Cinema Moralia – Folge 129
Blau ist die kälteste Farbe... |
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Bücher als Bedrohung einer Ideologie in Fahrenheit 451 | ||
(Foto: HBO Home Video) |
»Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir?«
aus Nacht und Nebel von Alain Resnais
Es ist zwar ein kaltes, helles, unfeines Blau, kein warmes, aber eben ein Blau, nicht Braun oder zumindest Grau, wie einst bei Franz Schönhubers REPs, mit dem dem bei den Wahlsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender die Zahlen der rechtsextremen AfD markiert werden. Warum eigentlich? Warum nicht Braun oder Grau? Das Argument, die Partei hätte diese Farbe auf ihren Plakaten, zählt nicht, denn die CDU wird schließlich auch mit Schwarz markiert, obwohl ihre Plakat-Farbe Orange ist.
Man sollte solche Symbole nicht unterschätzen, es zwar nur kleine Gesten, aber markante. Und es sind die vielen kleinen Gesten, mit denen man den Wolf im Schafspelz oder Bürgerpelz sichtbar macht. Oder eben nicht. Es ist auch bemerkenswert. wie oft die Berichterstatter von »Rechtspopulisten« reden, nicht von »Rechtsradikalen«, »Rechtsextremisten« oder gar »postfaschistisch«. Wenn es dagegen um die LINKE geht, habe ich von den gleichen Leuten noch nie das Wort »Linkspopulisten« gehört. Die sind natürlich »am linken Rand«, oder »linksradikal« oder »postkommunistisch.«
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Die Frage wäre auch einmal zu stellen, ob Unabhängigkeit der Medien überhaupt möglich ist. Man könnte argumentieren, dass zumindest der öffentlich-rechtliche Rundfunk (die privaten Printmedien vielleicht nicht) eine Pflicht zur Parteinahme pro Demokratie habe. Dass er die sehr wohl in Anspruch nimmt, wenn es um die NPD geht, oder um Putin oder Assad oder andere.
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Diese Thematisierung der AfD hat durchaus auch im engeren Sinn etwas mit Kino zu tun, denn die AfD, das sind auch die Kinozuschauer. Für die werden Filme gemacht, schon bisher. Vielleicht sollte man endlich auch wieder Filme machen, um die Zuschauer zu erziehen und umzuerziehen. Umerziehung heißt auf Englisch Reeducation, das war mal eine gute Sache. Und Politik lässt sich von Ästhetik sowieso nicht trennen.
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Bei einer Filmsichtung habe ich einen Haufen Fernsehfilme vor mir. Von ZDF und DEGETO so schlecht wie lange nicht. Das Resümee nach den ersten zwei Tagen: Felicitas Woll und Rosalie Thomas kämpfen gerade um die Nachfolge von Veronika Ferres als »starke Frau« des deutschen Fernsehens.
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Ein anderes Medienthema, ebenfalls schon erstaunlich: Nicht Filmkritiker, sondern Kunstkritiker oder Kunstprofessoren besprachen vergangene Woche zum Filmstart in vielen Zeitungen Alexander Sokurows Francofonia. Erstmal ist dagegen nichts zu sagen: Interdisziplinarität ist etwas Tolles. Man muss sich das allerdings einmal umgekehrt vorstellen: Da malt ein Maler einen
Filmset, oder ein Kinoregisseur oder Thomas Struth photographiert das Gebäude eines Hollywoodstudios, und dann wird das ganze nicht mehr als bildende Kunst beurteilt, sondern von einem Filmkritiker auf seinen Realismusgehalt als Filmreportage abgeklopft.
So erlebt man einen Aufmarsch der Kunsthistoriker, die sich als Museumswächter gerieren. Was Swantje Karich und Walter Grasskamp dabei verbindet, ist, dass sie von Kino offenbar wenig verstehen. Sie möchte einen braven
Dokumentarfilm sehen, und den will ihnen Sokurow nicht servieren.
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»To learn how to find, one must first learn how to hide.«
Guy Montag (Oskar Werner) in Fahrenheit 451
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Über den Zusammenhang von Politik und Kino, genauer dem Kinostarbetrieb hat auch meine Freundin Heike-Melba Fendel geschrieben, in ihrer Kolumne im »Frauen-Blog«, der mal bei der FAZ war und derzeit von der Zeit gehostet wird.
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Fahrenheit 451 erzählt von den bildungsfeindlichen Feuern einer dystopischen Diktatur, die die Bücher als Bedrohung der eigenen Ideologie ansieht: Dieses Szenario, das an die Bücherverbrennungen der Nazis erinnert, entfaltet Ray Bradbury in seinem großen Science-Fiction-Roman »Fahrenheit 451«. 1966 hat ihn Francois Truffaut verfilmt. Dem Schreckensszenario der Auslöschung der Kultur stellt die Story die »Büchermenschen« entgegen: Sie retten die Texte, indem sie komplette Werke memorieren und sozusagen in ihrem Kopf in die Zukunft tragen. Mit dieser idealistischen Idee, dass Menschen selbst zum Medium der Bewahrung und Vermittlung von Kunst werden, arbeitet nun ein ambitioniertes Ausstellungsprojekt, das das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt veranstaltet. Zusammen mit dem Centre Pompidou und der Tate London zeigt man vom 24. März bis 4. September 2016 eine Auswahl von Hauptwerken der drei Museen, die Kunst von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart umfasst, und lädt die Besucher dazu ein, die ausgestellten Werke nach dem Vorbild der »Büchermenschen« zu memorieren. Nach Ende der Laufzeit wird die Ausstellung noch einmal für ein Wochenende (10./11.9) in leeren Räumen eröffnen; und die Besucher, die die verschwundenen Werke »auswendig gelernt« haben, sollen als lebendige Stellvertreter an diese erinnern.
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Der Kampf ums Filmerbe geht weiter. Die großartige Initiative »Filmerbe in Gefahr« meldet sich zu Wort. In einer lesenswerten Analyse zur Entwicklung in der Frage der Digitalisierung nimmt die Initiative Stellung zum PwC-Gutachten zur Ermittlung des Finanzbedarfs, einem Positionspapier des Kinematheksverbundes und der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen. Es besteht Diskussionsbedarf, und wir werden an diese Stelle bald mitdiskutieren.
(To be continued)