66. Festival de Cine de San Sebastián 2018
Ein Flugzeugträger in Spanien |
||
Spanischsprachige Eröffung mit El Amor Menos Pensado | ||
(Foto: Buena Vista International) |
Heute Abend geht es wieder los: Das Filmfestival von San Sebastián ist das schönste Festival des Jahres und das viertwichtigste im internationalen Festivalzyklus. Toronto ist das entgegen anders lautender Gerüchte nicht, denn jene Filme aus dem Toronto-Programm, die man noch nicht vorher bereits in Venedig sehen konnte, haben hier ihre offizielle Weltpremiere – was fehlt, sind allenfalls ein paar Hollywood-Werke. Aber wer braucht schon Hollywood, wenn man hochkarätiges internationales Autorenkino sehen kann: Im Wettbewerb um die Goldene Muschel laufen an den nächsten neun Tagen unter anderem neue Filme von Claire Denis, Naomi Kawase, Icíar Bollaín, also von den meisten jener Regie-Frauen, deren Filme in Venedig und Locarno im Programm von manchen vermisst wurden, und bei deren Filmen es nun gerade um die größten Lieblinge der Kritikerinnen ging. Außerdem laufen Filme von zum Beispiel Peter Strickland und Louis Garrel. Judi Dench und Danny De Vito bekommen die Ehrenpreise. Noch mehr aber lohnt sich immer der Blick auf das Kino aus Lateinamerika und Spanien.
+ + +
Eröffnet wird heute Abend gleich mit El Amor Menos Pensado (wörtlich etwa »Eine kaum erwartete Liebe«) aus Argentinien. Regie führte Juan Vera, den man bisher als Produzent der Filme von Pablo Trapero kennt, und zuletzt von Lucrecia Martels Zama. Die Hauptrolle spielt mal wieder Ricardo Darín, in Argentinien der Liebling aller Hausfrauen, und nicht
nur der...
Die Retrospektive ist Muriel Box gewidmet, einer zumindest mir vollkommen unbekannten Britin, die in den 1940er-Jahren zunächst als Drehbuchautorin Erfolg hatte, dann bald aber auch Regie führte. Mal sehen, ob es sich hier vor allem um eine Konzession an das Me-Too-Jahr handelt, oder um eine zu Unrecht Unbekannte, deren Werke zumindest annähernd das Niveau halten, das die Retrospektiven zu Anthony Mann, Georges Franju, oder Nagisa Oshima in den Vorjahren gesetzt hatten.
Allemal zeigt der San-Sebastián-Direktor José Luis Rebondinos hier wieder seine Neigung, Unbekanntem und Abgelegenem eine Bühne zu geben.
Letztes Jahr wurde noch mit einem deutschen Beitrag eröffnet, mit Wim Wenders' schwachem Submergence. Diesmal gibt es gar keinen Film aus Deutschland im Programm; die deutsche Sprache wird man trotzdem hören können, in einem österreichischen Film,
dem zweiten von Markus Schleinzer, der für den Schnitt vieler Michael-Haneke-Filme verantwortlich war und dessen Regiedebüt Michael vor Jahren im Cannes-Wettbewerb lief und dann den Max-Ophüls-Preis gewann.
+ + +
Dafür werden wir andere deutsche Debatten in San Sebastián nahtlos weiterführen können. Vor allem die um den Umgang mit Netflix und anderen Streaming-Diensten. In Spanien und den meisten anderen europäischen Ländern ist man in dieser Frage nämlich längst über die deutschen Empfindlichkeiten hinaus – wieder mal versuchen sich die Deutschen an einem Sonderweg.
Nachdem Netflix gerade erst beim Festival in Venedig mit dem Gewinn des Goldenen Löwen demonstriert hatte, dass es in der
Lage und willens ist, große Kinokunst zu produzieren, richtet es jetzt eine Ausgangsbasis für die Produktion von Filmen und Serien in Europa ein, eine Art Flugzeugträger für zukünftige Operationen. Pünktlich zum Festivalbeginn gab Netflix gestern nun bekannt, dass es in Spaniens Hauptstadt Madrid sein erstes großes europäisches Büro und Produktionsstudio eröffnen werde. »Große Studiobauten und andere Anlagen« sollen in Kürze in der sogenannten »Ciudad de la Tele«
(Fernseh-Stadt), einer neu eingerichteten 22.000 Quadratmeter großen Fläche, errichtet werden – dafür haben die Amerikaner einen Mehrjahresvertrag unterzeichnet.
Studios, Postproduktionsreinrichtungen und Büros werden entstehen. Netflix hat zuletzt bereits vier Filme in Spanien produziert, und dafür 13.000 Arbeitsplätze geschaffen.
In einem Pressestatement erklärte der Vizepräsident der Firma, Erik Barmack: »Spain has a rich heritage of innovative, immersive
content creation, and we are excited to strengthen our investment in the cultural heartland of Madrid. From San Sebastián to Santiago de Chile, and from Toronto to Tokyo, Spanish-language content is savoured by Netflix members across the world. The establishment of our first European production hub will create new opportunities for Spain’s incredible creative talent, as well as demonstrating our commitment to the production of original content throughout Europe.«
+ + +
Ist der Aufstieg von Netflix also unaufhaltsam? In jedem Fall werden wir uns in Deutschland bald auch in dieser Frage verändern müssen. Der Netflix-Boykott der deutschen Kinos ist absurd. Dafür, dass sich die Medienpolitik in Deutschland bald grundsätzlich verändern wird, spricht auch die überraschende Nachricht von der gestrigen Berufung des Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags, Matthias Döpfner, in den Verwaltungsrat von Netflix.
(to be continued)