74. Filmfestspiele von Venedig 2017
Verdienter Sieg |
||
»Die Schöne und das Biest« war stets ein tolles Märchen für Erwachsene: Del Toros The Shape of Water | ||
(Zeichnung: Twentieth (20th) Century Fox of Germany GmbH) |
»Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg« – so kann man The Shape of Water beschreiben, diesen merkwürdigen, einmaligen, sehr poetischen Märchenfilm für Erwachsene, der am vergangenen Wochenende bei den 74. Filmfestspielen von Venedig den Hauptpreis gewonnen hat, den Goldenen Löwen.
Eine großartige, sehr, sehr gute Entscheidung! Denn seien wir ehrlich: Wenn man so
ein Festival besucht, über 20 Wettbewerbsfilme sieht, dann wagt man kaum zu hoffen – und tatsächlich passiert es auch überaus selten – dass am Ende wirklich ein Film gewinnt, der kein Kompromiss ist, kein Themenfilm, nicht oberflächlich relevant, sondern ein Kinowerk, dass auf Bilder setzt, dass das Kino selber feiert, seine weltschöpfende Kraft als Traumfabrik, als Schule des Lebens, ja: als weltordnende und weltgliedernde, auch stabilisierende Instanz.
Genau
das ist hier aber der Fall.
+ + +
Auch mit dem Regisseur, dem mexikanischen Filmemacher Guillermo Del Toro traf es genau den Richtigen. Seit Jahren ist Del Toro der große Unvollendete des Gegenwarts-Kinos, ein Star in der Gemeinde der Fantasy- und Horrorfans, aber ein Outsider unter den Autorenfilmern.
Alle seine Werke – etwa Pans Labyrinth, Hellboy – sind düstere Märchen in der Nachfolge des phantastischen Films, in denen der alte Kampf des Guten gegen das Böse interpretiert wird als der Kampf der Unschuldigen und der Außenseiter gegen autoritäre Machtmenschen. Das Fremdartige und Übernatürliche ist in ihnen immer Angst- und Sehnsuchtsphantasie zugleich, umgesetzt mit einer visuellen Fantasie, die ihresgleichen sucht. Das gilt auch für seinen neuen Film,
der von einer unerlösten Prinzessin erzählt, die sich in ein Wesen verliebt, eine Art Wassermann, das definitiv nicht von dieser Welt ist.
+ + +
Kaum ein Regisseur hat diesen Preis so verdient, wie dieses einfallsreiche große Kind, diese Spielernatur des Gegenwartskinos.
Die anderen Preise verblassen demgegenüber, wirken wie Pflichtübungen: Aber mit dem israelischen Männermelodram Foxtrott, mit der amerikanischen Tragikomödie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri und mit der
Schauspielerin Charlotte Rampling traf es schon die richtigen Werke und Personen.
+ + +
Das einzige, wofür die Jury um Anette Bening einen blinden Fleck hatte, war das asiatische Kino. Es war schon mehr als ein Wermutstropfen, es war ein kleiner Skandal, dass kein einziger der starken asiatischen Wettbewerbsbeiträge irgendeinen Preis erhielt. So war es ein sehr westlich-nordisches Kino.
Das diesjährige Venedig-Festival war ein ausgezeichneter Jahrgang. Kaum ein schlechter Film, auch in den Nebenreihen gab es hervorragendes, wie die zwei argentinischen Filme Zama und Temporada de Caza, ein Film über einen Kolonialbeamten um 1800, ein
argentinisches Aguirre und ein Werk über das Argentinien der Gegenwart, in dem das Erbe der Diktatur immer noch nachwirkt.
Und sogar aus Deutschland: Helena Wittmanns Drift und Katharina Wyss Sophie plays a Werewolf sind exzellente Werke junger deutscher Filmemacherinnen.
So ist es den Festivalkuratoren der altehrwürdigen
Filmbiennale in diesem Jahr eindrucksvoll gelungen, sogar das französische Film-Mekka Cannes in den Schatten zu stellen – die 74. »Mostra« war einfach das beste Festival des Jahres!
(to be continued)