01.03.2018
68. Berlinale 2018

»Das 21. Jahr­hun­dert wird ein afri­ka­ni­sches Jahr­hun­dert sein«

Nairobi Half Life
Einer der großen Hits der letzten Jahre: David Gitongas Nairobi Half Life
(Foto: Rushlake Media / Berlinale)

Der African Hub-Ableger des »European Film Markets« der Berlinale agiert jenseits eurozentrischer Meinungsbildung und bietet Visionen an, die auch dem sterbenden Kino in Europa von Nutzen sein könnten

Von Axel Timo Purr

»Ein Ertrun­kener muss die Wellen nicht mehr fürchten.«
-Afri­ka­ni­sches Sprich­wort, in David G. Maillu: African Indi­ge­nous Political Ideology, Africas cultural inter­pre­ta­tion of democracy. Nairobi, 1997.

Man mag sich an dem normalen Festi­val­be­trieb der Berlinale reiben, in einem anderen Segment funk­tio­niert die Berlinale ganz hervor­ra­gend, der von Moritz de Hadeln und Beki Probst seit 1988 refor­mierten »Film Fair« der Berlinale, die unter Dieter Kosslick weitere Anschübe erfuhr und zwar nicht nur durch ihre Umbe­nen­nung in European Film Market (EFM). Beki Probst wurde 2014 als Präsi­dentin des EFM von Matthijs Wouter Knol abgelöst, der jedoch Probst Strategie konse­quent fortführt. Anders als Dieter Kosslick für die Bedeutung »seiner« Berlinale in der Festi­val­welt, kann Knol für seinen »European Film Market« behaupten, inzwi­schen zu den drei wich­tigsten Film­märkten der Welt zu gehören. Mit 730 gehan­delten Filmen im letzten Jahr ist der EFM zwar nicht der größte Filmmarkt, aber Knol grenzt sich hier deutlich von dem Quan­ti­täts­an­spruch des Festi­val­be­triebs ab und setzt vielmehr auf Qualität und neue Märkte eines an schon weit über Europa hinaus­rei­chenden Markt­platzes.

Dazu gehört auch die seit letztem Jahr erfolgte Einbe­zie­hung des afri­ka­ni­schen, insbe­son­dere des sub-saha­ri­schen Film­marktes, der sich auch in diesem Jahr wieder unter dem Label »African Hub« firmierte und über Kurz­prä­sen­ta­tionen und Podi­ums­dis­kus­sionen ein erfreu­lich gegen den medialen Main­stream gebürs­tetes Afrika-Bild präsen­tierte. Zwar ist jedem, der sich mit afri­ka­ni­schen Kultur­räumen beschäf­tigt, die Komple­xität und reiche Histo­ri­zität des Konti­nents bewusst. Aber sie auch zu vermit­teln, ist etwas ganz anderes. Immerhin versucht auch der Festi­val­be­trieb der Berlinale zumindest in Ansätzen dem gerecht zu werden: etwa durch die Präsen­ta­tion des wieder­ent­deckten nige­ria­ni­schen Film­klas­si­kers Shaihu Umar im Forum oder die Aufnahme von inno­va­tiven Kinder- und Jugend­filmen ins »Gene­ra­tion«-Programm wie Jenna Bass High Fantasy oder Likarion Wainainas Supa Modo.

Gerade die »Gene­ra­tion«-Filme erinnern daran, was Afrika auch für den inter­na­tio­nalen Filmmarkt so inter­es­sant macht – eben die jungen Gene­ra­tionen. In einem Blog­ein­trag der Weltbank brachte es Anne Margreth Bakilana 2015 auf den Punkt: »Of the world’s top ten countries with the youngest popu­la­tions, eight are in sub-Sahara Africa. By 2050, the region will be home to all 10. ›Diese Aussage lässt sich fast schon ideal – und wie auf der Africa Hub-Website auch geschehen – neben der etwas popu­lis­tisch in die Welt gewor­fenen Arbeits­hy­po­these des kame­ru­ni­scher Poli­tik­wis­sen­schaft­lers und post­ko­lo­nialen Theo­re­ti­kers Achille Mbembe plat­zieren, der immer wieder vom 21. Jahr­hun­dert als »afri­ka­ni­schem Jahr­hun­dert« spricht.‹«

Die Präsen­ta­tionen und Diskus­sionen im Africa-Hub-Pavillion betonen die von Mbembe umrissene Aufbruch­stim­mung. Statt Angst vor einer dysto­pi­schen Auslegung der Welt­bank­zahlen – die ebenfalls ihre Berech­ti­gung hätte – werden vor allem die positiven Wirt­schafts­in­di­ka­toren der letzten Jahre betrachtet und die daraus resul­tie­renden Erfolge auch im Bereich des Films.

Das ist für den euro­zen­tri­schen Blick insofern über­ra­schend, als von »Kino« im klas­si­schen Sinn im afri­ka­ni­schen Kontext kaum mehr gespro­chen wird. Denn bis auf verein­zelte Multi­plexe in urbanen Ballungs­räumen wie Nairobi, Lagos, Kapstadt oder Johan­nes­burg existiert das tradi­tio­nelle Kino in vielen afri­ka­ni­schen kaum mehr, sind viele der alten Licht­spiel­häuser inzwi­schen in Kirchen oder Kongress­zen­tren überführt worden. Und nur in den großen Slums und auf dem Land (wie etwa auch in Wainainas Supa Modo thema­ti­siert) exis­tieren weiterhin infor­melle Mini-Kinos und Projekte wie der NRB-Bus in Nairobi, der sich nicht nur als mobiles Produk­ti­ons­studio versteht, sondern auch Film­abende und Partys orga­ni­siert.

Statt sich um eine Aufer­ste­hung der Toten zu bemühen, konzen­trieren sich kleine und größere Projekte auf das Leben nach dem Kino und das Überleben des Films. Denn fallende mobile Daten­ta­rife, eine ständig wachsende Klientel junger Menschen und eine sich zunehmend etablie­rende Mittel­klasse sind durchaus bereit sich auf das Abenteuer Film einzu­lassen. Und im Rahmen einer sich auch kulturell von über­tra­genen kolo­nialen Mustern eman­zi­pie­renden Gesell­schaft wird zunehmend lokaler Content in regio­nalen Sprachen inter­es­sant. Nolly­woods Produk­tion etwa profi­tiert seit Jahren von dieser Entwick­lung und hat ihr Portfolio bis in die abstru­sesten Nischen ausge­weitet.

Doch statt wie bisher die Filme als DVD auf der Straße zu verkaufen wird lokal produ­zierter Content zunehmend über regionale Streaming-Portale vertrieben, die nicht selten zu großen west­li­chen Konzernen wie etwa der TRACE-Gruppe gehören. Aber auch kleinere Projekte haben Chancen. Afrinolly etwa vertreibt auf seinen Apps Nollywood-Filme, AfriDocs präsen­tiert auf seinem Inter­net­kanal auch politisch provo­zie­rendes Doku-Material, das vom Publikum auch ange­nommen wird. Und um jüngere Gene­ra­tionen »filmisch« zu mobi­li­seren, orga­ni­siert die in Nairobi behei­ma­tete Stiftung Docubox Scree­nings an Schulen im ganzen Land.

Das sich mehr und mehr als regio­naler Vernet­zungs-Hub für das lokale Produk­ti­ons­um­feld in Ostafrika etablie­rende Zanzibar Inter­na­tional Film Festival (FIFF) geht sogar noch einen Schritt weiter. Um regionale Web-Serien und Filme noch erfolg­rei­cher zu machen und dafür nicht den Umweg über teure, westliche Produk­ti­ons­stätten gehen zu müssen, wurde ein italie­ni­sches Special Effects Studio animiert, einen Ableger in Nairobi zu eröffnen. Neben diesem »Upsizing« von lokalem Content wird gleich­zeitig der Kunde im Auge behalten, der sich nur im seltensten Fall einen großen Fernseher leisten kann, sondern auf den Bild­schirm seinen Smart­phones ange­wiesen ist. In regel­rechten »Down­si­zing«-Kursen regio­naler NGOs und infor­meller Film­klassen wird deshalb auch gelehrt, welche filmi­schen Stil­mittel für kleine Bild­schirme besonders wichtig sind und wie sie angewandt werden.

Zwar gibt es bei der Vertei­lung von regio­nalen Inhalten immer wieder auch Rück­schläge, hatte etwa die VOD-Plattform des World Cinema Funds so geringe Abrufe von regio­nalem Content, dass sie ihr Projekt nach zwei Jahren wieder einstellte und ein Dilemma erlebte, das an das rumä­ni­sche Kino erinnert, das zwar auf west­li­chen Festivals erfolg­reich ist, aber im eigenen Land nicht ange­nommen wird. Aber mehr­heit­lich scheint sich die Vertei­lung von regional produ­zierten Filmen in Afrika mehr und mehr zu etablieren; vor allem mit großem Aufwand und europäi­schen Teil­ha­bern finan­zierte Filme mit afri­ka­ni­schem Inhalt beginnen sich auch im außerafri­ka­ni­schen Ausland zu verkaufen. Die in Köln ansässige Vertriebs­firma Rushlake Media etwa ist nicht nur für den von Tom Tykwer mitpro­du­zierten Supa Modo verant­wort­lich, sondern hatte mit David Gitongas Nairobi Half Life einen regel­rechten Hit, der sich u.a. durch die Klientel der afri­ka­ni­schen Diaspora auf immerhin eine Million legale, weltweite Abrufe belief. Dem Regisseur wie den meisten Kreativen im afri­ka­ni­schen Filmmarkt helfen diese Erfolge jedoch bislang wenig; Gitonga hat seit seinem Erfolg 2012 kein weiteres Film­pro­jekt reali­sieren können.