74. Filmfestspiele von Venedig 2017
Nico, Gott und Teufel |
||
The Devil and Father Amorth von William Friedkin. | ||
(Foto: The Orchard) |
»Die Völker gerieten in Zorn. / Da kam dein Zorn und die Zeit, die Toten zu richten: die Zeit, deine Knechte zu belohnen, / die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, / die Kleinen und die Großen, / die Zeit, alle zu verderben, die die Erde verderben.«
Johannes Offenbarung 11.18; zitiert in »First Reformed«
+ + +
Die letzte Folge (No.3) der Venedig-Notizen musste etwas zu schnell fertig werden, darunter hat dann, glaube ich, die Klarheit gelitten.
Damit man mich nicht falsch versteht: Ich möchte nämlich schon deutlich gesagt haben, dass Susanna Nicchiarellis Nico, 1988 ein guter Film ist und unbedingt sehenswert. In keiner Weise missglückt und auch
nicht cheesy. Er macht Lust, sich mit Nico zu beschäftigen, ihre Musik wieder zu hören, ihre Filme anzusehen. Das ist das Wichtigste.
Es ist dies nur leider ein Film, der auf einer ganz bestimmten Ebene gar nicht gelingen kann. In diesem Fall ist nämlich der Gegenstand – Nico – selbst so dermaßen interessant und facettenreich, dass ein Spielfilm diese Facetten gar nicht noch überbieten kann. Jeder der Nico kennt, in diesem Fall genügen ihre Songs, der muss bei der Filmen
Nachahmung das Gefühl der – ja: Nachahmung haben, eines Eindrucks aus zweiter Hand.
Diese Feststellung sagt nur etwas über die Stärke von Nicos Wirkung, nicht über die Schwäche von Nicchiarellis Film. Dieser man sich auch in dem Dokumentarfilm »Nico Icon« nochmal versichern.
+ + +
In diesem Sinne ist Nico wie Hitler. Bruno Ganz mag ein hervorragender Schauspieler sein und sogar der bestmögliche Hitlerdarsteller. Aber am besten hat Hitler sich immer noch selbst gespielt, und vor allem kennen wir ihn, seine Stumme,seine Bewegungen, sein Aussehen so gut, dass wir jedes Spiel an der Realität abgleichen. Es besteht kein Freiraum für Vorstellungen, denn in diesem Fall ist unser Vorstellungsraum durch die Realität kolonisiert.
Dies sind übrigens zwei
Beispiele, anhand derer man einsetzen kann, um noch sehr viel weiter und länger über das Verhältnis von Kino und Wirklichkeit nachzudenken. Denn ich möchte ja auch keineswegs sagen, dass die Wirklichkeit dem Kino immer überlegen ist. Sie ist es aber wohl dann, wenn das Kino »wie die Wirklichkeit« sein wollte, »nach der Natur«. Da ist das Kino immer epigonal.
Wenn das Kino aber der Phantasie Gestalt gibt, dem Umgesehenen Bilder, ist es stärker.
Hitler und Nico und so manches
andere, aber haben wir 1000 Mal gesehen. Da ist das 1001te Mal nur selten überlegen. Der Satz, dass das, was man sieht, immer stärker ist, als alles, was man weiß, der eigentlich Partei für das Kino und die Bilder ergreift, wendet sich hier gegen es.
+ + +
Das Nico in manch anderer Hinsicht auch das Gegenteil von Hitler ist, möchte ich nur der Ordnung halber dazu sagen. Sonst gibst morgen wieder neuen Korrekturbedarf.
+ + +
Ein bisschen nörgeln muss man über Nicchiarellis Film aber schon. Er ist zu anekdotisch, zu banal in dem, was er dazuerfindet. Geschildert wird eine – die letzte? – Tournee von Nico, die 1986/87 unter anderem in die CSSR und nach Polen führte. Es gibt da einen britischen Manager der Sozialist und Jude ist, Jurist, der sich um Nicos Papiere kümmert, und auch noch in Nico verliebt. Vielleicht entspricht das den Tatsachen, hat aber zum Bild Nicos nichts beizutragen. Genauso
wenig wie die ganzen Geschichten rund ums Bandleben. Die sind ein Paradebeispiel für Exploitation, weil hier das Label Nico nur benutzt wird, um banalste 08/15-Drehbuch-Einfälle zu Bedeutungsvollem hochzujazzen.
Vieles ist nicht explizit: Den Besuch am Nürnberger Reichsparteitagsgelände zu dem dann »Nibelungenland« läuft, begreifen nur Kenner. Dass Alain Delon der Vater von Sohn Ari ist, muss man wissen. Wie so vieles...
+ + +
»The Liliput-thing is shit. I can’t stand it.« – so lautete das Fazit von Ugo Busaporco, meinem italienischen Freund und Kollegen, den ich dann am späten Mittwochnacht noch im Maleti traf. Mit dem »Liliput-thing« meint er den Eröffnungsfilm, Alexander Paynes Menschenschrumpfkomödie Downsizing, der Eröffnungsfilm, der je länger er her ist, aus der Entfernung immer noch
langweiliger wirkt.
Ugos Lieblingsfilm bisher ist The Devil and Father Amorth von William Friedkin.
+ + +
An diesem Donnerstag haben die neuen Filme zwei Veteranen des rebellischen »New Hollywood« Premiere: William Friedkin und Paul Schrader. Beider Werk ist sogar untrennbar miteinander verschlungen, weil Schrader 2005 das Prequel zu Friedkins Welterfolg The Exorcist drehte. Wie Nico sind auch diese beiden Regisseure seit jeher radikale, es am Ende des Tages ernst meinende Künstler und von »der
anderen Seite« fasziniert. Bei Friedkin ist diese der Teufel, bei Schrader heißt sie Gott.
Folgerichtig begibt sich Friedkin in seinem neuen Werk, dem Dokumentarfilm The Devil and Father Amorth, auf die Spurensuche auf die Spuren seines eigenen Welterfolgs, der ihn in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, aber auch seine Karriere markiert. Er fragt: Wie kam der Romanautor auf den Stoff? Und untersucht die »possibility of demonic possession«, nur um
bald in der realen Hölle eines leibhaftigen Exorzismus zu landen.
Sein Film ist manchmal cheesy, manchmal trashy, Friedkin benutzt Horrorfilmmusik und spielt auch sonst mit Genre. Und doch ist dies ein seriöser Dokumentarfilm. Friedkin befragt Theologen wie Wissenschaftler, Hirnforscher und Psychotherapeuten, aber auch Besessene, mit erstaunlicher Neugier und Offenheit, ohne eine schlüssige Antwort zu bekommen.
Wir lernen, dass Kranke z.B. durch einen Tumor hyper-religiös
werden können. Vielleicht ist Religion wie Psychotherapie? Wenn der Patient sich darauf einlässt, daran glaubt. Aber das heißt im Umkehrschluss auch, dass Psychotherapie wie Religion ist.
Wir treffen Bischöfe, die sich, obwohl sie »Männer Gottes« sind, nicht trauen, einen Exorzismus vorzunehmen, mit der Begründung der Teufel sei zu stark.
Friedkin macht das »Argument des Teufels« allerdings nicht so stark, wie er es machen sein könnte. Denn die Wissenschaftler müssten nicht nur
»Wahn« erklären, sondern auch, warum schwache Körper plötzlich eine derart enorme Stärke haben – wie ein Tier. Warum sie in fremden, uralten Sprachen reden.
Friedkins Fazit: Es gibt Gut und Böse, wenn es Dämonen gibt, muss es auch Engel geben, und »there is a far deeper dimension in the universe.« Es gibt den Teufel, möglicherweise oder auch nur im Hirn von Kranken.
+ + +
Eine weitere Frage: Mit wem ist eigentlich William Friedkin im Bunde? Er sieht 30 Jahre jünger aus, ist schnell und quicklebendig, nicht wie ein 82-jähriger. Zudem ist er ironisch, ein unterhaltsamer Aufklärer.
+ + +
Eine ganz lange Fahrt führt direkt auf eine weiße Kirche zu. »Snowland« New York. »I have decided to keep a journal...« In Schraders »First Reformed« spielt Ethan Hawke einen Priester, der hin und hergerissen ist zwischen leidenschaftlicher Berufung und dem alltäglichen Kleinklein des Kirchenbetriebs. Er radikalisiert sich immer mehr, verachtet die übrige Welt, trinkt, wird magenkrank, ein Taxi Driver der Religion, und alles wirkt wie eine Fiklmversion von Heideggers Vorlaufen zum Tode, denn der Priester, der tatsächlich Ernst Toller heißt, ist irgendwann kurz davor, ein Selbstmordattentat gegen »sündhafte Reiche« zu unternehmen, bevor ihm in ein Ausweg aus dem Dilemma eröffnet wird: Gott ist schließlich auch die Liebe und so gibt es da Gott sei Dank noch eine schöne blonde Witwe (Amanda Seyfried), die sich als irdischer wie spiritueller Rettungsanker erweist.
+ + +
Schrader meint es ernst. Wenn er seine Figur sprechen lässt: »courage is the answer to despair. rationality gives no answer.« Vor allem Gott und Religion, aber auch das Nachdenken über den bald bevorstehenden Weltuntergang. Der Weltuntergang durch Klimawandel war ja bereits ironisch abgefedert Thema in Downsizing. Spinnen sie jetzt noch mehr, die Amis?
Erzählt ist diese
Reflexion über die Dreieinigkeit Betrieb Kirche, die Passion Christentum und den Gott Liebe im 4.3 »Hollywood«-Format, recht langsam, statisch, ein Kammerspiel in vielen Innenräumen.
(to be continued)