Cinema Moralia – Folge 204
Die tote Ente und der Frosch im Teich |
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Gerade abgedreht: Dominik Grafs »Fabian« – ein Film für unsere Zeit | ||
(Foto: Lupa Film) |
»Hitler baute eine furchtbare Diktatur auf. Das deutsche Volk wehrte sich nicht. Für mich ist klar, warum: Unter den 80 Millionen Deutschen damals und heute waren und sind allenfalls 20 Millionen echte Demokraten, von denen sich höchstens Hunderttausend aktiv für die Demokratie einsetzen. Die übrigen Demokraten grummeln abgeschlafft daheim vor sich hin. Folge: Die schweigende Mehrheit von rund 60 Millionen Deutschen würde sich gegen eine AfD-Diktatur nicht wehren.«
- Nikas Frank, 80, Sohn des NS-Massenmörders Hans Frank, in: »Der Spiegel ›; 07.09.2019‹«»Nein, kein AfD-Mitglied ist per se ein Verbrecher, aber im Kampf gegen die Menschlichkeit kommen viele von ihnen gut voran. Seit Jahren verfolge ich ihren Auftritt und kann es nicht fassen: Da spricht ja mein Vater! Das ist ja genau seine verlogene, feige, tückische Argumentation!
Wie damals er wollen auch heute wohl viele AfD-Leute eine Diktatur. Das entnehme ich etwa den Drohungen der AfD gegen die unabhängige Presse und Justiz.«
- Nikas Frank, 80, Sohn des NS-Massenmörders Hans Frank, in: »Der Spiegel«; 07.09.2019
Noch am Vorabend der dunklen Zeit spüren sie die Wenigsten. Sie sind sensibel, sie machen sich Sorgen über allerlei wichtige Dinge. Aber doch nicht über die Republik. Die Republik geht längst vor die Hunde, aber gibt es nicht Wichtigeres? Das Wetter zum Beispiel.
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Gerade hat Dominik Graf, einer der besten zeitgenössischen Filmemacher, »Fabian« abgedreht, seinen neuen Film, eine freie Adaption von Erich Kästners Roman »Fabian oder Der Gang vor die Hunde«. Tom Schilling spielt den Titelhelden, Saskia Rosendahl und Albrecht Schuch weitere Hauptrollen. Ich freue mich auf diesen Film! Wegen dem von mir geschätzten und bewunderten Regisseur, den großartigen Darstellern – aber auch, weil dieser Stoff wie kein zweiter in unsere Zeit passt. Er
erzählt von der Melancholie, die viele von uns gerade ergreift, und von der Unfähigkeit zu handeln. Er erzählt vom Vorabend der Diktatur, vom Ende der Weimarer Republik, vom Leben eines kreativen und intellektuellen Menschen in einer zunehmend unkreativen, anti-intellektuellen Welt. Er erzählt von der Stunde des Sieges der Anti-Demokraten.
Fabian ist ein Fatalist und Ironiker – wie wir alle. Ich bin guter Hoffnung, dass uns dieser Film zeigt, warum das nicht genug ist. Wir
müssen lernen zu handeln!
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Über 600 Filmschaffende haben binnen einer Woche einen Aufruf unterschrieben. Er folgte auf unseren Text über den hessischen Filmförderchef Hans Joachim Mendig, und dessen als »privat« etikettiertes, aber in Absprache mit ihm veröffentlichtes und öffentlich wohlwollend kommentiertes (»konstruktiver politischer Gedankenaustausch«) Treffen mit dem Vorsitzenden einer antidemokratischen kulturfeindlichen Partei. Als Folge unseres Aufrufs wurde Mendig am Dienstag vom
zuständigen Ministerium in Hessen von seinem Amt abberufen.
Wie dieser Aufruf medial kommentiert wurde, wollen wir bei Gelegenheit noch einmal betrachten. Denn das verrät alles über die traurige Lage eines Großteils unserer Medien. Ein andermal...
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Eine Freundin, Fernsehredakteurin, keine Unterzeichnerin der Erklärung, hat als Begründung dafür, dass sie nicht unterschreiben wollte, ein schönes Bild gebraucht: Mendig ist doch nur eine tote Ente im Teich des Systems der Filmindustrie. »Die Ente schwimmt oben und alle sehen sie. Aber unten im Teich da sitzt der giftige Frosch, der sein Gift im Wasser verspritzt. Und der sitzt weiter da, wir sehen ihn nicht und wenn die Ente weg ist, wird man ihn noch weniger sehen als jetzt.«
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Das stimmt alles. Strukturell ändern wird sich so schnell nichts. Auch wenn ich glaube, dass man eine Mauer einreißt, indem man zunächst einmal einen schwächeren, mürben Stein herausbricht, und nicht, in dem man an der stärksten Stelle ansetzt. Aber natürlich ist Mendig eine schwache Figur, natürlich belegt sein ungeschicktes Verhalten nur, wie fehlbesetzt er war.
Mendig ist insofern nur ein Anfang. 600 wurden jetzt mobilisiert. Wir sollten weitermachen, dieses Momentum nicht
verschenken, sondern unseren Elan nutzen. Mendig ist nur ein Symbol für das, was weitere Kreise des Kulturbetriebs betrifft.
Der Erfolg der Erklärung der Filmschaffenden hat gezeigt, was funktioniert, wenn man gemeinsam agiert, wenn man über seinen Schatten tritt, über Eitelkeiten und Sensibilitäten und Geschmacksdifferenzen hinwegsieht, und das gemeinsame Ziel in den Vordergrund rückt: Eine offene, freie, vielfältige Kultur und Gesellschaft.
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Es darf sich deswegen bitte keiner einreden lassen, dass es undemokratisch sei, Antidemokraten auszugrenzen, gegen Feinde der Freiheit und der Kultur rote Linien zu ziehen.
Jetzt geht es nicht um billige Widerstandsposen, im Gegenteil. Aber es geht darum, sich für sich selbst klar zu machen: Wo ist eine Grenze? Und was tue ich dagegen, wenn sie überschritten wird? Und zu fragen: Wie sähe er denn aus, der behauptete konstruktive Gedankenaustausch? Ich möchte das, was dabei
konstruiert wird, jedenfalls nicht kennenlernen.
Hic Rhodos hic salta, scheint mir...
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Ist es nicht bizarr: Keine Nation hat mehr Filme über die Entstehungsbedingungen einer Diktatur gesehen, und gemacht und produziert, als die Deutschen. Dass das alles nicht viel geholfen hat, zeigt sich zur Zeit. Nicht allein der Wählerzuspruch für offenen Rassismus, unverhohlene Demokratiefeindschaft, Hass auf Geist und Kultur.
Sondern die Naivität der selbsternannten Demokraten. Was tun sie gegen die Diktatoren der Zukunft. Als ob nicht Polen, Ungarn und die Türkei,
oder Trump und Johnson tagtäglich Gegen-Beispiele genug geben, glauben sie, man könne mit ihnen reden. Mit denen, die Reden nicht benutzen um zu überzeugen oder überzeugt zu werden, sondern um zu mobilisieren und einzuschüchtern, um Diskurse zu prägen und umzuprägen, um die kulturelle Hegemonie zu erlangen. Es funktioniert das Immunsystem nicht.
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Eine weitere Freundin, eine Filmproduzentin, ebenfalls nicht Unterzeichnerin, erzählte von einem Ortstermin: Besuch einiger Produzenten beim Kulturausschuss des NRW-Landtags. Keiner war bereit, einen Button für Einwanderungspolitik und Flüchtlingsaufnahme zu tragen. Geschweige denn gegen AfD. Man müsse doch mit allen reden, meinte einer. Wieso muss man mit Rechtsextremisten reden? Ist das jetzt Pflicht? Haben Sie einem etwas zu sagen? Muss man an jeder Mülltonne schnuppern?
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Wie gesagt: Das Immunsystem funktioniert nicht. Daran müssen wir arbeiten. Das müssen wir ändern. Kein Fußbreit den Faschisten!