Cinema Moralia – Folge 192
Mehr »Beach Bum« in den Köpfen! |
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Sein bekanntester Film wird jetzt wieder in Potsdam gezeigt: Schlöndorffs Die Blechtrommel |
»Man entfremdet sich noch die wenigen Freunde, die man hat: indem man genau die Eindrücke wiedergibt, so man von ihrer Werke einen empfing.«
Alfred Kerr
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Alfred Kerr war kein Schlechter. Sondern ein Vorbild. Er war zwar Theaterkritikern, aber von ihm kann man auch lernen, was gute Filmkritik bedeutet: genaues Hinsehen, Offenheit, dann aber auch Entschiedenheit im Urteil, Klarheit in der Sprache.
Und keine Kompromisse, keine Verpflichtungen Freunden und Bekannten und Mächtigen und Auftraggebern gegenüber. Wer nicht bereit ist, sich Feinde zu machen und Freunde zu verlieren, ist kein guter Kritiker.
Heute nennt man gerne zu Klassikern gewordene Kritiker wie Kerr oder Karl Kraus als Vorbilder. Gut so. Aber wo werden sie tatsächlich zum Vorbild genommen? Wer hätte heute ihren Mut, ihre Unabhängigkeit. Filmkritik ist aber nicht Filmwissenschaft, nicht Philologie.
Sondern unter anderem Unterscheidungsvermögen, nicht zuletzt das, was Genauigkeit angebracht ist, und wann man mal ungenau sein muss.
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Unsere heutigen Arbeitsbedingungen unterliegen der Zensur. Da könnten wir jetzt etwas zum europäischen Urheberrecht schreiben, zur Enteignung der Autoren und Ausbeutung durch das sogenannte »Leistungsschutzrecht«, das alles Schützt, aber nicht die Urheber.
Das haben zu wenige begriffen, darum haben zuviele (angeblich) »Kreative« die Propaganda der selbsternannten Urheberschützer geschluckt. Ein weiterer Sieg der Alten über die Jungen, der Vergangenheit über die
Zukunft. Wie der Brexit, wie die absurde Abschaffung der Zeitumstellung. Folgen wird es trotzdem kaum haben, denn Grenzen gibt es im WWW nicht mehr.
Aber Zensur gibt es auch tagtäglich und ganz analog. Überall wird gestrichen, und geändert, und redigiert, selten zum Besseren und zuallererst in den eigenen Köpfen.
Gefragt ist aber das Gegenteil: Mut und Exzeß, ein bisschen Hedonismus, aber auch Hedonismus des Verstandes.
Mit anderen Worten: Mehr Beach Bum in den Köpfen!
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Wo bleibt das Positive? Kunst und Kunstwerke brauchen keine Schonung. Keine Lüge. Biss ist nötig, Schärfe, Klarheit, und manchmal Bosheit – des Blicks.
Jener relativierende Chor, wie er hierzulande Mode ist, ist doch nur das verbrämte Interesse, keinen zu mächtig werden zu lassen.
»Polemik heißt, ein Buch in wenigen seiner Sätze vernichten. Je weniger man es studierte, desto besser. Nur wer vernichten kann, kann kritisieren.« Das schrieb Walter Benjamin. Heute wird er sehr geschätzt. Ein Guter, ein Meister. Doch längst schon tot.
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»Alles muss mit Leidenschaft gemacht werden, und allen wird vorgegaukelt, dass das Leben sinnvoller und erfüllter werden könnte, wenn man seine Leidenschaft lebt. Aber letzten Endes geht es wieder nur darum, den Menschen etwas zu verkaufen. Lebe deine Leidenschaft! Verwirkliche dich! Das ist völliger Humbug.
Erstens hält es nicht jeder aus, seine Leidenschaft zu leben. Zweitens ist überhaupt gar nicht alles leidenschaftlich behaftet. Drittens existieren vielleicht gar nicht
bei jedem solche Leidenschaften und können also auch nicht einfach aus der Luft gegriffen werden. Und am wichtigsten ist doch, dass es gar keinen zwingenden Hinweis, geschweige denn einen Grund gibt, dass dadurch, dass man seine Leidenschaft lebt, sich irgendetwas verbessert. Nur weil man nicht leidenschaftlich brennt für seinen Beruf, fehlt einem nicht automatisch etwas. Das ist Mumpitz!«
Christoph Waltz, Berliner Zeitung, 20.02.2019
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In Deutschland wird Volker Schlöndorff immer noch unter Wert wahrgenommen. Es stimmt, er ist überaus undeutsch im Vergleich zu seinen Generationsgenossen, weder ein Regie-Berserker wie Fassbinder und Herzog, denen auf dem Ticket des Genialischen alles erlaubt war/ist, aber auch kein scharfer Intellektueller wie Kluge, dem Schlöndorff trotzdem näher steht, als den genannten Romantikern. Neben Kluge war Schlöndorff auch die treibende Kraft bei Deutschland im Herbst (1978), der doch wohl immer noch der beste Film des »Neuen Deutschen Kinos« ist.
Jedenfalls kann man gar nicht genug betonen, dass Schlöndorff weit mehr ist, als nur der »Handwerker« zu dem er leicht verächtlich, auch zu seiner größten Zeit und auch von denen, die es besser wissen konnten, wie Peter Buchka, heruntergestutzt wurde. Schlöndorff ist ein Kino-Künstler.
Wahrscheinlich hat keiner mehr Skrupel gehabt als er. Und keiner, außer Kluge, hat sich ernsthafter mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt als er. Und mit Literatur. Robert Musil, Heinrich Böll, Max Frisch, Arthur Miller und Marcel Proust lieferten unter anderen die Vorlagen für die Filme dieses politisch engagierten Filmemacher am Puls der Zeit.
Man merkt es ihm nicht an, aber an diesem Sonntag wird er achtzig – wir gratulieren von Herzen!
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Um den Jubilar angemessen zu würdigen, gibt es bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag (und dann als Wiederholung in der darauffolgenden Nacht) im Deutschlandfunk einen dreistündigen Feature-Essay von Josef Schnelle mit vielen Interviewpassagen und Filmausschnitten. Schnelle hat
Schlöndorffs Weg über die letzten Jahrzehnte begleitet – ein unumstrittener Experte zum Thema.
Besonderes Augenmerk richtet sein Beitrag auf Schlöndorffs frühe Jahre in Frankreich, wo er zur Schule ging, und dann Assistent nicht nur bei »Nouvelle Vague«-Regisseuren wie Jacques Rivette wurde, sondern auch bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville.
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»We're stuck with this cretinous little kid, just when Europe has enough troubles of its own.«
Roger Ebert, 1980
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Schlöndorff zu Ehren zeigt das Filmmuseum Potsdam (im Rahmen der RBB-Filmlounge) am Freitagabend seinen berühmtesten Film: Die Blechtrommel von 1979, nach dem Roman von Günter Grass, mit dem Schlöndorff seinerzeit auch die Goldene Palme von Cannes und dann den Oscar gewann, den ersten Oscar für einen deutschen Regisseur nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Film läuft als
»Director’s Cut«, von Schlöndorff selbst um gut 20 Minuten erweitert, die seinerzeit herausgeschnitten werden mussten. Am Samstagabend läuft der Film dann im RBB.
Ich finde nicht, dass Die Blechtrommel Schlöndorffs bester Film ist. Das ist eher Der Fangschuß (mit Margarethe von
Trotta und Jutta Brückner gemacht, der Der junge Törless oder Die verlorene Ehre der Katharina Blum (in Co-Regie mit Margarethe von Trotta). Dafür steht mir auch Grass viel zu fern, dafür ist mir zuviel Kinderperspektive und magischer Realismus und auch (Grass'sche)
Verlogenheit in diesem Film. Aber es ist sein wichtigster. Eine Art Schlussstein des Neuen Deutschen Films, der Punkt, auf den alles zulief und nach dem es dann auch bald vorbei war mit der Herrlichkeit.
Nicht Fassbinder, nicht Herzog, schon gar nicht Wenders haben ihn gemacht, sondern eben Schlöndorff.)
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»Ich weiß, mit wievielen Kompromissen wir uns überhaupt eine Arbeitsmöglichkeit und einen Film in Deutschland erkaufen mußten, wie wir uns dabei aufgerieben haben und immer kleiner wurden. Wer von uns hat sich je die künstlerische Unbedingtheit leisten können, die am Theater gang und gäbe ist und den Stadtkämmerern wohlige Entsetzensschauer über den Rücken jagt?
Wer von uns hat sich überhaupt künstlerisch entwickeln können? Wir sind dem Realitätsprinzip bis zur
Prostitution unterworfen, in unserer Persönlichkeit angegriffen und entfremdet wie die Händler. Wir haben die Macht der bürgerlichen Kunst unterschätzt – und sie ist um so größer, als sie sich sogar die progressivsten Elemente einverleiben kann. Es ist der blanke Neid über die Arbeitsbedingungen der Theater, über die Kontinuität der Ensembles vor allem, der mich zum Berserker werden läßt. Egal, wie gut die Blechtrommel wird – ich stelle mir vor, was man daraus hätte
machen können, wenn ein homogenes Ensemble ein halbes oder ganzes Jahr daran gearbeitet hätte. Fehler, die nach zwei Wochen Arbeit mit einem Schauspieler offensichtlich waren, sind nicht mehr zu korrigieren. Versuche in Farbe und Bild, Proben in Material und Dimension der Dekoration sind ausgeschlossen.
Als das Team sich endlich eingearbeitet hatte, wurde es aufgelöst. Beim nächsten Film muß alles wieder neu angefangen werden.
aus dem ›Tagebuch einer Verfilmung‹,
zitiert nach SZ, 22.04.1979«
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Schnelle hat Schlöndorff unter anderem gefragt,m warum er es nie geschafft hat, eine Komödie zu drehen, obwohl doch Billy Wilder (über den Schlöndorff übrigens einen tollen dreistündigen Dokumentarfilm gedreht hat) sein erklärtes Vorbild ist.
Schlöndorffs Antwort: »Ja, und warum keine Komödie. Als ich mein allererstes Interview geben konnte, damals für die Süddeutsche Zeitung beim Start von Der junge Törless hab ich gesagt: Ja eigentlich möchte ich Filme machen wie Billy Wilder. Da kannte ich den noch gar nicht und ich hab immer wieder Ansätze gemacht Die Moral der Ruth Halbfass oder Übernachtung in Tirol. Gott sei Dank vergessene Filme, Ansätze zur Komödie und es ist mir nicht gelungen. Das ist das große Bedauern. Also beim nächsten Mal: Filmregisseur? Ja! Aber bitte Komödien.
Lachen.«
(to be continued)