69. Filmfestspiele Cannes 2016
Jenseits des Nervenzusammenbruchs |
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Einfach nur ein guter Film. Ein sehr guter: Maren Ades Toni Erdmann. Jetzt bloß nicht zu viel erwarten! | ||
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH) |
Freudige Überraschung: Während ich nach der überfrachteten, irgendwie nervtötenden russischen Theaterverfilmung The Student noch ziemlich verpeilt in der Schlange für den gleich wieder nächsten Film stehe, Maren Ades Toni Erdmann, spricht mich eine nett aussehende Frau an und sagt »Hallo«; sie nimmt dankenswerterweise noch ihre Sonnenbrille ab, dann erkenne ich: Es ist Laura Tonke. Sie ist seit langem auch mit Maren Ade befreundet und ist hierher mit zur Premiere gekommen.
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Was dann kam, war der Hammer! Mehrfacher lauter Szenenapplaus, und das über viele Sekunden. Mehrfaches schallendes Gelächter im Saal. Lange Standing Ovations. Diese drei Dinge erlebt man nicht oft in Cannes, und dass das alles zusammenkommt, das gab es nie in den letzten Jahren bei jenem unter den großen europäischen Festivals, das am meisten alteuropäischen Stil und Etikette hochhält. Die professionellen Zuschauer hier im Saal haben schon vieles, wenn nicht alles gesehen;
jedenfalls sind sie nicht leicht zu rühren und noch weniger zu bezaubern.
Man soll ja mit Superlativen vorsichtig sein, aber wenn es dann doch einmal geschieht, dass Szenenapplaus, fröhlich entspanntes Gelächter und stehende Ovationen sich verbinden, und dann ein Film noch in allen Kritiker- und Publikumsspiegeln in Führung liegt, dann ist diese Reaktion auf den deutschen Wettbewerbsbeitrag Toni Erdmann von der Berlinerin Maren Ade eine Sensation.
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Der Film selbst ist nicht sensationell, sondern einfach sehr gut. Kontrolliert, klug gedacht, aber immer wieder auch anarchistisch, nahezu perfekt in seiner Balance von Humor und Seriosität, Dada-Spaß und Ernst. Streng, aber ohne ästhetisches Korsett und Kunstkino-Verschwubeltheit, ist Toni Erdmann ein Vergnügen: Ein durch und durch seltsamer, unvergleichlicher Film, der manchmal rührt,
gelegentlich erschreckt, oft erstaunt, bewegt, fesselt, zu Widerspruch und Kommentar reizt und trotz knapp drei Stunden Laufzeit kurzweilig bleibt. Alles in allem ist der Film zwar eine absurde Komödie, aber eine, die Lichtjahre entfernt ist von allem was in den letzten 20 Jahren als »deutsche Komödie« firmierte und doch fast immer eine intellektuelle Beleidigung des Publikums war.
Ades leichthändiger Film lässt trotzdem manchmal durchscheinen, dass Komödien in der Kunst das
Schwerste sind, weil sie – wenn sie auch noch intelligent sein wollen – der Traurigkeit ganz nahe stehen.
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Ade erzählt eine Vater-Tochter-Geschichte: Vater Winfried (Peter Simonischek), der auch als Komiker auftritt, besucht seine Tochter Ines (Sandra Hüller), die – um die 40 – als Controllerin für eine deutsche Firma in Rumänien arbeitet. Der überfallartige, überraschende Besuch passt der gar nicht in den Kram, weil gerade ein wichtiges Projekt vor dem Abschluss steht. Sie bittet den Vater abzureisen, doch der quartiert sich im Hotel ein und taucht nun als »Toni Erdmann«, eine mysteriöse Figur zwischen Wirtschaftscoach, entlarvendem Dada-Komiker und Nervensäge ständig im Leben der Tochter auf. Die braucht eine Weile um sich an »Toni Erdmann« zu gewöhnen und dessen Präsenz zu akzeptieren.
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Der eine oder andere kennt vielleicht Andy Kaufman, oder er wird sich an Man on the Moon erinnern, den auch schon siebzehn Jahre zurückliegenden, vorletzten Film von Milos Forman, ein Biopic über Kaufman, das als Film recht durchwachsen war, aber auf diesen hochinteressanten, einmaligen Komiker aufmerksam machte. Kaufman ist, scheint mir, ein klares Model für diese Toni-Erdmann-Figur.
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Sehr schön und interessant ist des dadaistische und anarchistische Moment in dem Film. Aber noch interessanter ist die scharfe, bis in die Groteske schonungslose Analyse der realen Wirtschaftswelt und ihrer alltäglichen Absurditäten, ihrer Sprache, ihrer Verlogenheiten.
In diesem Manager-Sprech reden die Leute immer vom »Thema« – das hat inzwischen in die Behörden Einzug gehalten. Sie reden vom »Pilot-Asset«, vom »Business-Case«, sie sagen immer zuerst »I
totally agree with you« bevor sie widersprechen. Ihre Selbstkritik nach der Präsentation lautet: »Ich konnte mir den Raum gut nehmen. Die Körpersprache, die entgleitet mir manchmal.«
Hüllers Ines ist eine richtige Arschloch-Managerin. Sie verachtet Leute ohne Geld, behandelt Angestellte schlecht, praktiziert »nach unten treten, nach oben buckeln«. Ade hat hier das Psychogramm einer im Prinzip angsterfüllten Existenz geschaffen, die keinen Hauch von Freiheit und Selbstbewusstsein kennt, jene Souveränität, die diese Kreaturen so gern für sich in Anspruch nehmen.
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Deutsche mit Humor, und dann noch einem Witz zwischen Klugheit und Groteske – nichts hat das internationale und auch das deutsche (!) Publikum in Cannes mehr überrascht, als diese Verbindung. In einem ungewohnten, entspannten, von grundsätzlicher Beiläufigkeit geprägten Tonfall erzählt Ade vom modernen Leben: Von schnellen Geschäften und schlechtem Sex, dem Aufgehen des Privaten in der universalen Verwertungsmaschine des Marktes, und dem Ende der Intimität, das die westliche Welt gerade erlebt.
Possenreißen und der fiktive Zweitcharakter sind für den Vater eine ähnliche Abwehrstrategie wie das Effizienzgerede und Wirtschafts-Kauderwelsch für die Tochter – so wird Ades Film auch zum Kommentar auf Verhältnisse, in denen der Spaß universal wird, weil er das einzige ist, auf das die Gesellschaft sich noch einigen kann. Unterhaltung um jeden Preis macht die Menschen krank und ist nur die andere Seite der Durchrationalisierung aller Verhältnisse – das zeigt »Toni Erdmann«.
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Mit Toni Erdmann ist die 39-jährige Ade zu einer führenden Stimme einer neuen globalen Kino-Generation geworden, die sich weder an Hollywood, noch am hohem Ton des Autorenkinos fast doppelt so alter Regisseure orientiert, ein Kino, das nationaler und kulturkämpferischer Verengung, jenseits der plumpen Sozialkritik und Geschlechterkämpfe der Älteren, aber auch jenseits der Infantilisierung der Welt durch eine total gewordene Unterhaltung wieder die großen, ganz einfachen Fragen stellt: Nach Glück und dem Sinn des Lebens. »Das Problem ist«, so lautet fast der letzte Satz dieses Films, »dass es oft nur ums Abhaken geht. Da muss man dies machen, dann macht man das. Wie soll man den Augenblick festhalten?«
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Man hätte ja vorher gesagt, das geht nicht, so ein Film. Oder nicht? Toni Erdmann ist unglaublich mutig. Er wagt sich vor und macht einfach Dinge, die »nicht gehen«.
Die Überraschung heißt wie gesagt: Deutsche mit Humor. Aber man muss ehrlicherweise hinzufügen: Der eine Hauptdarsteller ist Österreicher und der Großteil des Films spielt in Rumänien. In denen Szenen, die dann wieder in
Deutschland spielen, gibt’s dann auch nicht mehr viel zu lachen.
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Kann man sich jetzt nicht einfach mal freuen? Muss man jetzt gleich fragen, ob es die Goldene Palme wird? So ungefähr fragt Maren Ade jetzt. Aber ich glaube, wie sie selber, dass es nunmal nicht so funktioniert. Wer einen Film im Wettbewerb zeigt, bei dem wird ein möglicher Sieg zumindest debattiert, wenn der Film so gut angekommen ist.
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Aber Vorsicht: Jetzt nicht gleich wieder die Dinge zu hoch hängen. Fast will man schon wieder warnen, auch nicht zu viel zu erwarten. Der Film hat auch ein paar kleine Schwächen, auch wenn wir darüber ein andermal reden. Toni Erdmann ist nicht die Antwort auf alle Fragen, das deutsche Kino betreffend. Dies ist keine Offenbarung, noch nicht einmal eine Sensation. Sondern einfach ein guter Film. Ein sehr guter.
(to be continued)