72. Filmfestspiele Cannes 2019
Apokalypse für Akademiker |
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Jarmuschs The Dead Don’t Die eröffnete Cannes | ||
(Foto: Universal Pictures) |
»Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben.«
Heinrich Heine
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Eines beherrschen sie wirklich beim Festival von Cannes wie nirgendwo sonst: Das Kino zu feiern. Nicht weinerlich, kaum sentimental. Eher pathetisch, also so, dass der Zuschauer noch das Gefühl mitnimmt, an etwas Großem teilzuhaben, an etwas, das größer ist, als er selbst.
Selbst wenn es um Tote geht. An eine Tote erinnerte man gleich in den ersten Sekunden der Eröffnung: Agnès Varda, die berühmte französische Regisseurin, die vor kurzem verstorben ist. Die Sängerin Angèle sang
ein Lied aus Vardas legendärem Debüt Mittwoch zwischen 5 und 7: »Sans toi« (»Ohne dich«) und die 2000 Zuschauer im Saal des Grand Palais von Cannes waren zu Tränen gerührt.
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Ohne sie geht es weiter, das Kino selbst aber ist unsterblich. Die Toten sterben nicht in Cannes, sondern sie leben weiter in der Kontinuität der Geschichte der siebten Kunst. Das war die Botschaft.
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Dafür bot der Eröffnungsfilm das beste Beispiel: Jim Jarmusch The Dead don’t Die. Irgendwie ist dies schon ein Film über Zombies und mit Splattereffekten. Doch wer den Film sah, der erkannte schnell: Es geht um etwas anderes. The Dead don’t Die ist ein cleveres Spiel mit der Kinogeschichte und ihren zahlreichen Referenzen. Und zugleich hat alles tiefere Bedeutung.
Jarmusch, hat man den Eindruck, kaut seit Jahren
gewissermaßen ein Genre nach dem anderen durch. Samurai, Film noir, Vampire, nun halt Zombies. Und man fragt sich, ob ihm das wirklich so viel Spaß macht, oder ob er hier eher ein gut laufendes Geschäftsmodell entwickelt hat?
Inzwischen hat die Wiederholungsphase eingesetzt. Unweigerlich muss man an Dead Man denken, Jarmuschs Film von 1995, in dem sich ein Mann allein auf seinen Tod zubewegt. In The Dead Don’t Die sind es viele Frauen und Männer. Im Amerika der Gegenwart boomt nichts so, wie die Apokalypse – es ist ein Land des Todes.
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Irgendwann unterhalten sich Bill Murray und Adam Driver, die beiden Hauptdarsteller, die hier zwei Kleinstadtpolizisten spielen, deren Revier von Untoten heimgesucht hat. Immer wieder hat Drivers Figur während der letzten Stunde den Satz wiederholt: »This isn’t gonna end well«, das werde nicht gut enden. Nun fragt Murrays Figur zurück: »Woher weißt du das eigentlich?« – »Weil ich das Drehbuch gelesen habe. Jim Jarmusch hat es mir gegeben.« Ein Lacher im Kino –
und zugleich Jarmuschs humorvolle aber, genau betrachtet, auch ziemlich nichtssagende Art, über das eigene Filmemachen zu reflektieren.
Seit jeher denkt Jarmusch darüber nach, wie man heute noch erzählen kann. Als typisch postmoderner Filmemacher behauptet er seit jeher das Ende aller Narration, und das Unvermögen der Heutigen, überhaupt noch zu erzählen. Man müsse sich als Filmemacher zwangsläufig wiederholen – aber trifft das nicht vor allem auf ihn selbst und die
anderen Postmodernen zu?
So jedenfalls gibt es ständige Wiederholungen in diesem Film: Die Sprüche der Figuren, der Titelsong, ein nicht sehr bekanntes Country-Lied von Sturgill Simpson, das dem Film seinen Titel gibt.
Selbst die Darsteller sind primär Zitate. Zitate ihrer selbst und ihrer früheren Rollen: Iggy Pop, Tilda Swinton, Selena Gomez. The Dead Don’t Die ist ein Film voller derartiger Metaebenen. Zum Beispiel: Der junge, von Adam Driver gespielte Dorfpolizist heißt Ronnie Peterson. Sein kurz vor der Rente stehender Kollege, den Bill Murray spielt, heißt Cliff Robertson. Ältere erinnern sich vielleicht, dass Ronnie Peterson der Name eines der berühmtesten
Formel-1-Piloten der 70er Jahre war. Er starb nach einem Unfall in Monza am 11.September 1978. Cliff Robertson war ein Schauspieler, der am 10.September 2011 starb, und in drei Spiderman-Verfilmungen Bill Parker spielte, in John Carpenters Flucht aus L.A. den
Präsidenten.
Alles also keine zufällig gewählten Namen. Wer jetzt allerdings hofft, dass diese Bezügen im Film irgendeinen echten Sinn machen würden, wird enttäuscht. Es sind eher folgenlose Gags, so wie die Tatsache, dass auf einem der Grabsteine etwas zu demonstrativ ins Bild gerückt »Samuel Fuller« steht, allerdings mit vollkommen falschen Geburts- und Todesdaten.
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Die Konsumgesellschaft hat aus uns lebende Tote gemacht – diese Einsicht stammt von George Romero. Jarmusch benutzt die Zombies wie Romero: Um von Amerika zu erzählen und davon, wie es die Welt zerstört.
Jarmusch, einer der selbstreflexivsten Autorenfilmer, erzählt hier zugleich nicht nur vom Ende der Welt, sondern auch vom Ende seiner Art des Kinos.
Indem Jarmusch sich selbst zitiert, spricht er davon, dass der Independent-Autorenfilm Jarmuschs, der Schmunzelhumor
aus Filmzitaten und guter Musik, nicht mehr funktioniert, dass Minimalismus in unserer Ära des beginnenden Neo-Barocks keine Chance mehr hat.
In seinen besten Momenten ist dies ein Film über das Kino, das seinem eigenen Untergang entgegengeht.
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Die Moral des Films könnte man so beschreiben: Die Toten sind nicht tot, die Lebenden schon. Der Schauplatz heißt »Centerville« und steht für das Zentrums Amerikas. Eine All-American-Kleinstadt mit Motel, Diner, Tankstelle, einer Polizeistation und 738 Einwohnern – eine Zahl die allerdings nicht lange konstant bleiben wird. Eines Tages wird es nicht mehr dunkel, und es regen sich die Toten, steigen aus den Gräber und massakrieren alles, was lebt im Dorf.
Die Tiere sind
klüger als die Menschen, von denen ein paar den Kampf aufnehmen – mit zweifelhaftem Erfolg. Die zwei Polizisten, der Pessimist (Driver) und der Ignorant (Murray) sind Witzfiguren, die Unfähigkeit verkörpern, sich der Realität zu stellen. Die Zombies stehen für die Konsumgesellschaft, sie ächzen »WiFi, WiFi«, sie sind untote Konsumisten und Kapitalismus und das letzte Wort hat ein obdachloser Einsiedler: »What a fucked up world.«
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Überhaupt ist dies ein folgenloser Film. Nicht unsympathisch, aber doch mit nur mäßigem Humor – was für eine Komödie kein Kompliment sein kann. Die besten drei Witze werden schon im Trailer verfeuert. Adam Driver ist der engagierteste Schauspieler, Selena Gomez und Tilda Swinton halten noch mit, der Rest leistet somnambule Routinearbeit.
Die Art von Kino, die am nächsten Morgen schon halb vergessen ist. Für Cannes ist das nicht genug.
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Es liegt nahe, in der Entscheidung des Festivals, diesen Film zur diesjährigen Eröffnung zu programmieren, auch so etwas wie einen ironischen Kommentar zum eigenen Programm zu sehen. Besteht der Wettbewerb doch in nicht geringem Maß aus in Ehren ergrauten Regisseuren von Gestern, die trotzdem irgendwie nicht gehen wollen, sondern immer wieder kommen. Er habe nicht nur Angst vor »den Zombies, die die Welt beherrschen«, erklärte Bill Murray bei der Pressekonferenz, sondern auch »Angst vor den Zombies in Cannes«.
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Vermutlich hat er damit nicht die Jury gemeint, und ihren Präsidenten, den Mexikaner Alejandro González Iñárritu. »Ich möchte nicht über Filme richten, ich möchte sie erfahren«, sagte er zum Auftakt. Um die Bewertung wird er aber nicht ganz herumkommen, denn am Schluss ist nur eine Goldene Palme zu vergeben. Sieben der neun Juroren sind Regisseure – man darf gespannt sein, wie Menschen, die es gewohnt sind zu kommandieren, sich arrangieren und zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Da ist die Kunst der Diplomatie gefragt.
(to be continued)