Cinema Moralia – Folge 199
Die Mühen der Ebene |
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Ein Film, der bleiben wird: Vox Lux | ||
(Foto: Kinostar Filmverleih) |
»Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an.«
Georg Büchner: »Leonce und Lena«
Kino ist, wenn kluge Menschen schöne Filme machen. Wäre es nicht ein bisschen aus der Mode, solche Begriffe zu verwenden, dann müsste man Brady Corbet wohl ein »Genie« nennen. Denn die Karriere Corbets ist eine der erstaunlichsten Film-Karrieren der letzten Zeit. Der Mann ist nicht einmal 32 Jahre alt, also in einem Alter, in dem in Europa manche noch nicht mal mit der Filmhochschule anfangen. Er hat als Schauspieler begonnen, und in dem Beruf eine Karriere hinter sich, über die manche
am Ende ihres Lebens heilfroh wären. Er begann mit 12 Jahren als Kinderdarsteller in amerikanischen Fernsehserien, dann in Hollywood-Filmen der besseren Sorte (Thirteen, 2003; Mysterious Skin, 2004; Martha Marcy May Marlene, 2011) und mit etwa 18 Jahren dann drehte er mit
den Besten der Besten des europäischen Autorenkinos: Michael Haneke, Lars von Trier, Olivier Assayas, Bertrand Bonello und Mia Hansen-Love.
Danach begann er Spielfilme als Regisseur zu drehen, seine beiden ersten liefen bei den Filmfestspielen von Venedig, beide gewannen Preise. Viel wichtiger aber: Diese zwei Filme, Childhood of a Leader (2015) und Vox Lux
(2017), der jetzt in die deutschen Kinos kommt, gehören zu den originellsten, spannendsten, stilbewusstesten, intelligentesten und ohne Frage besten Filmen des vergangenen Jahrzehnts. Sie werden mit anderen auch Dekaden später das Kino der »Zehner Jahre« repräsentieren, und ihre Signatur: Ihre Ängste, ihre Obsessionen, ihre Hybris, ihre Ästhetik. Sie werden das, weil sie nicht glatt sind, weil sie sich gerade nicht Zeitgeist und Mainstream unterordnen, sondern widerständig an
ihm reiben, und doch ganz ein Kind dieses Jahrzehnts und damit unserer Gegenwart sind. Und weil sie ganz und gar Kino sind, undenkbar auf den kleinen Bildschirmen der Streaming-Portale. Was immer jetzt noch kommen mag – diese Filme bleiben.
Wer jetzt Vox Lux nicht anschaut, der ist selber schuld.
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Die deutsche Filmförderung hätte Corbet bestimmt gefördert – bei seinem zweiten Film. Vielleicht auch bei seinem ersten, weil er ein bekannter Schauspieler ist.
Schließlich hat auch jemand wie Karoline Herfurth im Gegensatz zu vielen, die bereits erfolgreich Regie geführt haben, keine Probleme, Steuergelder fürs Filmemachen zu bekommen.
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Trotz all der Superprojekte der Supertypen des deutschen Superfilms sind alle Beteiligten so unzufrieden wie noch nie. Durch die Bank möchte die deutsche Filmbranche Veränderungen, durch die Bank verlangt sie von der Politik und der Filmförderung klare deutliche Änderungen, nicht nur Kosmetik.
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Das kann man jetzt Schwarz auf Weiß nachlesen: Auf der Web-Seite der BKM sind jetzt die Stellungnahmen der verschiedenen Verbände zum Filmfördergesetz, das im kommenden Jahr novelliert werden wird. Wir werden es kommentieren, aber erst nächste Woche, wenn wir am Strand zum Lesen kommen.
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Mit dabei ist auch eine gerade erst neu gegründete Organisation: Die Arbeitsgemeinschaft der Filmfestivals. Über 60 deutsche Filmfestivals haben sich da zusammengetan. Sie begreifen sich, wie es in der Gründungsmeldung in bezeichnender Reihenfolge heißt, »als Teil der Filmwirtschaft sowie der kulturellen Praxis Kino und ihrer Vermittlung.« Dieser Zusammenschluss ist hochinteressant. Nicht nur, weil die Zahl 60 darauf hinweist, was für eine Masse an Festivals es allein schon in Deutschland gibt.
Die Gründung und kesse Wortmeldung beim Filmförder(!!!)gesetz unterstreicht auch, welche immense Bedeutung Filmfestivals heute haben, und dass sie längst von einer Plattform für vorhandene Filme zum eigenständigen Akteur geworden sind, zum De-facto-Film-Förderer und oft eigenständigen Film-Produzenten. Die Macht der Filmfestival wächst. Auch wenn Filmfestivals oft der letzte Hort des Autorenfilms, ein Reservoir des Ästhetischen und Eigenständigen im Maelstrom des Mainstream sind, kann man als Kinogänger und Filmliebhaber diese Entwicklung auch mit guten Gründen beklagen – genau beobachten und kritisch begleiten muss man sie auf alle Fälle.
Schließlich ist es auch sehr interessant, welche der über 400 deutschen Festivals auf der langen List relevanter und weniger relevanter Veranstaltungen fehlen: Vor allem das Filmfest München und das Festival »Around the World in 14 Films«. Das kann kaum daran liegen, dass man sie nicht gefragt hätte.
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Mit dabei ist jedenfalls Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Während den Festivals die Zukunft gehört, repräsentiert das Fernsehen die Vergangenheit. Das Fernsehen habe »seinen historischen Auftrag erfüllt«, schreibt Gass in einem sehr schönen Text für den »Filmdienst«. Aus die Maus! »Es genügt, wenn es in den Mediatheken seine eigene Geschichte am Leben erhält.«
Gass' Überlegungen über die Selbstverwurstung des Mediums und den grassierenden Zynismus gehen dabei genaugenommen über das Fernsehen weit hinaus. Sie erzählen mindestens von Medien als solchen, ich glaube sie erzählen auch von einer Gesellschaft als ganzer, der, infiziert von der »historischen Krankheit« (Nietzsche) im »rasenden Stillstand« (Virilio) die Zukunft abhanden kommt. Insofern erzählen sie auch von Filmfestivals, die ja selbst ein Medium sind, und ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen.
Zynismus gibt es nicht nur bei der Berlinale schon lange, und sind der »World Cinema Fund« und ähnliche Einrichtungen, sind Festivals, die als Verleiher auftreten, oder als Veranstalter übers ganze Jahr, nicht ein Paradebeispiel für hochsubventionierte Selbstverwurstung?
Von solchen Fragen handelt dann hoffentlich das erste Symposium der AG Filmestivals.
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Ein wirklich relevantes Festival ist in jedem Fall das von Venedig. Gerade am Beginn des Sommerurlaubs am französischen Strand sind wir schon in perfekter Lido-Stimmung.
Jetzt hat Venedig seine ersten Filme bekannt gegeben. Mit dabei ist der schwedische Gewinner des Goldenen Löwen, Roy Andersson, und mit ihm »Essential Films«, ZDF/Arte, der Verleih »Neue Visionen«, das »Coproduction Office«, die Filmstiftung NRW, das MBB. Auch am Lido ist Kathrin Gebbes »Pelikanblut« zu sehen. Der Titel ist schon mal gut.
(to be continued)