16.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Apoka­lypse für Akade­miker

The Dead Don't Die von Jim Jarmusch
Jarmuschs The Dead Don’t Die eröffnete Cannes
(Foto: Universal Pictures)

Zombies oder die Liebe zur Diplomatie: Jim Jarmuschs Zombiefilm The Dead Don’t Die zur Eröffnung von Cannes ist auch eine Reflexion über den Tod der minimalistischen Variante des Autorenkinos – Cannes-Notizen, 3. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Aber der Tod ist nicht poeti­scher als das Leben.«
Heinrich Heine

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Eines beherr­schen sie wirklich beim Festival von Cannes wie nirgendwo sonst: Das Kino zu feiern. Nicht weiner­lich, kaum senti­mental. Eher pathe­tisch, also so, dass der Zuschauer noch das Gefühl mitnimmt, an etwas Großem teil­zu­haben, an etwas, das größer ist, als er selbst.
Selbst wenn es um Tote geht. An eine Tote erinnerte man gleich in den ersten Sekunden der Eröffnung: Agnès Varda, die berühmte fran­zö­si­sche Regis­seurin, die vor kurzem verstorben ist. Die Sängerin Angèle sang ein Lied aus Vardas legen­därem Debüt Mittwoch zwischen 5 und 7: »Sans toi« (»Ohne dich«) und die 2000 Zuschauer im Saal des Grand Palais von Cannes waren zu Tränen gerührt.

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Ohne sie geht es weiter, das Kino selbst aber ist unsterb­lich. Die Toten sterben nicht in Cannes, sondern sie leben weiter in der Konti­nuität der Geschichte der siebten Kunst. Das war die Botschaft.

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Dafür bot der Eröff­nungs­film das beste Beispiel: Jim Jarmusch The Dead don’t Die. Irgendwie ist dies schon ein Film über Zombies und mit Splat­ter­ef­fekten. Doch wer den Film sah, der erkannte schnell: Es geht um etwas anderes. The Dead don’t Die ist ein cleveres Spiel mit der Kino­ge­schichte und ihren zahl­rei­chen Refe­renzen. Und zugleich hat alles tiefere Bedeutung.
Jarmusch, hat man den Eindruck, kaut seit Jahren gewis­ser­maßen ein Genre nach dem anderen durch. Samurai, Film noir, Vampire, nun halt Zombies. Und man fragt sich, ob ihm das wirklich so viel Spaß macht, oder ob er hier eher ein gut laufendes Geschäfts­mo­dell entwi­ckelt hat?

Inzwi­schen hat die Wieder­ho­lungs­phase einge­setzt. Unwei­ger­lich muss man an Dead Man denken, Jarmuschs Film von 1995, in dem sich ein Mann allein auf seinen Tod zubewegt. In The Dead Don’t Die sind es viele Frauen und Männer. Im Amerika der Gegenwart boomt nichts so, wie die Apoka­lypse – es ist ein Land des Todes.

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Irgend­wann unter­halten sich Bill Murray und Adam Driver, die beiden Haupt­dar­steller, die hier zwei Klein­stadt­po­li­zisten spielen, deren Revier von Untoten heim­ge­sucht hat. Immer wieder hat Drivers Figur während der letzten Stunde den Satz wieder­holt: »This isn’t gonna end well«, das werde nicht gut enden. Nun fragt Murrays Figur zurück: »Woher weißt du das eigent­lich?« – »Weil ich das Drehbuch gelesen habe. Jim Jarmusch hat es mir gegeben.« Ein Lacher im Kino – und zugleich Jarmuschs humor­volle aber, genau betrachtet, auch ziemlich nichts­sa­gende Art, über das eigene Filme­ma­chen zu reflek­tieren.
Seit jeher denkt Jarmusch darüber nach, wie man heute noch erzählen kann. Als typisch post­mo­derner Filme­ma­cher behauptet er seit jeher das Ende aller Narration, und das Unver­mögen der Heutigen, überhaupt noch zu erzählen. Man müsse sich als Filme­ma­cher zwangs­läufig wieder­holen – aber trifft das nicht vor allem auf ihn selbst und die anderen Post­mo­dernen zu?
So jeden­falls gibt es ständige Wieder­ho­lungen in diesem Film: Die Sprüche der Figuren, der Titelsong, ein nicht sehr bekanntes Country-Lied von Sturgill Simpson, das dem Film seinen Titel gibt.

Selbst die Darsteller sind primär Zitate. Zitate ihrer selbst und ihrer früheren Rollen: Iggy Pop, Tilda Swinton, Selena Gomez. The Dead Don’t Die ist ein Film voller derar­tiger Meta­ebenen. Zum Beispiel: Der junge, von Adam Driver gespielte Dorf­po­li­zist heißt Ronnie Peterson. Sein kurz vor der Rente stehender Kollege, den Bill Murray spielt, heißt Cliff Robertson. Ältere erinnern sich viel­leicht, dass Ronnie Peterson der Name eines der berühm­testen Formel-1-Piloten der 70er Jahre war. Er starb nach einem Unfall in Monza am 11.September 1978. Cliff Robertson war ein Schau­spieler, der am 10.September 2011 starb, und in drei Spiderman-Verfil­mungen Bill Parker spielte, in John Carpen­ters Flucht aus L.A. den Präsi­denten.
Alles also keine zufällig gewählten Namen. Wer jetzt aller­dings hofft, dass diese Bezügen im Film irgend­einen echten Sinn machen würden, wird enttäuscht. Es sind eher folgen­lose Gags, so wie die Tatsache, dass auf einem der Grab­steine etwas zu demons­trativ ins Bild gerückt »Samuel Fuller« steht, aller­dings mit voll­kommen falschen Geburts- und Todes­daten.

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Die Kons­um­ge­sell­schaft hat aus uns lebende Tote gemacht – diese Einsicht stammt von George Romero. Jarmusch benutzt die Zombies wie Romero: Um von Amerika zu erzählen und davon, wie es die Welt zerstört.
Jarmusch, einer der selbst­re­fle­xivsten Autoren­filmer, erzählt hier zugleich nicht nur vom Ende der Welt, sondern auch vom Ende seiner Art des Kinos.
Indem Jarmusch sich selbst zitiert, spricht er davon, dass der Inde­pen­dent-Autoren­film Jarmuschs, der Schmun­zel­humor aus Film­zi­taten und guter Musik, nicht mehr funk­tio­niert, dass Mini­ma­lismus in unserer Ära des begin­nenden Neo-Barocks keine Chance mehr hat.
In seinen besten Momenten ist dies ein Film über das Kino, das seinem eigenen Untergang entge­gen­geht.

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Die Moral des Films könnte man so beschreiben: Die Toten sind nicht tot, die Lebenden schon. Der Schau­platz heißt »Center­ville« und steht für das Zentrums Amerikas. Eine All-American-Klein­stadt mit Motel, Diner, Tank­stelle, einer Poli­zei­sta­tion und 738 Einwoh­nern – eine Zahl die aller­dings nicht lange konstant bleiben wird. Eines Tages wird es nicht mehr dunkel, und es regen sich die Toten, steigen aus den Gräber und massa­krieren alles, was lebt im Dorf.
Die Tiere sind klüger als die Menschen, von denen ein paar den Kampf aufnehmen – mit zwei­fel­haftem Erfolg. Die zwei Poli­zisten, der Pessimist (Driver) und der Ignorant (Murray) sind Witz­fi­guren, die Unfähig­keit verkör­pern, sich der Realität zu stellen. Die Zombies stehen für die Kons­um­ge­sell­schaft, sie ächzen »WiFi, WiFi«, sie sind untote Konsu­misten und Kapi­ta­lismus und das letzte Wort hat ein obdach­loser Einsiedler: »What a fucked up world.«

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Überhaupt ist dies ein folgen­loser Film. Nicht unsym­pa­thisch, aber doch mit nur mäßigem Humor – was für eine Komödie kein Kompli­ment sein kann. Die besten drei Witze werden schon im Trailer verfeuert. Adam Driver ist der enga­gier­teste Schau­spieler, Selena Gomez und Tilda Swinton halten noch mit, der Rest leistet somnam­bule Routi­ne­ar­beit.
Die Art von Kino, die am nächsten Morgen schon halb vergessen ist. Für Cannes ist das nicht genug.

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Es liegt nahe, in der Entschei­dung des Festivals, diesen Film zur dies­jäh­rigen Eröffnung zu program­mieren, auch so etwas wie einen ironi­schen Kommentar zum eigenen Programm zu sehen. Besteht der Wett­be­werb doch in nicht geringem Maß aus in Ehren ergrauten Regis­seuren von Gestern, die trotzdem irgendwie nicht gehen wollen, sondern immer wieder kommen. Er habe nicht nur Angst vor »den Zombies, die die Welt beherr­schen«, erklärte Bill Murray bei der Pres­se­kon­fe­renz, sondern auch »Angst vor den Zombies in Cannes«.

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Vermut­lich hat er damit nicht die Jury gemeint, und ihren Präsi­denten, den Mexikaner Alejandro González Iñárritu. »Ich möchte nicht über Filme richten, ich möchte sie erfahren«, sagte er zum Auftakt. Um die Bewertung wird er aber nicht ganz herum­kommen, denn am Schluss ist nur eine Goldene Palme zu vergeben. Sieben der neun Juroren sind Regis­seure – man darf gespannt sein, wie Menschen, die es gewohnt sind zu komman­dieren, sich arran­gieren und zu einer gemein­samen Entschei­dung kommen. Da ist die Kunst der Diplo­matie gefragt.

(to be continued)