70. Berlinale 2020
Wait and see! |
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Diskutiert wird auf der Woche der Kritik, immer noch abseits der Berlinale | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Von Dunja Bialas
Berlinale reloaded. So nenne ich die Berlinale unter der neuen Leitung Rissenbeek-Chatrian. Ähnlich wie in Wien, wo nach dem plötzlichen Ableben von Hans Hurch sichtbar auf Kontinuität gesetzt wurde, oder gar in Rotterdam, wo im fünf-Jahresryhthmus die Leitung wechselt, ohne dass sich was verändert – allenfalls ist ein fast unmerklicher Shift hin zum Mainstream-Arthouse festzustellen –, hat sich auch in Berlin kaum etwas geändert. Das bisschen Änderung betrifft die Korrektur der gröbsten Kosslick-Fehler, wie die zynische Reihe Kulinarisches Kino, wo zu Eintrittspreisen von 80 Euro Filme Menüs werden konnten, während die Armut der Menschen in Berlin von Jahr zu Jahr sichtbarer wird.
Es gibt keine neue Berlinale. Veränderungen gibt es allenfalls auf Makulatur-Ebene, wie dem reloadeten Design oder der Website. Dabei hat in nahezu allen Sektionen die Leitung gewechselt. Das Forum gestaltet jetzt die Filmkritikerin Cristina Nord, das Panorama wurde nach einem Dreier-Intermezzo im letzten Jahr an Michael Stütz übergeben. Für den Wettbewerb verantwortlich, wie für die Berlinale insgesamt, zeichnet Carlo Chatrian, der vom Filmfest Locarno zu den Berliner Filmfestspielen kam. Dass er als neuer Leiter für Kontinuität sorgt, mag allein schon an der Verbundenheit zu Frauke Greiner liegen. Greiner war die rechte Hand von Berlinale-Chef Kosslick, zugleich ist sie in Locarno auch nach dem Weggang von Chatrian verantwortlich für die Arbeit mit der deutschen und österreichischen Presse. Sie hat die Rolle der Diplomatin, die seit jeher beiden Festivals loyal verbunden war, Locarno und der Berlinale. Der Berlinale ist sie als Pressechefin und -sprecherin erhalten geblieben, und Gerüchte besagen, dass sie maßgeblich Anteil daran hat, dass sich hier vieles nach Kontinuität anfühlt, weniger nach einem Neustart, für den erst einmal Tabula rasa gemacht wurde.
Carlo Chatrian seinerseits hat aus Locarno seinen Programmchef Mark Peranson und, fürs Auswahlteam des Wettbewerbs, Sergio Fant mitgebracht. Beides verspricht ein noch stärker auf die randständigen, experimentellen Formen setzendes Arthouse-Filmprogramm. Was womöglich diejenigen irritiert, die der Berlinale in der Vergangenheit vorwarfen, keine echten A-Festival-Premieren mit großen Namen und Stars an Land gezogen zu haben.
Chatrian hat diese Richtung forciert, indem er eine weitere Reihe eingeführt hat: »Encounters«. Mit dieser Wettbewerbssektion, die erstaunlicherweise in keinem der Grußworte der Berlinale Chefs Mariette Rissenbeek (Geschäftsführerin) und Carlo Chatrian (künstlerischer Leiter) Erwähnung findet, sollen Begegnungen mit aufregenden Positionen des Weltkinos stattfinden. »Encounters« versteht sich als »Kontrapunkt und Ergänzung des Wettbewerbs«, so ist auf der Website zu lesen.
Auch im großen Wettbewerb aber finden sich, neben den Stammgästen Christian Petzold und Sally Potter, längst verschwunden geglaubte Namen. Ein Beispiel ist Rithy Panh, der wohl nur Dokumentarfilmspezialisten ein Begriff ist. Seine filmischen Aufarbeitungen sind leise, kluge Studien, die bereits vor Jahren den Kunstgriff des Reenactments für die politische Therapie des Landes entdeckt hatten, lange vor Joshua Oppenheimers und Christine Cynns The Act of Killing. Mit S-21: Die Todesmaschine der Roten Khmer (2003), Les artistes du Théâtre Brûlé (2005) und auch Das fehlende Bild (L’image manquante) (2013) setzte er Meilensteine in der überfälligen Geschichtsaufarbeitung Kambodschas. Mit Irradiés werden seine analystisch-emotionalen Geschichts-Rekonstruktionen jetzt fortgesetzt. Ein Film, dem man unbedingt seine Aufmerksamkeit schenken sollte.
Im Wettbewerb außerdem zu finden ist Hong Sangsoo, der bereits 2017 im Wettbewerb lief. In On the Beach at Night Alone spielt auch Mark Peranson mit. Ein Beispiel dafür, dass sich auch unter der »Berlinale reloaded« viele doch sehr enge Beziehungen zu alten Konstellationen finden lassen. Was auch zeigt, dass die Wettbewerbs-Filmauswahl der letzten Jahre bereits den Weg für eine noch stärker fokussierte Chatrian-Berlinale bereitet hat.
Subjektiv setzt sich das Gefühl fest, dass die Berlinale jetzt noch mehr Filme im Programm hat, da man die beiden abgeschafften Reihen (neben »Kulinarisches Kino« ist das die Reihe »Native«) ohnehin ausgeblendet hatte. Jetzt drängt sich dagegen plötzlich »Encounters« auf, und das geht dann im Zweifelsfall auf Kosten der Besuche im »Forum«, zumal mit Filmen von Victor Kossakowsky, Matías Piñeiro, Josephine Decker, Sandra Wollner und Heinz Emigholz. Alles Namen, die sich mit dem Forum verbinden, und die jetzt in Encounters zu sehen sind.
Bleibt noch die »Woche der Kritik«, die wie ein Satellit Abstand zur Berlinale wahrt. Hier wird über Film nachgedacht, an konzentrierten sieben Abenden. Die neue Leitung hat es bislang nicht gewagt, wie in Locarno, Venedig oder Cannes, die Woche der Kritik als autonomen Bestandteil ins Festival zu integrieren. Dazu muss sich eine neue Berlinale wohl erst einmal selbst finden und festigen. Wait and see.