17.09.2020
Cinema Moralia – Folge 228

Als das Wünschen noch geholfen hat...

Some like it hot - Poster
Wolfgang Beckers Good Bye, Lenin! (2003)
(Plakat: DVD-Cover, Axel Timo Purr)

Ein Nachtstück über den deutschen Film über ‘89/'90 – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 228. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Du hast den Farbfilm vergessen!«
Nina Hagen

Es klingt wie ein Märchen: »Der deutsche Film kann auch anders« – das behauptet zumindest Josef Schnelle, Film­kri­tiker und Autor aus Köln.

Für den Deutsch­land­funk hat er sich jetzt eine »Lange Nacht« lang mit dem Kino in der Wendezeit vor gut 30 Jahren beschäf­tigt. Am kommenden Wochen­ende ist sie – ab 19.09. um 23:05 Uhr – drei Stunden lang zu hören und dann für eine Woche lang im Archiv, auch für jeden herun­ter­ladbar.

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Es gibt wunder­bare Stellen in diesem großen Drei-Stunden-Stück. Zum Beispiel dieser Kommentar von Leander Haußmann:
Also wenn'n Westler über den Osten einen Film macht, dann spielt dann natürlich nur Ostmusik. Das ist der erste Fehler, weil Ostmusik wurde im Osten nicht gehört. Also, das iss nun mal so. Auch auf Dachböden hätte sich kein Staats­si­cher­heits­mann einquar­tieren können, weil die Dachböden waren einfach Orte, an denen man ein- und ausging. Da wurde die Wäsche aufgehängt. Vor allem waren da oben die Antennen die in den Westen gerichtet wurden Also, da hätte kein Staats­si­cher­heits­mann oben sitzen können das sind keine Fehler. Das sind Maßnahmen, die darf ein Filme­ma­cher ja durchaus im Sinne der Story tun, aber er sollte dann nicht darauf bestehen, dass das sagen wir mal 'n authen­ti­scher Film über die DDR ist. Das würde ich ja auch nie sagen. Ich würd' immer sagen, das ist ein Märchen, das in unserer Erin­ne­rung existiert.

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Im Ankün­di­gungs­text heißt es: »Ein guter Sohn gaukelt seiner Mutter aus lauter Liebe eine DDR vor, die so nie existiert hat. Zwei ungleiche Brüder – Kipp und Most – machen sich auf den Weg, um an der Ostsee ein – wie sie glauben – reiches Erbe anzu­nehmen. Ein sympa­thi­scher junger Mann will endlich die roman­ti­sche Liebe finden, aber er sucht sich dafür absolut den Falschen aus und findet doch als ›bewegter Mann‹ für andere das Glück. Am kürzeren Ende der 'Sonnen­allee' in Ostberlin fiebert eine Gruppe von Jugend­li­chen dem Abitur entgegen. Die Mauer steht noch. Kann man sie tanzend über­winden? Das kümmert den Kreuz­berger Kieztroll Herrn Lehmann reichlich wenig, denn er sorgt sich um seinen Freund Karl, der im narko­ti­sierten geschlos­senen Paral­lel­uni­versum Front­stadt­ber­lins verloren gegangen ist. Geschichten aus Deutsch­land, die eines gemeinsam haben: Sie waren Erfolgs­filme für ein Millio­nen­pu­blikum und schufen Film­fi­guren, die Kult­status erreichten. Was war eigent­lich los im deutschen Film vor 30 Jahren? Good Bye, Lenin! und Die innere Sicher­heit, Sonnen­allee und Herr Lehmann, Der bewegte Mann und Wir können auch anders verraten viel über den Zeitgeist zur Wendezeit. Der Schau­spieler Joachim Król, der Autor Thomas Brussig und die Regis­seure Wolfgang Becker, Leander Haußmann, Christian Petzold und Sönke Wortmann begleiten unsere wild­ro­man­ti­sche Revue, mit Einsichten und Aussichten und viel Musik über eine Zeit, als das Wünschen – zumindest im Deutschen Film – noch geholfen hat.«

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Schnelle fragt nach Zeitgeist und Kult, aber auch nach den Spuren der Geschichte im Kino. Er hat Inter­views mit vielen Akteuren geführt.
Vor allem Leander Haußmanns Geschichte ist inter­es­sant – ein großer Unter­schätzter des deutschen Kinos: Er war Matrose bei der NVA, ging dann auf die »Ernst Busch« in Berlin, bevor er Regisseur am Deutschen Natio­nal­theater Weimar wurde.
In der langen Nacht erzählt er sehr lustig von der Arbeit mit Autoren: »Die meisten Autoren, die ich kenne, haben wirklich ›dicke Eier‹. Man kann sich nicht an den Schreib­tisch setzen und denken, ochgot­toh­gott ich kann es nicht oder so oder die Welt wird sowieso nicht zuhören, was ich hier zu erzählen habe oder so. Es ist genau das Gegenteil der Fall. Man hat es mit wahn­sinnig egozen­tri­schen Leuten zu tun und dann komm ich dazu, der auch nicht ohne eine Egozen­trik ist und nicht ohne Selbst­ver­trauen und Selbst­be­wusst­sein. Das muss man irgendwie auf eine Reihe bringen.«

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Natürlich kann man jetzt sagen: Der und der fehlt, oder Petzolds Die innere Sicher­heit hat doch mit der Wende noch weniger zu tun, als Lola rennt. Und so weiter. Aber wie alle Film­kritik ist auch diese subjektiv. Gerade das beweist: Wir könnten auch anders!

(to be continued)