21.03.2019

Wieso Kino?

© Diagonale/Alexi Pelekanos
Beim Filmmeeting wurde dem Kino die Sinnfrage gestellt
(Foto: © Diagonale/Alexi Pelekanos)

Ein Vortrag von Regisseurin und Kuratorin Mirjam Unger zur schwierigen Frage, was wir vom Kino erwarten (und es von uns), gehalten beim Diagonale Film Meeting

Von Mirjam Unger

Von Mirjam Unger

Die öster­rei­chi­sche Regis­seurin Mirjam Unger kuratiert auch die Filmreihe »Wider­stands­kino« im Wiener Stadtkino. Auf der Diagonale'19 in Graz war sie im Rahmen des Diagonale Film Meeting einge­laden, einen Vortrag zu halten zu der schwie­rigen Frage: Was erwarten wir vom Kino? Was erwartet das Kino von uns? Wir veröf­fent­li­chen hier mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autorin ihr Vortrags­ma­nu­skript.

...DASS WIR MUTIG SIND

Ich bin gefragt worden, ob ich etwas sagen kann als Film­krea­tive zu der Frage:

Was erwarten wir vom Kino und was erwartet das Kino von uns?

Was erwarten wir vom Kino? Ich kann nur sagen, wie es mir persön­lich mit dieser Frage geht. Was erwarte ich mir vom Kino? Weil »wir« ist schwierig zu beant­worten. So wie jeder bei ein und demselben Film einen anderen Film gesehen hat, so erwartet sich jede und jeder etwas anderes vom Kino…

Ich erwarte mir vom Kino zuerst einmal einen safe space, einen Ort, den ich überall auf der Welt aufsuchen kann, der mich aufnehmen wird und in dem ich versinken, ja verschwinden kann, wenn ich niemanden zum Reden hab, wenn ich zu viel zum Reden hab, wenn ich weg will, wenn ich dazu­gehören will, wenn ich rastlos bin oder zu kraftlos auch für irgend etwas anderes oder auch zu kraftvoll. Ein Ort, der wenig und alles von mir will und gleich­zeitig viel gibt. Nämlich Filme, die ich mir aussuchen kann, die ich in Origi­nal­sprache sehen will, die meine Frequenzen verändern und meine Verhär­tungen, Muster, Glau­bens­ätze auflösen und mich weiter, größer machen, die mich emotio­naler sein lassen und, ja, auch glück­li­cher machen. Kino macht mich glücklich. Es war nicht nur einmal ein Freund eifer­süchtig aufs Kino, weil ich da mehr Gefühl gezeigt habe als draußen im wirk­li­chen Leben… Aber lassen wir das.

Diese Filme, die mich glücklich machen, können Arthouse sein, müssen aber nicht. Ich sehe das wie in der Musik: ein Song von einer unbe­kannten Inde­pen­dent­band kann mich genauso begeis­tern wie ein Stück von Gigi D’Agostino. Im Kino ist das ähnlich. Ein guter Batman oder Mid90s… Ich mache da wenig Unter­schied, wenn’s mich erwischt. Es ist immer wieder das Zurück­kommen auf diesen Glücks-Moment seit frühester Kindheit, das Herz­klopfen, das eintritt, wenn… Und das kann vieles sein im Kino, wenn das Herz­klopfen verbunden ist mit der Größe des Bildes, der Größe des Tons, mit der Ausschließ­lich­keit, mit dem Dunkel, mit dem Wissen um die Anwe­sen­heit der anderen, denen es viel­leicht genauso geht, das gemein­same Sehen und Hören und Fühlen, das Loslassen und Einsteigen in die Kino­ma­schine. Dieses Gefühl kulmi­niert, wenn das Kino zum Festival wird, dann hält dieses High noch länger an und wird überhaupt zur Super­droge.

Das ist viel­leicht alles ziemlich allgemein gespro­chen, aber es ist wichtig für mich, das auszu­spre­chen, damit ich hier sicher bin, dass wir von Kino nicht als Markt und Ware sprechen, sondern als Ort des Herzens und der Passion.

Aber ich bin nicht nur im Kino groß geworden. Hätte ich nicht fernsehen können als Kind, als Jugend­liche, ich hätte nicht dieses Fenster zur Welt gehabt. Mein Taschen­geld war knapp, mein Umfeld kein besonders künst­le­ri­sches. Ich habe im Fernsehen die Filme, die Serien geliebt, gebraucht, verschlungen. Und für mich persön­lich hat es nie den Wider­spruch gegeben zwischen Kino und Fernsehen, beides hat mich genährt und ich sehe auch heute als Film­krea­tive das Verbin­dende und nicht das Trennende.

Somit erwarte ich vom Kino (so wie vom Fernsehen übrigens auch) das Verbin­dende, Offene, Tolerante.

Und das erwartet das Kino wahr­schein­lich auch von uns.

Denn das war die zweite Frage: was erwartet das Kino von uns? Was erwartet das Kino von mir?

Dass ich mutig bin.

Dass wir mutig sind, Grenzen über­schreiten, aufhören uns gegen­seitig fertig zu machen und uns nicht mehr in eine bescheu­erte Konkur­renz drängen lassen, sondern jeder für sich und alle zusammen schauen, wo geht das eine in das andere über, wo können wir etwas auspro­bieren, wo können wir das Herz klopfen hören, spüren. Wo wir sehen, wie Frauen erzählen und wie Männer erzählen, wo Frauen und Männer erzählen, wo wir alle uns unsere Geschichten erzählen und wir einander zuhören und uns bestaunen ob unserer Unter­schied­lich­keit.

Das Kino erwartet von uns, dass wir uns gegen­seitig bestaunen und unter­s­tützen, loben, preisen, verstehen, auch wenn wir den Film der anderen ganz anders gemacht hätten, respek­tieren wir einander. Und dieser Respekt wird das neue Kino sein.

Das neue Kino ist ein Ort der Zusam­men­kunft, wo wir anhand von unseren Filmen zu neuen Systemen, Lebens­formen und neuen Mut finden werden. Es ist ein poli­ti­scher Ort, der uns stärkt. Und auch ein Ort, an dem wir uns finden. Als loyale Freun­dinnen und Freunde und als intel­li­gentes Kollektiv.

Das Kino erwartet von uns, dass wir alte Struk­turen sprengen, Regeln brechen, hinter und vor der Kamera.

Das ist ja alles schon mal was ;

Also. Was erwarten wir vom Kino und was erwartet das Kino von uns? Erwar­tungen sind ja eigent­lich gar nicht so sinnvoll. Denn da kommt schon wieder der Druck ins Spiel und etwas erfüllen müssen und entspre­chen müssen. Insofern wäre es viel­leicht ganz gut, das Kino und auch uns von jeglichen Erwar­tungen zu befreien… denn viel­leicht geht’s im Kino ganz einfach um Freiheit…