74. Filmfestspiele von Venedig 2017
I win-win im La-La-Lagunenland |
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»Die« Deutschen schicken diesmal »einen Chinesen«. Human Flow von Ai Weiwei | ||
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH) |
Hoffnung, gute Laune und irgendwie mediterrane Spätsommerstimmung weckt er, der Trailer, der seit gut zehn Jahren jeden Film bei den Filmfestspielen von Venedig einleitet. Zu sehen sind dazu animierte Filmzitate aus italienischen Filmklassikern, die den Zauber des Kinos beschwören – das Nashorn des berühmten Federico Fellini ist darunter das prägnanteste.
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Der Zauber des Kinos – er dürfte die kommenden knapp zwei Wochen in Venedig bestimmen. Dieses Festival, das älteste aller Filmfestivals überhaupt, das 1932, also in der Hochphase des italienischen Faschismus zum ersten Mal stattfand, und demnach heute seinen 86. Geburtstag feiert, wenn es auch wegen weltkriegs- und später finanzbedingter Unterbrechungen erst zum 74. Mal stattfindet, hat in seiner abwechslungsreichen Geschichte diesen Zauber immer beschworen.
Venedig
ist das heiterste und entspannteste unter den großen Filmfestivals – trotzdem die Lagunenstadt seit dem Mittelalter eine stolze alte Handelsmetropole ist, sind Markt und Geschäftemacherei hier zumindest vom Festival relativ fern. Eher dominiert die weise Gelassenheit und Melancholie eines Imperiums, das seine beste Zeit schon lange hinter sich hat. Lebensfroh versucht man darum, den Spätsommer am Lidostrand vor der Lagune von Venedig so lang wie möglich zu genießen und
dazu einfach ein paar schöne Filme zu sehen.
Die müssen nicht notwendig alle im Wettbewerb um den Goldenen Löwen laufen – nirgendwo gibt es so viele Filme »außer Konkurrenz«. Darunter sind in diesem Jahr Filme vom belgischen Nachwuchsstar Michel Roskam, von der Argentinierin Lucretia Martel, von Hongkong-Genie John Woo, von Hollywood-Altmeister William Friedkin, der vor über 40 Jahren mit Der Exorzist die ganze Welt schockierte, von den wilden US-Independents James Toback und Abel Ferrara. Man merkt schon: Die Amerikaner liebt man ganz besonders in Venedig
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Auch der Eröffnungsfilm ist wieder mal, wie im letzten Jahr La La Land, ein Hollywoodprodukt: Downsizing, also »Verkleinerung« – damit geht es heute Abend los. »Downsizing« ist ein Wort, mit dem man das Abwirtschaften und den Ausverkauf eines Unternehmens bezeichnet, die
Zerstörung von funktionierenden Netzwerken und Zusammenhängen. So heißt der Eröffnungsfilm – hoffentlich kein böses Omen für das Festival, für die Zukunft des Kinos, oder gar für die Weltpoltik in Zeiten von Donald Trump.
Aber damit ist nicht zu rechnen, denn dieser Film stammt schließlich vom amerikanischen Regisseur Alexander Payne, der eigentlich seit jeher für heiter-schmunzelnde Menschenfreundlichkeit im Kino steht, und dessen Filme sämtlich intelligente
Komödien sind, Verliererkomödien allerdings.
Diesmal klingt alles eher wie verfilmter Dada: Matt Damon spielt den männlichen Teil eines einfachen, amerikanischen Ehepaars aus dem Mittleren Westen, das als Antwort auf die Überbevölkerung beschließt, seine Körpergröße mit wissenschaftlichen Mitteln verkleinern zu lassen.
Matt Damon werden wir in diesen Tagen noch einmal begegnen: Auch in Suburbicon der sehnlichst erwarteten neuen Komödie von George Clooney, spielt er die Hauptrolle.
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Nicht alles aber kommt aus Amerika. Der Mexikaner Gúillermo del Toro und der Japaner Hirokazu Kore-eda sind bei seit knapp 20 Jahren feste Größen im Gegenwartskino. Auf ihre neuen Filme, Kore-edas Thriller The Third Murder und De Toros Fantasyfilm Shape of Water darf man sich freuen. Thriller, Fantasy – auch Venedig feuert das Autorenkino, aber hier hat man weniger Angst vor Genrestoffen, als anderenorts, wo so etwas gern in die Scham-Ecke der Nebenreihe verbannt wird.
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Der deutsche Film ist in Venedig im Gegensatz zu den Vorjahren gar nicht vertreten. Oder doch? »Ai Weiwei startet für Deutschland«, trompete vor ein paar Tagen eine Tageszeitung im Jargon eines Olympiadeberichterstatters.
Oder: »Dissident fordert Hollywood-Größen heraus«, als handle es sich um Wrestling. Und wenn es schon ein Gladiatorenwettkampf sein soll, dann ist noch die Frage, wer hier David und wer hier Goliath ist?
Der schrullige Chinese, Dauergast in den Museen dieser Welt, ist jedenfalls viel gerissener als manche glauben, und ein Profi des Selbstmarketing. Jetzt hat er auch einen Film gemacht, Human Flow. Und worum geht’s? Genau. Um Flüchtlinge. Dazu hat derzeit ja jeder etwas zu sagen, jetzt also auch der chinesische Dissident. Sind wir nicht alle Flüchtlinge? Weil Ai Weiwei in Berlin lebt, und wir Deutschen ja das Musterland der Flüchtlingskrisenbewältigung sind, gab es dafür auch nicht zu wenig deutsches Fördergeld, und die Deutschen können mangels anderer guter Filme den Chinesen einbürgern. Zumindest künstlerisch – eine Traumkombination. Win-Win sozusagen.
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A propos: Und wer wird gewinnen? Wir können ja mal wetten: Ai Weiwei – ein Künstler und ein Dissident, und dann noch eine Arbeit über Flüchtlinge – das klingt zumindest wie ein Film, an dem gar keine Jury vorbei kommt. Es sei denn, er ist richtig schlecht. Oder so gut, das ihn keiner versteht. Wetten, dass?
Aber egal wer gewinnt: Auch das diesjährige Venedig-Programm verspricht in jedem Fall ein ungemein aufregendes und abwechslungsreiches Festival zu werden.
(to be continued)