Cinema Moralia – Folge 132
Präzisionen, und Unpräzises |
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Auch »Artechock« ist eine Briefkasten-Firma. Aber darüber breiten wir lieber ein Mäntelchen des Schweigens |
»Die Kunst ist die Schwester der Freiheit.«
Friedrich Schiller
Der Bruder der Unfreiheit ist also die Anti-Kunst. Das deutsche Fernsehen.
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Neulich im Kino: Eine großartige Zusammenstellung von zehn Kurzfilmen von Michael Klier, die es bei 451 auch auf DVD gibt. Schöner war es allerdings, sie auf der Leinwand zu sehen. Eine seltene Verbindung aus Unschuld und Ernst, dabei durchaus verspielt. Der Flair einer verlorenen Zeit, und die Erinnerung an eine deutsche Nouvelle Vague, die es nie gab, bei den Oberhausenern schon gar nicht mit ihrem ganz anderen Ernst, einem humorlosen. Kliers Filme haben eine ruhigere ausführliche Betrachtung verdient, auf die Schnelle kann man aber sagen, dass man sich mehr solche Filme wünscht in ihrer ganzen grandiosen präzisen Beiläufigkeit.
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Man müsste eine Rubrik gründen, die »Sau der Woche« heißt, und das jeweilige Thema benennt, das die Republik gerade durch ihr Mediendorf treibt.
Unsäglich jetzt wieder diese Aufregung um die »Panama Papers«. In heiligem Tonfall kündigen die Tagesthemen da am Wochenende die Ergebnisse des »Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung« an, als handle es sich um Wikileaks. Das Interessante: Die Rechercheure wussten alles schon seit Monaten, hielten mit den Ergebnissen
aber hinterm Berg, nicht etwa um sauber zu Ende zu recherchieren, sondern um diese Ergebnisse zu verkaufen. Und um erstmal eine ARD-Doku dazu zu produzieren, in der dann sehr medienwirksam Politiker zu sehen sind, die ein Interview abbrechen.
Die Nachricht in der Nachrichtensendung ist erst in zweiter Linie eine; vor allem funktioniert sie als Trailer, um eine Woche lang Programm zu featuren, Quote zu machen, und natürlich auch, um eine süddeutsche Tageszeitung zu
verkaufen.
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Es geht um den Scoop, nicht um Wahrheit, Sachlichkeit, Aufklärung.
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Im Grunde ist das Ganze inhaltlich eine ziemliche Luftnummer. Denn ganz ehrlich: Ist irgendwer überrascht, dass manche Mächtigen und Reichen versuchen, ihr Vermögen zur Seite zu bringen? Warum diese ganze raunende pseudoinvestigative Chose um »Putins Schwiegersohn«!!!! Mein Gott, was habt ihr denn erwartet? Oder geht es nur darum, jede Woche einen neuen Grund zu finden um den Putin an die Wand zu malen? Bei dem jetzt auch plötzlich »Präsidenten der Ukraine« könnte man dann dazu
erwähnen, dass er ein Hätschelkind des Westens ist,
Aber stattdessen hat die Stunde der Hypo-Kriten, Biedermänner und Moralisierer geschlagen. Für sie ist das jetzt wieder ein neuer toller Anlass für die üblichen Verdächtigen, nicht zuletzt unter den Journalisten und Berichterstatterkollegen, sich eine Woche lang durch die Programme zu heucheln, um in Talkshows nach Luft zu schnappen vor lauter Empörung, um Krokodilstränen zu weinen. Dieses ganze »die da oben, die Pösen, Pösen,
Pösen« bedient am Ende nur die Rechtsextremisten von der AfD.
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Etwas Präzision bitte. Dazu gehörte dann auch die Ehrlichkeit, dass Briefkastenfirmen halt erstmal erlaubt sind, zweitens gängige Praxis. Auch in der Filmbranche. Man hat einen Briefkasten in irgendeiner Förderregion, um dort förderberechtigt zu sein, zum Beispiel. Ich kenne berühmte Regisseure, die sind aus dem Grund noch bei ihrer Mutter gemeldet.
Ich kann daran nichts Schlimmes finden.
Weder Briefkastenfirmen sind das Problem, noch das arme Land Panama, das jetzt zum
stehenden Begriff geworden, nur gängige Vorurteile über Bananenrepubliken und schmierige Latinos bedient. Von Leuten, die nicht selten zumindest Verwandte mit irgendwelchen früheren Luxemburger oder Schweizer Konten haben. Und jetzt halt anderswo.
Die Gefahr ist die, dass dem Steuer- und Reichen-Feldzug am Ende die Freiheit zum Opfer fällt. Das Problem ist die fehlende Transparenz – einerseits, aber dann auch wieder der Moraleifer und Reinheitsfuror, mit der eine
universale Transparenz gefordert und verbreitet wird, jedes noch so kleine Eckchen ausgeleuchtet und noch das letzte Geheimnis zerstört wird.
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Aber erst aus dem Geheimnis kommt die Kunst.
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Mit der Transparenz aber kommt der Leviathan, die Macht eines staatlichen Überwachungsapparats, der »vom Volk« und seiner Wut sogar »demokratisch« legitimiert, am Ende repressiv auch gegen seine Legitimatoren wirken wird. Zum Büttel dieses Apparats machen sich die smarten Jungs vom Rechercheverbund mit ihren weißen Hemden und dem guten Gewissen. Gegen weiße Hemden ist ja nun auch wirklich nichts zu sagen.
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Was ist Propaganda? werde ich gefragt. Spontan fallen mir die Syrien-Photographien ein, die Folteropfer des Assad-Regimes zeigen. Sie sind grauenhaft, fürchterlich, auch wenn hier nicht reflektiert wird, wie Tote auf Phots eben wirken. Die Propaganda daran ist das Verhältnis zwischen der Breite, mit der diese Bilder gewürdigt werden und dem Schweigen über die Opfer der anderen Seite, die nicht weniger brutal gefoltert werden. Und erst recht über die Freunde des Westens, über Saudi-Arabien und die Türkei. Aber mit denen will man ja Handel treiben, nicht sie besiegen.
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Über die Toten nichts Böses, in Ordnung. Aber muss Guido Westerwelle gerade so öffentlich in Nachrichten und Kommentaren zu Grabe getragen werden, so wahnsinnig sentimental, und in jedem Satz seine Sensibilität betonend – als sei er plötzlich in seinem öffentlichen Bild kein schriller Krakeeler, sondern der Lieblingsschwiegersohn der Repubik gewesen.
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Zum FFG, dem Filmfördergesetz, erreicht uns nach der Stellungnahme der Grünen jetzt auch eine Stellungnahme der Linken. Die anderen Parteien in- und außerhalb des Bundestags haben dazu offenbar keine Meinung, sonst würden sie uns die bestimmt auch schicken. Hey, CSU! Ausnahmsweise kein bayerischer Sonderweg?
Der bei der Linken für Film zuständige MdB Harald Petzold (ist ja schon mal ein guter Name für einen Filmmann) kümmert sich in erster Linie nicht um Fragen der Kunst und
der Qualität der entstehenden und entstandenen Kinofilme, sondern um Produktions- und Arbeitsverhältnisse und erst in zweiter Linie um »kulturelle/künstlerische Kriterien für Kino- und Festivalfilme«, die übrigens nicht nur das Publikum betreffen, sondern die Filmschaffenden selbst. Auch eine interessante Differenzierung zwischen Kino- und Festivalfilmen. Aber wir wollen nicht zu pingelig sein.
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Die Linken fordern: »Erweiterung der Gendergerechtigkeit: nicht nur in Gremien, auch v.a. in Bezug auf Förderung«. Da wüssten wir gern mehr. Wie soll das denn gehen, bitte? Dann weiter ungekürzt:
-Regularien zu Beschäftigungsverhältnissen: Kontrolle von Tarif/Mindestlöhnen
-Novelle als Auftakt, Forderung nach umfassender Evaluation des Gesamt- Förderungssystems, um dann die darauffolgende Novelle zielorientiert zu gestalten
- Produzent_innen und Urheber_innen
stärken, große Vielfalt, statt wenige Große
- Genrevielfalt stärken: Dokumentarfilme, Kinder/Jugend/Animation
- inhaltliche Diversität fördern
- Erhaltung Filmerbe
Nette Aufzählung, ziemlich viel, ziemlich unpräzise. Da wird Frau Grütters gut schlafen können.
(to be continued)