25.07.2019
Cinema Moralia – Folge 199

Die Mühen der Ebene

Vox Lux
Ein Film, der bleiben wird: Vox Lux
(Foto: Kinostar Filmverleih)

Keine Strand-Lektüre: Verbände und Lobbys gehen in Stellung, Wortmeldungen zum neuen Filmfördergesetz – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogängers, 199. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknit­terte Bänder auf dem Boden, gebors­tene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abge­nommen und sehen mit todmüden Augen einander an.«
Georg Büchner: »Leonce und Lena«

Kino ist, wenn kluge Menschen schöne Filme machen. Wäre es nicht ein bisschen aus der Mode, solche Begriffe zu verwenden, dann müsste man Brady Corbet wohl ein »Genie« nennen. Denn die Karriere Corbets ist eine der erstaun­lichsten Film-Karrieren der letzten Zeit. Der Mann ist nicht einmal 32 Jahre alt, also in einem Alter, in dem in Europa manche noch nicht mal mit der Film­hoch­schule anfangen. Er hat als Schau­spieler begonnen, und in dem Beruf eine Karriere hinter sich, über die manche am Ende ihres Lebens heilfroh wären. Er begann mit 12 Jahren als Kinder­dar­steller in ameri­ka­ni­schen Fern­seh­se­rien, dann in Hollywood-Filmen der besseren Sorte (Thirteen, 2003; Myste­rious Skin, 2004; Martha Marcy May Marlene, 2011) und mit etwa 18 Jahren dann drehte er mit den Besten der Besten des europäi­schen Autoren­kinos: Michael Haneke, Lars von Trier, Olivier Assayas, Bertrand Bonello und Mia Hansen-Love.

Danach begann er Spiel­filme als Regisseur zu drehen, seine beiden ersten liefen bei den Film­fest­spielen von Venedig, beide gewannen Preise. Viel wichtiger aber: Diese zwei Filme, Childhood of a Leader (2015) und Vox Lux (2017), der jetzt in die deutschen Kinos kommt, gehören zu den origi­nellsten, span­nendsten, stil­be­wuss­testen, intel­li­gen­testen und ohne Frage besten Filmen des vergan­genen Jahr­zehnts. Sie werden mit anderen auch Dekaden später das Kino der »Zehner Jahre« reprä­sen­tieren, und ihre Signatur: Ihre Ängste, ihre Obses­sionen, ihre Hybris, ihre Ästhetik. Sie werden das, weil sie nicht glatt sind, weil sie sich gerade nicht Zeitgeist und Main­stream unter­ordnen, sondern wider­s­tändig an ihm reiben, und doch ganz ein Kind dieses Jahr­zehnts und damit unserer Gegenwart sind. Und weil sie ganz und gar Kino sind, undenkbar auf den kleinen Bild­schirmen der Streaming-Portale. Was immer jetzt noch kommen mag – diese Filme bleiben.
Wer jetzt Vox Lux nicht anschaut, der ist selber schuld.

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Die deutsche Film­för­de­rung hätte Corbet bestimmt gefördert – bei seinem zweiten Film. Viel­leicht auch bei seinem ersten, weil er ein bekannter Schau­spieler ist.
Schließ­lich hat auch jemand wie Karoline Herfurth im Gegensatz zu vielen, die bereits erfolg­reich Regie geführt haben, keine Probleme, Steu­er­gelder fürs Filme­ma­chen zu bekommen.

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Trotz all der Super­pro­jekte der Super­typen des deutschen Super­films sind alle Betei­ligten so unzu­frieden wie noch nie. Durch die Bank möchte die deutsche Film­branche Verän­de­rungen, durch die Bank verlangt sie von der Politik und der Film­för­de­rung klare deutliche Ände­rungen, nicht nur Kosmetik.

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Das kann man jetzt Schwarz auf Weiß nachlesen: Auf der Web-Seite der BKM sind jetzt die Stel­lung­nahmen der verschie­denen Verbände zum Film­för­der­ge­setz, das im kommenden Jahr novel­liert werden wird. Wir werden es kommen­tieren, aber erst nächste Woche, wenn wir am Strand zum Lesen kommen.

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Mit dabei ist auch eine gerade erst neu gegrün­dete Orga­ni­sa­tion: Die Arbeits­ge­mein­schaft der Film­fes­ti­vals. Über 60 deutsche Film­fes­ti­vals haben sich da zusam­men­getan. Sie begreifen sich, wie es in der Grün­dungs­mel­dung in bezeich­nender Reihen­folge heißt, »als Teil der Film­wirt­schaft sowie der kultu­rellen Praxis Kino und ihrer Vermitt­lung.« Dieser Zusam­men­schluss ist hoch­in­ter­es­sant. Nicht nur, weil die Zahl 60 darauf hinweist, was für eine Masse an Festivals es allein schon in Deutsch­land gibt.

Die Gründung und kesse Wort­mel­dung beim Film­förder(!!!)gesetz unter­streicht auch, welche immense Bedeutung Film­fes­ti­vals heute haben, und dass sie längst von einer Plattform für vorhan­dene Filme zum eigen­s­tän­digen Akteur geworden sind, zum De-facto-Film-Förderer und oft eigen­s­tän­digen Film-Produ­zenten. Die Macht der Film­fes­tival wächst. Auch wenn Film­fes­ti­vals oft der letzte Hort des Autoren­films, ein Reservoir des Ästhe­ti­schen und Eigen­s­tän­digen im Maelstrom des Main­stream sind, kann man als Kino­gänger und Film­lieb­haber diese Entwick­lung auch mit guten Gründen beklagen – genau beob­achten und kritisch begleiten muss man sie auf alle Fälle.

Schließ­lich ist es auch sehr inter­es­sant, welche der über 400 deutschen Festivals auf der langen List rele­vanter und weniger rele­vanter Veran­stal­tungen fehlen: Vor allem das Filmfest München und das Festival »Around the World in 14 Films«. Das kann kaum daran liegen, dass man sie nicht gefragt hätte.

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Mit dabei ist jeden­falls Lars Henrik Gass, Leiter der Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen. Während den Festivals die Zukunft gehört, reprä­sen­tiert das Fernsehen die Vergan­gen­heit. Das Fernsehen habe »seinen histo­ri­schen Auftrag erfüllt«, schreibt Gass in einem sehr schönen Text für den »Film­dienst«. Aus die Maus! »Es genügt, wenn es in den Media­theken seine eigene Geschichte am Leben erhält.«

Gass' Über­le­gungen über die Selbst­ver­wurs­tung des Mediums und den gras­sie­renden Zynismus gehen dabei genau­ge­nommen über das Fernsehen weit hinaus. Sie erzählen mindes­tens von Medien als solchen, ich glaube sie erzählen auch von einer Gesell­schaft als ganzer, der, infiziert von der »histo­ri­schen Krankheit« (Nietzsche) im »rasenden Still­stand« (Virilio) die Zukunft abhanden kommt. Insofern erzählen sie auch von Film­fes­ti­vals, die ja selbst ein Medium sind, und ein Spiegel gesell­schaft­li­cher Entwick­lungen.

Zynismus gibt es nicht nur bei der Berlinale schon lange, und sind der »World Cinema Fund« und ähnliche Einrich­tungen, sind Festivals, die als Verleiher auftreten, oder als Veran­stalter übers ganze Jahr, nicht ein Para­de­bei­spiel für hoch­sub­ven­tio­nierte Selbst­ver­wurs­tung?

Von solchen Fragen handelt dann hoffent­lich das erste Symposium der AG Filmes­ti­vals.

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Ein wirklich rele­vantes Festival ist in jedem Fall das von Venedig. Gerade am Beginn des Sommer­ur­laubs am fran­zö­si­schen Strand sind wir schon in perfekter Lido-Stimmung.

Jetzt hat Venedig seine ersten Filme bekannt gegeben. Mit dabei ist der schwe­di­sche Gewinner des Goldenen Löwen, Roy Andersson, und mit ihm »Essential Films«, ZDF/Arte, der Verleih »Neue Visionen«, das »Copro­duc­tion Office«, die Film­stif­tung NRW, das MBB. Auch am Lido ist Kathrin Gebbes »Peli­k­an­blut« zu sehen. Der Titel ist schon mal gut.

(to be continued)