69. Berlinale 2019
Warum die Berlinale mich zu einem schlechten Menschen macht... |
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Als die Welt noch in Ordnung war: der Berlinale Sieger vor 20 Jahren, 1999 – Terrence Malicks The Thin Red Line | ||
(Foto: 20th Century Fox) |
»Während sie weiterquasselt stellt er sich vor, wie es wäre, mit ihr verheiratet zu sein. ... Er kennt diese Sorte. Selbst wenn man auf alle ihre Forderungen eingeht, kann man es ihnen nicht recht machen. Nie. Unter keinen Umständen. In fast jedem Satz, den sie sagen, ist ein Vorwurf versteckt. Oft wird er nicht ausgesprochen, aber er schwingt immer mit, im Tonfall, der Art zu gucken, Augenbrauen hochzuziehen, die Nase zu kräuseln. Er nutzt eine kurze Gedankenpause, um sie zu unterbrechen.«
Heinz Strunk: »Der Goldene Handschuh«, S.59»Europäisches Autorenkino von gestern und unabhängige amerikanische Unterhaltungsware von heute, das ist die Mischung, die sich auf diesem Festival immer mehr breitmacht. Dazwischen liegen die Filme, auf die es ankommt. In Berlin gibt es von ihnen nicht genug.«
Andreas Kilb, FAZ
Was ich der Berlinale mehr übel nehme als alles, als alle schlechten Filme und die Geschmacklosigkeiten ihres Direktors zusammen: Dass sie mich zu einem schlechten Menschen macht. Dass sie meine blödesten, schlechtesten Eigenschaften herauskitzelt, anstatt meine Begeisterung für gutes Kino zu wecken.
Es ist in der Hinsicht zwar alles gesagt, aber nicht für alle. Manche haben es nicht gelesen, andere haben es vergessen.
Daher hier noch einmal zur Wiedervorlage. Denn die
Berlinale braucht keine Reform, sondern eine Generalüberholung.
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Und wer glaubt, das sei eine marginale Einzelmeinung, der kann ja zum aufwärmen hier einmal lesen, was der langjährige Viennale-Leiter und große Cinephile Hans Hurch über die Berlinale gedacht hat. Ein unvergessenes Gespräch aus dem Februar 2016, das man auch auf YouTube anschauen kann.
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Und wer dann immer noch glaubt, dass sei nur dummes Geschwätz, dem möchte ich auch jene Vorrede empfehlen, in der die Filmemacher Thomas Heise und Christoph Hochhäusler zusammenfassen, wie die Berlinale wirklich ist.
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Liebe Berlinale,
das worum es in unserer Beziehung gehen sollte, ist wohl am besten mit dem Wort »gegenseitiger Respekt« bezeichnet.
Die Berlinale allerdings, die kann ich nicht mehr respektieren, und das nicht erst seit diesem Jahr – und da bin ich ja nicht der Einzige. Und dass viele die Berlinale in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr respektieren, ist viel schlimmer, als wenn man sie hassen und als Gegner begreifen würde. Die Berlinale aber ist zur Zeit einfach nicht
satisfaktionsfähig.
Wenn Du wüsstet (vielleicht weißt Du es ja auch, möchtest es aber öffentlich verständlicherweise nicht sagen), wie scheiße die Berlinale alle Kollegen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hier wirklich finden, was da so »unter uns« gesagt wird, völlig unter der Gürtellinie, wie sehr die ganzen Tage gelästert wird, wie viel gekotzt wird, unter Filmkritikerkollegen aber auch unter Filmemachern, unter Berlinale-Preisträgern und Gästen, Kuratoren, wie
viel sogar von Mitarbeitern – ehemaligen aber vor allem derzeitigen der Berlinale! Unter der Hand natürlich.
Du weißt, dass glaube ich, aber eigentlich auch ganz genau... An Deiner Stelle würde ich dazu dann auch klug schweigen, und versuchen, mir keine Blöße zu geben.
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Ich kenne so viele Leute, die nur noch auf die Berlinale gehen, weil sie müssen, die einfach nur genervt und gelangweilt sind von Eurem Programm. Ich kenne Kritiker, die sich ihre Akkreditierung nicht abholen, weil sie einfach von der Vorstellung abgeschreckt sind, sich den ganzen nichtssagenden Schmarrn antun zu müssen. Ich kenne »Profis«, die auf ihre Profiakkreditierung in diesem Jahr verzichten, weil »es nichts bringt«, und/oder weil sie »im letzten Jahr nur doofe Filme gesehen haben« usf. Mit dem Winterwetter hat das nichts zu tun. Sondern mit zuviel Filmen und zuviel schlechten. Mit einem völligen Verzicht aufs Kuratieren.
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Natürlich kannst Du mich als Querulanten betrachten und abtun, das ist einfach und bequem. Die, die das hier lesen, wissen aber, dass ich nur das schreibe, was viele denken, was auf der Berlinale die meisten reden. Es ist kein Überdruss mehr, keine Langeweile, kein Genervtsein, es ist blanke Abneigung gegenüber einem Festival, das wunderbar sein könnte.
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Regelmäßige Leser wissen auch, dass ich von anderen Festivals schwärmen kann, von Filmen sowieso. Dass ich pathetisch werden kann, vielleicht sogar über Gebühr.
Und was ich der Berlinale am meisten übelnehme ist, dass sie mich zwei Wochen lang zu einem solchen Miesepeter und Rechthaber und Kotzbrocken macht, dass sie meine schlechtesten Eigenschaften herauskitzelt. Ich nehme der Berlinale übel, dass sie mich zum Dauerschimpfen zwingt.
Mich kotzt es aber selber an, dass man
diesen Blog als Berlinale-Bashing missverstehen kann, und sei es nur ironisch. Mein Ziel mit diesem Blog ist nämlich kein Bashing. Es ist Offenheit, und Anregung zur offenen Debatte. Das Ziel ist, das zu schreiben, was aus verschiedenen Gründen marginalisiert ist. Ich schreibe hier, was ich sehe, was ich erlebe, was mir andere erzählen.
Es geht dabei einfach um gut begründete berechtigte Kritik, die nicht nur von mir geübt wird. Ich bin kein Meckerfritze. Auch wenn Schimpfen gar
nicht so selten gut tut und befreiende Wirkungen hat.
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Man kann jetzt sagen, dann sollte ich doch über die Filme schreiben, die ich gesehen habe, aber warum übers Festival? Einfache Antwort: Weil die Filme in den letzten Jahren immer seltener gut genug sind, dass man Lust hat, darüber zu schreiben, und sei es auch nur, sie zu verreißen.
Es gibt gute Filme, die rezensiere ich auch während der Berlinale bei den Radiosendern und Zeitungen, für die ich arbeite. Aber was ist das für eine Feststellung? Ihr habt über 400 Filme. Über 400!! Also
mehr als alles, was in Cannes und Venedig läuft, zusammen.
Was soll es also heißen, dass es hier gute Filme gibt? Selbst wenn dies 40 Filme sein sollten, wären das mal gerade zehn Prozent, Ich habe keine 40 guten Filme gesehen in diesem Jahr und ich kenne niemanden, der erzählt, dass er das hat. Aber ich bin sicher es gibt 40 oder sogar 60 gute Filme in diesem ganzen Berlinalehaufen. Aber das heißt eben auch, dass es 360 Filme gibt, die nicht gut sind. Die bestenfalls gehobener
Durchschnitt sind. Ihr zeigt die Filme, die für Venedig/Toronto/San Sebastian nicht fertig sind, und von Cannes nicht genommen werden, und die nicht lieber nach Rotterdam gehen.
Ihr seid ein A-Festival. Also sollten 80 Prozent Eurer Filme gut sein, es wert sein, gesehen zu werden. Nicht langweilen, nicht nerven. Das ist leider nicht der Fall.
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Es geht bei der Kritik an der Berlinale von mir und anderen aber gar nicht um einzelne Filme, sondern um die Umstände, unter denen sie gezeigt und gesehen werden. Es geht um die Wahrnehmungsbedingungen. Diese Bedingungen, unter denen wir auf der Berlinale Filme sehen, unter denen sie von Euch präsentiert werden, sind lieblos und vulgär, sie sind alles andere als cinephil, sie sind mindestens im Effekt zynisch und sie schaden den Filmen.
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Dazu nur ein Beispiel: 400 Filme habt ihr. Eine Filminflation. Inflation heißt ja nun »Entwertung« und es findet bei Euch auf der Berlinale eine enorme Entwertung statt: Zuallererst eine Entwertung der Filme: Man kann sie nicht sehen, sie werden nicht präzise auf ein Publikum hinkuratiert, und miteinander sorgfältig in einen Programmfluss programmiert, sondern einfach ausgekübelt.
Mittelbar ist das auch eine Entwertung der Berlinale selbst. Denn Cannes und Venedig zeigen
in der »Offiziellen Selektion« kaum 80 Filme – wenn ihr dreimal so viel Filme zeigt, dann ist der Bär auf dem Plakat halt nur ein Drittel davon wert.
Auch darum würde fast jeder Filmemacher seinen Film lieber in Cannes und Venedig laufen haben, als in Berlin.
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Das versuche ich zu beschreiben. Als Mängelliste. Denn der Zustand der Berlinale ist ein kulturpolitischer Skandal! Darum versuche ich nüchterne Fakten zu präsentieren, wie die Münchner Studie zur Diversität auf der Berlinale. Darum beschreibe ich Gerüchte, und anonymisierte Anekdoten.
Das sauge ich mir nicht aus den Fingern. Aber wenn es für Dich beruhigender ist, musst Du mir nicht glauben, dass ich die Wahrheit sage. Mir genügt, dass ich die kenne, mit denen ich gesprochen
habe. Ich nenne die Namen hier nicht,weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es schwarze Listen gibt, das Deine Presseabteilung mit Zuckerbrot und Peitsche, vor allem mit Peitsche versucht, auf Journalisten und ihre Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Reden wir doch nicht darum herum!
Aus der Deckung kommen nur die, die sich ganz sicher fühlen oder Außenseiter wie der aus Korea stammende Berliner Philosoph Byung-Chul Han: In seinem sehr lesenswerten, krassen Text in der »Welt«
steht natürlich auch mancher Quatsch, jedenfalls nach meiner Ansicht, aber auch in diesem Fall müsstet ihr Euch doch fragen, warum ihr bei dem Typ diese Aggressionen weckt, dass er schreibt: »Das Berliner Filmfestival ist zu einem kafkaesken Schloss geworden«, und noch vieles mehr.
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Wir müssen mehr über Festivals nachdenken, Festivals sind wichtig. Wir müssen darüber nachdenken, wozu sie da sind, was sie leisten sollen, und was sie vielleicht auch nicht leisten können. Ein Festival kann es nicht allen rechtmachen.
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Die Berlinale ist ein wunderbares Festival. Potentiell. Potentiell könnte sie Venedig locker einholen. Potentiell wären Locarno und San Sebastian keine Konkurrenz.
Aber Euer Wettbewerb ist bieder und inhaltistisch. Der Siegerfilme der letzten Jahre sind nicht mal im Traum ein Film, dem man sich im Wettbewerb von Cannes oder Venedig auch nur vorstellen könnte.
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Ich weiß auch, dass ich mir Blößen gebe. Vermeidbare und unvermeidliche. Dass nicht jeder Kommentar sitzt. Dass ein paar, die davon wissen, vielleicht tatsächlich glauben, ich würde mich hier nur dafür rächen, dass vor zwei Jahren mein Film, »Hitlers Hollywood« über das NS-Kino vom Panorama der Berlinale nicht eingeladen wurde. Wer das behaupten will, zeigt damit natürlich vor allem erstmal, wie er selber denkt. Solche Art der Rache habe ich nicht nötig. Zumal ich die Berlinale schon
in früheren Jahren schlecht fand. Zumal ich tatsächlich die Dokumentarfilme in allen Reihen in diesem Jahr das Stärkste am ganzen Festival fand.
Man muss das aber ansprechen, auch das gehört zur Offenheit. Um allerdings auch die ganze Sache zu erzählen: Einreichen wollte mein Weltvertrieb. Dazu gehört auch, dass der im Forum gar nicht eingereicht hat, mit der Begründung, »dass das Forum dem Film nichts bringt«. Ich habe übrigens, dafür gibt es Zeugen, gleich gesagt: Die nehmen
mich nicht. Mir war bei der Einreichung auch deshalb nicht wohl, weil ich mir dachte: Wie kann ich dann je noch über die Berlinale schreiben? Hier übrigens fand ich die Berlinale wieder mal töricht. Es wäre für Euch nämlich eine wunderbare Chance gewesen, großzügig zu sein, einen, der Euch seit Jahren in nicht völlig unbedeutenden Medien kritisiert, einfach einzuladen.
Das wäre übrigens nicht nur großzügig gewesen, sondern auch ein cleverer Schachzug. Wie hätte ich dann denn noch
jemals im Ernst über die Berlinale schreiben können? Egal was ich geschrieben hätte – man hätte mir entweder vorgeworfen, keine Manieren zu haben, oder mich einseifen zu lassen.
Daher bin ich eher erleichtert darüber, dass ihr weder besonders großzügig seid, noch clever.
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Das ist die egozentrische Sicht. Ihr bei der Berlinale bewegt Euch umgekehrt aber auch in einer einzigen Filterblase: selbst-zentriert, selbst-gefällig, selbst-gerecht – so tritt der Laden auf und wird wahrgenommen. Diese Berlinale-Blase, die müssen wir aufstechen. Und das werden wir. Irgendwann wird sie platzen. That will be ugly.
Ich glaube, dass es auch beim Berlinale-Betrieb so etwas wie ein Stockholm-Syndrom gibt – die Identifikation mit dem eigenen
Gefangenen-Wärter? Da müssen manche bei Euch aufpassen.
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Die »Handvoll angesäuerter Kritiker« (Dieter Kosslick am 7.2.2019) und ihre Erklärung hier noch mal zum Nachlesen:
ERKLÄRUNG:
Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das
Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang.
UNTERZEICHNER:
Maren Ade
Faith Akin
Irene von Alberti,
Thomas Arslan
Aysun Bademsoy
Anne Zohra Berrached
Bettina Böhler,
Hermann Bohlen,
Jan Bonny,
Jutta Brückner,
Dietrich Brüggemann
Florian Cossen
Ebbo Demant
Doris Dörrie
Andreas Dresen
Heinz Emigholz
Maximilian Erlenwein
Katrin Gebbe
Stefan Geene
Dominik Graf
Valeska Grisebach
Hans W. Geißendörfer
Almut Getto
Ulrich Gerhardt
Hans-Dieter Grabe,
Henk Handloegten
Thomas
Heise
Sonja Heiss
Benjamin Heisenberg
Christoph Hochhäusler
Barbara Junge
Winfried Junge
RP Kahl
Romuald Karmakar
Fred Kelemen
Michael Klier
Barbara Klemm
Ulrich Köhler
Nicolette Krebitz
Lars Kraume
Michael Krummenacher
Jakob Lass
Tom Lass
Aron Lehmann
Caroline Link
Max Linz
Pia Marais
Jeanine Meerapfel
Elfi Mikesch
Franz Müller
Peter Nestler
Asli Özge
Christian Petzold
Hans Helmut Prinzler
Lola
Randl
Axel Ranisch
Edgar Reitz
Michael Ruetz
Helke Sander
Thomas Schadt
Volker Schlöndorff
Sebastian Schipper
Hans-Christian Schmid
Jan Schomburg
Maria Schrader
Robert Schwentke
Christian Schwochow
Jan Soldat
Hans Steinbichler
Oliver Sturm
Isabel ?Suba
Sven Taddicken
Tamara Trampe
Georg Stefan Troller
Tom Tykwer
Simon Verhoeven
Achim von Borries
Julia von Heinz
Rosa von Praunheim
Margarethe von Trotta
Nicolas
Wackerbarth
Christian Wagner
Henner Winckler
David Wnendt
(to be continued)