70. Filmfestspiele Cannes 2017
Die Illusion der Annäherung |
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Triumphales Comeback nach elf Jahren: Valeska Grisebachs Western | ||
(Foto: Piffl Medien GmbH) |
»Shouldn’t we call backup?« – »This isn’t the land of backup, this is the land of your own.«
Aus: »Wind River«
Eine Männerwelt: Harte Jungs, eine Handvoll deutscher Arbeiter in Bulgarien auf Montage. Muskelpakete, tätowiert und verschwitzt.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ein Film mit solchen Hauptfiguren, gespielt von Laien, sich als der überraschendste und auch nach einer knappen Woche Festival, in vieler Hinsicht beste Film beim Festival von Cannes entpuppt. Er stammt von der Berlinerin Valeska Grisebach, die vor elf Jahren mit Sehnsucht bei der Berlinale einen Preis gewann – seitdem hatte man nichts von ihr gehört. Mit ihrem zweiten Langfilm, der in der Nebenreihe »Un Certain Regard« läuft, feiert sie nun ein triumphales Comeback.
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Der Film heißt Western und eröffnet schon durch diesen Titel einen ganzen Assoziationsraum aus Mythen und Genre-Stereotypen, den die Regisseurin souverän bespielt: Natürlich kommen Pferde vor, Waffen, Pokerspiel und Saufen im Saloon, und Eingeborene, allerdings keine Apachen, sondern natürlich Bulgaren die die Fremden allerdings ähnlich misstrauisch beäugen, als handle es sich um eine Kavallerieeinheit des General Custer.
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Man kennt die ganzen Western-Mythen, die Grisebach anzitiert, das macht aber nichts. Sie dekonstruiert sie sogleich. Faszinierter gibt sie sich den modernen Männerwelten hin, den Muskeln und Sprüchen, dem Weichen und Harten. Auch das macht nichts, ist aber auch nicht weniger private Obsession als wenn man sich für Schlammcatchen begeistert.
Weitaus interessanter ist, was sie filmisch tut: Selten habe ich einen Film gesehen, der mit Laien gedreht ist, und zugleich so stark und so
dicht ist.
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Es gibt nicht eine rundum positive Figur. Die Hauptfigur heißt Meinhard – was für ein komischer, altmodischer aus der Zeit gefallener Name! Ein zweiter, besonders interessanter Charakter ist Vincent – sein Chef und Antipode.
Meinhard ist ein Lächler. Er steht oft an der Seite, guckt zu. Das drückt Distanz zu den Dingen aus, und weil er dabei aus seinem Schnurrbart heraus immer so freundlich geheimnisvoll lächelt, provoziert das die anderen. Glaubt e, er sei was
Besseres? Dabei ist Meinhard vielleicht nur schüchtern. Aber er scheint von großer Konsequenz zu sein, und hat hinter der sanften Oberfläche auch eine innere Härte. Er widersprivcht auch nicht, als manche glauben, er sei in der Fremdenlegion gewesen, ihm andichten, er habe in Afghanistan und im Irak gekämpft, davon ausgehen, er wisse, wie es ist jemanden zu töten. Vielleicht stimmt das ja auch alles.
Aber Meinhard verhält sich letztendlich auch ambivalent. Er ist von der neuen
Welt in Bulgarien fasziniert, aber er kann hier nie wirklich ankommen. »Why are you in Bulgaria anyway?«, wird er am Schluss gefragt.
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Western handelt von den Illusion des Zusammenkommens. Man kann weggehen von zuhause, aber nie wirklich verschmelzen mit dem Neuen, das scheint Grisebach zu erzählen. Er handelt von denen, die die Macht in der Welt haben. Den Deutschen, den Engländern, den Amerikanern. Von der Freiheit und vom Darwinismus, dem Recht des Stärkeren.
Gewalt spielt eine große Rolle. Als Gerücht,
Meinhard sei Legionär gewesen, und habe getötet. Als Gewalt der Ökonomie, die man den Deutschen immer unterstellt. Und als Gewalt der Waffen.
Der ehemalige Ostblock ist schon lange das, was Mexiko für die USA ist – eine bundesdeutsche Frontier, und so handelt Western nicht nur von Männerritualen und von Deutschen ohne Heimweh, sondern auch von einer deutschen Landnahme. Und von
der Illusion der Annäherung. Sie wollen, aber sie können nicht zusammen kommen, diese Deutschen und Bulgaren.
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Meine persönliche Seherfahrung war folgende: Ich habe, jetzt darf ich es ja sagen, ein bisschen Angst gehabt vor diesem Film. Valeska Grisebach hat seit Sehnsucht im Jahr 2006 keinen Film gedreht, und sie hat bei diesem auch ganz schön lang herumgemacht. Gerüchten zufolge musste sie auch nach zweieinhalb Jahren im Schnitt geradezu gezwungen werden, den Film endlich für Cannes fertig zu
machen. Deshalb und weil mir Sehnsucht zwar gefiel, aber nicht vorbehaltlos, sondern nur innerhalb gewisser Grenzen, habe ich gedacht, das könnte jetzt auch eine Enttäuschung werden, oder einfach sehr zäh und langweilig.
Am Ende war es gut, nicht zu viel zu erwarten. Denn so wurde alles eine überaus angenehme Überraschung: Obwohl ich den Film als letzten, fünften des Tages, erst um 22.30 sah
und schon relativ müde war, und obwohl ich in den ersten Minuten dachte: »Oh weh, jetzt muss ich diesen Typen und ihrem Gelaber zwei Stunden zuhören«, wurde es nie langweilig. Im Gegenteil. Der Film ist statisch, streng, aber auch keineswegs »no nonsense«, wie erwartet. Die Langsamkeit ist immer eine produktive, und insgesamt gefällt mir Western viel besser, als Sehnsucht.
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Ein schönes Abendessen mit Hans aus Wien. Im »Crillon«, obwohl ich mir auch hätte einmal was anderes vorstellen können. Aber er hat meinen Lieblingsaufenthaltsort beim Festival jenseits des Kinos vorgeschlagen, mit der unschlagbaren Begründung, »die im Le Crillon sind halt noch irgendwie normal geblieben und wissen, dass es ein Leben jenseits der Festivals gibt«.
Zuerst reden wir über Dinge, die wir beide lieben, also über Fußball, wie sich das gehört. In der Bundesliga ist Hans
wie ich BVB-Anhänger. Diesmal bleibt er im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit nicht bis zum Dienstag in Cannes, sondern fliegt schon am Samstag, weil er auf eine Hochzeit in Neapel eingeladen ist. Jetzt überlegt er, wie er es schafft, trotzdem das Pokalfinale zu sehen. »Ich muss halt schon vorher irgendeine Kneipe finden, die das zeigt. Die Italiener ham ja für sowas Verständnis.«
Er erzählt auch von Buenos Aires und dem BAFICI, das wir beide für eines der besten der Welt halten
und lieben, nicht nur weil da viele Freunde arbeiten. Wir erzählen uns auch von Filmen, die wir hier gesehen haben, reden wir über die Auswahlpolitik des Festivals, streiten über Haneke, den er ganz schwach und unfertig findet, »desinteressiert an sich selbst«. »Aber ich würde den natürlich auch einladen.« Wir gehören beide zu den Aficionados von Bertrand Bonellos Nocturama (der gerade im
deutschen Kino gestartet ist), den Cannes im letzten Jahr abgelehnt hat, mit der ziemlich idiotischen Begründung des »modernen Dschihadismus«. »Das war natürlich ein schwerer Fehler – gerade solche Filme muss ein Festival wie Cannes zeigen. Das würde auch diesen ganzen mediokren Kram im Wettbewerb erträglicher machen.«
Das fällt auf die zurück, die das sagen, genauso wie der Vorwurf des Zynismus gegen diesen Film eigentlich nur selber zynisch ist. Die sind in Cannes einfach
feige geworden, und auch viel zu nahe an der Pariser Regierung.
Dafür dass er am Wettbewerb sonst kaum ein gutes Haar lässt, bin ich dann überrascht, dass Hans den Zwaginztsev gut findet, vor allem jene zweite Hälfte, in der ich dann endgültig ausgestiegen bin.
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Dass Cannes immer Weltpremieren verlangen würde, ist eine fromme Lüge. Offenbar kann sich das Festival diese Forderung nicht mehr leisten, denn sogar in »Un Certain Regard« laufen inzwischen Filme, die bereits vorher in ihrem Heimatland gezeugt wurden. Zum Beispiel Wind River von Taylor Sheridan.
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Sheridan, bekannt als Schauspieler ist zuletzt auch ein gefeierter Drehbuchautor, seit er die Scripts für Denis Villeneuves Sicario und Hell or High Water von David Mackenzie schrieb. Auch zu Wind
River schrieb er das Drehbuch und dieses Regiedebüt ist ein guter Beleg dafür, dass die wichtigste Person beim Filmemachen eben immer noch der Regisseur ist. Denn Wind River ist interessant, aber leider doch mehr als eine Klasse schlechter, als die beiden von erfahreneren Regisseuren inszenierten Filme.
Der Film beginnt mit einer nächtlichen Schneelandschaft. Eine Frau
rennt durch den Schnee, wir sehen, dass sie barfuß ist. Sie fällt auf den Boden, wir hören ihren (?) inneren Monolog. Dann ein Schnitt, eine Schneelandschaft bei Tag: Wald, malerische Berge, Vieh, ein Wolf. Er wird geschossen, und der Jäger zieht das tote Tier eine lange Blutspur hinterlassend, durch den Schnee.
Der Schauplatz ist originell und spannend: Ein Indianereservat in Wyoming, die Menschen bewegen sich oft mit schnellen Motorschlitten durch den Tiefschnee, düsen
bewaldete Berge hinauf wie zuletzt Willy Bogner in Der Spion, der mich liebte. Die Hauptfigur ist ein Jäger. Er lebt getrennt, mit seinem Sohn, einem Halbblut, fährt er übers Wochenende zu den indianischen Großeltern, nicht ohne zu kitschiger Musik ein paar Lebensweisheiten aus alten Zeiten zu verbreiten. Er selbst hat vor Ort zu tun, soll einen Puma schießen. Bald aber wird er anderes jagen,
denn auf der Suche findet er eine Frauen-Leiche, offenbar wurde sie zuvor mehrfach vergewaltigt.
Das FBI kann nur eine einzige Agentin schicken, Jane Banner (Elisabeth Olsen) die mit Terrain und den Eigenheiten des Reservats nicht vertraut ist. Sie engagiert Cory (Jeremy Renner) den Jäger, weil der sich als excellenter Spurenleser entpuppt.
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Das Interessante an Wind River ist vor allem die spezielle Rechtslage im Reservat, die Spannungen zwischen der Jurisdiktion des Reservat mit ihrer eigenen Indianerpolizei und der bundesstaatlichen Gewalt des FBI. Sie hinterlassen Leerstellen, in die dann private Sicherheitstrupps treten, deren Wirken von dem der Kriminellen oft kaum zu unterscheiden ist. Die Tatsache, dass es im Nordwesten der USA und in Kanada zu Mord-Serien an jungen Indianerinnen gekommen ist, die nicht nur sexuelle, sondern auch rituelle archaische Hintergründe haben, bildet den bösen Hintergrund des Films.
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All dies gesagt, funktioniert er trotzdem nur mit Ach und Krach. Immer wieder in einzelnen Szenen straight und fest inszeniert verheddert sich die Regie doch auffallend oft in den Einzelheiten der Story und wird immer wieder inkonsequent. Es gibt erzählerische Lücken, die sich im Schnitt nicht korrigieren ließen, manche Storyfäden gehen spurlos verloren, andere wirkt wie ein Alibi, und aus vielem hätte Sheridan mehr machen können, nein müssen. In jeder Szene sieht man dem Film auch das vermutliche viel zu wenige Geld an, das zur Verfügung stand. Irgendwie ist Wind River ein gewöhnlicher Genrefilm: Er hat harte, eisige Schießereien, ein paar Jagdmomente, Suspense und eine ziemlichen hässlichen, unnötig expliziten Rückblick auf den Gangrape, der dem Tod des Mädchen vorausging, doch gerade die Schußwechsel sind mehr getrickst, als inszeniert. Irgendwie will Sheridan ernsthaft von seiner ungewöhnlichen Welt erzählen – doch er verliert sich ein ums andere Mal, und bekommt gegen Ende auch eine unnötig sadistische Volte.
(to be continued)