Die unsichtbaren Stars des Kinos |
||
Johann Lurfs Zeitreise in den Weltraum | ||
(Foto: Sixpackfilm) |
Von Dunja Bialas
Rotterdam hat zwar mit der Verschlankung seines Programms durch den seit drei Jahren amtierenden Leiter Bero Beyer auch seine Experimentalfilme reduziert, darf sich aber immer noch größtes Festivals nennen, das auch die branchenferne Nische in den Blick nimmt. Das Tiger-Award-Kurzfilmprogramm schien dieses Jahr etwas gefälliger als in den Vorjahren, mit der Rotterdamer »Filmwerkplaats« aber hat das Festival in seiner Stadt eine wichtige Plattform analogen und vor allem auch experimentellen Filmschaffens, die im Mai auch bei den Kurzfilmtagen Oberhausen vorgestellt wird und im Oktober beim Münchner UNDERDOX Filmfestival gastierte.
Neu ist in Rotterdam eine eigene Abteilung für den mittellangen Film, der auch schon seit ein paar Jahren vom im selben Zeitraum stattfindenden Max-Ophüls-Festival hochgehalten wird. Hier fanden sich elaborierte Werke, wie Matjaz Ivanisins großartiger semi-experimenteller Dokumentarfilm Playing Men über männliche Spielrituale im Mittelmeerraum oder der am Ende leider etwas zu sehr nach Kunst aussehende Spielfilm La Torre von Sebastián Múnera über ein reales Bombenattentat auf eine Bibliothek in Medellín. Besonders erwähnenswert ist La muerte del maestro des Ecuadorianers José María Avilés. Sein Debüt inszeniert im Stil des dokumentarischen »Direct Cinema« eine filmische Phantasie über ein Erdbeben, das sich im April 2016 in Ecuador ereignet hatte – mit Laiendarstellern, die sich selbst spielen, und dem wunderbaren dritten »stummen« Protagonisten Natur, der mal als aufziehender Orkan, mal als idyllischer Garten alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Sehr verheißungsvoll war zumindest der Titel von Leandro Listortis La Película Infinita, der »unendliche Film«. Der Argentinier spürt in seinem Montagefilm einer unsichtbaren Geschichte des argentinischen Kinos mittels Fragmenten unvollendet gebliebener Werke nach. Ein Film also aus Filmen, die es niemals gab, ein »cinematic Frankenstein«, wie der Regisseur selbst sein Debüt beschreibt: ein aus toten Bildern künstlich geschaffenes Leben. Leider verhedderte sich der Film im eigenen Konzept. Denn die Vorstellung, dass diese Bilder nie zu sehen waren, bleibt im Anblick ihrer Projektion recht abstrakt.
Ebenfalls ein Montage- und Konzeptfilm, jedoch völlig überwältigend, ist der neue Film des österreichischen Experimentalfilmemachers Johann Lurf, der in Rotterdam auf der größten Leinwand des Pathé-Kinos aufgeführt wurde. Mit seinem ersten Langfilm, der den rein graphischen Titel »★« trägt, stellte Lurf ein Werk vor, das von seiner Anlage her tatsächlich unendlich sein könnte – sofern man sich die Filmgeschichte inklusive der films to come als etwas prinzipiell Unabschließbares vorstellen kann: »★« ist Work-in-progress, kann jederzeit ergänzt und ausgebaut werden und also von Jahr zu Jahr länger sein.
Lurf reiht aneinander: So wäre vielleicht ganz unpoetisch seine Arbeitsweise zu beschreiben. Und zwar unzählige Foundfootages, die den Sternenhimmel zeigen, in chronologischer Folge ihrer Entstehungszeit – der Abspann, der alle Filme aufzählt, ist fast fünf Minuten lang. Es ist ein gründlicher Blick in die Filmgeschichte jener anderen Sternchen und Stars, die hier wohl zum ersten Mal gebührlich Aufmerksamkeit bekommen. Der Film ist zugleich auch eine Geschichte der Special Effects, die immer ausgebuffter werden, je mehr die Zeit voranschreitet. Die Geschichte der Sterne fängt realitv simpel an, mit gezeichneten Sternensymbolen (Edwin S. Porter, Three American Beauties, 1906), und einer Sternen-Kulisse, aus der wie Engel zwischen Wolken Gesichter hervorblicken (Gaston Velle, Voyage Autour d’une Étoile, 1906), geht dann aber schnell über zu einem »wissenschaftlichen«, objektiven Sternenuniversum und ersten räumlich wirkenden Fahrten in den Sternenhimmel hinein (Martin Rikli, Unendlicher Weltenraum, 1936). Auffällig ist, wie im Zuge des technischen Fortschritts die Vorstellung des Weltraums immer »bunter« wird – wo keine kleinen glühenden Sonnen mehr genügen, da muss es ein raumerzeugender vielfarbiger Sternennebel oder atemberaubende 3D-Effekte wie beim Vorspann zu den Star-Wars-Filmen sein.
Im Grunde genommen ändert sich aber nicht viel. Die Vorstellung, wie der Sternenhimmel oder das Universum filmisch darzustellen seien, bleibt im Durchgang der Jahrzehnte relativ konstant. Die Sterne funkeln, viele befinden sich in langsamer Bewegung – eine der Kuriositäten, auf die Lurf im Gespräch aufmerksam macht: das ist, als würde man in die Zeit hineinsehen können, denn tatsächlich bewegen sich die Sterne am Himmel, nur ist dies für das menschliche Auge nicht erfassbar. Durch so manchen Sternenhimmel (Kino-Früh- wie -Spätzeit) saust ein Komet oder Satellit, oft kann man das universell bekannte Sternbild, den Großen Wagen erkennen, seltener zeigt sich Orion.
Die Sternenhimmel sind ganz und gar der Phantasie entsprungen, betont Lurf, die Filmgeschichte habe auf astronomische Exaktheit verzichtet, und stattdessen repräsentative Himmel geschaffen. Auf sie konzentriert er sich, niemals sind Horizonte oder sonstige Rahmungen des Bildes zu sehen. Seinen Eingangsschnitt setzt er, wenn das letzte Stück Horizont verschwunden ist und sich der blanke Sternenhimmel zeigt, ebenso verfährt er für den Endschnitt. Es ist ein freier Blick aufs All, der Vergleichbarkeit zwischen den vielen Filmschnipseln schafft und Voraussetzung zu einer beschleunigten Zeitreise durch die Filmgeschichte der Sterne wird.
Diese ist auch eine Geschichte über die gesellschaftlichen Vorzeichen, die propagandistischen Untertöne, die Gewiss- und Unsicherheiten der Menschen. In den Film-Himmeln lasse sich die »Kolonialisierung des Weltraums« ablesen, so Lurf, und auch die mediale Kolonialisierung unserer Sinne durch den Special Effect und die immersive Bild-und-Sound-Erfahrung. Über die Tonspur, die Lurf parallel zu den strengen Bildausschnitten ohne Rücksicht auf Bedeutungseinheiten, also rein strukturell cuttet, offenbart sich so auch die jeweilige Ideologie der Zeit. »Was rings im Weltenraume leuchtet, sind alles Sonnen. Ungezählte Millionen Sonnen«, raunt Martin Rikli in Unendlicher Weltenraum (1936) in der Zeit des Nationalsozialismus. Meist steht der Space für die menschliche Erfahrung kosmischer Einsamkeit, im Kalten Krieg wird er zum Schauplatz des Wettrüstens mit den Mitteln der Propaganda. Wiederkehrend sind über die Jahrzehnte hinweg träumerische oder futuristische Musik, oder die Disziplin des Mansplaining: Onkelhafte, wissenschaftlich tuende oder gottgleiche, auktoriale Erzähler erklären einem aus dem Off den Weltraum: »This is the universe. Big, isn’t it? Thousands of Suns, millions of stars, separated by immense distances and by thin floating clouds of gaz.« Manchmal auch in der Vater-Kind- oder Mann-Frau-Konstellation, wobei der Mann erklärt und den Frauen und Kindern das Staunen überlassen wird.
Das alles teilt sich ganz und gar unmittelbar mit, der Film fächert sich in der Montage seiner Filmschnipsel selbsterklärend auf. Anders als andere historischen Kompilationsfilme kommentiert Lurf so auch nicht, nicht durch die Auswahl, die er nicht selektiv, sondern konzeptuell trifft, allenfalls noch über die Montage bei reichhaltigen Jahrgängen, die eine kompositorische Anordnung zulassen. Und schon gar nicht gibt es hier eine Filmerklärung aus dem Off, was sich so mancher filmhistorisch arbeitende Regisseur nicht verkneifen kann, um sein Wissen auszustellen. Das Ergebnis, »★«, ist ein umso erhellenderes Werk, in dem man selbst die Entdeckungsreise durch das weite Universum der Filmgeschichte vollzogen hat. Ganz mit den Mitteln des Kinos.
+ + +
Offenlegung: Die Autorin ist Leiterin des UNDERDOX Filmfestivals.