66. Festival de Cine de San Sebastián 2018
Leben und Sterben in Manila |
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Abgründiges Gesellschaftsporträt: Alpha – The Right to Kill | ||
(Foto: Memento International) |
Am Tag nach dem Eröffnungsfilm El Amor Menos Pensado bot der Franzose Louis Garrel mit Un homme fidèle eine weitere Trennungs- und Wiederverheiratungskömodie, die diesmal unter Thirtysomethings spielt – mit einem Touch von Ernst Lubitschs Upper-Class-Komödien zeigt Garrel in aller Heiterkeit, dass für jede Beziehung nicht Untreue die größte Gefahr ist, sondern die Langeweile.
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Vor zehn Jahren war der Philipino Brillante Mendoza das nächste große Ding. Heute interessiert sich die internationale Filmszene viel weniger für Asien als damals, und wenn, dann vor allem für Apichatpong Weerasethakul, Wang Bing, Lav Diaz und andere allzu einseitig kunstlastige Filme, allzu experimentelle Werke, die beim breiten Publikum chancenlos bleiben – und meistens nicht zu Unrecht.
Mendoza aber hätte das Zeug gehabt, nein: er hat immer noch das Zeug, den asiatischen Film nach Europa zu bringen, Autoren- und Genrekino zu versöhnen. Alpha – The Right to Kill ist ein straighter Polizeifilm, der mit einer virtuos inszenierten Polizeirazzia bei der Drogenmafia beginnt. Mit einer Wucht und einer Konzentration wie die Männer- und Gewaltballette eines Michael Mann, nur nicht so stilisiert, hat er nun einen Film mit Spannung und
politischem Tiefgang gedreht.
Mendoza, auch wenn er nicht mehr der aufgehende Stern am Himmel des asiatischen Kinos ist, sondern ein Regisseur, von dem man unter anderem Filme erwartet, die mit jener gewissen, sehr speziellen produktiven Schlamperei gedreht sind, die seine Werke immer interessanter machen als die der meisten anderen, aber auch uneben und nie perfekt, dieser Mendoza steht aber mehr als in der Tradition von Manns 80’s-Camp in der der Neorealisten. Dies ist
kein »Manila Vice«, sondern ein Film, der den Alltag der kleinen Leute zeigt, und daran, was Drogenhandel in diesem Land auch bedeutet: Die Möglichkeit, die Familie zu ernähren und überhaupt zu überleben.
Kurz vor Weihnachten spielt alles während einer Parade der Polizei, und wir lernen Moses und Elijah kennen. Um diese alttestamentarischen Metaphern zu entschlüsseln, bin ich gerade nicht bibelfest genug. Aber Moses der Gesetzgeber ist hier ein Gesetzeshüter der besonderen Art: Einsatzleiter bei einer Einsatzbesprechung der Polizei, die so autoritär abläuft, wie man sich das – wohl zu Recht – vorstellt. Elijah ist ein eingeschleuster Informant, zugleich ist früh klar, dass er und Moses noch eine andere Agenda haben.
Großartig ist die Darstellung der Razzia selbst: minutenlang visuell, Telefonsignale, eine Überwachungskamera, Elijah geht rein, um markiertes Geld zu übergeben, die Dialoge gehen über Blicke und gegenseitige Beobachtung vonstatten. Dann Flucht über Dächer, alles mitten in den Slums, die Slums bieten Schutz, es wird die Schwierigkeit der Polizei gezeigt und was Drogenkrieg praktisch wirklich heißt. Dann ist der Drogenboss tot, ein Rucksack zur Seite geschafft. Der letzte Blick zeigt Moses und den König eines Schachspiels.
Großartig ist, wie Mendoza ein komplexes Netz aus Beziehungen entfaltet – Moses und seine Familie, Elijah und seine Familie, Drogentransport mit Brieftauben, das Polizeirevier, die Kommunikation zwischen beiden Hauptfiguren – wie er die Musik einsetzt, wie genau und gut er erzählt. Vor allem aber erzählt sein Film, wie die Polizei auf allen Ebenen eng mit der Drogenmafia verbunden ist. So verwandelt sich der Kriminalfilm mit leichter Hand in ein abgründiges Gesellschaftsporträt und eine scharfe Kritik des mörderischen philippinischen Anti-Drogenkrieges. Und ein Werk über verschiedene Formen des Tötens auf den Philippinen.
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Perücken sitzen schief, Kutschen wackeln. Im Victoria Eugenia wo einst die cheesy Operetten liefen, da passt dieser Film hin: Rostrot und Grün, das passt gut zu den roten Kleidern der Hauptfigur Laura, zum Kardinalspurpur, zu roten Haaren und weißer Haut. Schöne Bilder sind es zumindest – und nicht zu teuer, weil es kein Geld gibt, mit einer realistischen Textur, eben von Paulo Branco produziert.
Die Portugiesin Valeria Sarmiento erzählt mit The Black
Book eine furiose Geschichte, die einem frühromantischen Abenteuerroman entstammen könnte, einer Vulgärversion von M.G. Lewis' »The Monk«: Mägde, die zu Prinzessinnen werden, Prinzessinnen, die als Wäscherinnen enden, Kardinäle mit illegitimen Kindern und einem giftmordenden Hofmohr – wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Ein zweistündiges sattes Vexierspiel aus dem Europa zwischen 1780 und 1800, das sich nicht scheut, als Nebenfiguren Marie-Antoinette,
Charlotte Corday und Napoleon Bonaparte auftreten zu lassen – geistreiche Kolportage irgendwo zwischen Flucht nach Varennes und dem Kurier der Kaiserin. Man redet Französisch, Frauen heißen Suzanne de Montfort, Blut tropft in Wein, der Marquis ist ein hässlicher Schönling,
interessant, mit ungepflegten, proletarischen Händen. Dazu prä-revolutionäre Gespräche. Und was steht in dem schwarzen Buch des Titels? »A bit of mystery is sometimes a good thing«, sagt der Kardinal. Hohngelächter im Kino.
In den 50er Jahren, als das Wünschen noch geholfen hat, hätte Gérard Philipe in solch einem Film die Hauptrolle gespielt. Die Fechtszenen wären besser gewesen, der Rest nicht, aber wir hätten es geliebt. Tempi Passati.
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Mein Lieblingsmoment: Wenn Napoleon einem erfolglosen Attentäter sagt: »Sortez! Imbécile!«
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Vorrevolutionäre Situationen mit Ausnahmezuständen, Elitenversagen und Polizeiwillkür bilden den Hintergrund mehrerer Filme. Der bisher beste von ihnen ist Rojo vom Argentinier Benjamin Naishtat. Angesiedelt im Jahr 1975, als der kommende Militärputsch bereits seine Schatten vorauswirft, handelt es sich um das Porträt einer Familie, besonders des Vaters, eines scheinheiligen Anwalts. In absurder Komik wird von Lebenslügen und moralischen Konflikten erzählt. Der Titel, der »Rot« bedeutet, meint sowohl die Hautfarbe der Ureinwohner, die politische Gesinnung mancher Figuren wie den Stillstand, in dem sich ein Land befindet, das spürt, dass die Zukunft nur schlechter sein kann als die Gegenwart.
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Mit Amerikanern im Kino. Vor dem Film hatte ich sie noch reingelassen und in der Reihe höflich Platz gemacht. Dann aber: Aufstehen vor den Credits. Weil ich nur die Beine zur Seite bewege, aber nicht selber aufstehe, bekomme ich die herrische Geste eines geborenen Chefs zu sehen, der die Finger der auf den Rücken gedrehten Hand nach oben zucken lässt: »Oh please stand up« – was keineswegs als Bitte gemeint war.
Ich darauf: »The credits are part of the film.« Er: »Oh come on!«
Ich: »Don’t be so typical American.« Ich hätte sagen sollen. »Sortez! Imbécile!«
(to be continued)