Cinema Moralia – Folge 128
Wollen wir Murnau verbrennen? |
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Doch wieder nur ein Zutatenfilm, allerdings mit einer großartigen Lea von Acken : Das Tagebuch der Anne Frank | ||
(Foto: Universal Pictures) |
»Wäre der deutsche Film ein renommierter Manufakturbetrieb für handgenähte Schuhe, würde man ihn dafür bewundern, wie sehr die Produkte, obgleich individuell gefertigt, einander gleichen. Wäre er eine politische Partei, könnte man sich beim Vorstand beschweren, warum so viele verschiedene Menschen immer nur dieselben Phrasen benutzen.
Der deutsche Film ist nun weder das eine noch das andere, er ist, was er ist, und genau das ist sein größtes Problem. Oft scheint es so, als gäbe es da eine Software, die sich verselbständigt hat, einen Algorithmus, der dafür sorgt, dass die Filme einander nicht nur dramaturgisch, sondern auch visuell so frappierend ähneln, dass die Musik so gleichförmig klingt und die deutsche Vergangenheit durch die immer gleichen Requisiten, Kostüme und Spielweisen zum trivialen Genrebildchen gerinnt. Da ist nun keine Verschwörung der Maschinen, da sind auch keine perfiden Drahtzieher zu erkennen, doch es ist eine offenbar von niemandem gewollte und von allen akzeptierte Matrix, nach welcher der deutsche Film funktioniert – was nicht heißt, dass sich nicht gelegentlich auch Filme finden, die lieber dem weißen Kaninchen folgen.
Es ist daher auch keine Überraschung, dass Hans Steinbichlers Film Das Tagebuch der Anne Frank genauso inszeniert ist und genauso aussieht, wie man sich das nicht erst nach dem Trailer vorstellen musste. Wenn man sich an den Streit um das Projekt erinnert, ist das sehr wenig; wenn man bedenkt, dass es der erste deutsche Kinofilm über Anne Frank ist, dann ist es erbärmlich.« – Peter Körte, FAS vom 28.2.16
Anne Frank war ein Flüchtling. Für jede Krokodilsträne, die wir alle in den nächsten Tagen bei Hans Steinbichlers tränsuseliger Filmversion des »Tagebuch der Anne Frank« verdrücken, sollten wir also auch ein paar Taler für eine Flüchtlingsinitiative herausrücken. Inschallah!
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Wie gut geht es dem deutschen Kino? Die Jubelmitteilungen der Filmförderanstalten überschlagen sich regelmäßig. Auch im Zusammenhang mit der Berlinale war zu lesen: Zuschauerzahlen, Marktanteile, Qualität – alles super!
Schaut man genauer hin, sieht es etwas anders aus: Es dominieren »Inhaltismus« und Thesenkino, also Werke, die einen »wichtigen« Inhalt meist bieder bebildern, politisch korrekt sind, und somit bestenfalls als Schülervorstellung taugen.
Nichts gegen Schülervorstellungen. In die fraglichen Filme gehen allerdings auch Schüler nur, wenn sie müssen.
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Ein krasses Beispiel für diese Tendenz: Gleich vier Filme – zweimal fürs Kino, zwei mal für Fernsehen – wurden in den letzten zwei Jahren allein zu Fritz Bauer gedreht. Natürlich verdient das Fritz Bauer: ein Nazijäger, eine wichtige Persönlichkeit, ein politisches Vorbild für Zivilcourage – alles richtig. Aber müssen es gleich vier Filme sein, die sich zudem alle ähneln in ihrem braven Stil, und die alle komplett mit Förder- und Fernsehsendergeld finanziert
sind?
Jahrzehntelang wurde Bauer totgeschwiegen, auch aus politischen Gründen, jetzt diese Film-Eruption, die nur ein anderes Extrem ist. Schade.
Und nehmen wir mal genauer die ARD-Verfilmung letzte Woche unter die Lupe. Ulrich Noethen mit meterdicker Maske, als wolle er Helge Schneiders »Führer« Konkurrenz machen. Ansonsten einerseits beflissen: Da ist man ganz genau, bei Adenauer, bei den Wagentypen, bei den nostalgieheischenden, für uns Heutige schon leicht skurril wirkenden Alltagsgerätschaften. Dann aber erfindet man plötzlich etwas dazu, weil Nazi-Jagd allein noch kein TV-Event macht, es braucht schon noch die Schlüsselloch-Perspektive.
Weitere Fragen: Warum wird alles auf die Eichmann-Jagd konzentriert? Wo doch der Auschwitz-Prozess für Bauers Biografie das eigentlich Entscheidende ist?
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Letzte Woche gab es einen Pressetermin: Besichtigung des im Beton-Barock wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses, einstweilen noch im Rohbau. Die ganze Straße Unter den Linden ist im Rohbau, und wenn man die am Bauzaun angepinnten Fotos des Nachkriegs-Trümmer-Berlin anguckt, fragt man sich, wie die das alles in paar Jahren eigentlich wieder aufgebaut haben, während wir heute selbst für den Neubau – denn das Stadtschloss ist keine Rekonstruktion! – schon 2010 bis 2018 brauchen? Nur daran, dass man es heute mit dem Brandschutz genauer nimmt, kann es ja auch nicht liegen, oder?
Weitere Gedanken dazu, während ich im Pulk von ca. 40 Kollegen den zwei Ministerinnen – Bauministerin und Kulturstaatsministerin und deren nassforschen Pressesprechern/Staatssekretären – in lustigen quietschgelben Gummistiefeln und mit dunkelblauem bauvorschriftsgemäßem Schutzhelm folge: Ein Schloss ist ein Bauwerk der Monarchie. Dass wir jetzt ein Schloss restaurieren, nicht etwas komplett Neues bauen, zeigt, was für einen Begriff ihrer selbst unsere
Demokratie hat: einen restaurativen.
Das Stadtschloss wird auch nicht weniger Schloss, weil wir es »Humboldt Forum« nennen, doch zeigt diese Benennung das schlechte Gewissen der Entscheider.
Was würden wohl die Humboldt-Brüder dazu sagen, wie ihr Name, der Name des Denkers weltbürgerlicher Kosmologie und der des Denkers humanistischer Universitas dazu missbraucht wird, für ein neopreußisches Protzprojekt das Feigenblatt abzugeben.
Außen falsche Ziegelmauern, im Innenhof von jener rationalistisch angehauchten Pastell-Unverbindlichkeit, steht das Stadtschloss dann aber nicht nur für postmoderne Fassadenarchitektur, sondern für den Historismus der
Berliner Republik insgesamt. Man sieht ihn auch in deren Filmen.
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Wo jetzt alle von Obergrenzen schwadronieren, fordern auch wir Obergrenzen! Wir fordern eine Obergrenze für Geschichtsschmonzetten: Man weiß vor lauter Historienschinken und »Gedächtnis« ja manchmal gar nicht, wo man kritisieren soll, es hat fraglos etwas Erschöpfendes, immer wieder das Gleiche über diese Filme hinzuschreiben. Aber diese bleiernen Vergangenheitsplatten haben ja auch etwas Erschöpfendes, sie drücken auf der Brust, bis man schier keinen Atem mehr bekommt.
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Wir fordern eine Obergrenze für…
etwa den »Zutatenfilmen«: Man nehme einen Star und noch einen, nehme einen hübschen Schauplatz, sonniges Kinolicht und am besten natürlich einen Bestseller und eine klare Zielgruppe, fertig ist der Kinoerfolgseintopf.
So kommt es dann zu Das Tagebuch der Anne Frank als Teenie-Coming-of-Age-Film – die Judenvernichtung als Kulisse für wohligen Kinoschocker. Auch »Das Tagebuch
der Anne Frank« ist ein Bestseller, das sollte man nicht vergessen.
Oder Colonia Dignidad mit Daniel Brühl und Emma Watson – ein Hauch von Harry Potter durchzieht auch dieses deutsche Spießernazi-Internat und Dschungelcamp im malerischen Chile. Lord Waldemore war doch auch irgendwie
Nazi, oder?
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Warum spielt Kino heute in den Debatten der Menschen keine Rolle mehr? Über welche deutschen Filme wird heute noch so geredet, wie vor 30, 40 Jahren? Diese Fragen beantworten sich in den genannten Filmen.
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Die Oscar-Verleihung war vergnüglicher als erwartet. Denn der ja grundsätzlich überschätzte The Revenant war dann plötzlich trotz ungemein vieler Nominierungen der große Verlierer des Abends, während Spotlight und Mad Max – Fury Road die überraschenden Gewinner waren. Diese plötzliche Liebe zu Mad Max ist nur verständlich als Sehnsucht nach einer Rückkehr der Energie, des Trash, als Sehnsucht nach was anderem. Irgendetwas.
Nun ist George Miller geadelt zum Autorenfilmer.
Chris Rock als Moderator war auch super mit seiner Mischung aus Humor
und Schärfe: »If they nominated hosts, I would not have this job.« Oder: »Wir hatten in den Sixties bessere Sachen gegen die wir protestieren konnten: Wenn die Oma am Lynchbaum baumelt, ist es schwer, sich um den animierten Kurzfilm zu kümmern.«
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Ein letztes ernstes Thema, auf das ich bald ausführlicher eingehen werde: Die idiotische – es gibt kein treffenderes Wort – Entscheidung des BKM, künftig die analoge Filmarchivierung aufzugeben.
Dazu Tabea Rößner, filmpolitische Sprecherin der GRÜNEN: »Die schlimmsten Befürchtungen werden nun bestätigt: Die Bundesregierung plant die Schließung der eigenen Kopierwerke für analogen Film und will künftig komplett auf die Archivierung auf analogem Film verzichten. Das ist erschreckend kurzsichtig, weil der sogenannte Rollfilm das bisher einzige Trägermaterial ist, dessen langfristige Aufbewahrung bereits erprobt ist und die rein digitale Sicherung mit unbekannten Risiken und hohen Kosten verbunden ist. Während die Vernichtung von Nitratfilmen sich aufgrund der Sprengstoffverordnung teilweise rechtfertigen lässt, ist die Bundesregierung in der Pflicht, eine angemessene und zukunftsfeste Sicherung des Filmerbes in der Breite und Vielfalt vorzunehmen. Tatsächlich findet aber das Gegenteil statt: Ohne öffentliche Diskussion und hinter verschlossenen Türen entscheidet das Bundesarchiv darüber, was ‚archivwürdig’ und ‚kultur- und filmhistorisch besonders bedeutsam’ ist. Nur bei diesen Filmen wird bislang auf eine Vernichtung verzichtet.«
Die Situation wird immer dramatischer, weil nach wie vor kein Konzept und keine Finanzierung für die umfassende Archivierung des Filmerbes und dessen Zugänglichmachung vorliegen. Einstweilen werden Fakten geschaffen. Es ist mehr als befremdlich, dass die Bundesregierung hier weder auf den Rat der ExpertInnen hört, noch sich an den dafür anfallenden Kosten anständig beteiligt. Filmbranche, ArchivarInnen und FilmhistorikerInnen warnen seit Jahren eindringlich davor, dass das Filmerbe so verloren geht. Die Bundesregierung nimmt es sehenden Auges in Kauf. Es ist richtig und wichtig, mehr Mittel in die kulturelle Filmförderung zu investieren, es ist aber absurd, darüber die Filmgeschichte zu vergessen. Der gesellschaftliche Austausch über das Filmerbe muss in den Mittelpunkt rücken. Vielfältige und auch widersprüchliche Perspektiven werden dringend bei der Archivierung benötigt, damit die konservative Kanonisierung ein Ende nimmt. Bis zum Abschluss dieses Prozesses muss die Filmvernichtung umgehend gestoppt werden.
Diese Entscheidung, sollte das so stimmen, wirkt, als wüsste Kulturstaatsministerin Grütters gar nicht, was sie tut: Würde sie das alte Stadtschloss, stünde es noch, auch abreißen lassen, weil es keine Steckdosen hat, und lieber ein neues bauen? Oder die »Mona Lisa« verbrennen, weil es ja einen guten Kunstdruck gibt? Wohl kaum.
Also: Was ist denn los in dem Laden? Muss Mutti Merkel da mal wieder eine SMS schreiben?
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Letzte Woche hatten wir Monika Grütters noch aus voller Überzeugung gelobt. Müssen wir das zurücknehmen?
(to be continued)