68. Berlinale 2018
Die Berlinale ist eine gefährdete Marke |
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(Foto: reuters) |
»Am Schluß hat er doch wieder alles richtig gemacht. Obwohl im dritten Jahr unter dem Festivalchef Dieter Kosslick der Elan etwas zu erlahmen schien, der Wettbewerb insgesamt an Höhepunkten arm und an Enttäuschungen reich war und nur noch zwei deutsche Filme zu sehen waren, von denen einer auch noch gnadenlos durchfiel, sind mit dem überraschenden Sieg von Fatih Akins GEGEN DIE WAND letztlich alle wieder versöhnt.«
Michael Althen, FAZ 16. Februar 2004»Die Berlinale besitzt gegenwärtig nicht einmal die Spur einer künstlerischen Vision. Der Wettbewerb, am Samstag mit der Preisverleihung zu Ende gegangen, war der schlechteste seit Menschengedenken. Mit der Situation des Weltkinos lässt sich dies kaum erklären, immerhin war die Auswahl früher als sonst abgeschlossen und mit Stolz präsentiert worden.«
Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 16. Februar 2004»Irgendwann müssen Flitterwochen enden. Bei der Verbindung Dieter Kosslick/Berlinale haben sie immerhin drei Jahre gedauert. Es waren drei Festspieljahrgänge, in denen eine Kombination aus dem Show-Talent des Leiters, seinen Neuerungen sowie glücklichen Händchen bei der Filmauswahl einen Zustand permanenter guter Laune erzeugten. Doch im Jahr Kosslick IV umwehte die Berlinale Eiseskälte, im wörtlichen Sinn mit dichtem Schneetreiben und im übertragenen durch das doppelte Mißvergnügen von Cineasten und Glamouristen. Es waren nicht genug da – weder gute Filme noch Stars der A-Klasse. ... So schleppten sich diese 55. Filmfestspiele dahin, ohne den nötigen Funken an Empörung oder Begeisterung.«
Hanns-Georg Rodek, Welt, 19. Februar 2005»Ein Festivalleiter, der sein sozialdemokratisches Herz gern mal nach außen stülpt und sich in den letzten Jahren durch die offensive Politisierung seines Wettbewerbs profilierte, verwechselt Engagement mit Event-Rhetorik, wenn er ein solches Machwerk zum Auftakt eines ›Afrika-Schwerpunkts*g erklärt. Ohnehin verlor sich dieser politische Anspruch bei Filmen, die ihre Themen – vom Völkermord in Ruanda bis zur unterdrückten Frau im England der Fünfziger – zwischen kläglicher Formlosigkeit und purer Konvention verrieten. Im Profilierungsduell der großen Festivals hat die Berlinale nur eine Chance, wenn sie ganz offensiv auf die Filme setzt. Wenn sie sich vom parasitären Eventjournalismus, von kindisch am Image des Festivals vorbei zielenden Sponsorenforderungen, aber auch von den scheinheiligen Stardiskussionen der so genannten seriösen Presse emanzipiert. Es mag sich paradox anhören, aber nur wenn das Festival souverän auf seiner filmästhetischen Kompetenz beharrt, kann es auch im Glamourgewese selbstbewusst mitmischen, ohne sich erpressbar zu machen.‹«
Katja Nicodemus, ZEIT 24.2.2005
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Manchmal genügt es, in alten Texten zu Blättern, und sie einfach noch einmal hervorzuholen. Daher, leider aus sehr aktuellem Anlass, ein Text von mir aus dem Jahr 2012, aus Anlaß eines Berliner Symposiums zum Zustand der Berlinale.
Er ist unverändert, es gibt keinen Grund, auch nur ein Wort zu ändern.
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Ein Filmfestival wie die Berlinale ist vieles und muss vieles sein. Sie ist ein Marktplatz, ein Schaufenster des Weltkinos, sie ist eine spezielle Bühne des europäischen und des deutschen Films. Sie ist heute selbst Film-Koproduzent, Filmakademie, Filmmuseum. Sie ist ein Aufmerksamkeitsverstärker, eine Fachmesse, ein Publikumsevent, nach eigenem Selbstverständnis ein besonderer Ort für den politischen Film.
Wie wichtig ist in diesem Geflecht von Funktionen das,
was die Berlinale früher vor allem war und – vielleicht sogar nach eigenem Verständnis – auch immer sein soll: Ein Ort für Entdeckungen neuer Trends und Tendenzen, unbekannter Regisseure und übersehener oder unterrepräsentierter Filmregionen und Kinematografien?
Ist, anders gefragt, die Berlinale so gut, wie sie sein kann? Stimmen Selbstdarstellung und Wirklichkeit der Berlinale überein? Das sind die Leitfragen.
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Wer von der Berlinale erwartet, einen von ästhetischen Maßstäben geprägten Querschnitt durch das Weltkino zu bieten und so einen Blick auf die Zukunft des Kinos zu ermöglichen, kann mit dem Programm nicht glücklich werden. Die Versäumnisse des Festivals in dieser Hinsicht kristallisieren sich im Wettbewerb, dem erklärten Aushängeschild des Festivals, setzen sich in den anderen Sektionen und neu eingeführten Reihen aber ebenso fort. Auch über das Panorama und das Forum muss
gesprochen werden, Reihen, die viele Kritikerkollegen gerne aufsuchen, die aber jedenfalls nicht besser geworden sind in den letzten Jahren.
Die Programmauswahl scheint sich deswegen mit Kunst schlecht zu vertragen, weil es dort vor allem um Proporz und Ausgewogenheit geht. Einen interessanten Beleg hierfür kann die Analyse des Katalogs bieten: Man überprüfe die Wettbewerbsfilme nicht daraufhin, aus welchen Ländern sie kommen, von welchen Regisseuren sie gemacht wurden und
worum es in ihnen geht, sondern achte darauf, wer ihr Weltvertrieb ist, wer sie produziert und, sehr wichtig: wer sie gefördert hat. Statt also zu sagen, drei deutsche Filme sind im Wettbewerb, müsste man melden: acht Filme von Match Factory oder neun von der Filmstiftung NRW geförderte Filme. Das sind die Zahlen. Natürlich kann man darauf antworten, Wild Bunch hat sehr viele Filme in Cannes. Nur macht es das besser?
Die Frage ist: Wie verstehen wir den Wettbewerb richtig, wie
haben wir ihn überhaupt zu bewerten? Ist der Wettbewerb nur ein Showcase für die deutschen Förderleistungen und für das, was mit deutschen Steuergeldern gemacht wird, oder für das, was deutsche Weltvertriebe eingekauft haben? Oder geht es um andere Dinge? Das klingt nach Verschwörungstheorie, vielleicht spielen solche Kriterien auch gar keine Rolle. In den letzten vier bis fünf Jahren sprechen die Zahlen jedoch dafür. Und auch die zum Teil entsprechend vernetzten Jurys.
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Zum einen müsste man fragen, ob die Berlinale deutschen Produktionen wirklich hilft. Wir wissen, dass diese, wenn sie unmittelbar nach der Berlinale anlaufen, nicht sehr gute Zahlen an der Kasse machen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Zum anderen ist zu bezweifeln, ob ein gewisser Boom des deutschen Films wirklich dem Engagement der Berlinale zu verdanken ist. Oder ob umgekehrt nicht deshalb mehr deutsche Filme auf der Berlinale laufen, weil es eben auch mehr gute deutsche Filme gibt als früher.
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Dass die Berlinale eine Plattform für politische Filme sei, gilt neben der Förderung des deutschen Films als ihre Stärke. Doch bei Ersterem ist natürlich die Frage, was für ein Politikbegriff da zugrunde liegt. Meine persönliche Ansicht ist, dass es sich dabei doch sehr oft um Wohlfühlfilme handelt, um politisch korrekte, sentimentale Werke, die moralisieren, nicht politisieren. Deren politische Haltung selten provoziert, aber oft wohlfeil ist. Der Begriff des Politischen
wird im typischen Berlinale-Beitrag ziemlich plakativ dahingehend interpretiert, was für Themen zum Beispiel in den Nachrichten sind. Ein iranischer Film ist dann deswegen politisch, weil wir alle viel über den Iran lesen und hören, weil es dort etwa die gefälschten Wahlen gab. Aber macht das einen Film schon politisch? Vielleicht macht es ihn interessant, und man kann ihn durchaus im Wettbewerb zeigen. Nur sollte man das noch nicht „politisch“ nennen. Zumal dann in der
Auswahl andere Arbeiten durchs Raster fallen.
Gerade wenn man fragt, welche Filme die Berlinale eigentlich entdeckt hat – sei es im Wettbewerb oder in anderen Reihen –, fällt einem wenig ein, das – um ein Beispiel zu nennen – gleichwertig wäre mit den Rumänen, die vor allem in Cannes liefen. Einzelne Filmemacher liefen womöglich im Forum, aber man war weit davon entfernt wahrzunehmen, dass in Rumänien eine ganz eigene, ästhetisch starke Kinematografie
entstanden ist. Cannes ist das nicht nur durch die Goldene Palme für 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage (2007) gelungen, sondern bereits im Jahr davor mit einer klugen Programmierung, die das Land in den Vordergrund gerückt hat. Ich erinnere daran, dass früher im Forum Länder-Schwerpunkte liefen, ich kann mich an keinen Länderschwerpunkt unter Christoph Terhechte erinnern, außer im ersten Jahr mit
China.
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Der von der Berlinale ins Leben gerufene World Cinema Fund mag ökonomisch eine Erfolgsgeschichte sein, künstlerisch läuft es oft genug auf Neokolonialismus heraus und auf Förderung eines Arthouse-Mainstream (andere sagen Wellness-Arthouse), der radikale Gegenentwürfe und wirklich alternative Filmsprachen beiseite drängt und oft genug nur mittelmäßige Filme produziert. Zudem wird die grundsätzliche Problematik kaum reflektiert, dass ein Filmfestival, das als Plattform und Präsentationsort, vor allem aber als unabhängiger Kurator für fertige Filme auftreten soll, nun selbst zum Filmproduzenten wird.
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Mir scheint, die Leitung verwechselt den berechtigten Wunsch, ein populäres Festival zu veranstalten, mit haltungslosem Populismus. Die gern beschworene Floskel vom „Publikumsfestival“ sollte etwas relativiert werden.
Der Gegensatz zu Cannes, der damit suggeriert wird, ist zum einen so nicht ganz richtig, da es durchaus möglich ist, auch in Cannes an Karten zu kommen, ob in parallelen Vorstellungen oder nach dem Festival. Die Berlinale ist auch bei Weitem nicht
das einzige Festival, das viele Zuschauer anzieht. Cannes ist zudem ein sehr spezieller Fall – auf fast allen sonst wichtigen Festivals gibt es natürlich für jedermann die Möglichkeit, Karten zu kaufen, und die wird in Locarno, in San Sebastian, selbst in Venedig (obwohl der Lido ein problematischer Ort ist), auch viel genutzt. Zudem ist die Möglichkeit, »für jede Vorstellung und jeden Film eine Karte zu bekommen, auch im Fall der Berlinale eher theoretisch. Wer einmal in der
Schlange vor einer regulären Kasse stundenlang für Karten anstand, weiß davon ein Lied zu singen. Oft ist er enttäuscht worden, die Kartenvergabe ist zumindest ein Glücksspiel. Ein Publikumsfestival ist auch Hamburg oder München.
Zum anderen: Ist großer Publikumszulauf immer nur etwas Gutes? Denn wenn wir ökonomisch denken, geht es ja auch darum, dass die Leute, sobald ein Film regulär startet, die Karten dem Kinoverleiher bezahlen und sie an der Kinokasse kaufen. Manche
Filmemacher, viele Produzenten, Verleiher und Kinobetreiber berichten, wenn ihre Filme auf der Berlinale laufen, „machen wir in Berlin keine Zahlen mehr“. Ein Filmfestival sollte eine Fachmesse bleiben, nicht Ersatz des regulären Kinobesuchs.
Schließlich heißt „Publikumsfestival“ auch nicht, dass alle Karten bekommen. Man braucht nur an die Kollegen zu denken, die Fachakkreditierungen haben, teilweise drei Stunden anstehen und keine Karte bekommen.
Der Argumentations-Komplex „Publikumsfestival“ ist vor allem Marketing und ein bisschen Schönfärberei, die für die Sponsoren und die zuständigen Politiker recht gut klingt.«
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Die Berlinale ist vortrefflich in eine zeitgemäße Event-Kultur eingebettet und funktioniert nach Mechanismen der Ver-Marktung: Unter Dieter Kosslick hat die Bedeutung von Sponsoren und Medienpartnern noch erheblich zugenommen.
Obwohl die Berlinale vor allem mit öffentlichen Geldern finanziert ist, wächst die Bedeutung und damit der Einfluss von Sponsoren und von Ticketeinnahmen. Letzteres hat zur Folge, dass das Programm viel deutlicher auf Publikumswirksamkeit hin
designt wird: Ein Paradebeispiel ist die neu eingeführte und seitdem ausgeweitete Berlinale-Special-Reihe: Filme, die Dieter Kosslick offenkundig für zu schlecht für den Wettbewerb hält, deren Vorführung aber als industriepolitisch nützlich und publikumswirksam eingeschätzt wird, wie Hilde oder John Rabe im Jahr 2009, wie Henri 4 oder Die Friseuse 2010, laufen an Orten wie dem Friedrichstadt-Palast weitgehend unter Ausschluss der akkreditierten Besucher.
Damit einher geht die wachsende Bedeutung des Marketing und des „Bedienens“ der
Medien mit PR-Aktionen: Die Berlinale muss jeden Tag weit mehr als nur ein einziges Event schaffen. Das geschieht mittels Stars, Nachrichten, Attraktionen. Sollten auch noch die Filme attraktiv sein – umso besser. Zielgruppe sind primär die Medien als Durchlauferhitzer, und durch sie dann zum einen die Fachbesucher und zum anderen das normale Publikum, dem die Medienrezeption meist das direkte Festivalerlebnis ersetzt. All das hat eine Konfektionierung der Erfahrung von
Festivals zur Folge. Die Festival-PR-Maschinen produzieren bereits im Vorfeld eine ununterbrochene Marktschreierei, ein Bombardement aus Pressemitteilungen, die mit Sponsorennamen und Selbstlob garniert sind, ein permanenter Superlativ.
Verstärkt wird dies über sogenannte Medienpartnerschaften. Fernsehsender, die oft genug auch an den gezeigten Filmen beteiligt sind, fungieren einerseits als Berlinale-Sponsoren, andererseits berichten sie dann in Sonderprogrammen
über die Berlinale, mit Kosslick-Auftritt und so weiter – wie distanziert und unabhängig, davon kann sich jeder selbst überzeugen. Ein anderes Beispiel ist jetzt die „DVD-Berlinale-Edition“, die in der „Cinemathek“ einer süddeutschen Tageszeitung erscheint – garniert mit dem Berlinale-Logo.
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Fazit: Die Berlinale ist im schärfer gewordenen Verdrängungswettbewerb der Filmfestivals qualitativ eine gefährdete Marke. Das ist längst keine Einzelmeinung mehr und auch kein Kritikervorurteil. Während sie in die dubiose Breite von Kulinarischem Kino und Berlinale Special für fett geförderte Fernsehfilme expandiert, während die Nebenreihen immer öfter die besseren Filme enthalten, zeigt ausgerechnet der Wettbewerb als Aushängeschild die künstlerisch
entbehrlichsten Filme. Die Berlinale wird durch Verbreiterung, Nivellierung und populistisches Design des Programms ihrer Rolle als Kurator immer weniger gerecht. Sie verändert sich insgesamt zu ihrem Nachteil.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen, nach denen es zum Direktor keine personelle Alternative zu geben scheint, in denen Verträge ohne öffentliche Debatte und Ausschreibung par ordre du mufti verlängert werden und die Träger des Festivals an der so antiquierten wie
überholten Idee eines allmächtigen Direktor/Diktators festhalten, gilt leider trotzdem mehr denn je: Die Berlinale kann gar nicht besser sein.