern München, das mehr als die Hälfte im Saal nervte – der vor zwei Jahren verstorbene Karl »Baumi« Baumgartner, der seltene Fall eines Arthouse-Erfolgsproduzenten, war übrigens natürlich BVB-Anhänger.
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Toni Erdmann, das könnte auch ein Fußballername sein. »Es gibt in Deutschland fünf Toni Erdmanns«, sagt Ades Verleiher Christoph Ott, der den Film im Juni ins Kino bringt. Die schreiben wir an, laden sie ein, und titeln dann auf dem Plakat: »Toni Erdmann präsentiert Toni Erdmann!«
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Toni Erdmann – so heißt der Film von Maren Ade. Die hat mal an der HFF München Regie studiert und lebt heute in Berlin. Es ist erst ihr dritter Spielfilm. Heute Abend hat er im Wettbewerb von Cannes Premiere – als erster deutscher Beitrag seit acht Jahren. Es handelt sich um eine Vater-Tochter-Geschichte, und wer das Werk der 40-jährigen Maren Ade kennt, der weiß: Es wird ganz bestimmt auch ein witziger Film sein.
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»Ich fühle mich, als wären wir beim Grand Prix d’Eurovision und ich bin die Lena Meyer-Landrut des deutschen Kinos« – Maren Ade lacht, als sie das im Gespräch beim Lunch der Filmstiftung NRW erzählt, und schüttelt leicht den Kopf, verwundert über den Trubel, der gerade auf sie einstürzt. »Obwohl: Das darf ich nicht sagen, denn die Lena hat ja gewonnen. Also besser der Guildo Horn.«
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In Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme zu laufen, ist für eine Regisseurin schon eine ganz besondere Erfahrung. Auch wenn Ade (Interview) bereits mit Alle Anderen im Wettbewerb der Berlinale lief und der Film dort einen Silbernen Bären gewann, kann man beides nicht vergleichen: Jetzt schaut die ganze Welt, jedenfalls die des Films auf sie. Ade, 1976 in Karlsruhe geboren und aufgewachsen, ist die erste deutsche Regisseurin im Wettbewerb, seit Margarethe von Trotta 1988 mit Fürchten und Lieben gezeigt wurde. Der letzte deutsche Film lief vor acht Jahren im Wettbewerb – Wim Wenders misslungener Palermo Shooting wurde seinerzeit zu Recht ausgebuht.
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Die Wochen vor der Premiere am heutigen Samstag seien für sie »Vollstress« gewesen, aber das auch, weil sie den Film erst an diesem Montag ganz fertig gemacht habe. An der Tonmischung wurde noch gefeilt. Jetzt sind Druck und Erwartungen groß – auch wenn Ade abwinkt: Sie möchte nicht die Fahnenträgerin des deutschen Films sein, sondern als Individuum wahrgenommen werden.
Und tatsächlich ist die Einlandung in den Wettbewerb eher so etwas wie die Aufnahme in einen Club,
eine Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, eine weltweite Filmfamilie, in der man nationale und kulturelle Zugehörigkeiten hinter sich lässt. Es zählt nur die Universalität der Kunst. »Cannes ist eine Weltgesellschaft der Filmkunst«, sagt auch Petra Müller, Chefin der Filmstiftung NRW, der wichtigsten Länderförderanstalt der Republik beim traditionellen Cannes-Lunch. Aber auch Müller freut sich darüber, dass wieder mal ein deutscher Film in Cannes läuft, und sieht darin
einen Erfolg deutscher Förderpolitik. Was soll sie auch sonst sagen?
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Im letzten Jahr hatten ein paar ganz Schlaue beim erweiterten Presseheft, dem sogenannten »Branchenblatt« »Blickpunkt Film« – aber so provinziell wie die verkaufte Auflage ist die deutsche Filmszene nun auch wieder nicht – erklärt, die deutschen Förderanstalten seien Schuld daran, dass keine deutschen Filme in Cannes liefen.
Im Umkehrschluss haben die Förderer jetzt dann ja wohl alles richtig gemacht, oder?
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Die deutschen Förderanstalten freuen sich natürlich jedenfalls darüber, dass wieder mal ein deutscher Film in Cannes läuft, klopfen sich sachte auf die Schultern und sehen darin einen Erfolg deutscher Förderpolitik. Ob das wirklich der Fall ist, muss sich aber noch erst zeigen. Denn nicht so sehr das einzelne Werk macht Stärke oder auch Schwäche einer Filmnation aus, sondern eine breite Basis, und die Regelmäßigkeit und Nachhaltigkeit der Präsenz auf internationalen Festivals
wie diesem.
In den letzten zwei Jahren hatte es gar kein Film in einen internationalen A-Festivalwettbewerb geschafft. Und erst 2015 hatten auch Filmförderer wie Petra Müller von der Filmstiftung NRW, der wichtigsten deutschen Förderanstalt, und ihre Berliner Kollegin Kirsten Niehuus noch eingestanden, man könne an den Förderegeln und kulturpolitischen Vorgaben noch manches verbessern. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters, eine studierte
Kunsthistorikerin, beklagte die im Unterschied zu anderen Ländern einseitige Ausrichtung der Filmförderung auf Wirtschaftseffekte. Abgesehen davon, dass Subventionen nach EU-Recht nur in Ausnahmefällen erlaubt sind, haben die deutschen Filme in den meisten Fällen weder künstlerischen noch wirtschaftlichen Erfolg.
Umgekehrt zeigt das Beispiel der Österreicher, der Dänen und natürlich der Franzosen, wie große Kunst auch die Filmwirtschaft beflügeln kann. Vielleicht
wirkt Maren Ades Cannes-Auftritt dafür jetzt als ein Neuanfang in diese Richtung.
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»Auch wenn du ihn Scheiße findest – wir bleiben Freude«, sagt Ade noch, und will persönliches Feedback nicht nach der Pressevorführung, sondern erst nach der offiziellen Premiere. Wegen Pfingsten wird in den meisten Zeitungen erst am Dienstag etwas stehen. Als ich ihr vor dem Abschied noch erzähle, ich hätte fünf Euro darauf gesetzt, dass sie die Goldene Palme gewinnt, sagt sie: »Die fünf Euro geb' ich dir dann nach dem Festival wieder.«
(to be continued)