21 films
Neo-Polars und Filmkunst Europa |
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Hochmoderne Gangsterstory: Im Auge des Wolfs von Julien Leclerq | ||
(Foto: SND Films) |
Von Dominik Graf
Von Dominik Graf (Regisseur, München)
Die Franzosen haben seit 2000 einen neuen Gangster- und Polizeifilm geschaffen, in den ersten Jahren befeuert vom Ex-Polizisten und Schauspieler Olivier Marchal und dem Sohn eines berühmten Vaters, Frédéric Schoendoerffer, dann mehr und mehr gefolgt von hochbegabten jüngeren Regisseuren. Die deutsche Filmkritik nimmt keinerlei Notiz davon. Vielleicht auch besser so.
- L’assault (The Assault | R: Julien Leclercq | FR 2010)
Bester Flugzeugentführungsfilm, den ich kenne. Kriegt in den 88 Minuten Turbo-Geschwindigkeit eine gnadenlose Dramaturgie und trotzdem eine emotionale Bindung an viele Charaktere hin. Am Ende eine atemberaubende Materialschlacht auf engstem Raum. Außergewöhnlicher Adrenalin-Pumper, sehr minimalistisch gedreht. Psychische Druckkammer. Man ahnt, wo beim
Drehen vielleicht überall gespart wurde (die Wackel-Kamera hilft allerdings, das zu überdecken!), aber völlig egal.
- Mea Culpa (R: Fred Cavayé | FR 2012)
Mit Gilles Lelouche und Vincent Lindon als eng befreundete Cops auf einer Wahnsinnsjagd fast vom erst Moment an, um den kleinen Sohn von Lindon vor den Gangstern zu retten, die er in den Katarakten einer Stierkampf-Arena bei einem Mord beobachtet hat. Der Höhepunkt spielt im rasenden TGV!!!
- Mains armées (Point Blank – Bedrohung im Schatten | R: Pierre Jolivet | FR 2012)
Melancholisches Drama, in dem ein fantastischer Roshdy Zem, der von Marseille aus eine Waffendiebstahl-Gang nach Paris verfolgt, dort gezwungen ist, mit seiner ihm aus den Augen geratenen Tochter zusammenzuarbeiten.
- Braqueurs (Im Auge des Wolfs | R: Julien Leclercq | FR 2015)
Nochmal Leclerq. Klassische Gangsterstory, aber hochmodern. Eine marokkanische Familien-Gang begeht unglaublich innovative Geldtransport-Überfälle mittels Baumaschinen (!!), wird dann in einen Drogenkrieg hineingezogen. Ganz stark ist Hauptdarsteller Reddine Behache.
- Le convoi (Fast Convoy | R: Frédéric Schoendoerffer | FR 2017)
Wunderbarer Vollgas-Tragikomik-Thriller über einen Drogentransport mit drei Autos aus Malaga nach Paris. Benoît Magimel als einziger Vollprofi, der von hinten alles aufräumt, was auf dem Weg zurückbleibt. Und um ihn herum viele brillante junge marokkanische Schauspieler, sowie Reem Kherici als unfreiwillige Mitfahrerin, die entfernt an die unvergessliche
Carole Laure erinnert. Sehr amüsant und sehr spannend mit einem großen Schluss.
Es fällt übrigens ein Nebeneffekt dieser neuen Polars auf: mit größter Selbstverständlichkeit treten hier farbige Schauspieler mit arabischem, afrikanischem und karibischem (Joeystarr aus Martinique) Hintergrund auf, als Gute, als Böse, als Charismatiker in between, egal. Die sind echt weiter als wir.
Nur ein einziger Film.
- No Turning Back (R: Steven Knight; GB / USA 2013)
Eins dieser eigentlich hassenswerten Konzeptwerke, die bei sinkenden Budgets zu Allzweck-Rezepten der maroden Filmindustrien werden. »Haben Sie diesen tollen Film in einer einzigen Einstellung gesehen?« Nein, kotz, ich kann’s auch nicht mehr hören. Das sollten Olympiadisziplinen werden, wie weit und lang ein/e
Kameramann/frau sein/ihr Arbeitsgerät tragen kann.
Hier ist alles anders. Die Lebensdramen eines jungen Bauleiters (Thomas Hardy) überschlagen sich auf einer verzweifelten Nachtfahrt/Nachtflucht von Birmingham nach London und gehen in die entscheidende Runde. In unzähligen, sich überschneidenden Telefonaten quasi in Echtzeit gedreht. Aber die Inhaltsangaben sind nur Futter für die Presse. Tatsache ist, dass es Steven Knight – einem regieführenden Drehbuchautor (z.B. der sterbenslangweilige Tödliche Versprechen von Cronenberg), da ist auch immer Vorsicht geboten – trotz all der tödlichen formalistischen Versprechungen dennoch gelungen ist, mit seinem sagenhaften Helden Thomas Hardy einen modernen Beziehungsthriller hinzukriegen, der voll und ganz in der Jetztzeit sich auflösender Familien und Bindungen steht. Der das Konzept vergessen lässt und in der nächtlichen Autofahrt die Entsprechung findet zur dahinrasenden Wirklichkeit einer furchtbaren Lebensentscheidung. Ein Unikat in jeder Hinsicht. Ich vermute, das könnte auch in der Filmographie des Autors/Regisseurs so bleiben.