Cinema Moralia – Folge 193
Und dann und wann ein blauer Elefant... |
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Einer der allerbesten unter den vielen vergessenen Filmen des Weimarer Kinos: Robert Reinerts Nerven | ||
(Foto: Murnau-Stiftung) |
»Mit einem Dach und seinem Schatten dreht/
sich eine kleine Weile der Bestand/
von bunten Pferden, alle aus dem Land,/
das lange zögert, eh es untergeht./«
Zwar manche sind an Wagen angespannt,/
doch alle haben Mut in ihren Mienen;/
ein böser roter Löwe geht mit ihnen/
und dann und wann ein weißer Elefant.
Rainer Maria Rilke: »Das Karussell – Jardin du Luxembourg«
April ist der grausamste Monat, allemal im deutschen Kino, jetzt, hier, im wüsten Land am Anfang des chinesischen Jahrhunderts, wo man schon mal den Kotau übt, lange bevor die neuen Herren da sind. Noch ist Deutschland nicht Teil der neuen Seidenstraße, aber man wüsste gern, ob es nicht bald auch eine Seidenstraße des Kinos geben könnte?
Einstweilen geht es weiter wie gehabt: Förderentscheide werden bekannt, Filmpreisnominierungen und Nichteinladungen nach Cannes, alle
paar Jahre rotieren wie jetzt gerade auch die Verbände bei ihrer Aufstellung der Filmfördergesetzstellungnahmen. In diesem Jahr könnte man zudem mit den vielen Köpfen, die das zur Zeit herumrollen, und irgendwo auf oder abgesetzt oder in die Ecke geballert werden, Bowling spielen.
Es wechseln die Zeiten, mehr als drei Särge schwimmen am Grunde der Moldau und manch neuer Chef sieht eher aus wie ein blutiger Hahn, als wie ein frisch gekrönter Kaiser. Die Stimmung ist schlecht:
Grundsätzliche Nervosität ist das vorherrschende Gefühl, seelisches Aprilwetter, ein Sturmwind, der über den Starnberger See quer durch München bis nach Berlin bläst.
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Wo sollen wir anfangen? Ganz oben, wie immer. Monika Grütters ist diese Woche gestürzt worden. Nicht als Kulturstaatsministerin, aber als CDU-Vorsitzende von West-Berlin.
Wenn jetzt jemand naseweis darauf aufmerksam machen möchte, dass Berlin doch seit dem sogenannten »Mauerfall« vor 30 Jahren nicht mehr aus Ost- und West-Berlin besteht, dann muss ihm antworten, dass dies aber nicht für die West-Berliner CDU gilt. In Ost-Berlin gibt es gar keine nennenswerte CDU, und die
allermeisten aus dem Westen haben sich seit der Grenzöffnung noch nicht über die Zonengrenze getraut. Oder sie haben ihr Gehirn zuhause gelassen. Grütters, der man derartige Borniertheiten nicht nachsagen kann, war immer zu fein für all die Reserveoffiziere, Raumausstatter und Bademeister, die die West-Berliner CDU ausmachen, für die sogar ehemalige Landesvorsitzende wie Frank Steffel den Begriff »Skrupellosigkeit« gebraucht. Grütters, die aus Münster kommend, in Berlin zwar
eine Wohnung hat, aber nie angekommen ist, wäre allzugern regierende Bürgermeisterin geworden. Das wird nun nichts. Dazu fehlt ihr das, was ihr auch in der Filmpolitik gut anstehen würde: Inhaltliches Profil, Mut zum Streit und zur klaren Linie, die Gabe zu überraschen, Offenheit, Unabhängigkeit von Beratern.
Weil das auch die CDU spürte, wurden Grütters schon lange von den eigenen Leuten Knüppel zwischen die Beine geworfen, und nun hat man sie halt, rechtzeitig vor der
nächsten Senatswahl politisch abgeschossen.
Während nun die sogenannte bürgerliche Presse, allen voran die Lokalzeitung »Tagesspiegel«, aufjaulte und der CDU attestierte, »zurück in den Kleingarten« zu fallen, musste mal wieder die »TAZ« die Dinge zurechtrücken. Weder sei Grütters so liberal, wie ihr Umfeld gern behauptet, noch »everybody’s darling«.
Vor allem wolle sie sich nicht festlegen. Das bekommt auch nicht ihrer Partei. Obwohl die SPD in Berlin mit dem farblosen Apparatschik Michael Müller als
Bürgermeister inzwischen auf 15 Prozent abgesunken ist, profitiert davon nicht die Union (20%), sondern GRÜNE (27%) und Linke (18%). Rot-Rot-Grün würden heute mehr Menschen wählen als 2016, allerdings wäre es dann Grün-Rot-Müller.
Für die deutsche Kulturpolitik bedeutet das: Wer gehofft hatte, Grütters könnte 2020 ihr Amt verlassen, um Spitzenkandidatin in Berlin zu werden, hat Pech gehabt. Grütters wird mindestens so lange im Amt bleiben, wie Angela Merkel im Kanzleramt; wer weiß, vielleicht sogar viel länger.
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Alles Mögliche ändert sich auch bei der SPIO. So ganz habe ich zwar bis heute immer noch nicht verstanden, was es eigentlich mit dieser »Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V.« auf sich hat, was ihr Mandat ist, weil der Dachverband der Filmschaffenden ist sie ja nicht; aber immerhin arbeiteten da bis vor kurzem ein paar nette Leute wie Christiane von Wahlert oder Alfred Holighaus.
Und vielleicht kann es einem ja bald Thomas Negele erklären. Der 63-jährige Jurist und
amtierende HDF-Vorstandsvorsitzende wurde jetzt zum neuen SPIO-Präsidenten gewählt.
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Bei der FFA haben vorgestern bestimmt auch in einigen Büros die Sektkorken geknallt; vielleicht sogar bei FFA-Chef Peter Dinges.
Denn Nägeles freigewordenen Posten beim HDF übernimmt Christine Berg. Die 53-jährige war seit über 12 Jahren bei der FFA, darunter seit 2012 als stellvertretender Vorstand für den gesamten Förderbereich verantwortlich.
Ein Aufstieg ist das nicht, eher eine Abschiebung: Intern war Berg bei der FFA nicht gerade beliebt, extern erst recht nicht,
und wurde immer als Gegenpol und Konkurrentin zu Dinges angesehen.
Aber wer wird jetzt bloß der Nachfolger von Berg bei der FFA?
Rein schematisch gesehen, müsste das eine Frau werden. Andererseits war in dem Zusammenhang gerade erst zu hören: »Alfred braucht 'nen Posten.« Könnte es also sein, dass Alfred Holighaus zur FFA geht?
Kaum, hatte doch Holighaus erst neulich in einem Interview erklärt, er wolle »zu den Kreativen«. Bei der FFA wird er die lange suchen.
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Diverses Drunter und Drüber und Wechsel gibt es auch bei einigen Filmverbänden. So hat sich der einstige »Dachverband« »Die Filmschaffenden« selbst zerschreddert, offenbar weil das Konto überzogen war und der Verband bankrott ist. Der »Bundesverband Schauspiel« (BFFS) spielt hier seit etwa zwei Jahren die Rolle eines Aasgeiers, der sich die Reste des Dachverbands einverleibt und im Ton eines Samariters, der ganz uneigennützig »Doppelstrukturen beseitigen«, aufräumen und alles »auf neue Füße stellen« will. Diese Füße sind vor allem die breiten Latschen des eigentlichen BFFS-Anführers, des Schatzmeisters Heinrich Schafmeister, der dafür sorgte, dass der BFFS sich jetzt zunehmend, flankiert von der filmfremden »Medien«-Gewerkschaft Verdi geriert, als sei dies die einzige legitime Interessenvertretung der Filmbranche.
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Auch der Regieverband geht gerade durch schwere Zeiten. Hier ist der Ärger offenbar so andauernd, so stark, justiziabel und überdies nicht öffentlich, auf reinem Hörensagen basierend, dass selbst ich meine Formulierungen sorgsam wählen muss. Offenbar aber gab es Veruntreuungen und verbandswidrige Verwendung von Geldern, auch von Täuschung und anstehenden Strafanzeigen ist hinter vorgehaltener Hand die Rede.
Der Regieverband selber spricht in einer Pressemitteilung
vom Februar von »Neuanfang«, von »Reformierung«, erwähnt eine »Aufklärungskommission«. Aber was genau gibt es da eigentlich aufzuklären? Wüsste man schon gerne. Zur Zeit ist ein Interimsvorstand im Amt, der den vorherigen Vorstand um Stephan Wagner (geschäftsführend) offenbar auf Anraten der Kommission ersetzte. Der langjährige Geschäftsführer und quasi das »Gesicht« des Regieverbandes, Jürgen Kasten wurde durch die Medienjuristin Edith Forster ersetzt, die zuvor an der
DFFB als Geschäftsführerin und Verwaltungsleiterin eine wenig rühmliche Rolle gespielt hatte, weil sie sich dort während des letzten Konflikts zwischen Studenten und Berliner SPD-Senat um die lange offene Suche nach einem neuen Direktor überaus einseitig gegen die Studenten positioniert hatte und die Geschäfte so führte, dass sie nicht wenigen als ein Avatar des Senats erschien.
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Dies ist einer der allerbesten unter den vielen vergessenen Filmen des Weimarer Kinos. Und der beste aus München. Denn in München wurde dieser Film gedreht, vor genau hundert Jahren, kurz nach Revolution und Räterepublik: Nerven von Robert Reinert mit Erna Morena, einer der großen Münchner Stummfilmdiven als Star des Films.
Reinerts Traumata-Reigen stellt in hysterischen
Massenszenen die revolutionären Unruhen in München während der ersten Nachkriegsmonate nach, und zeigt eine tief erschütterte und traumatisierte Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst. Ein Film als reißender Strom aus Schocks und Katastrophen. Die Handlung beschreibt den Zerfall einer großbürgerlichen Familie in einem Taumel aus Schuld und Sühne. Fabrikanten und Propheten, Kommunistinnen aus gutem Haus und Nervenärzte – ein Melodram, in expressiven Gesten und
Farben.
Nerven zeigt einen völlig anderen Expressionismus, dreidimensional, nicht flächig, ohne Zacken und schiefe Wände, kein Märchenland, sondern Teil unserer Welt. Gegenüber Das Cabinet des Dr. Caligari ist Nerven ohne Frage der modernere Film. Weniger einflussreich, weil er sich weniger zum Dekors eignet.
Es ist immer Aufruhr in diesem Film, es kommt nichts zur Ruhe...
Robert Reinert, ein großes, vergessenes Talent, zeigt beispielhaft den Einbruch des Unbewussten auf der deutschen Leinwand. Und er erzählt von der Zukunft: Masse, Krise, Ideologie.
Am 9. April 2019 wird Nerven in den Münchner Kammerspielen mit einer Neukomposition aufgeführt. Sie stammt vom Jewish Chamber Orchestra Munich und dem Münchner Komponisten Richard Ruzicka, dem das Jewish Chamber Orchestra Munich einen Kompositionsauftrag vergab.
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Funktionäre statt Fakten. Als letzte Woche aus Brüssel die Nachricht kam, dass die Urheberrechtsverschlechterung, euphemistisch »Reform« genannt, verabschiedet wurde, da genügte ein Blick auf die Pressemitteilungen, um zu verstehen, was eigentlich passiert war.
Allein, wer sich da alles öffentlich freute, sollte uns misstrauisch machen: Die Produzentenallianz, die SPIO, die Filmförderer, das BKM – das sind ja sonst auch nicht die Freunde desjenigen Films
und Kinoverständnisses, für das wir stehen. Es sind die Anwälte des Etablierten, der »Infamie des Bestehen« (Leo Löwenthal)
Kein einziger Kreativer ist vom Europaparlament gestärkt worden, nur in der praktischen Arbeit behindert. Sie haben sich vor den Karren fremder Interessen spannen lassen, weil ihre »Kreativität« sie offenbar daran hindert, sich mit Fakten zu beschäftigen.
Im Übrigen wird wird alles bleiben wie es jetzt ist. Und Tages-Zeitungen sind trotzdem tot in ein
paar Jahren, weil die Verlage zu dumm waren, um auf das Internet von Anfang an richtig zu reagieren.
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»Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,/
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel./
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,/
ein kleines kaum begonnenes Profil -./«Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,/
ein seliges, das blendet und verschwendet/
an dieses atemlose blinde Spiel...
(to be continued)