74. Filmfestspiele von Venedig 2017
»I can not take it anymore.« |
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Hilfe, ich habe meine Kollegen geschrumpft! Der lustige Eröffnungsfilm von Venedig, Alexander Paynes Downsizing | ||
(Foto: Paramount Pictures Germany GmbH) |
»The world needs assholes – otherwise: where does the shit come out?«aus Downsizing
Laborratten zu Barockmusik – mit so einem Eingangsbild macht man sich beim Kunstpublikum schon mal beliebt. In Alexander Paynes Venedig-Eröffnungsfilm Downsizing forschen norwegische Wissenschaftler an irgendetwas von sich hin, auf einmal das »Heureka! Es hat geklappt!!« Im Zeitraffer wird klar, was: Eine Technik zur Verkleinerung von Lebewesen, also auch Menschen. Das wäre umweltfreundlich, und so wird diese Technik, um die Ressourcen der Erde zu schonen, unter den Menschen beworben. Mit einem unschätzbaren Vorteil: Verkleinert wird alles, der Verbrauch, die Kosten – wenn die Menschen kleiner sind, brauchen sie nur noch 80 Dollar, um sich zwei Monate lang zu ernähren –, das einzige, was nicht schrumpft, ist das Bankkonto. Das ist unter kleinen Verhältnissen aber viel mehr wert. Darum sind die downgesizten Menschen plötzlich alle in ihrer Welt reich.
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Das ist die Prämisse für einen Film, der sich bis zum Schluss nicht entscheiden kann, ob er einfach eine weitere, typisch-Paynesche-Loserkomödie sein will, oder doch ein ernster Beitrag zur Weltlage, die vor dem Klimawandel warnt und uns einmal mehr die Übel des Kapitalismus vor Augen führt. Downsizing ist zum Teil ganz lustig, aber ohne Überraschungen und im Stil träge und behäbig. Es überwiegen Sentimentalität, Kitsch und jener Humanitarismus gegen den sich nicht das Geringte sagen lässt, außer dass er komplett vorhersehbar und langweilig ist.
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Die von Matt Damon gespielte Hauptfigur Paul Safranek ist der Kleingebliebene unter den Karrieristen, der Loser seiner Schulklasse. Darum ist das Downsizing seine Chance. Nach einer unangenehmen Prozedur, die mit der Angst vorm Ausgesetztsein ebenso spielt, wie mit Gaskammer-Metaphern, landet er in der Siedlung Leisureland. Dort leben die Geschrumpften in einem idealtypischen Suburbia, in dem es scheinbar weder Kriminalität noch Not gibt. Dummerweise ist seine Frau in
letzter Sekunde noch abgesprungen. Darum ist er jetzt auch deprimierter Single. Auf andere Gedanken bringt ihn sein von Christoph Waltz gespielter serbischer Nachbar und dessen von Udo Kier gespielter Freund.
Paul erlebt seine erste Drogenparty, und versteht am nächsten Morgen auch, dass Leisureland nicht weniger eine Klassengesellschaft mit Schattenökonomie, Slums und Armen ist, als die Welt der »big people«. Bald hat er mit der vietnamesischen Putzfrau und Ex-Dissidentin
eine neue Liebe gefunden, da droht ihm auch neues Ungemach: Methan tritt in der Antarktis aus, beschleunigt den Klimawandel und die norwegische Däumlings-Gemeinschaft will sich in eine Art Arche Noah unter der Erde flüchten.
Die Arroganz und der Narzissmus, dass man die Welt retten muss, wird zwar ironisch gebrochen, aber vom Regisseur auch wieder halb ernst genommen.
Einerseits lästert der sympathische Zyniker des Christoph Waltz: »Its like a cult. They will kill each other and
extinguish each other long before...« Andererseits sympathisiert Paul stark mit dem Idealismus der Gruppe.
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So wird Downsizing im letzten Drittel fast zum ernsten Ideendrama: Tatsächlich redet der Film nicht darum herum, dass es den Beteiligten beim Downsizing auch nicht darum geht, etwas für die Erde zu tun, sondern darum, mehr konsumieren zu können. Um Gier, die in der realen Größe nicht mehr zu befriedigen ist. Es geht um Kapitalismus, auch der Schrumpf-Firma, die Geld verdienen
will.
Allerdings ist dies ein Ideendrama, das für die Menschlichkeit der Armen und die Menschlichkeit im Kleinen plädiert, und im Kern, so könnte man sagen, eine zutiefst anti-utopische Botschaft formuliert, für das kleine Glück. »Schuster bleib bei deinen Leisten.« Drogen und Partys aber werden der üblichen Kritik des Hedonismus unterworfen.
So läuft dies auf eine Biederkeitsmoral hinaus, wie man sie auch in den Salons von Berlin-Mitte finden kann: Kapitalismus ist böse,
Hedonismus ist sehr böse, Klimawandel ist ganz böse.
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Da wüsste man doch gern, wie Nico über so einen Film geschimpft hätte. Nico, das ist natürlich Christa Paeffgen, Model, Gelegenheitsschauspielerin (unter anderem in Fellinis La Dolce Vita in Warhols Chelsea Girls und in mehreren Werken ihres Lebensgefährten Phillippe Garrel), und vor
allem Sängerin und Musikvorreiterin. Man vergisst immer wieder die charismatische Wirkung dieser sehr besonderen, auch sehr besonders deutschen Frau und ihrer Stimme.
Das ist Susanna Nicchiarellis Spielfilm Nico, 1988 über die letzten Lebensjahre Nicos hoch anzurechnen. Sie macht die Faszination dieser Person spürbar, und teilt unsere Obsessionen: Nicos Musik ist ganz
überwältigend, toll und ungeheuer, sie öffnet einen Abgrund, in eine tiefe deutsche Mythenlandschaft, ebenso wie die Stimme, die Tiefe dieser Stimme, ebenso wie der erste Satz des Films, »Das ist Berlin, mein Schatz, es brennt.« Eine zentrale Verbindung zieht für die Person Nico wie für ihre Wahrnehmung.
Trine Dyrholm, die Nico hier spielen soll, sieht nicht mal ein Viertel so gut und nicht mal zehn Prozent so rätselhaft aus wie Nico. Und sie spielt sie auch zu forciert, zu
muffelig, wo Nico in den 80ern nur ein alter Indianer war. Für mich gehen manche Dinge im Kino nicht. Und das hier geht nicht. Ein paar Originalbilder, Super-8, machen die Differenz unüberbrückbar.
Wenn Trine dann noch à la Nico singt, geht es gar nicht, dann ist sie im allerbesten Fall eine Schwester von Hildegard Knef.
Das hat nichts damit zu tun, ob Dyrholm das gut macht, ob sie gut singt. Nico hat vielleicht gar nicht gut gesungen, sondern toll. Und Trine Dyrholm ist nicht toll.
Sie wird nur langsam zu einer europäischen Meryl Streep.
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Auch die Sentimentalisierung auf die arme Mutter und ihre verkorkste Sohn-Beziehung nutzt dem Film nicht. Ari, der vom Vater zeitlebens verleugnete Sohn Alain Delons ist ein armer Junge. Aber an der Mutter ist doch vieles wichtiger und interessanter, als dieses Verhältnis.
Das macht der Film immerhin deutlich, und lässt uns Freiraum, selbst zu werten.
Wer sich Nico annähren, mehr von ihr wissen will, dem empfehle ich den viel viel besseren Film Nico
Icon von Susanne Ofteringer. Auf YouTube steht er in mäßiger Qualität. Aber er bietet trotzdem so viel mehr Nico.
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Wir wollen uns dieser Figur annähern, aber können wir sie verstehen? Ich glaube nicht. Nibelungenland...
(to be continued)