74. Filmfestspiele von Venedig 2017
Ein Sieg auf Zeit über die Zeit |
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Ein Blick zurück, der besser ist als der Trailer: Ernst Lubitschs Rosita, in einer neu restaurierten Version |
Dunkelblaues Jackett, hellblaues Hemd, in jedem Fall blau, dies ist der Dresscode für gutaussehende, nicht nur ältere Herren. Der Dienstagabend ist in Venedig traditionell der Abend der »Pre-Inaugurazione«, der Voreröffnung. Wer von den Akkreditierten schon da ist, darf mit dabei sein, im Prinzip ist das aber ein launiger italienischer Abend für die Venezianer Bevölkerung, mit der der Sala Darsenna prall gefüllt ist. Es gibt ein paar Reden, von Gesamt-Biennale-Chef Paolo Barrata und von Mostra-Direktor Alberto Barbera, bei denen man sich gegenseitig auf die Schultern klopft, was für ein tolles Festival das hier doch ist. Gezeigt wird da immer ein restaurierter Klassiker, möglichst als Weltpremiere, bei Stummfilmen mit live eingespielter Musik dazu. Diesmal Rosita, der erste amerikanische Film von Ernst Lubitsch, zu dem Baratta bemerkt, mit seinem Geburtsjahr 1892 sei er ja noch ein Jahr älter als die Biennale, und daran erinnert, dass sich bereits im Programm der allerersten Mostra, 1932, unter der Herrschaft des faschistischen Duce Benito Mussolini ein Film des aus Deutschland emigrierten Juden Lubitsch befunden habe: Broken Lullaby. In Italien sind eben sogar die Faschisten etwas anders.
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Mit dem Remake von Broken Lullaby war übrigens erst vor Jahresfrist François Ozon im Wettbewerbs-Programm der Mostra: Frantz.
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Bevor es los ging, wurde dann auch noch die Restaurierung vorgestellt, an der auch das Filmmuseum München mitbeteiligt ist, und die in diesem Fall vom New Yorker MoMa verantwortet wird. So sieht man jetzt wenigstens mal, wie David Kehr aussieht: Typ altgewordener Hippie, mit weißem Haar, freundlichem Gesicht, sehr amerikanische, etwas slicke Ansprache voller Hymnen auf die Sponsoren.
Erst dachte ich, Kehr lobt das Engagement von »arte«, als ich später den Abspann las,
begriff ich, dass »RT« gemeint war, »Russia TV«, den man gerade in New York ja gern als einen Propaganda-Sender Vladimir Putins in die unseriöse Ecke stellt. Die RT-Beteiligung hat vermutlich auch damit zu tun, dass man eine Kopie des verschollenen Lubitsch-Films erst 2001 in russischen Archiven wiederentdeckt hatte, ganze siebzehn Jahre dauerte die Restaurierung.
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»Es gibt nichts Neues zu entdecken bei Lubitsch, aber es gibt immer noch etwas wiederzufinden.« – Mit dieser weisen Formel hatte Alberto Barbera das Publikum geschickt auf das Nachfolgende vorbereitet. Tatsächlich ist es kein sonderlich interessanter Lubitsch-Film, sehr angenehm anzusehen, und gerade in seinen (wenigen) Massenszenen erstaunlich souverän inszeniert, aber doch auch über weite Strecken recht oberflächliche Kolportage.
Alles spielt in einem ziemlich
ausgedachten Sevilla zur Zeit des Karnevals, der König ist ein Hallodri, der alles unterschreibt, was ihm der Erste Minister so vorlegt, vor allem Todesurteile, und der versucht, mit möglichst vielen Untertaninnen einen Liebschaft zu haben. Sein neuestes Objekt wird die Sängerin Rosita, ein Mädchen aus dem Volk. Zunächst gar nicht unwillig, werden die Verhältnisse dann kompliziert, als sie sich in einen Grafen verliebt, der auch noch ein rebellischer Vorkämpfer für Gerechtigkeit
ist. Es folgt eine ziemlich komplizierte Intrige, in der es zwischen echten und Schein-Hinrichtungen, einer Hochzeit mit Unbekannten und den gegenseitigen Winkelzügen des Königs und der Königin derart durcheinander hin- und hergeht, dass es am Ende tatsächlich fast zu einer Revolution kommt – aus reinem Zufall und Missverständnissen, den in Wahrheit ist hier keine Figur wirklich an der Veränderung der Verhältnisse interessiert.
Auch privat nicht: Die Königin, die es
einmal geschafft hat, den törichten Gatten zu überlisten, weiß, dass dies nur ein Sieg auf Zeit ist.
So ist dies einmal ein Lubitsch-Film mit erstaunlich konservativer Botschaft: Die Frauen siegen. Aber es siegt auch die resignative Einsicht, dass sich an den Verhältnissen nichts ändern wird.
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Die Hauptrolle spielt immerhin Mary Pickford, und es fällt nicht schwer zu verstehen, warum diese damals eine derart faszinierende Darstellerin war. Sie ist einfach quicklebendig, dynamisch und kraftvoll, das Gegenteil der ätherischen Engel und Drama-Queens des Stummfilms.
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In diesem Jahr ist alles Mögliche neu in Venedig. Und wenig wird besser. Zunächst einmal der Festivaltrailer: In der ersten Folge hatte ich noch vom alten geschwärmt, nun flimmerte der neue über die Leinwand. Garniert von einer überaus banalen Musik sieht man in abstrahiertem Schwarzweiß kurze angedeutete Ausschnitte aus Filmklassikern: The Wizard of Oz, Chaplins Der große Diktator, King Hus Touch of Zen, 2001 von Kubrick, Taxi Driver und tatsächlich auch La La Land – eine ziemliche Geschmacklosigkeit, die nach kurzem fassungslosen Schweigen viele Buhs provozierte. Erbärmlich ist vor allem die extrem amerikanische Auswahl, ohne jedes Selbstbewusstsein, zu dem das italienische Kino doch Gründe genug hätte.
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Komplett neu sind auch große Teile des Bodens des Festivalpalais'. Hier hat man sich nicht lumpen lassen: Weißer Stein, wie in den zum Teil 80 Jahre alten Gebäuden, bedeckt den Platz. Vor allem hat das »Casino«, eines der Hauptgebäude, endlich wieder jene Treppe, die Barberas Vorgänger Marco Müller hatte abtragen lassen, ihre jahrzehntealte Geschichte ignorierend: Dutzende von Besuchergenerationen hatten sich dort verabredet, gesessen, waren mit Filmemachern und Stars ins Gespräch gekommen.
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Neu ist aber auch anders: Der für alle hier wichtige einzige große Supermarkt auf dem Lido ist erstmals seit siebzehn Jahren komplett umgebaut und in ein weiteres schändliches Beispiel des modernen Kapitalismus verwandelt worden: Weniger Raum, weniger Warenauswahl, automatische Kassen ohne Menschen – eine Apokalypse!
Eher private Gewohnheiten warf unsere Vermieterin über den Haufen, denn auch die Wohnung ist umgebaut, und beweist, dass Italien das Land des Designs und
der Schönheit eher in der Phantasie der anderen Europäer ist: Plastik ersetzt Stein, Zweckmäßigkeit Einfallsreichtum.
Immerhin eine Sache, auf die man sich halbwegs verlassen kann: In Venedig ist die Bar Maleti. Da gehen wir jetzt hin.
(to be continued)