01.09.2017
74. Filmfestspiele von Venedig 2017

Nico, Gott und Teufel

The Devil and Father Amorth
The Devil and Father Amorth von William Friedkin.
(Foto: The Orchard)

Break on through to the other side: Es gibt den Teufel, möglicherweise und warum Nico auch wie Hitler ist – Notizen aus Venedig, Folge 4

Von Rüdiger Suchsland

»Die Völker gerieten in Zorn. / Da kam dein Zorn und die Zeit, die Toten zu richten: die Zeit, deine Knechte zu belohnen, / die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, / die Kleinen und die Großen, / die Zeit, alle zu verderben, die die Erde verderben.«
Johannes Offen­ba­rung 11.18; zitiert in »First Reformed«

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Die letzte Folge (No.3) der Venedig-Notizen musste etwas zu schnell fertig werden, darunter hat dann, glaube ich, die Klarheit gelitten.
Damit man mich nicht falsch versteht: Ich möchte nämlich schon deutlich gesagt haben, dass Susanna Nicchia­rellis Nico, 1988 ein guter Film ist und unbedingt sehens­wert. In keiner Weise miss­glückt und auch nicht cheesy. Er macht Lust, sich mit Nico zu beschäf­tigen, ihre Musik wieder zu hören, ihre Filme anzusehen. Das ist das Wich­tigste.
Es ist dies nur leider ein Film, der auf einer ganz bestimmten Ebene gar nicht gelingen kann. In diesem Fall ist nämlich der Gegen­stand – Nico – selbst so dermaßen inter­es­sant und facet­ten­reich, dass ein Spielfilm diese Facetten gar nicht noch über­bieten kann. Jeder der Nico kennt, in diesem Fall genügen ihre Songs, der muss bei der Filmen Nach­ah­mung das Gefühl der – ja: Nach­ah­mung haben, eines Eindrucks aus zweiter Hand.
Diese Fest­stel­lung sagt nur etwas über die Stärke von Nicos Wirkung, nicht über die Schwäche von Nicchia­rellis Film. Dieser man sich auch in dem Doku­men­tar­film »Nico Icon« nochmal versi­chern.

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In diesem Sinne ist Nico wie Hitler. Bruno Ganz mag ein hervor­ra­gender Schau­spieler sein und sogar der best­mög­liche Hitler­dar­steller. Aber am besten hat Hitler sich immer noch selbst gespielt, und vor allem kennen wir ihn, seine Stumme,seine Bewe­gungen, sein Aussehen so gut, dass wir jedes Spiel an der Realität abglei­chen. Es besteht kein Freiraum für Vorstel­lungen, denn in diesem Fall ist unser Vorstel­lungs­raum durch die Realität kolo­ni­siert.
Dies sind übrigens zwei Beispiele, anhand derer man einsetzen kann, um noch sehr viel weiter und länger über das Verhältnis von Kino und Wirk­lich­keit nach­zu­denken. Denn ich möchte ja auch keines­wegs sagen, dass die Wirk­lich­keit dem Kino immer überlegen ist. Sie ist es aber wohl dann, wenn das Kino »wie die Wirk­lich­keit« sein wollte, »nach der Natur«. Da ist das Kino immer epigonal.
Wenn das Kino aber der Phantasie Gestalt gibt, dem Umge­se­henen Bilder, ist es stärker.
Hitler und Nico und so manches andere, aber haben wir 1000 Mal gesehen. Da ist das 1001te Mal nur selten überlegen. Der Satz, dass das, was man sieht, immer stärker ist, als alles, was man weiß, der eigent­lich Partei für das Kino und die Bilder ergreift, wendet sich hier gegen es.

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Das Nico in manch anderer Hinsicht auch das Gegenteil von Hitler ist, möchte ich nur der Ordnung halber dazu sagen. Sonst gibst morgen wieder neuen Korrek­tur­be­darf.

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Ein bisschen nörgeln muss man über Nicchia­rellis Film aber schon. Er ist zu anek­do­tisch, zu banal in dem, was er dazu­er­findet. Geschil­dert wird eine – die letzte? – Tournee von Nico, die 1986/87 unter anderem in die CSSR und nach Polen führte. Es gibt da einen briti­schen Manager der Sozialist und Jude ist, Jurist, der sich um Nicos Papiere kümmert, und auch noch in Nico verliebt. Viel­leicht entspricht das den Tatsachen, hat aber zum Bild Nicos nichts beizu­tragen. Genauso wenig wie die ganzen Geschichten rund ums Bandleben. Die sind ein Para­de­bei­spiel für Exploita­tion, weil hier das Label Nico nur benutzt wird, um banalste 08/15-Drehbuch-Einfälle zu Bedeu­tungs­vollem hoch­zu­jazzen.
Vieles ist nicht explizit: Den Besuch am Nürn­berger Reichs­par­tei­tags­gelände zu dem dann »Nibe­lun­gen­land« läuft, begreifen nur Kenner. Dass Alain Delon der Vater von Sohn Ari ist, muss man wissen. Wie so vieles...

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»The Liliput-thing is shit. I can’t stand it.« – so lautete das Fazit von Ugo Busaporco, meinem italie­ni­schen Freund und Kollegen, den ich dann am späten Mitt­woch­nacht noch im Maleti traf. Mit dem »Liliput-thing« meint er den Eröff­nungs­film, Alexander Paynes Menschen­schrumpf­komödie Down­si­zing, der Eröff­nungs­film, der je länger er her ist, aus der Entfer­nung immer noch lang­wei­liger wirkt.
Ugos Lieb­lings­film bisher ist The Devil and Father Amorth von William Friedkin.

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An diesem Donnerstag haben die neuen Filme zwei Veteranen des rebel­li­schen »New Hollywood« Premiere: William Friedkin und Paul Schrader. Beider Werk ist sogar untrennbar mitein­ander verschlungen, weil Schrader 2005 das Prequel zu Friedkins Welt­erfolg The Exorcist drehte. Wie Nico sind auch diese beiden Regis­seure seit jeher radikale, es am Ende des Tages ernst meinende Künstler und von »der anderen Seite« faszi­niert. Bei Friedkin ist diese der Teufel, bei Schrader heißt sie Gott.
Folge­richtig begibt sich Friedkin in seinem neuen Werk, dem Doku­men­tar­film The Devil and Father Amorth, auf die Spuren­suche auf die Spuren seines eigenen Welt­erfolgs, der ihn in die Film­ge­schichte einge­schrieben hat, aber auch seine Karriere markiert. Er fragt: Wie kam der Roman­autor auf den Stoff? Und unter­sucht die »possi­bi­lity of demonic posses­sion«, nur um bald in der realen Hölle eines leib­haf­tigen Exor­zismus zu landen.
Sein Film ist manchmal cheesy, manchmal trashy, Friedkin benutzt Horror­film­musik und spielt auch sonst mit Genre. Und doch ist dies ein seriöser Doku­men­tar­film. Friedkin befragt Theologen wie Wissen­schaftler, Hirn­for­scher und Psycho­the­ra­peuten, aber auch Besessene, mit erstaun­li­cher Neugier und Offenheit, ohne eine schlüs­sige Antwort zu bekommen.
Wir lernen, dass Kranke z.B. durch einen Tumor hyper-religiös werden können. Viel­leicht ist Religion wie Psycho­the­rapie? Wenn der Patient sich darauf einlässt, daran glaubt. Aber das heißt im Umkehr­schluss auch, dass Psycho­the­rapie wie Religion ist.
Wir treffen Bischöfe, die sich, obwohl sie »Männer Gottes« sind, nicht trauen, einen Exor­zismus vorzu­nehmen, mit der Begrün­dung der Teufel sei zu stark.
Friedkin macht das »Argument des Teufels« aller­dings nicht so stark, wie er es machen sein könnte. Denn die Wissen­schaftler müssten nicht nur »Wahn« erklären, sondern auch, warum schwache Körper plötzlich eine derart enorme Stärke haben – wie ein Tier. Warum sie in fremden, uralten Sprachen reden.
Friedkins Fazit: Es gibt Gut und Böse, wenn es Dämonen gibt, muss es auch Engel geben, und »there is a far deeper dimension in the universe.« Es gibt den Teufel, mögli­cher­weise oder auch nur im Hirn von Kranken.

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Eine weitere Frage: Mit wem ist eigent­lich William Friedkin im Bunde? Er sieht 30 Jahre jünger aus, ist schnell und quick­le­bendig, nicht wie ein 82-jähriger. Zudem ist er ironisch, ein unter­halt­samer Aufklärer.

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Eine ganz lange Fahrt führt direkt auf eine weiße Kirche zu. »Snowland« New York. »I have decided to keep a journal...« In Schraders »First Reformed« spielt Ethan Hawke einen Priester, der hin und herge­rissen ist zwischen leiden­schaft­li­cher Berufung und dem alltäg­li­chen Klein­klein des Kirchen­be­triebs. Er radi­ka­li­siert sich immer mehr, verachtet die übrige Welt, trinkt, wird magen­krank, ein Taxi Driver der Religion, und alles wirkt wie eine Fiklm­ver­sion von Heid­eg­gers Vorlaufen zum Tode, denn der Priester, der tatsäch­lich Ernst Toller heißt, ist irgend­wann kurz davor, ein Selbst­mord­at­tentat gegen »sündhafte Reiche« zu unter­nehmen, bevor ihm in ein Ausweg aus dem Dilemma eröffnet wird: Gott ist schließ­lich auch die Liebe und so gibt es da Gott sei Dank noch eine schöne blonde Witwe (Amanda Seyfried), die sich als irdischer wie spiri­tu­eller Rettungs­anker erweist.

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Schrader meint es ernst. Wenn er seine Figur sprechen lässt: »courage is the answer to despair. ratio­na­lity gives no answer.« Vor allem Gott und Religion, aber auch das Nach­denken über den bald bevor­ste­henden Welt­un­ter­gang. Der Welt­un­ter­gang durch Klima­wandel war ja bereits ironisch abge­fe­dert Thema in Down­si­zing. Spinnen sie jetzt noch mehr, die Amis?
Erzählt ist diese Reflexion über die Drei­ei­nig­keit Betrieb Kirche, die Passion Chris­tentum und den Gott Liebe im 4.3 »Hollywood«-Format, recht langsam, statisch, ein Kammer­spiel in vielen Innen­räumen.

(to be continued)