Wieso Kino? |
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Beim Filmmeeting wurde dem Kino die Sinnfrage gestellt | ||
(Foto: © Diagonale/Alexi Pelekanos) |
Von Mirjam Unger
Von Mirjam Unger
Die österreichische Regisseurin Mirjam Unger kuratiert auch die Filmreihe »Widerstandskino« im Wiener Stadtkino. Auf der Diagonale'19 in Graz war sie im Rahmen des Diagonale Film Meeting eingeladen, einen Vortrag zu halten zu der schwierigen Frage: Was erwarten wir vom Kino? Was erwartet das Kino von uns? Wir veröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin ihr Vortragsmanuskript.
Ich bin gefragt worden, ob ich etwas sagen kann als Filmkreative zu der Frage:
Was erwarten wir vom Kino und was erwartet das Kino von uns?
Was erwarten wir vom Kino? Ich kann nur sagen, wie es mir persönlich mit dieser Frage geht. Was erwarte ich mir vom Kino? Weil »wir« ist schwierig zu beantworten. So wie jeder bei ein und demselben Film einen anderen Film gesehen hat, so erwartet sich jede und jeder etwas anderes vom Kino…
Ich erwarte mir vom Kino zuerst einmal einen safe space, einen Ort, den ich überall auf der Welt aufsuchen kann, der mich aufnehmen wird und in dem ich versinken, ja verschwinden kann, wenn ich niemanden zum Reden hab, wenn ich zu viel zum Reden hab, wenn ich weg will, wenn ich dazugehören will, wenn ich rastlos bin oder zu kraftlos auch für irgend etwas anderes oder auch zu kraftvoll. Ein Ort, der wenig und alles von mir will und gleichzeitig viel gibt. Nämlich Filme, die ich mir aussuchen kann, die ich in Originalsprache sehen will, die meine Frequenzen verändern und meine Verhärtungen, Muster, Glaubensätze auflösen und mich weiter, größer machen, die mich emotionaler sein lassen und, ja, auch glücklicher machen. Kino macht mich glücklich. Es war nicht nur einmal ein Freund eifersüchtig aufs Kino, weil ich da mehr Gefühl gezeigt habe als draußen im wirklichen Leben… Aber lassen wir das.
Diese Filme, die mich glücklich machen, können Arthouse sein, müssen aber nicht. Ich sehe das wie in der Musik: ein Song von einer unbekannten Independentband kann mich genauso begeistern wie ein Stück von Gigi D’Agostino. Im Kino ist das ähnlich. Ein guter Batman oder Mid90s… Ich mache da wenig Unterschied, wenn’s mich erwischt. Es ist immer wieder das Zurückkommen auf diesen Glücks-Moment seit frühester Kindheit, das Herzklopfen, das eintritt, wenn… Und das kann vieles sein im Kino, wenn das Herzklopfen verbunden ist mit der Größe des Bildes, der Größe des Tons, mit der Ausschließlichkeit, mit dem Dunkel, mit dem Wissen um die Anwesenheit der anderen, denen es vielleicht genauso geht, das gemeinsame Sehen und Hören und Fühlen, das Loslassen und Einsteigen in die Kinomaschine. Dieses Gefühl kulminiert, wenn das Kino zum Festival wird, dann hält dieses High noch länger an und wird überhaupt zur Superdroge.
Das ist vielleicht alles ziemlich allgemein gesprochen, aber es ist wichtig für mich, das auszusprechen, damit ich hier sicher bin, dass wir von Kino nicht als Markt und Ware sprechen, sondern als Ort des Herzens und der Passion.
Aber ich bin nicht nur im Kino groß geworden. Hätte ich nicht fernsehen können als Kind, als Jugendliche, ich hätte nicht dieses Fenster zur Welt gehabt. Mein Taschengeld war knapp, mein Umfeld kein besonders künstlerisches. Ich habe im Fernsehen die Filme, die Serien geliebt, gebraucht, verschlungen. Und für mich persönlich hat es nie den Widerspruch gegeben zwischen Kino und Fernsehen, beides hat mich genährt und ich sehe auch heute als Filmkreative das Verbindende und nicht das Trennende.
Somit erwarte ich vom Kino (so wie vom Fernsehen übrigens auch) das Verbindende, Offene, Tolerante.
Und das erwartet das Kino wahrscheinlich auch von uns.
Denn das war die zweite Frage: was erwartet das Kino von uns? Was erwartet das Kino von mir?
Dass ich mutig bin.
Dass wir mutig sind, Grenzen überschreiten, aufhören uns gegenseitig fertig zu machen und uns nicht mehr in eine bescheuerte Konkurrenz drängen lassen, sondern jeder für sich und alle zusammen schauen, wo geht das eine in das andere über, wo können wir etwas ausprobieren, wo können wir das Herz klopfen hören, spüren. Wo wir sehen, wie Frauen erzählen und wie Männer erzählen, wo Frauen und Männer erzählen, wo wir alle uns unsere Geschichten erzählen und wir einander zuhören und uns bestaunen ob unserer Unterschiedlichkeit.
Das Kino erwartet von uns, dass wir uns gegenseitig bestaunen und unterstützen, loben, preisen, verstehen, auch wenn wir den Film der anderen ganz anders gemacht hätten, respektieren wir einander. Und dieser Respekt wird das neue Kino sein.
Das neue Kino ist ein Ort der Zusammenkunft, wo wir anhand von unseren Filmen zu neuen Systemen, Lebensformen und neuen Mut finden werden. Es ist ein politischer Ort, der uns stärkt. Und auch ein Ort, an dem wir uns finden. Als loyale Freundinnen und Freunde und als intelligentes Kollektiv.
Das Kino erwartet von uns, dass wir alte Strukturen sprengen, Regeln brechen, hinter und vor der Kamera.
Das ist ja alles schon mal was ;
Also. Was erwarten wir vom Kino und was erwartet das Kino von uns? Erwartungen sind ja eigentlich gar nicht so sinnvoll. Denn da kommt schon wieder der Druck ins Spiel und etwas erfüllen müssen und entsprechen müssen. Insofern wäre es vielleicht ganz gut, das Kino und auch uns von jeglichen Erwartungen zu befreien… denn vielleicht geht’s im Kino ganz einfach um Freiheit…