Kinos in München – Astor Film Lounge im Arri
Alles hat seinen Preis |
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Der Garderobier | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
Reflexartig schießt das Reizwort »Luxus« in den Kopf. Im neu umgebauten Arri, jetzt etwas sperrig »Astor Film Lounge im Arri« genannt, geht es nobel zu: Der so genannte »Doorman« begrüßt einen, die Mäntel werden an der Gaderobe entgegengenommen, man lässt sich in geräumige Kino-Ledersessel sinken, legt die Beine hoch und nimmt den Begrüßungscocktail in Empfang, der einem an den Platz gebracht wird. Während man auf den Filmbeginn wartet, bewundert man die LED-Lightshow, die die Wände bespielt, oder schmökert in einem Buch: die stehen griffbereit in den Bücherregalen des als Bibliothek gestalteten Kino-Saals im Keller. Und, wenn einem die Lektüre gefällt, kann man das Buch sogar mit nach Hause nehmen und fertiglesen.
Aber ist das alles schon Luxus? Sollten in der heutigen hochmodernen Zeit guter Service und die schönste und beste Ausstattung nicht selbstverständlich sein? Gerade in Hinblick auf die Konkurrenz, die die vielen privaten Wohnzimmer darstellen, scheint das für ein Kino doch durchaus angezeigt: Zu Hause winken Netflix, Pausentaste, Kühlschrank, die Beine hochlegen und auf der Couch einschlafen, im Kino dagegen Tuchfühlung mit dem Sitznachbarn, Köpfe, die in die Leinwand hineinragen, ungemütliche Sessel, in denen man keine Liegeposition einnehmen kann, und Warteschlangen an der Kasse, bei den Getränken und auf den Toiletten, die einem den Rest geben.
Kino wird von den Streaming-Diensten und dem Home-Entertainment herausgefordert, und darauf reagiere man mit dem Arri-Umbau, so macht Hans-Joachim Flebbe, der neue Kinomanager, beim Pressegespräch deutlich. Seine Idee vom Kino soll den Besuch zu einem Erlebnis machen, bei dem nicht zwingend der Film das Wichtigste ist, vielmehr das ganze Drumherum. »Der Gast steht im Mittelpunkt – und der Wunsch, ihm einen entspannten Filmgenuss zu bieten«, heißt es in der an die Presse verteilten Informationsbroschüre. Man will sich auch vom Pöbel abheben und einen kultivierten Rahmen bieten: nicht nur die Garderobe zeigt das deutliche Bemühen, es mit der Hochkultur aufzunehmen. So wird betont, dass man hier nicht vom »Geruch von Nachos mit Käsesauce und telefonierenden Mitbesuchern« belästigt werde. Popcorn gebe es aber schon.
Die »Astor Film Lounge im Arri« gehört zu einem Konzept, das der Mulitplex-Pionier Flebbe bereits erfolgreich in Hannover, Hamburg, Köln und Berlin umsetzt. 1990 hatte er die Cinemaxx-Kette gegründet und damit den Angriff auf die kleineren familienbetriebenen Kinos begonnen. Nach zwanzig Jahren im Vorstand und dem Börsengang von Cinemaxx wandte er sich dann dem Premium-Segment zu, das nun ein neues Kinoerlebnis verschaffen soll. Flebbe ist aber auch ein Cineast, der sich in den 80er Jahren in der Filmkunst versucht hatte; er war Mitglied der »Gut Licht, Gut Ton und volle Kassen Kinobetriebs-GmbH«, zusammen mit Louis Anschütz (heute Studio Isabella), der als einziger GmbH-Inhaber überdauert hat. Heute zeigt sich der Kinoliebhaber Flebbe darin, dass ihm gute Projektionsqualität überaus wichtig ist. Bereits mit den Cinemaxx-Kinos standen für ihn – neben der maximal kommerziellen Auswertbarkeit der Filme – die technischen Aspekte der Kinovorführung an erster Stelle. So sorgte er für freien Blick auf die hauswandhohen Leinwände und für überwältigenden Kinoton. Verabschiedet hat er damit die jeder Beschreibung spottenden Schuhschachtelkinos der 80er Jahre, mit denen die Ära der Mehrsaal-Kinos begann. Die Premium-Kette »Astor Film Lounge« setzt nun mit ausfahrbaren Ledersesseln, Getränken, Garderobe und Bibliothek (die als Markenzeichen der Kette gilt) auf größtmöglichen Komfort und Service, die Bedienung durch das Personal ist im Eintrittspreis inbegriffen (regulär: ab 13 Euro (Loge: 15,50 Euro); Studenten-, Senioren- und früher-Nachmittag-Tarif: 11,50 Euro bzw. 14 Euro). Ermäßigung, weil man kein Begrüßungsgetränk, keine Garderobe und keinen Butler möchte, gibt es leider nicht.
Der wahre Grund für den Besuch der »Astor Film Lounge im Arri« sollte auch nicht dieser leicht wegzudenkende und kostentreibende Schnickschnack sein, sondern einzig und allein die Technik. Flebbes Bestreben, beste Kinoqualität zu liefern, vermählt sich hier mit der ortsgegebenen ARRI-Technik auf höchstem Niveau. Sechs Millionen Euro kostete allein der Innenausbau und die technischen Einrichtungen. Und das kann sich sehen und hören lassen.
Der große Saal, auch »Prunksaal« Astor 1 genannt, wartet mit einem Leinwand-Riesen von 200 Quadratmeter auf, der größten Projektionsfläche der Stadt außerhalb der Mulitplexe. Hier hat man 335 großzügige Ledersessel untergebracht. Spektakulär ist die Dolby-Atmos-Anlage, die von Flebbe als »3D für die Ohren« beschrieben wird: hier kommt der Ton punktgenau aus jeder erdenklichen Stelle im Raum und lässt dabei die klassischen Dolby-Surround-Systeme wie einfallsloses Mono wirken. Gespielt werden hier folglich auch nur die Filme, die mit dieser Technik hergestellt wurden. Das sind große und teure Produktionen, die sich im gehobenenen Mainstream-Segment befinden. Das Astor 1 ist damit ein Vorzeigesaal für alles, was Kino heute technisch kann. Lobend hervorzuheben ist, dass München jetzt endlich über einen 70mm-Projektor verfügt. Vorbei ist damit die Zeit, als man dafür extra nach Hamburg oder gar London fahren musste. Es sei also unbedingt empfohlen, sich einmal von der visuellen und akustischen Raumtiefe der Projektion überwältigen zu lassen.
Die beiden anderen Säle sind vergleichweise normal. Der ehemalige Arri-Saal ist nun mit 175 Plätzen in etwa filmmuseumsgroß und bis auf die aufklappbaren Ledersessel ohne weitere Besonderheit. Im Keller gibt es dann noch das sogenannte Club-Kino mit 80 rotplüschigen Sesseln, das in englischer Landadel-Manier mit dunklen Bücherregalen aufwartet und für die Arthouse-Filme reserviert ist, die nicht den ganz großen Besucherandrang erwarten. Der Sound ist in beiden Sälen Dolby-7.1, somit gäbe es prinzipiell die Möglichkeit, hier den neuen Godard The Image Book zu sehen, der diese noch immer rare Anlage erfordert. Vorausgesetzt, der das Publikum herausfordernde Film wird fürs Programm ausgewählt.
Denn die großen Säle wollen erst einmal ausgelastet sein. Das Astor-Arri will sich zunutze machen, dass das Arthouse-Segment schon längst der neue Mainstream geworden ist und umgekehrt viele Mainstream-Filme auch Arthouse-kompatibel sind. Für die erste Woche stehen so drei Filme im Programm, die den geplanten Spagat vorführen: 100 Dinge, eine Komödie mit Matthias Schweighöfer, Widows, der neue Film von Steve McQueen, und Bohemian Rhapsody mit Atmos-Sound.
Die Bandbreite ist damit klar. Der konsenstaugliche Qualitätsfilm ist hier Programm, nicht das anspruchsvolle Arthouse, das Flebbe eher in der Nische verortet. Im Hinblick auf die Kinos in der Nachbarschaft betont er so auch, dass er dem Studio Isabella keine Konkurrenz machen werde. Die Arthouse-Filme, die Kinobetreiber Louis Anschütz dort zeige, werde man bei ihm nicht finden. Eher muss sich wohl Thomas Kuchenreuther mit seinen Kinos Münchner Freiheit über die neue Konkurrenz Sorgen machen; auch er setzt auf ein publikumträchtiges Arthouse; 100 Dinge, Bohemian Rhapsody und Widows stehen bei ihm ebenfalls auf dem Programm. Die inhaltliche Nähe zu seinen Kinos sei kein Zufall, erzählt Kuchenreuther, Flebbe habe sich immer Inspiration bei seiner Programmierung geholt.
Alles in allem bleibt ein zwiespältiges Gefühl bei der Begehung des neuen Astor-Arri zurück. Ohne Vorbehalt kann die Ausstattung der Säle, das schöne Foyer mit der 50er-Jahre-Anmutung und natürlich die High-End-Technik bewundert werden. Mulmig wird es einem, weil das Geschäftskonzept allzu leicht zu durchschauen ist. Kino soll hier als wertvolle Hochkultur erscheinen, letztlich verbirgt sich hinter der Astor Film Lounge aber nur eine Marketing-Idee. Ganz klar wird hier auf das finanzstarke, konservative Bürgertum gezielt. Kino als hochwertiges Filmerlebnis ist eben keine »Kultur für alle« mehr: Alles hat seinen Preis.