35. Filmfest München 2018
Make Bavaria Great Again! |
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Festivalleiterin Diana Iljine ließ sich bei der Pressekonferenz von den Herren der Politik einrahmen | ||
(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
»Bayern ist nicht nur ein Land der Tradition, sondern auch der Innovation.« Die alte Leier von Laptop & Lederhosen – mit ihr begann Ministerpräsident Söder am vergangenen Freitag die Vorstellung der »Neuausrichtung und Weiterentwicklung des Münchner Filmfests« im Beisein von Festivalleiterin Diana Iljine und Medienminister Georg Eisenreich. Film war im weiteren immer auch »Medien«, in einem Atemzug: »Ich bin ein großer Cineast seit meiner Jugend. Deswegen ist mir Film- und Medienpolitik von ganz besonderer Bedeutung.« Die Film- und Festivalförderung in Bayern untersteht seit Söders Amtsantritt wieder der Staatskanzlei, nachdem sie erst vor fünf Jahren dem Wirtschaftsministerium unterstellt worden war. Er schuf dafür jetzt das neue Ministerium für »Digitales, Medien und Europa«. Minister ist Georg Eisenreich, zugleich auch der neue Aufsichtsratsvorsitzende des Film- und Fernsehfonds Bayern (FFF), der obersten Vergabestelle für Film-, Games- und Festivalförderung in Bayern. Ab Herbst 2018 wird er auch dem Aufsichtsrat der Internationalen Münchner Filmwochen GmbH (Veranstalter des Filmfests) vorstehen, wie am Freitag bekannt wurde. »Alle Bereiche in einer Hand«, hatte Söder seine Umstrukturierung im April angepriesen. Minister Eisenreich ist funktional wie ein Staatssekretär eingeordnet und damit dem Ministerpräsidenten weisungsgebunden. Woraus sich ableitet: Film- und Medienpolitik ist von nun an Chefsache, alternativlos.
Ob das neue Vorhaben zum Filmfest also Leiterin Diana Iljine als »Antragstellerin« zu verdanken ist, wie Söder es darstellte, oder ob sie der »ganz eigenen Vision« von Söder folge, wie sie selbst sagte, wurde am Freitag nicht abschließend klar. Irgendetwas dazwischen muss es gewesen sein. Der Wunsch nach mehr Geld für das Filmfest ging demnach einher mit einer Idee, die den »Ausbau, die Vernetzung und stärkere Sichtbarkeit« des Filmfests zum Ziel hatte. Sicherlich war auch die Rede von den filmfernen »Elementen«, wie Serien, Games und Virtual Reality, die in der Vergangenheit schon eine (Neben-)Rolle beim Filmfest gespielt hatten und jetzt zu »Säulen« ausgebaut werden sollen. Fernsehserien haben seit einiger Zeit beim Filmfest Premiere, als lizenzfreie Appetizer, im Bereich der Games habe es in der Vergangenheit bereits Kooperationen mit der Games-Plattform Werk1 gegeben, so Iljine. Spuren dazu finden sich bei der Recherche im Internet allerdings nicht.
Dafür findet sich, dass die Plattform, die auch »Games Bavaria« hostet, mehrheitlich in öffentlicher Hand ist. Zehn Prozent fallen auf die Stadt München, 26 auf den Freistaat Bayern und zwanzig auf die Bayerische Landeszentrale für Medien, die wiederum dem Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unterstellt ist. Dieser wiederum steht seit April 2018 die Gattin von Söder-Freund Marcel Reif vor; über die abenteuerliche Spezlwirtschaftsamtsvergabe hat die frischgebackene Ministerin Marion Kiechle ausführlich in einer ARD-Talkshow Auskunft gegeben (ab Minute 27, eingeleitet von Giovanni di Lorenzos Worten: »Es gibt aber noch einen anderen Mann in Ihrem Leben«).
Alle und alles also bereits bestens vernetzt. Auch »Games Bavaria« ist im Schulterschluss von Staat und Wirtschaft öffentlich-privat getragen, mit kräftigen Finanzspritzen aus dem FFF und der Bayerischen Staatskanzlei. Laut Website ist die »Mission«, die Beziehungen zu vertiefen und zu erweitern, innerhalb der »lokalen, nationalen und internationalen Spieleindustrie«.
Ohne Mission und Vision geht es nicht. Söder weiß: »Wir haben in Bayern eine ganz besondere Grundqualität, die andere nicht haben, die sich aus der Gamesszene ableitet. Virtual Reality, Gamesszene sind Rechenmodelle, zusätzliche Kapazitäten, die für die künftigen Entwicklungen von Filmen international eine große Rolle spielen können. Deswegen wollen wir neben der klassischen Filmentwicklung künftig auch genau dort einen Schwerpunkt setzen, in der Verschränkung von normalem Film und Virtual Reality und auch von der Möglichkeit dessen, was aus der Gamesbranche sich bereits an entsprechenden Auflösungsrechenkapazitäten…«
Auch wenn Söder seinen Satz nicht beendet, trauen wir ihm Fachwissen zu. Denn er weiß auch, dass »Game of Thrones« und schon früher, Der Herr der Ringe, ohne VR nicht denkbar wären. Minister Eisenreich hatte erst im Mai, also einen Monat nach seinem Amtsantritt, eine Reise nach Montreal unternommen, wo er der Firma »Rodeo FX«, verantwortlich für die Game-of-Thrones-Effekte, einen Besuch abstattete, die im September 2018 in München eine Filiale eröffnen wird. Die Online-Zeitung »GamesWirtschaft« berichtete: »Nun gehe es darum, weitere Unternehmen aus Film und Games zu überzeugen, nach Bayern zu kommen. 'Bei uns finden sie ein offenes Ohr, den FFF Bayern als finanzstärksten Förderpartner in den deutschen Ländern und ein Ökosystem erfolgreicher, innovativer Unternehmen', so Eisenreich: 'Bayern setzt auf Film und Games.'«
Wer also auch immer die Idee zur Ausweitung des Filmfests zur Games- und VR-Plattform gehabt haben mag: Sie steht im Dienste der Ambitionen des Ministerpräsidenten und folgt der Agenda der Staatsregierung.
Was aber soll die ganze kritische Recherche? Wer sollte schon etwas dagegen haben, wenn sich Wirtschaft in Bayern ansiedelt? Was, wenn nicht VR und Games, ist die Fortsetzung von »Film« mit modernen technischen Mitteln?
Es darf festgehalten werden: Es geht immer noch um das zweitgrößte deutsche Filmfestival, das jetzt zum »Medienfest« umgebaut werden soll. Was hier nach Plänen der CSU in Zukunft konkret geschehen wird, kann man sich besser vorstellen, wenn man guckt, wie Festivals das machen, die diese spezialisierte Ausrichtung bereits haben. Da gibt es zum Beispiel »Places«, Deutschlands erstes Festival für VR, das im April 2018 in Gelsenkirchen (NRW) erstmals stattgefunden hat. Die Fotos zeigen die Festivalbesucher mit der obligatorischen VR-Brille – im Zustand totaler Vereinzelung. Natürlich sind alle fröhlich und gut gelaunt. Schließlich hat es ja was sehr Unterhaltsames, Verblüffendes und auch Geisterbahnhaftes, sich in die virtuellen Welten zu begeben. Man erinnere sich: Auch die unter dem Angriff der neuen Medien in die Defensive geratene Kunstform Film begann als Sensation für die Sinne auf dem Jahrmarkt.
Da kann man sich leicht darüber lustig machen. Realität aber ist, dass auch renommierte Festivals wie Tribeca oder Sundance dieses Jahr auf VR oder AR (Augmented Reality) gesetzt haben. Tribeca zeigte die virtuellen »Storyscapes« und »Exhibits« in der kompetitiven Sektion »Tribeca Immersive«. Sundance nannte seine VR-Sektion »New Frontier at the Ray« und bemühte damit für seine virtuellen Welten das Siedlerstichwort der US-Landnahme. Auch hier: Fotos von sich selbst überlassenen Menschen mit Brille. Workshops und Panels holen das dann wieder als Gemeinschaftserlebnis ins Programm zurück.
Die lukrative Möglichkeit, unter dem neuen Themenfeld beiläufig Firmen zu präsentieren und Sponsoren zu gewinnen, macht der Games-Bereich deutlich. Hier sind die Künstlernamen bereits durch die Firmen, die die Spiele entwickeln, ersetzt.
Dass die Games jedoch beileibe nicht neu sind, und in den vergangenen Jahrzehnten eine ganz eigenständige Community entwickelt haben, die sich unabhängig von der Filmbranche denken lässt, ist unschwer aus der Tatsache zu folgern, dass das renommierte Independent Games Festival in San Francisco bereits vor 20 Jahren, 1998, gegründet wurde, um unabhängige Spieleentwickler analog zum Sundance-Filmfestival zu fördern. Den Bildern zu entnehmen, sitzt jeder für sich mit Headphones vor Rechnern und gamt vor sich hin. Wer sich Fotos von der 3. Dreamhack in Leipzig ansieht, sieht erstens, dass es dies in Deutschland auch schon gibt, zweitens, dass das mit einem Filmfestival ungefähr so viel zu tun hat wie eine Fahrradspeichenfabrik mit einer Wiederaufbereitungsanlage. Dabei tut die Messe alles, um sich als unkommerzielles Festival zu tarnen: »Ausgelassene Festivalstimmung, große Emotionen, strahlende Sieger, spannende Turniere, über 18.000 Besucher, Zuspruch aus ganz Europa«, jubelt die Pressemitteilung über das »vollgepackte Eventprogramm«.
Wieso soll sich das Filmfest verkünsteln? Es wäre dem Freistaat Bayern ein leichtes, ein eigenes, vom Filmfest unabhängiges Games-Festival zu gründen und mit den versprochenen drei Millionen Euro auf solide Füße zu stellen. VR gibt es ja schon längst auf Filmfestivals, das kann ohne Tamtam integriert werden.
Ums Tamtam aber geht es.
Söder, das machte er auf der Pressekonferenz unmissverständlich klar, will die Neuausrichtung des Filmfests in Konkurrenz zur Berlinale verstanden wissen. Das ist lächerlich und zeugt von unendlicher Provinzialität, die immer dann eintritt, wenn Bayern ein großes Rad drehen will. Mit den anvisierten 5,8 Millionen Euro Förderung (2,8 Mio derzeit von Stadt und Land, hinzu kommen drei Millionen vom Freistaat Bayern) kann es das Filmfest München kaum mit der mit 25 Millionen Euro ausgestatteten Berlinale aufnehmen. Die Berlinale ist zudem A-Festival und wird es mit dem neuen Leiter Carlo Chatrian vermutlich schaffen, mehr als bisher die interessanten Produktionen an Land zu ziehen.
Dagegen tritt Söder an: Bayern soll sich »beim Thema Film (…) nicht mit Platz zwei zufrieden geben. Wir sollten uns überlegen, da kompetitiver zu werden und voranzugehen. (…) Wir haben in den letzten Jahren schon erlebt, dass es gewisse Tendenzen gab nach Berlin. Das Ziel ist nicht zu sagen: Wir wollen national stärker werden. Wir wollen als internationaler Standort zukünftig noch spannender werden und eine Konkurrenz in einem eigenständigen Bereich aufbauen.« Über das schlechte Image der Landeshauptstadt weiß auch der ehemalige Finanzminister bestens Bescheid: »München soll nicht nur eine Stadt des Finanzplatzes sein, der Glitzertürme und des Geldes.« Ihm gehe es um das »kreative Feeling« in der Stadt, das in der letzten Zeit etwas abgenommen habe. »Wir müssen uns mehr Kreativität zutrauen!« Die investitionsfreudige Games-Industrie ist für ihn da die wunderbare Spagatlösung.
Dass das alles politisch zu verstehen ist, und über das Thema »Filmfest« hinausreicht, machte dann folgende Äußerung von Söder deutlich: »Erst einmal sind wir normalerweise immer freundlich zu Berlin [lacht]. Wir sind in dem Thema noch freundlicher als in anderen Themen der Zeit. Es ist ein sportlicher Beitrag, keine Kampfansage. Wenn ein großes Schlachtschiff da fährt, und dann wird’s wieder ein bisserl statisch, dann muss es an dieser Stelle ein Schnellboot werden. Wir
haben eigene Ideen, weil wir nicht so eingefahren sind, das Ganze weiterzuentwickeln.« Auf Dauer sei es schwer zu akzeptieren, dass Berlin so uneingeschränkt die Nummer eins sei. »Bayerisch denken, heißt größer denken!«, tönte Söder. Und: »Geld schießt Tore!« Berlin möge sicherlich arm und vielleicht sexy sein. Bayern aber sei wohlhabend! Und interessant!
Make Bavaria great again!
Dabei täte es dem Filmfest gut, gerade nach der Wahl der neuen Berlinale-Leitung, die mit Carlos Chatrian als künstlerischem Leiter und German-Films-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek klug gewählt wurde, tatsächlich ernsthaft über eine neue Rolle in der Festivallandschaft nachzudenken.
Das Filmfest München sammelt als Publikumsfestival vor allem die wichtigen Filme der großen Festivals ein, was wir Münchner schätzen, weil uns teure Reisen erspart bleiben. Viele der Filme kommen dann bald auch ins Kino, so dass das Filmfest immer mit dem Image zu kämpfen hat, das Programm auch aus vielen Previews zusammenzustellen, wie es andere bayerische Sommerfestivals auch machen, so das Fünf-Seen-Filmfestival oder auch die Münchner Filmkunstwochen.
Der mittlerweile gute Ruf des Filmprogramms begründet sich auf der von Neugier angetriebenen Arbeit der sechs Programmer, den Hommagen und den vom Publikum erst noch zu entdeckenden unbekannten Filmen. Diesen »Nucleus« (Iljine) des Festivals weiter zu schärfen und als Alleinstellungsmerkmal hervorzuheben, könnte für das Filmfest lohnenswert sein, um sich weiterhin im Gespräch zu halten – auch bei den an Film als Kunstform Interessierten, nicht nur der wirtschafts- und standortorientierten Filmbranche.
Vollzieht sich das neue Selbstverständnis jetzt aber zusätzlich über filmferne Sektionen, wird sich vielleicht die Branche für das neue Medienfestival interessieren. Eine neue, junge Zielgruppe wird die Spielflächen stürmen, aber kaum in die Kinos drängen und dort den internationalen Arthouse-Film entdecken. Der Filmsektor und das Kino hätten wenig gewonnen. Für alle anderen heißt es: das Rauschen der neuen Medien ausblenden und sich den Vorwurf gefallen lassen, sich die Scheuklappen einfach unverbesserlicher Cineasten anzulegen.