Kinos in München – Neues Maxim
Phönix aus der Asche |
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»Cinema is art. TV is furniture.« Das Neue Maxim braucht den Angriff durch das Wohnzimmer nicht zu fürchten | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
»Nein, mit uns konnten die kleinen Kinos kaum mehr das große Geschäft machen – und die Eltern saßen sowieso meist vor der Glotze. Gegen die Schließung des Park-Kinos trugen sich einige tausend (insbesondere viele junge) Leute in die Unterschriftslisten ein, aber statt dort die Filme zu besuchen oder eine Spendenaktion zu initiieren, wurde auf Flugblättern der Feind klar definiert: Die bösen Hauseigentümer wollen das Park-Kino schließen.« – Karl Königsbauer in »Hollywood in Neuhausen – Glanz und Niedergang der Kinos im Münchner Westen«
Der spätere Neuhausener Realschulrektor Karl Königsbauer hat trefflich erkannt, mit welchen Reflexen wir zu tun haben, wenn sich etwas zu verändern droht. Das Aus wird bedauert, aber trotzdem ist keiner hingegangen. Ob der Elektrohändler an der Ecke oder eben ein Kino: wenn etwas verschwindet, sind nicht zwingend die Hauseigentümer schuld – auch wenn das so gut zu München passt.
Ähnlichem Reflex ausgesetzt sind alle Cineasten, deren Lieblingskinos zumachen (in München waren dies seit 2010 das Tivoli in der Fußgängerzone, das OmU-Kino Atlantis, das Filmcasino am Odeonsplatz, in dem heute unter dem Motto »erst dinieren, dann amüsieren« ein Dinner Club feiert, und letztes Jahr im Dezember das Eldorado an der Sonnenstraße). Beim Neuen Maxim entspann sich um die drohende Schließung ein regelrechter Krimi, mit einem Schurken in der Hauptrolle: dem bösen Vermieter. Er hatte eine Mieterhöhung für das Kino an Landshuter Allee um fünfzig Prozent vollzogen, was das faktische Aus für das von Sigi Daiber geführte Lichtspielhaus bedeutete. In den vergangenen Jahren hatte dieser nur noch erratisch Filme gezeigt, ein Dauerbrenner war ein Dokumentarfilm über den Wunderheiler Bruno Gröning, der ihm regelmäßig ein volles Haus bescherte und vorübergehend im Arena eine neue Heimat gefunden hatte (dort aber wieder rausflog, nachdem die Gröning-Anhänger die anderen Kinobesucher bekehren wollten). Engagierte Menschen, die das Kino mit neuem Leben einhauchen wollten, fanden sich regelmäßig ein, es gab sogar eine erfolgreiche Spendenaktion im Ruffini-Café für neue Kinosessel – das Geld holte sich Daiber jedoch nie ab. So richtig im Haus haben wollte er die Helfer nie.
Nachdem Daiber die Mieterhöhung durch den Vermieter publik gemacht hatte, war klar, dass er das Kino nicht würde halten können. Schnell fanden sich Interessenten ein (die allerdings teilweise bereits in den Vorjahren vorbeigeschaut hatten) und begutachteten die Immobilie. Zu den bekannten Namen aus der Münchner Kinoszene gesellte sich auch das Institut für Theaterwissenschaft, das eine neue Studiobühne suchte (und bis heute nicht gefunden hat). Interessiert am Kino zeigten sich auch vier Freunde, die man in München bislang nicht gekannt hatte und deren Traum es war, ein gemeinsames Kino zu haben: die künftigen Kinobetreiber hatten das Parkett betreten.
Wenn sich Anne Harder, Beate Muschler, Regine Stoiber und Bernd Krause heute an die Unterzeichnung des Mietvertrags vor über einem Jahr erinnern, sind sie sich einig über den Gefühlscocktail, der sie damals begleitete: Es war eine Mischung aus »Hilfe, wir haben jetzt ein Kino!« und »Wow, ein Traum ist wahr geworden!« Heute sagen sie, noch immer ein wenig ungläubig über das »Luftsschlösschen«, das sie jetzt betreiben: Wenn man sich etwas zu sehr wünscht, wird es plötzlich wahr.
Soeben hat der Stadtrat in München unter dem Stichwort »Unterstützung von Programmkino-Neugründungen und –übernahmen« jährliche Gelder in Höhe von 20.000 Euro freigemacht. Damit werden Programmkinos über die Bestandserhaltung hinaus ein wichtiger Punkt auf der Agenda der kommunalen Kulturförderung. Ob sich wohl weitere Kino-Neugründer finden lassen? Und wie macht man ein totes Kino wieder lebendig?
Die vier Freunde wissen, wie es geht. Denn so einfach vom Himmel gefallen ist das Luftschloss natürlich nicht. Nach einem ersten Termin beim Vermieter 2015, bei dem sich noch ein Gerangel der Interessenten abzeichnete, wurden die Kino-Pläne erst einmal wieder auf Eis gelegt. Anne Harder entdeckte eines Tages auf Immoscout, dass die Immobilie an der Landshuter Allee noch immer zu haben war. Da haben sie wieder losgelegt.
Neben den erneuten Verhandlungen mit dem Vermieter, die immer noch von ernsthaften Konkurrenten begleitet waren, erstellten sie einen Businessplan, reichten entsprechende Förderanträge bei den öffentlichen Stellen ein, sprachen mit der Lokalbaukommission und der Branddirektion, gaben ein Wirtschaftlichkeitsgutachten bei der Filmförderanstalt in Auftrag – und kauften 140 Kinostühle. »Es wäre alles irgendwie noch verkraftbar gewesen, wenn es nicht geklappt hätte«, erinnert sich Anne Harder, »aber: Was will ich mit einem Wirtschaftlichkeitsgutachten und 140 Kinostühlen, wenn kein Kino da ist?« Bernd Krauss macht deutlich: »Der Druck erhöht sich automatisch, weil man aus der Nummer nicht mehr so leicht rauskommt.«
Am Tag der Vertragsunterzeichnung konnten sie alles fertig auf den Tisch legen, inklusive der Umbaupläne. Diese waren von Architektin Regine Stoiber entworfen worden. Eröffnet werden sollte nach der Wiesn, nur drei Monate später. »Es war eine sehr wichtige Idee, im Herbst statt im Januar zu starten, denn sonst nimmt man drei Supermonate nicht mit. Wenn man bedenkt, was man alles vorfinanziert und in was man investiert, muss man schauen, dass man einen guten Start hinkriegt, sonst geht das nicht gut aus.« Anne Harder weiß als heute hauptamtliche Kino-Geschäftsführerin, wovon sie spricht. Von Anfang an war klar: sie wird als jüngste der vier Freunde komplett ins Kino einsteigen, die anderen bleiben in ihren Berufen und unterstützen im Alltag energetisch und ehrenamtlich die Kinoarbeit.
Energie braucht man viel, wenn man so ein Projekt angeht. Vieles wäre auch nicht möglich gewesen, wenn nicht Regine Stoiber Architektin wäre mit den entsprechenden Kontakten zu Innenarchitekten, Baustofflieferanten und dem wichtigen Wissen darüber, wie man einen Zeitplan einhält. In Windeseile wurde entkernt, ein weiterer Saal und neue Sanitäranlagen eingebaut, ein Büroraum eingezogen, die Kino-Theke und das Foyer entworfen. Hinzu kam Martina Dobrusky, die das Logo und den Internetauftritt entwarf. Alles war wie Phönix aus der Asche.
Parallel dazu wurde eine Crowdfunding-Campagne gestartet. »Da kam einiges zusammen«, erzählt Anne Harder, »es war auch ein gutes Marketing-Instrument. Den Leuten, die investiert haben, gehört jetzt ein kleiner Teil vom Kino. Für uns war es damals auch ein Test: Wenn viele mitmachen, wird es funktionieren.«
Anfang Oktober 2016 wurde dann eröffnet, und die Besucher staunten nicht schlecht über das wiederauferstandene, jetzt fast skandinavisch-hyggelig anmutende Kleinod an der Landshuter Allee. Blumenbouquets und ein Sofa sorgen für eine einladende Atmosphäre im Eingangsbereich, angesagte Designer-Glühbirnen verströmen warmes Licht.
Das Foyer mit seinem Deckenfresko ist bestückt mit selbstgeschreinerten Sitzbänken und Tischen, an denen man eine Auswahl keineswegs langweiliger Getränke genießen kann (die Gurken-Limo sei besonders empfohlen, man kann sich damit auch einen Munich Mule mixen lassen). Besonderer Gimmick: ein waghalsig platzierter Tisch auf dem Treppenabsatz, an dem man sich wirklich nur dann niederlassen sollte, wenn man abolut schwindelfrei ist. Noch eine Kuriosität: die Vorführluken sind in den Eingangsbereich gewandert und geben nun den Blick auf historische Ansichten des drittältesten Kinos Münchens frei.
Der kleine Saal im Keller umfasst neben seinen 33 Plätzen auch vier Fatboys, die »Wohnzimmerfeeling« verbreiten sollen. Insgesamt erinnert das Arrangement aber eher an einen 70er-Jahre-Partykeller, mit roter Auslegware im Retro-Muster und groben Wänden, deren Mauerstruktur von Schummerlicht betont wird. Er ist das genaue Gegenteil vom großen Saal im Erdgeschoss. Man betritt ihn durch die Flügeltür, und es öffnet sich ein für ein Kino ganz und gar ungewöhnlicher Raum: Anstatt in einer Black Box befindet man sich im Inneren eines »Aquariums«, wie ihn Beate Muschler liebevoll nennt. Großzügige Fenster geben den Blick frei auf eine überraschend stumme Landshuter Allee. Erst kurz vor Filmbeginn wird der Vorhang zu-, zu Filmende wieder aufgezogen, und dann taucht man langsam wieder auf, kommt zurück in die reale Welt, in der man die Autos draußen vorbeiziehen sieht.
Die Fenster sind die Sensation des Umbaus. Sie markieren die historischen Rundbögen, hinter denen sich einst ein Kaufhaus mit großen Schauauslagen befand. Erst ab 1912 wurde das Erdgeschoss zum Kino und die Fenster durch Türen ersetzt. Der Vermieter hatte die Idee, den orginalen historischen Zustand der Fassade wieder herzustellen und spendierte das schalldichte Glas. Überhaupt kann man die gestaltende Rolle des Vermieters nach der schlechten Presse, die er sich wegen der Mieterhöhung für Sigi Daiber eingehandelt hatte, gar nicht genug hervorheben. Auch der Kellersaal war ihm eine Investition wert. »Er will hier ein Kino haben, das merkt man, er schaut auch immer vorbei«, sagt Beate Muschler, die im Team so etwas wie die Pressesprecherin ist.
Und wie fühlt sich das Kinomachen an nach einem Jahr?
Der erste Sommer wurde gut überstanden. »Kino ist der beste Sonnenschutz«, verkündet Anne Harder. Viele Gäste beleben die Filmvorführungen, das Maxim ist »mehr als nur eine Abspielstätte für Filme«, das wissen die Kinobesucher zu schätzen. Manchmal wird bis spät in die Nacht hinein diskutiert. Die Besucherinnen und Besucher kommen hauptsächlich aus Neuhausen, schließlich finden sie hier in der Nachbarschaft viele Filme, die gerade angesagt sind. In einer Dispositionsgemeinschaft mit den Betreibern von Monopol und Arena, also einer gemeinsamen Buchung bei den Verleihern, werden die Filme ausgewählt und die Termine aufeinander abgestimmt. Dabei behält jedes Kino seine Eigenheit. Das Maxim setzt gerne auf ein Programm, das dem alternativ-bürgerlichen, nicht ganz so Glockenbach-hippen Neuhausener Publikum entgegenkommt. Der Tradition des alten Maxims folgend, sind auch viele Dokumentarfilme dabei oder engagierte Filmreihen wie »Femmes Totales« des noch jungen Eksystent Verleihs. Festivals der Filmstadt München finden hier ebenfalls einen Abspielort, außerdem zeigt das Kino regelmäßig Kurzfilme statt Werbung – die gibt es hier nämlich nicht. Dafür aber selbstgemachtes Popcorn, süßes, und am OmU-Tag, für den gehobenen Anspruch der Cineasten, salziges.
Es brummt nun nicht mehr nur auf der Landshuter Allee. Das Kino ist wieder ein lebhafter soziokultureller Ort im Viertel geworden. Was sich der Leidenschaft seiner Betreiber verdankt, aber auch dem Umstand, dass sie ihre Besucher einfach gerne im Haus haben: »Die meisten sind nett!« Immer fragen sie, wie der Film gefallen hat, manchmal werden sie auch ins Ratschen verwickelt, »wie beim Friseur« – was ja auch kein Wunder ist bei dem Logo, das den Eingangsbereich ziert: Es zeigt eine Frau unter einer Haube aus Popcorn. Der Zukunft sehen sie entspannt entgegen, sie haben keine Angst, dass ihnen Streamingdienste die Zuschauer wegnehmen und wagen den Vergleich: »Auch wenn ich ein Bier im Kühlschrank habe, gehe ich trotzdem noch in die Kneipe.« Aus Gründen, die auch für den Kinobesuch sprechen: um andere Leute zu treffen, sich auszutauschen, dabei zu sein. Das ist Kino, wie es lebt.
Literatur:
– »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Niedergang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichtswerkstatt Neuhausen, antiquarisch
– »Neue Paradiese für Kinosüchtige – Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro.