Cinema Moralia – Folge 190
Wer hat uns bloß so ruiniert? |
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Projektionsfläche, auch für Manifeste Foto: artechock |
»In unserer Zeit, wie in jeder Zeit, ist das Unmögliche das Mindeste, was man verlangen kann.«
James Baldwin
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Wir wollen ein guter oder zumindest ein besserer Mensch werden, und darum loben wir jetzt hier auch Kritiker und andere Kollegen ganz regelmäßig. Versprochen!
Zum Beispiel Lars Henrik Gass, Filmwissenschaftler, Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, und einer der wenigen hierzulande, der keine Angst vor Streit hat, und dem man nicht erklären muss, dass Polemik (altgriechisch für »Streitkunst«) nicht nur eine große begriffliche Würde hat, sondern ein sehr nützliches Instrument sein kann, um einer Sache zur Sichtbarkeit zu verhelfen, und aufzuklären, dem diffusen höflichen Herumgerede zu entkommen, das unsere Diskurse prägt.
Im Filmdienst macht Gass sich jetzt in einem schön polemischen Text über die Inflation der Manifeste lustig, die im Augenblick und bereits seit ein paar Jahren in der deutschen Filmszene auffällt.
Zugleich verteidigt er den Sinn auch harter Angriffe – ausgerechnet an einem Beispiel, das mittelbar das Abdanken eines anderen Festivalleiters wenn nicht bewirkte, so zumindest besiegelte: Der Erklärung von über 80 Filmemachern, zur Neubesetzung der Berlinale-Leitung. Wurde sie, so Gass, auch in ihrer Forderung nach transparenten Verfahren, »ausgesessen«, so war sie doch »eine in Deutschland beispiellose, das Oberhausener Manifest zwar nicht an Bedeutung, aber an konsensueller Leistung weit überstrahlende, wenn auch filmpolitisch fragile Vereinigung«. Mit dieser »kam etwas in Bewegung, das auch die standhafteste politische Ignoranz bislang nicht mehr aus der Welt schaffen konnte«.
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Der folgende Manifestboom drückt natürlich eine Hilflosigkeit aus, ein Schrei nach Gehörtwerdenwollen. Aber Inflation bedeutet eben auch Entwertung. Natürlich wäre ein einziges Manifest mit echter Substanz, mit Lösungs- und Verfahrensvorschlägen besser, als all die gutgemeinten Papiere, die zur Lage der Filmkritik, zur Lage der Filmarchive, zur Filmförderung und zuletzt in Form der sogenannten »Frankfurter Positionen« zur Gesamtsituation und Zukunft des deutschen
Kinos veröffentlicht und auch auf »artechock« und von mir hier mit Sympathie und Aufmerksamkeit begleitet oder sogar verbreitet wurden.
Nur: Was hilfts? Bislang folgte das Ritual der öffentlichen Debatte meist dem Satz Karl Valentins: »Es ist alles gesagt; aber noch nicht von allen.«
Das zeigen gerade die »Frankfurter Positionen«, die auf einem gut vorbereiteten Symposium des »Lichter«-Filmfests entstanden, bei dem sowohl Gass wie ich selber mitgearbeitet und -diskutiert haben. Die »Frankfurter Positionen« litten vor allem darunter, dass ein Teil ihrer Verfasser – durchaus Menschen mit Rang und Namen – ihren Namen nicht öffentlich sehen wollten, dass der Aufschlag also längst nicht so vehement und politisch war, wie er hätte sein können.
Trotzdem
hatten sie Wirkung. Und sei es nur die, dass gleich mehrere Direktoren oder Sektionsleiter deutscher Filmfestivals sich bemüßigt fühlten, auch ihren Senf dazu zu geben oder »etwas zu den ›Frankfurter Positionen‹ zu machen«. – Da hatte man offenbar einen Nerv gekitzelt und anderen Festivals die Schau gestohlen.
Denn natürlich waren die „Frankfurter Positionen“ jenseits von allem anderen auch eine perfekte Selbst-Marketing-Aktion des
»Lichter«-Filmfests. Egal, ob man das nun am Main beabsichtigt hatte – plötzlich sprach jeder von »Lichter«, wusste, was das Festival war, und noch auf der Berlinale balgten sich der krisengeschüttelte Regieverband und »Pro Quote«, die überall dabei sein möchten, um eine Veranstaltung »zu Frankfurt«.
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Um das Kino zu retten, müssen wir uns vom Moralismus verabschieden und wieder lernen zu streiten. Sie wie ich den Text von Lars Henrik Gass verstehe, klagt er über den Zustand einer Filmszene, der sowohl jede Streitkultur und Wertschätzung für Auseinandersetzung fehlt, als auch jeder Sinn für Politik.
Gass schreibt: »Zum historischen Stand der Kinokultur müssen wir uns in Deutschland regelmäßig von außen unterrichten lassen, etwa von Alexander Horwath, der daran erinnerte, dass Kino mehr ist als der Filmstreifen, den eine gutgemeinte Initiative ›in Gefahr‹ sieht und durch die Digitalisierung gerettet sehen will.
Aus konservatorischer Sicht ist das nachvollziehbar, filmpolitisch aber längst auf der Mainstream-Agenda der Kulturstaatsministerin,
die daraus einen Masterplan zur Rettung der Nation machte. Es handelt sich hier nicht um die Rettung von Kinematografie und Filmgeschichte (nicht-deutsche Produktionen in deutschen Filmarchiven sind per definitionem ausgeschlossen), nicht um die Bewahrung der medialen Praxis ›Kino‹, sondern um die Ertüchtigung deutscher Spielfilme für eine erneute Kinoauswertung: ein Geschenk an die deutsche Filmwirtschaft als Teil einer streng nationalen Vorstellung
›kultureller Identität‹, so der Wortlaut der Kulturstaatsministerin.«
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Die deutsche Filmkritik und ihr Zustand haben an dieser Situation wesentlichen Anteil. Sie fordert nicht ein, sondern versucht sympathisch wie folgenlos all jene freundlich zu begleiten, die »es nötig haben« und ihren Anteil an einer »Filmkultur« zu leisten, die man sich nicht ernsthaft wünschen kann, und die auch nur in Sonntagsreden der Funktionäre vorkommt.
Begriffe wie Kultur und Identität sind in diesem Zusammenhang geradezu regressiv.
Wenn der Begriff überhaupt Sinn macht, dann heißt Kultur Innovation und Avantgarde, es heißt Infragestellung, Irritation, und die Haltung der Überraschung, nicht Hege und Pflege des Bestehenden. Gute Filmkritik taucht an unerwarteten Stellen auf und schließt unerwartete Allianzen.
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An einer Stelle möchte ich widersprechen: »Untrügliche Kennzeichen des regressiven Zugs im Umgang mit dem Kino« schreibt Gass, »ist die Überblendung der sozialen Frage durch Ästhetik, von Kritik durch Bewunderung, von Denken durch Werte, von Qualität durch Nationalismus, sowie die identifikatorische und tribalistische Projektion auf das Kino, von dem man mediengeschichtlich im Rückblick zumindest behaupten kann, dass es einen neuartigen Zugang zu
gesellschaftlicher Wirklichkeit geschaffen hat, der jetzt gerade aus dem Blick gerät.«
Dass in der Kritik die Bewunderung und Liebe und Verteidigung von allem und jedem, dass unausgesprochene Kampfgruppen und Allianzen die kritische Distanz längst verdrängt haben, die Neugier, das genaue Hinsehen, die Lust an der Dissidenz und am Streiten um der Sache – des Kinos! – willen, das ließ sich zuletzt während der Berlinale präzis beobachten: Namentlich in den allzu
erwartbaren Parteinamen für manche Filmemacher, im Bashen der anderen, im Welpenschutz für die Jungen und in der Fixierung auf den Wettbewerb.
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Beobachten ließ sich da auch plumpe Politisierung: Die Reduktion auf Themenfilme und Inhaltismus der Kritik. Es ist hier nicht die soziale Frage, die durch Ästhetik überblendet wird, sondern eine gleichzeitige Politisierung aller Ästhetik und kunsthandwerkliche Ornamentierung politischer Haltungen und Felder.
Nicht Ästhetisierung ist zutiefst (spieß-)bürgerlich, sondern die Angst vor ihr, und der Verdacht gegen sie, der auch ein Verdacht gegen Schönheit als solche ist und auf den Gemeinplatz hinausläuft, dass eine Frau, je besser sie aussieht, um so dümmer und/oder charakterloser sein muss.
Es gibt, das habe ich an dieser Stelle erst vor kurzem geschrieben, auch ästhetische Diversität. Für sie fehlt in Deutschland aller Sinn. Es gibt in den deutschen Diskursen aber vor allem ein ästhetisches Defizit, eine Geringschätzung, der eine Überschätzung von Moral, Werten, Anstand und guten Sitten, entspricht, wie die Moralisierung des Poltischen.
Gegen solche Moralisierung hätte eine Filmkritik, die ihren Namen verdient, zuallererst zu kämpfen. Sie hätte darum das Ästhetische und das Politische in seinem jeweiligen Eigenwert zu verteidigen. Anders als durch mehr Streit wird das nicht gehen.
(to be continued)