14.05.2016
69. Filmfestspiele Cannes 2016

Wird Maren Ade bald Französin?

Toni Erdmann
Mehr als 5 Euro wert: Maren Ades Toni Erdmann, die neue deutsche Hoffnung
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH)

In der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Eine Begegnung mit der Regisseurin und Eindrücke am Morgen des »deutschen Tags« – Cannes-Notizen, 5. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Dieser Samstag wird ein in vieler Hinsicht wichtiger Tag. In der spani­schen Liga entscheidet sich die Meis­ter­schaft, in der Bundes­liga der Abstieg, und in Cannes hat mit Maren Ades Toni Erdmann der erste ernst­zu­neh­mende deutsche Film seit der Jahr­tau­send­wende, also seit Menschen­ge­denken, Premiere. Hans Wein­gartner, dessen Die fetten Jahre sind vorbei 2004 lief – wer erinnert sich noch? Oder an den Applau­so­meter in der Süddeut­schen? – war Öster­rei­cher, Palermo Shooting von Wenders hingegen nicht ernst­zu­nehmen.

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»Die Zeit der Helden ist vorbei« titelte ein Magazin. Diese Woche erschüt­terte uns wie alle Nicht-Bayern-Fans die aus vielen Gründen uner­freu­liche Nachricht, dass Mats Hummels nach München wechselt. Es gibt Dinge, die tut man nicht. Im Kino gibt es dazu gar keinen Vergleich. Das wäre so, als würde Maren Ade jetzt nach ihrer Cannes-Teilnahme Französin werden. So weit sind wir aber noch nicht.
Trotzdem sind wir natürlich besonders gespannt, welchen Fußball­ver­gleich die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters wohl von den Reden­schrei­bern in ihre heutige Rede eingefügt bekam. Im letzten Jahr war es irgend­etwas Positives über Bayern München, das mehr als die Hälfte im Saal nervte – der vor zwei Jahren verstor­bene Karl »Baumi« Baum­gartner, der seltene Fall eines Arthouse-Erfolgs­pro­du­zenten, war übrigens natürlich BVB-Anhänger.

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Toni Erdmann, das könnte auch ein Fußbal­ler­name sein. »Es gibt in Deutsch­land fünf Toni Erdmanns«, sagt Ades Verleiher Christoph Ott, der den Film im Juni ins Kino bringt. Die schreiben wir an, laden sie ein, und titeln dann auf dem Plakat: »Toni Erdmann präsen­tiert Toni Erdmann!«

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Toni Erdmann – so heißt der Film von Maren Ade. Die hat mal an der HFF München Regie studiert und lebt heute in Berlin. Es ist erst ihr dritter Spielfilm. Heute Abend hat er im Wett­be­werb von Cannes Premiere – als erster deutscher Beitrag seit acht Jahren. Es handelt sich um eine Vater-Tochter-Geschichte, und wer das Werk der 40-jährigen Maren Ade kennt, der weiß: Es wird ganz bestimmt auch ein witziger Film sein.

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»Ich fühle mich, als wären wir beim Grand Prix d’Euro­vi­sion und ich bin die Lena Meyer-Landrut des deutschen Kinos« – Maren Ade lacht, als sie das im Gespräch beim Lunch der Film­stif­tung NRW erzählt, und schüttelt leicht den Kopf, verwun­dert über den Trubel, der gerade auf sie einstürzt. »Obwohl: Das darf ich nicht sagen, denn die Lena hat ja gewonnen. Also besser der Guildo Horn.«

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In Cannes im Wett­be­werb um die Goldene Palme zu laufen, ist für eine Regis­seurin schon eine ganz besondere Erfahrung. Auch wenn Ade (Interview) bereits mit Alle Anderen im Wett­be­werb der Berlinale lief und der Film dort einen Silbernen Bären gewann, kann man beides nicht verglei­chen: Jetzt schaut die ganze Welt, jeden­falls die des Films auf sie. Ade, 1976 in Karlsruhe geboren und aufge­wachsen, ist die erste deutsche Regis­seurin im Wett­be­werb, seit Marga­rethe von Trotta 1988 mit Fürchten und Lieben gezeigt wurde. Der letzte deutsche Film lief vor acht Jahren im Wett­be­werb – Wim Wenders miss­lun­gener Palermo Shooting wurde seiner­zeit zu Recht ausgebuht.

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Die Wochen vor der Premiere am heutigen Samstag seien für sie »Voll­stress« gewesen, aber das auch, weil sie den Film erst an diesem Montag ganz fertig gemacht habe. An der Tonmi­schung wurde noch gefeilt. Jetzt sind Druck und Erwar­tungen groß – auch wenn Ade abwinkt: Sie möchte nicht die Fahnen­trä­gerin des deutschen Films sein, sondern als Indi­vi­duum wahr­ge­nommen werden.
Und tatsäch­lich ist die Einlan­dung in den Wett­be­werb eher so etwas wie die Aufnahme in einen Club, eine Liga der außer­ge­wöhn­li­chen Gentlemen, eine weltweite Film­fa­milie, in der man nationale und kultu­relle Zugehö­rig­keiten hinter sich lässt. Es zählt nur die Univer­sa­lität der Kunst. »Cannes ist eine Welt­ge­sell­schaft der Filmkunst«, sagt auch Petra Müller, Chefin der Film­stif­tung NRW, der wich­tigsten Länder­för­der­an­stalt der Republik beim tradi­tio­nellen Cannes-Lunch. Aber auch Müller freut sich darüber, dass wieder mal ein deutscher Film in Cannes läuft, und sieht darin einen Erfolg deutscher Förder­po­litik. Was soll sie auch sonst sagen?

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Im letzten Jahr hatten ein paar ganz Schlaue beim erwei­terten Pres­se­heft, dem soge­nannten »Bran­chen­blatt« »Blick­punkt Film« – aber so provin­ziell wie die verkaufte Auflage ist die deutsche Filmszene nun auch wieder nicht – erklärt, die deutschen Förder­an­stalten seien Schuld daran, dass keine deutschen Filme in Cannes liefen.
Im Umkehr­schluss haben die Förderer jetzt dann ja wohl alles richtig gemacht, oder?

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Die deutschen Förder­an­stalten freuen sich natürlich jeden­falls darüber, dass wieder mal ein deutscher Film in Cannes läuft, klopfen sich sachte auf die Schultern und sehen darin einen Erfolg deutscher Förder­po­litik. Ob das wirklich der Fall ist, muss sich aber noch erst zeigen. Denn nicht so sehr das einzelne Werk macht Stärke oder auch Schwäche einer Film­na­tion aus, sondern eine breite Basis, und die Regel­mäßig­keit und Nach­hal­tig­keit der Präsenz auf inter­na­tio­nalen Festivals wie diesem.
In den letzten zwei Jahren hatte es gar kein Film in einen inter­na­tio­nalen A-Festi­val­wett­be­werb geschafft. Und erst 2015 hatten auch Film­för­derer wie Petra Müller von der Film­stif­tung NRW, der wich­tigsten deutschen Förder­an­stalt, und ihre Berliner Kollegin Kirsten Niehuus noch einge­standen, man könne an den Förde­re­geln und kultur­po­li­ti­schen Vorgaben noch manches verbes­sern. Auch Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters, eine studierte Kunst­his­to­ri­kerin, beklagte die im Unter­schied zu anderen Ländern einsei­tige Ausrich­tung der Film­för­de­rung auf Wirt­schafts­ef­fekte. Abgesehen davon, dass Subven­tionen nach EU-Recht nur in Ausnah­me­fällen erlaubt sind, haben die deutschen Filme in den meisten Fällen weder künst­le­ri­schen noch wirt­schaft­li­chen Erfolg.
Umgekehrt zeigt das Beispiel der Öster­rei­cher, der Dänen und natürlich der Franzosen, wie große Kunst auch die Film­wirt­schaft beflügeln kann. Viel­leicht wirkt Maren Ades Cannes-Auftritt dafür jetzt als ein Neuanfang in diese Richtung.

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»Auch wenn du ihn Scheiße findest – wir bleiben Freude«, sagt Ade noch, und will persön­li­ches Feedback nicht nach der Pres­se­vor­füh­rung, sondern erst nach der offi­zi­ellen Premiere. Wegen Pfingsten wird in den meisten Zeitungen erst am Dienstag etwas stehen. Als ich ihr vor dem Abschied noch erzähle, ich hätte fünf Euro darauf gesetzt, dass sie die Goldene Palme gewinnt, sagt sie: »Die fünf Euro geb' ich dir dann nach dem Festival wieder.«

(to be continued)