66. Festival de Cine de San Sebastián 2018
Unerwartete Liebschaften |
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Vollkommen überflüssig, aber nicht störend: El Amor Menos Pensado | ||
(Foto: Buena Vista International) |
Irgendwann hat es angefangen, dass das Wort »Modernisierung« nicht mehr bessere Zeiten versprach, sondern zu einer Drohung wurde. Ähnlich wie die Rede von »Reformen«. Und bei »Verjüngung« hat man schon lange an jene windigen Chirurgen gedacht, die einer nicht mehr ganz taufrischen Schönheit ein immerwährendes Lachen so ins Gesicht schnitten, dass es nicht mehr zu tilgen war und zur Clowns-Fratze wurde. Nun sind die Zeiten nicht mehr so lustig, und heute weiß jedes Kind, dass hinter der Clownsmaske schon immer Horrorfiguren sich verbargen.
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Ist dies auch eine solche Verjüngung? 25 Jahre sind Ana und Marcos verheiratet, jetzt geht der gemeinsame Sohn aus dem Haus. Und eines Abends sitzen die beiden bei einem Glas Wein zusammen und fragen sich: Was soll da noch kommen? Was wird das nächste große Ereignis? Außer dem Warten aufs Enkelkind in vielleicht zehn Jahren? Weil sie keine rechte Antwort finden und weil sie nicht so nebeneinander dahinvegetieren wollen wie ihre fremdgehenden Freunde, beschließen sie, sich zu
trennen. Sie bleiben eng miteinander verbunden, haben aber kurze Affären und irgendwann neue Partner, mit denen sie zusammenziehen.
El Amor Menos Pensado (wörtlich etwa »Eine kaum erwartete Liebe«) heißt der argentinische Film, der diese Geschichte erzählt, und mit dem am Freitagabend das Filmfestival von San Sebastián eröffnet wurde. Regie führte Juan Vera, den man bisher als Produzent der Filme von Pablo Trapero kennt, und zuletzt von Lucrecia Martels Zama. Die Hauptrollen spielen Argentiniens Superstar Ricardo Darín und Mercedes Morán.
In den ersten Minuten beginnt der Film überaus konventionell, mit Klimpermusik und einem Erzähler aus dem Off, der, »Moby Dick« zitierend, von Anfang an als Klischee eines Literaturprofessors erscheint. Marcos ist Literaturprofessor, Ana ist Lebensberaterin und -therapeutin
für Frauen.
Damit also ist alles nichts mehr als typische Wellnessunterhaltung, alles hier erscheint ein bisschen zu bieder, wo es gewagt tut, viel zu selten als wenn schon nicht kluges, so aber geistreiches Kammerspiel über Liebe, das Leben und das Altern, und nie wirklich gefährlich, weder für die Figuren, noch fürs Publikum.
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Dem zumindest aber müsste ein Film gefährlich werden. Hier gelingt es dann ein bisschen, wenn man bereit ist, die Dialoge und die Gedanken der Figuren, die einem Allerweltsratgeber auch für die niederen Stände entstammen könnten, an sich heranzulassen. Denn natürlich fragt man sich, wo sie denn im Alltag liegt, die Liebe? Ob man lieber die gewohnten Routinen und bekannten Menschen schätzt, den Beruf, in dem man sich eingerichtet hat, die Stadt, die ganzen Verhältnisse, oder ob man
das alles zum Mond schießen und auch mit 50 noch einmal anfangen soll.
Für solche Gedanken braucht man diesen Film natürlich nicht, kann ihn aber zum Anlass nehmen.
Auch ansonsten ist El Amor Menos Pensado vollkommen überflüssig, aber nicht störend. Außer man stört sich an Kino, das keine weiteren Gedanken ans Bildermachen verschwendet, sondern das diese Probleme wohlhabender Menschen in gesicherten Verhältnissen, die man wie auch die ihrer Freunde bis zum Schluss nicht wirklich versteht, in konsumierbare Glattheit verpackt, in filmisches Seidenpapier, das so weich ist, dass man es kaum spürt, außer man hat sich jene Sensibilität bewahrt, die in unseren Zeiten als störend empfunden wird, erst recht von Förderern, Redakteuren und Festivalorganisatoren, die dafür sorgen, dass wir tagtäglich solche Filme sehen.
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Wenn dann der Film mit einer Verabschiedung aller Liebesutopie endet, ist das zwar faktisch nicht falsch, zumal behauptet wird, dass Lachen und überhaupt Humor wichtiger sind als der ganze Rest, aber es ist eben auch quietistisch und bürgerlich, denn das Publikum bekommt gesagt »Schuster bleib bei deinen Leisten« – also was es sowieso schon denkt. Das ist nicht einfach altersweise, es ist einfach nicht genug.
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Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, sang einst zumindest Udo Jürgens, und war damit weiter als die zehn Jahre jüngeren Figuren des Eröffnungsfilms. So ähnlich geht es auch dem Festival in der baskischen Hauptstadt: Denn mit seiner 66. Ausgabe hat man sein Design verjüngt, streicht die überbordende Zahl der Sektionen zusammen und popularisiert das Programm. Hier haben wir das Paradebeispiel von Modernisierungen, Popularisierungen und Reformen, hinter denen sich der ganze Malaisenkatalog unserer Gegenwart, also Leistungsreduzierung, Vulgarisierung und Infantilismus verbirgt, sowie Einsparungen und Ausgaben an falscher Stelle.
Überflüssig Geld ausgegeben wurde für eine Design-Agentur, die – bestimmt für teures Geld – das Corporate Image des Festivals komplett überarbeitet und »reformiert« hat. Statt der traditionellen Muschel gibt es nun nur noch den Umriss der Concha-Bucht, bei dem es sich genausogut um den eines Fächers handeln könnte. In sieben Farben wird die Abkürzung des Festivals wiederholt – und auch diese selbst ist neu: SSIFF. Das steht für San Sebastián International Film
Festival, ist also nicht falsch, soll aber an die um sich greifenden Abkürzungen anderer Festivals erinnern: TIFF ist zum Beispiel Toronto, SIFF Shanghai und Seattle, NIFFF Neuchatel aber auch Nordic Film Festival – an diesen Beispielen merkt man schon, dass hier nicht nur die Verwechslungsgefahr zunimmt, sondern dass es sich vor allem um eine freiwillige Selbstprovinzialisierung von San Sebastián handelt. Denn nennt sich die Berlinale BIFF? Venedig VIFF oder Cannes
CIFF?
Also! Die haben den Quatsch nicht nötig. Und hören nicht auf die Deppen vom Marketing.
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Das Geld, das man für das neue Design ausgeben musste, hat man bei den Retrospektiven eingespart: Eine von bislang immer mindestens zwei Retrospektiven wurde in diesem Jahr gestrichen. Und die baskischen Nationalisten ärgern sich, dass der baskische Name der Stadt, Donostia, nun endgültig unter den Tisch gefallen ist.
Die diesjährige Eröffnungsfeier selbst war auf den ersten Blick überaus gut gelaunt und erfrischend mit ihrem (selbst-)ironischen Spott auf
Festivalklischees und die Konkurrenz zu anderen Filmfestivals, in der San Sebastián zwar gut dasteht, aber keineswegs an der Spitze.
Zwei Schauspielerinnen, Belén Cuesta und die aus dem Baskenland stammende Nagore Aranburu, moderierten und sprachen die Texte. Geschrieben wurden diese von drei Drehbuchautoren – Borja Cobeaga, Diego San José, Borja Echevarría –, die darin all das aufs Korn nahmen, worüber man sich bei Festivals gern so unterhält.
Das war dort selbstironisch, wo es um San Sebastián als ein Festival ging, zu dem die Gäste in erster Linie zum Essen kommen. Das sei aber besser als in Cannes oder Venedig – und wer wolle da noch den »Brokkoli in Toronto«?
Oder es ging darum, dass hier die Filme gezeigt würden, die Cannes und Venedig abgelehnt hatten (interessant, dass die Berlinale hier gar nicht erwähnt wurde). Oder über die baskische Sprache mit einem veralbernden Sprachkurs: »Wie man Danke auf Baskisch
sagt«. Der FIPRESCI-Award für den »Besten Film des Jahres« wurde dann mit folgender Bemerkung moderiert: »Festivals sind ja besonders wichtig für Kritiker: Das ist die einzige Woche, in der sie nicht bei ihren Eltern leben.«
Den Preis hat dann P.T. Anderson für Phantom Thread gewonnen, bereits zum dritten Mal. Nicht nur deswegen unnötigerweise. Oder die Jury: Sie sei divers, nicht nur, weil drei Männer und drei Frauen drin säßen. »Sondern zwei sind Lactose-intolerant, zwei sind Veganer...«
Schließlich: Die »Regulations for the official selection: 1. you must suffer; 2. no smiling characters; 3. long
shots; 4. very long shots; 5. strange language«.
Lustig oder? Man kann das alles auch gut begründen: »These are bad times for humour. Humour has always been an essential part of artistic expression and serves as a catalyst, making us question ourselves and the topics which reappear time and again. In this case, we want to laugh at the clichés generally used when referring to our city and our festival« so Festival Director José Luis Rebordinos.
Ist also lustig, oder nicht? Aber zwischendrin fragte ich mich, ob sich in die gemütliche
Ironisierung der Festivalusancen nicht auch ein Vorschein kommender Dinge und Härten einschleicht?
Finden wir nicht im gemütlichen Spott über die Kritiker auch ein Stück ehrlicher Verachtung eines ganzen Berufsstandes? Dem eine angebliche Infantilität vorgeworfen wird, die tatsächlich das hier feixende Publikum längst kolonisiert hat, wie die Aliens in einem Bodysnatcher-Film?
Und ist es nicht so, dass man in der Erleichterung darüber, dass die Kunstanstrengung eines
Kunstwettbewerbs auch einmal benannt wird, mit jenen sich innerlich verbündet, die solcher Anstrengung in den Fördergremien und Senderredaktionen ein für allemal den Garaus machen wollen?
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»Ich lache gern, wenn’s passt.« heißt es irgendwann bei Loriot. Manchmal merkt man zu spät, dass das Passende die Zwangsjacke ist.
(to be continued)