Cinema Moralia – Folge 191
Die Publikumsversteher |
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Der totale Film, so sehen manche Kinoträume aus…: Fack ju Göhte |
Lukas: »You'll become a great explorer.«
Jim Knopf: »I rather be an engine driver, just like you.«
Lukas: »Engine drivers only follow the tracks that were found by explorers.«
»Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« (2018), englische Fassung
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»Kinos brauchen Filme, die die Menschen sehen wollen« – so lautet der Titel eines Interviews mit Peter Dinges, das am 04.03.2019 veröffentlicht wurde.
Peter Dinges ist der Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA). Er ist ein gebildeter, persönlich sympathischer Mann mit hervorragenden Umgangsformen – kurz gesagt: Ein exzellenter Verkäufer seiner Arbeit und des deutschen Films. Er redet, das muss wohl so sein, öffentlich meistens wie ein Politiker. Das heißt: Geölt wie ein Ringer, ungreifbar und auslegungsfähig, aber doch in aller Formelhaftigkeit und Allgemeinheit durch die Blume Macht zeigend, Pflöcke
einschlagend, Türen öffnend und andere schließend. Dinges ist durchaus einer, der Filmpolitik nicht nur als Verwaltungshandeln begreift, sondern der Interessen bestimmter Teile der Filmbranche stärker vertritt als anderer. Da sollten wir uns nichts vormachen.
Genausowenig kann man hier übersehen, dass sich Dinges bereits für die zukünftigen Debatten um die bevorstehende Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG) warmläuft.
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»Es gibt keine Kinomüdigkeit beim Publikum. Das Publikum ist es nur müde, langweilige Filme anzusehen.« – So heißt das dann bei Martin Moszkowicz, dem gerade heute frischgebackenen Honorarprofessor der HFF München. Moszkowicz ist Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG und damit Interessenvertreter seiner Firma und der sogenannten deutschen Filmwirtschaft – sogenannt, weil diese Wirtschaft ohne die massiven Subventionen der deutschen Filmförderung nicht überleben könnte, und en gros offenbar so unwirtschaftlich oder riskant arbeitet, dass sie im Gegensatz zu jedem anständigen Metzgermeister von einer Bank keinen Kredit bekommen. Das gilt nicht unbedingt für die Constantin Film AG, in dem Fall handelt es sich nach unserem Eindruck eher darum, dass die Firma halt die Subventionen gern mitnimmt, die man gerade ihr gern zuteil werden lässt. Denn oft genug hat man bei der FFA und ihren Entscheidungen, inklusive der letzten Leitlinienanpassung, den Eindruck, die Filmförderanstalt sei so unabhängig nicht, und diene keineswegs der Gesamtheit des »deutschen Films« (was immer das heißt), sondern sehr bestimmten Firmeninteressen.
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Um das zu kaschieren, bemüht man dann das Argument des Publikums. Die Logik dieses Arguments lautet in etwa so: Viele Zuschauer gehen in einen bestimmten Film. Daraus folgt: Sie wollen ihn sehen. Was viele Zuschauer sehen wollen, ist interessant. In einen anderen Film gehen wenig Zuschauer, daraus folgt: Sie wollen ihn nicht sehen. Was wenige Zuschauer sehen wollen, ist uninteressant.
Natürlich ist das ein Scheinargument. Denn schlicht gesagt, hängen Zuschauerzahlen nicht von der Qualität eines Films ab, sondern von anderen Faktoren: Zuallererst der vom Verleih eingesetzten Kopienzahl. Zweitens der Zahl der Vorstellungen pro Tag, ihrer Zeiten und der Anzahl der in den Kinos zur Verfügung stehenden Zuschauerplätze. Das interessierte Publikum muss die Chance haben, einen Film überhaupt sehen zu können. Und nicht wenige deutsche Filme scheitern genau
hier.
Dabei spielt auch die Marktmacht der jeweiligen Verleiher eine Rolle: Selbstverständlich können bestimmte Verleiher per Koppelgeschäften Filme in die Kinos pressen: Willst du, lieber Kinobetreiber Film A, dann musst du aber auch vorher die Filme B,C,D spielen, sonst bekommst du A nicht. Damit gehen zugleich Plätze für andere Filme verloren.
Einfach gesagt, kann man also einen Publikumserfolg kaufen. Die amerikanischen Verleiher sind in solchen Deals Meister, und haben die Marktmacht – die Filme! – dazu.
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Ebenso muss das interessierte Publikum überhaupt mitbekommen, dass ein bestimmter Film für es interessant sein könnte. Hierfür ist das für Werbung, Marketing und PR eingesetzte Budget entscheidend, und damit nicht zuletzt die Verleihförderung. Diese steht in ihrer Höhe sehr oft in einem direkten Verhältnis zum Produktionsetat.
Filmkritiken tun ein übriges. Nicht ob sie positiv oder negativ ausfallen, sondern ob es sie überhaupt gibt. Der Niedergang des klassischen
Qualitätsjournalismus und das Versagen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender auch auf diesem Feld kann durch neue Qualitätsmedien wie artechock.de nicht zureichend kompensiert werden.
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Publikumszahlen sind noch aus einem anderen Grund höchst relativ zu bemessen: Für einen mit sehr geringem Etat produzierten Film, der ohne Werbebudget mit wenig Kopien in kleinen, aber vollen Kinos läuft, können 10.000 Zuschauer ein großer Erfolg sein, für eine teure Prestigeproduktion, die mit Hunderten von Kopien in halbleeren Sälen läuft, sind 300.000 Zuschauer ein Misserfolg. Die derzeitig geltenden »Erfolgskriterien« nehmen auf solche Differenzen gar keine Rücksicht.
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Das Publikum ist hier nur ein vorgeschobenes Argument. Und ein populistisches. Moszkowicz und sein Lokomotivführer argumentieren, als hätte das Publikum immer recht. Als wüsste das Publikum immer, was es will, und dass es das, was es will, in einem Film auch bekommt.
Das Argument der Publikumszufriedenheit fällt bei beiden Lobbyisten überhaupt nicht. Dabei wüsste man gern, wie »Nutzer« (Dinges) eines deutschen Films mit der Ware denn zufrieden sind. Würden Sie ihn
weiterempfehlen? Das misst die auf Warenwirtschaft so versessene FFA wohlweislich nicht. Und sie veröffentlicht auch keine Metadaten übers Publikum: Wer diesen Film gesehen hat, hat sich auch zwei Zehnerpack Schießerunterhosen gekauft?
Ebensowenig erfahren wir, welche Publikumsrenner alle abgelehnt wurden? Wer in den Jurys sitzt, die Entscheidungen fällt? Wie erfolgreich die eingesetzten Wirtschaftsförderungsgelder denn waren? Wieviel Euro kostet eine Million Zuschauerrückgang... äh: Zuschauerzuspruch.
Die FFA macht also auch den Job als Wirtschaftsförderung so, dass noch »Potential nach oben« (Dinges) besteht.
Der zugrundeliegende Publikumsbegriff ist gleichzeitig naiv und totalitär.
Moszkowicz und sein Lokomotivführer fuchteln mit dem Publikumsbegriff in einer Weise herum, wie einst staatssozialistische ZK-Vorsitzende mit den »Arbeitern und Bauern«. Die »Arbeiter und Bauern« haben immer recht – aber nichts zu sagen.
Nach der Logik der deutschen ZK-Vorsitzenden wäre der Idealzustand des deutschen Kinos jener, in dem es nur noch einen einzigen Film gibt – in den dann alle reingehen.
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Offenbar geht es in diesen zukünftigen FFG-Debatten darum, den deutschen Produzenten-Markt zu »bereinigen« und die Schraube des »Überleben des Stärksten« (»Survival of the fittest«) noch anzuziehen.
Warum das so ist, und was alles dagegen spricht, dazu an dieser Stelle baldmöglichst mehr.
(to be continued)