Kinos in München – Neues Rex
Das ganz Neue Rex |
||
Seit über 60 Jahren Stadtteilkino: das Neue Rex |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Natascha Gerold
Ein neues Kino kommt also nach Laim. Zur Eröffnung zeigt es den ersten Garutso-Plastorama-Farbfilm der Welt: Schloss Hubertus von Helmut Weiss mit Marianne Koch, Friedrich Domin und Michael Heltau.
Was so ein Umbau alles an Schätzen zutage fördern kann … Jene Ankündigung stammt aus einer Seite der Süddeutschen Zeitung vom 16./17. Oktober 1954 und gehört zu den Fundstücken, die Thomas Wilhelm, Betreiber des NEUEN REX in Laim im Rahmen des Umbaus im
vergangen Jahr zusammengetragen hat. Mit diesem so entstandenen Mini-Museum hinter der alten Kinokasse kann man sich wunderbar die Zeit vor Filmbeginn vertreiben. Wo einst die gestrengen Augen von Frau Koller, der rechten Hand des einstigen Kinobetreibers und Wilhelm-Vorgängers François Duplat, genau darauf achteten, wer im Kino aus- und einging, wer sich manierlich benahm und wer nicht, begrüßen heute den Besucher im NEUEN REX historisch-nostalgische Objekte wie ein alter
Sitzplan, eine Original-Eintrittskarte aus dem Jahr 1957, eine alte Langnese-Schachtel (leer), Familienfotos der Kinofamilie Wilhelm sowie diverse Urkunden und Auszeichnungen.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Wie nie zuvor laufen seit den umfassenden Umbau- und Renovierungsmaßnahmen, bei denen vor allem aus dem großen Saal mit 167 Plätzen zwei Vorführräume entstanden, die Zeitstränge in den Räumlichkeiten am Laimer Agricolaplatz zusammen.
Vier Monate und eine Woche, von Anfang April bis Mitte August vergangenen Jahres, dauerte es, bis das NEUE REX seinen Betrieb wieder aufnahm. Großen Bohei um die Wiedereröffnung gab es seinerzeit keine, viel wichtiger war es Wilhelm, sein Versprechen einzuhalten, am 11. August die Krimikomödie Schweinskopf al dente im umgebauten Kino zeigen zu können. Er konnte. So boten sich kürzlich die Münchner Filmkunstwochen, bei denen das Laimer Traditionskino zusammen mit dem Kino Solln von Anfang an dabei war, als Aufhänger an, nach fast einem Jahr Fertigstellung noch einmal publikumswirksam auf das umgebaute Traditionskino hinzuweisen: Die 65. Jubiläums-Filmkunstreihe wurde in beiden Sälen mit dem Spielfilm Der Wein und der Wind von Cédric Klapisch eröffnet.
»Neuzeitverhältnisse schaffen, dabei aber den Kinolook noch erhalten«, war das erklärte Ziel Wilhelms, der, wie viele seiner örtlichen Kollegen, aus einer angestammten Kinobetreiberfamilie kommt: Die Eltern, Thomas und Lieselotte Wilhelm lenkten ab 1964 bis zum Abriss 1991 die Geschicke des renommierten und vielfach ausgezeichneten „Studio Solln“. So hat er aus dieser elterlichen Wirkungsstätte die Lampen, die teilweise noch aus dem Jahr 1949 stammen, in beiden Kinosälen installiert. Die alten Kerzenleuchter mit zeitgemäßer LED-Technik erleuchten prachtvoll das neue elegant-dunkelblaue Kino 2 mit farblich abgestimmten Sesseln, während im Kino 1 – dem verkleinerten ehemaligen großen Saal – die anderen, großen Messingleuchten in Kombination mit samtigem Rot eine unaufdringlich-nostalgische Lichtspiel-Atmosphäre erzeugen, wie man sie in großen Multiplex-Abspielorten wohl kaum findet.
Will man in die Welt des Kinos eintauchen, möchte man nicht hineinspringen, sondern gekonnt in sie hineingeführt werden – und vice versa. Wer lässt sich schon gerne nach dem Ende eines Films zurückwerfen in eine grelle, laute, so genannte Realität? Deshalb sollte die Bedeutung eines Kino-Flurs nicht unterschätzt werden. Der neue Gang, der laut Wilhelm mit 45.000 Euro zu Buche schlug, erfüllt diese Zwecke in dezenten Gold- und Brauntönen sowie edler Lichtgestaltung und verbindet die beiden Kinosäle gekonnt miteinander.
Mit der Umbau-Idee ging Wilhelm, der seit 1998 auch das CINCINNATI in Giesing und seit 2001 das NEUE ROTTMANN in der Maxvorstadt betreibt, schon über viele Jahre schwanger, einige Vorstellungen musste er im Laufe der Zeit indes aufgeben: So war bald klar, dass ein von ihm ersehnter dritter Kinosaal im Laimer Altbau nicht entstehen könne, denn »Platz dafür wäre nur im Foyer gewesen«. Der dort geltende Bestandsschutz hätte für Wilhelm aber weitere, nahezu unerfüllbare Auflagen – Stichwort Brandschutz, Fluchtwege – bedeutet. Bei der Umwandlung des großen Raums in zwei kleinere schwebte ihm zunächst eine Gegenprojektion im neuen Saal vor, doch auf Anraten von Architektin und Designerin Anne Batisweiler wurde dieser dann doch im rechten Winkel zum größeren gedreht, ohne massive Eingriffe in die alte Bausubstanz. Da vom Lagerraum noch etwas Platz genommen wurde und sich der Projektor Platz sparend im Flur befindet, können es sich die Besucher des neuen Kino 2 auf 69 teils neuen, teils renovierten Stühlen bequem machen – dort, wo sich in der Vor-Vergangenheit des Kinos einmal der Bühnensaal des unten ansässigen Wirtshauses „Bürgerbräu“ befand.
Mit den 100, ebenfalls neuen und renovierten Sitzgelegenheiten des roten Kino 1 hat Wilhelm insgesamt gegenüber den einstigen 167 Sitzen sogar zwei Plätze dazugewonnen, für gute Sicht auf die Leinwände sorgen, jeweils in beiden Spielstätten, installierte Podeste. Da der Weg vom Projektor zur Leinwand jetzt kürzer sei, gebe es laut Wilhelm im ursprünglichen Saal jetzt auch ein besseres Bild.
Eine halbe Million haben die Maßnahmen alles in allem gekostet, so der Bauherr. Der aus
dem Umbau resultierende Vorteil, doppelt so viele Filme nicht nur früher, sondern auch länger als zuvor zeigen zu können, schlage sich auch im gewünschten Effekt gestiegener Zahlen nieder: »Im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir 50 Prozent mehr Besucher.«
Wie im ersten Teil des Artechock-Kinoporträts über das NEUE REX berichtet, hat auch dieses Münchner Traditionskino seine ganz eigene Geschichte – Von einst sieben Kinos ist das NEUE REX seit 1974 das einzige, noch bestehende in Laim. Es war sogar mal Schauplatz in einem Film, wie Siggi-Götz-Entertainment-Herausgeber Ulrich Mannes kürzlich in einer seiner „Late-Film-Lectures“ im Werkstattkino erläuterte: 1983, als man von „Mockumentary“ noch nichts wusste, drehte Filmemacher Peter Gehrig mit Der Platzanweiser das gewitzte Fake-Porträt über einen gewissen Werner Loth, einer der „letzten Vertreter des Neuen Deutschen Films“. Gehrigs Ausgangsort ist im Film eben das NEUE REX, in dessen Foyer Gehrig (natürlich vergebens) auf den Einlass in die Nachmittags-Vorstellung von Loths Werk „Nasse Männer gehen an Land“ wartet.
Ansonsten glich die Historie des Laimer Vorstadtkinos oftmals eher einer rasanten und keineswegs amüsanten Action-Fahrt: Und Wilhelm, seit 1996 Betreiber des NEUEN REX, hat so manche Zitterpartie heil überstanden. 1997 wurde mutig gegen die sich abzeichnende Multiplex-Konkurrenz aus der Innenstadt anrenoviert, 2001 drohte ein Gebäudeabriss, vor sechs Jahren investierte er in digitale 3D-Technik, im vergangenen Jahr zog er Umbau und Renovierung durch, was ebenfalls wieder mit einer Mehrfach-Leinwand-Konkurrenz zusammenhing: Noch bis zur Umbau-Halbzeit war es nicht sicher, ob im benachbarten Pasing ein 1700-Plätze-Riesenkino entsteht. Doch Wilhelm schien dies nicht aus der Ruhe zu bringen. »Wenn es kommt, bin ich gut, wenn nicht, besser aufgestellt«, so seine stoische Haltung. Dann, Mitte Juni, die gute Nachricht: Da der Investor im harten Bieterwettbewerb um das Pasinger Areal den Kürzeren zog, ist auch die Multiplex-Gefahr vor der Haustür vorerst vom Tisch.
Doch nach dem Aufatmen warten schon wieder Herausforderungen ganz anderer Art auf Wilhelm und sein mittlerweile 15-köpfiges Team: »Viele zugezogene Neu-Laimer wissen noch gar nicht, dass sie das schöne Nachbarskino gleich um die Ecke haben«, bringt es Wilhelm auf den Punkt. Angesichts des stetigen Bevölkerungsanstiegs im Münchner Westen in den vergangenen Jahren und erst recht in naher Zukunft (laut der »Kleinräumigen Bevölkerungsprognose für die Stadtbezirke« der Stadt München wird allein für Laim ein Einwohneranstieg von gut 56.000 im Jahr 2015 auf gut 66.000 bis zum Jahr 2035 erwartet) könnte Goldgräberstimmung herrschen – solange die Besucherströme nicht am heimischen Lichtspiel vorbeiziehen. Neben jungen Familien hat Wilhelm als Zielgruppe nach wie vor „das Publikum ab 35“ im Auge: Eine Besucherschaft, die weiß, welche Filme für sie gemacht werden, die aber ein anderes Informations- und Kommunikationsverhalten hat als ganz junge Menschen, die permanent ihr Smartphone als Live-Ticker im Blick haben. Deshalb setzt der Betriebswirt durchaus wieder auf klassische Medien wie Anzeigenblätter, die Verbreitung seines Online-Newsletters liege „im fünfstelligen Bereich“ sagt er nicht ohne Stolz. Auch diejenigen, die den letzten Trailer vielleicht eher in der Kinovorschau statt auf Youtube gesehen haben, die 60-, 70-, 80-Jährigen, die sich gerne Live-Oper, Künstlerporträts und Filme des gehobenen Mainstreams ansehen, finden im NEUEN REX ihr filmisches Zuhause.
Sie alle scheinen laut Thomas Wilhelm eines gemeinsam zu haben: »Die Leute, die ihr Kino um die Ecke kennen, wollen für einen Film nicht mehr in die Stadt reinfahren«.
Literatur:
– »Neue Paradiese für Kinosüchtige – Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro.