68. Berlinale 2018
»Das 21. Jahrhundert wird ein afrikanisches Jahrhundert sein« |
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Einer der großen Hits der letzten Jahre: David Gitongas Nairobi Half Life | ||
(Foto: Rushlake Media / Berlinale) |
Von Axel Timo Purr
»Ein Ertrunkener muss die Wellen nicht mehr fürchten.«
-Afrikanisches Sprichwort, in David G. Maillu: African Indigenous Political Ideology, Africas cultural interpretation of democracy. Nairobi, 1997.
Man mag sich an dem normalen Festivalbetrieb der Berlinale reiben, in einem anderen Segment funktioniert die Berlinale ganz hervorragend, der von Moritz de Hadeln und Beki Probst seit 1988 reformierten »Film Fair« der Berlinale, die unter Dieter Kosslick weitere Anschübe erfuhr und zwar nicht nur durch ihre Umbenennung in European Film Market (EFM). Beki Probst wurde 2014 als Präsidentin des EFM von Matthijs Wouter Knol abgelöst, der jedoch Probst Strategie konsequent fortführt. Anders als Dieter Kosslick für die Bedeutung »seiner« Berlinale in der Festivalwelt, kann Knol für seinen »European Film Market« behaupten, inzwischen zu den drei wichtigsten Filmmärkten der Welt zu gehören. Mit 730 gehandelten Filmen im letzten Jahr ist der EFM zwar nicht der größte Filmmarkt, aber Knol grenzt sich hier deutlich von dem Quantitätsanspruch des Festivalbetriebs ab und setzt vielmehr auf Qualität und neue Märkte eines an schon weit über Europa hinausreichenden Marktplatzes.
Dazu gehört auch die seit letztem Jahr erfolgte Einbeziehung des afrikanischen, insbesondere des sub-saharischen Filmmarktes, der sich auch in diesem Jahr wieder unter dem Label »African Hub« firmierte und über Kurzpräsentationen und Podiumsdiskussionen ein erfreulich gegen den medialen Mainstream gebürstetes Afrika-Bild präsentierte. Zwar ist jedem, der sich mit afrikanischen Kulturräumen beschäftigt, die Komplexität und reiche Historizität des Kontinents bewusst. Aber sie auch zu vermitteln, ist etwas ganz anderes. Immerhin versucht auch der Festivalbetrieb der Berlinale zumindest in Ansätzen dem gerecht zu werden: etwa durch die Präsentation des wiederentdeckten nigerianischen Filmklassikers Shaihu Umar im Forum oder die Aufnahme von innovativen Kinder- und Jugendfilmen ins »Generation«-Programm wie Jenna Bass High Fantasy oder Likarion Wainainas Supa Modo.
Gerade die »Generation«-Filme erinnern daran, was Afrika auch für den internationalen Filmmarkt so interessant macht – eben die jungen Generationen. In einem Blogeintrag der Weltbank brachte es Anne Margreth Bakilana 2015 auf den Punkt: »Of the world’s top ten countries with the youngest populations, eight are in sub-Sahara Africa. By 2050, the region will be home to all 10. ›Diese Aussage lässt sich fast schon ideal – und wie auf der Africa Hub-Website auch geschehen – neben der etwas populistisch in die Welt geworfenen Arbeitshypothese des kamerunischer Politikwissenschaftlers und postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe platzieren, der immer wieder vom 21. Jahrhundert als »afrikanischem Jahrhundert« spricht.‹«
Die Präsentationen und Diskussionen im Africa-Hub-Pavillion betonen die von Mbembe umrissene Aufbruchstimmung. Statt Angst vor einer dystopischen Auslegung der Weltbankzahlen – die ebenfalls ihre Berechtigung hätte – werden vor allem die positiven Wirtschaftsindikatoren der letzten Jahre betrachtet und die daraus resultierenden Erfolge auch im Bereich des Films.
Das ist für den eurozentrischen Blick insofern überraschend, als von »Kino« im klassischen Sinn im afrikanischen Kontext kaum mehr gesprochen wird. Denn bis auf vereinzelte Multiplexe in urbanen Ballungsräumen wie Nairobi, Lagos, Kapstadt oder Johannesburg existiert das traditionelle Kino in vielen afrikanischen kaum mehr, sind viele der alten Lichtspielhäuser inzwischen in Kirchen oder Kongresszentren überführt worden. Und nur in den großen Slums und auf dem Land (wie etwa auch in Wainainas Supa Modo thematisiert) existieren weiterhin informelle Mini-Kinos und Projekte wie der NRB-Bus in Nairobi, der sich nicht nur als mobiles Produktionsstudio versteht, sondern auch Filmabende und Partys organisiert.
Statt sich um eine Auferstehung der Toten zu bemühen, konzentrieren sich kleine und größere Projekte auf das Leben nach dem Kino und das Überleben des Films. Denn fallende mobile Datentarife, eine ständig wachsende Klientel junger Menschen und eine sich zunehmend etablierende Mittelklasse sind durchaus bereit sich auf das Abenteuer Film einzulassen. Und im Rahmen einer sich auch kulturell von übertragenen kolonialen Mustern emanzipierenden Gesellschaft wird zunehmend lokaler Content in regionalen Sprachen interessant. Nollywoods Produktion etwa profitiert seit Jahren von dieser Entwicklung und hat ihr Portfolio bis in die abstrusesten Nischen ausgeweitet.
Doch statt wie bisher die Filme als DVD auf der Straße zu verkaufen wird lokal produzierter Content zunehmend über regionale Streaming-Portale vertrieben, die nicht selten zu großen westlichen Konzernen wie etwa der TRACE-Gruppe gehören. Aber auch kleinere Projekte haben Chancen. Afrinolly etwa vertreibt auf seinen Apps Nollywood-Filme, AfriDocs präsentiert auf seinem Internetkanal auch politisch provozierendes Doku-Material, das vom Publikum auch angenommen wird. Und um jüngere Generationen »filmisch« zu mobiliseren, organisiert die in Nairobi beheimatete Stiftung Docubox Screenings an Schulen im ganzen Land.
Das sich mehr und mehr als regionaler Vernetzungs-Hub für das lokale Produktionsumfeld in Ostafrika etablierende Zanzibar International Film Festival (FIFF) geht sogar noch einen Schritt weiter. Um regionale Web-Serien und Filme noch erfolgreicher zu machen und dafür nicht den Umweg über teure, westliche Produktionsstätten gehen zu müssen, wurde ein italienisches Special Effects Studio animiert, einen Ableger in Nairobi zu eröffnen. Neben diesem »Upsizing« von lokalem Content wird gleichzeitig der Kunde im Auge behalten, der sich nur im seltensten Fall einen großen Fernseher leisten kann, sondern auf den Bildschirm seinen Smartphones angewiesen ist. In regelrechten »Downsizing«-Kursen regionaler NGOs und informeller Filmklassen wird deshalb auch gelehrt, welche filmischen Stilmittel für kleine Bildschirme besonders wichtig sind und wie sie angewandt werden.
Zwar gibt es bei der Verteilung von regionalen Inhalten immer wieder auch Rückschläge, hatte etwa die VOD-Plattform des World Cinema Funds so geringe Abrufe von regionalem Content, dass sie ihr Projekt nach zwei Jahren wieder einstellte und ein Dilemma erlebte, das an das rumänische Kino erinnert, das zwar auf westlichen Festivals erfolgreich ist, aber im eigenen Land nicht angenommen wird. Aber mehrheitlich scheint sich die Verteilung von regional produzierten Filmen in Afrika mehr und mehr zu etablieren; vor allem mit großem Aufwand und europäischen Teilhabern finanzierte Filme mit afrikanischem Inhalt beginnen sich auch im außerafrikanischen Ausland zu verkaufen. Die in Köln ansässige Vertriebsfirma Rushlake Media etwa ist nicht nur für den von Tom Tykwer mitproduzierten Supa Modo verantwortlich, sondern hatte mit David Gitongas Nairobi Half Life einen regelrechten Hit, der sich u.a. durch die Klientel der afrikanischen Diaspora auf immerhin eine Million legale, weltweite Abrufe belief. Dem Regisseur wie den meisten Kreativen im afrikanischen Filmmarkt helfen diese Erfolge jedoch bislang wenig; Gitonga hat seit seinem Erfolg 2012 kein weiteres Filmprojekt realisieren können.