Cinema Moralia – Folge 240
Die Ordnung in der Welt und das Chaos in der Ordnung |
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Mad Mind oder Genius Mind? Robert Zemeckis Zurück in die Zukunft | ||
(Foto: Ralph Nelson, Universal, Veroeff | Amazon) |
»You won’t play, you're no fun
Well, I don’t care what they think
Drag racing my little red sports car
I’m not unhinged or unhappy, I’m just wild«
Lana Del Rey, Metaphysikerin
Die Corona Krise hat auch dies bewirkt: Wissenschaftler sind in. Vor allem Virologen. Sie haben das Zeug zum Medienstar.
Christian Drosten, den berühmtesten Virologen Deutschlands, hält man tatsächlich für medienscheu, obwohl der Mann einen eigenen Podcast hat und regelmäßig auch in anderen Sendungen in Radio und Fernsehen zu Gast ist. Für manche taugt der gutaussehende Drosten sogar zum Sexsymbol.
Der Erfolg von Drosten und seinen Kollegen hat auch etwas damit zu tun, dass
die allermeisten von ihnen so gar nicht den Klischees zu entsprechen scheinen, in denen uns Medien und Künste normalerweise die Wissenschaftler präsentieren.
Höchste Zeit, einmal einen Blick darauf zu werfen, wie das Kino uns eigentlich in den ersten 125 Jahren seines Bestehens Wissenschaftler gezeigt hat.
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Wissenschaftler im Kino – das sind selten Virologen. Beliebter sind andere: Wie Action-Star Russel Crowe in A Beautiful Mind, wo er gegen sein Action-Image als schizophrener Psychotiker und genialer Mathematiker besetzt wird, dessen Krankheit gerade die Bedingung seines Genies ist – dass Genie und Wahnsinn einander bedingen, trifft auf viele Kino-Wissenschaftler zu. Sie sind ein
bisschen verrückt. Entweder putzig und kauzig, oder einfach Nerds. Wenn sie das alles nicht sind, dann sind sie gefährlich.
Dr. Jekyll und Professor Hyde – einer von beiden. Oder beide zusammen.
Eines jedenfalls ist klar: Wissenschaftler im Kino sind schräg, anders, merkwürdig – nicht normal.
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Zunächst einmal kurz: Zurück in die Zukunft. Viele Zuschauer werden sich an Dr. Brown erinnern, den Albert-Einstein-Verschnitt mit Zeitreise-Fimmel, einen so genialen wie naiven, wie anstrengenden Wissenschaftler.
In der Szene, in der er sich an die Erfindung des Fluxkompensators erinnert – »der 5. November 1955 – ja, da passierte es! An dem Tag
habe ich die Zeitreisen erfunden. Ich erinnere mich noch lebhaft: ich stand auf dem Klo, und wollte 'ne Uhr aufhängen. Der Beckenrand war nass, da rutschte ich ab, und schlug hart mit dem Kopf auf. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich eine Offenbarung, eine Vision.« – in dieser Szene steckt auch schon das zweite, was uns das Kino in dem Zusammenhang auch gerne zeigt: Das Nachdenken und Brüten, mit dem Forscher tatsächlich zu ihren Ideen kommen, ist visuell nicht attraktiv. Es muss
schon ein Zufall sei, eine kuriose Szene wie der Sturz vom Klodeckel.
Vielleicht müssen wir alle ja auch nur mal hart mit dem Schädel aufschlagen, damit wir geniale Einfälle bekommen?
Ähnlich liebenswert wie Brown ist Professor David Huxley, der von Cary Grant gespielte Saurierforscher in Howard Hawks' Komödienklassiker Bringing Up Baby (Leoparden küßt man nicht)
Etwas schusselig und etwas weltfremd – diese Mischung funktioniert immer für Leinwandwissenschaftler – offenbar auch, um dem Publikum etwas von der Angst zu nehmen, die es vor dem Genie, größeren Geist und der tieferen Einsicht der Menschen im Laborkittel hat, die so oft recht haben, und auf die, nicht nur im Fall Drosten, sogar Politiker hören.
Darum stellen wir sie uns gern als Narren vor, Narren des Alltag, Kind geblieben und asexuell.
So wie Der verrückte Professor, den Jerry Lewis 1963 auf die Leinwand brachte: Der trottelige Chemie-Professor Julius Kelp, der mit seinen Experimenten regelmäßig den Universitätscampus in die Luft sprengt.
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Von Wissenschaftlern erwartet man, dass sie Ordnung in die Welt bringen – auf der Leinwand jedoch bringen sie zunächst einmal Chaos in die Ordnung, und vergessen das Naheliegende, Alltägliche.
Wissenschaftler im Kino muss jedenfalls nicht so öde sein wie im letzten George-Clooney-Netflix-Schmarrn aka Film Midnight Sky, wo der alternde Star mit Hipster-Vollbart als Kosmologe und letzter Mensch auf Erden nach einer globalen Katastrophe ausgerechnet auf dem Nordpol ausharrt und sich seine Tochter als Gefährtin imaginiert. Tatsächlich sitzt diese im Raumschiff im All und muss als zweite Eva die Menschheit neu gründen.
Nie war George Clooney näher dran an Gott – nie allerdings auch am Überdruss des Publikums.
Mindestens Halbgott in Weiß war Robert Koch – nicht in »Schmarité«, sondern dann bitte richtig im Nazi-Schinken »Robert Koch – Bekämpfer des Todes«.
Die ernstere, boshaftere, abgründigere Variante solcher Figuren spielte keiner je besser und schöner als Peter Sellers in Stanley Kubricks Dr. Strangelove. Ein »Mad Scientist«, ein verrückter Wissenschaftler par excellence als Regierungsberater: »That won’t be difficult mein Führer! Äh I am sorry: Mr. President....«
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Richtig seriöse Wissenschaftler-Figuren sind im Kino eher die Ausnahme: Einer der tollsten Auftritte ist der von Montgomery Clift als Sigmund Freud, der in John Hustons Filmdrama Freud nach Drehbuch von Jean-Paul Sartre das Unterbewusste entdeckt.
So wie in diesem Fall, so steht oft hinter oder neben dem klugen Mann auch eine starke, kluge Frau. Dass Frauen aber selbst als Wissenschaftlerinnen zu sehen sind, ist dagegen überaus selten. Die Physikerin Marie Curie kam gerade zwar erst auf die Leinwand, in Marjane Satrapis Marie Curie – Elemente des Lebens, gespielt von einer tollen Rosamund Pike. Sie erscheint hier aber als schroff und stur, und wahrscheinlich geht das auch nicht anders, will man nicht umgekehrt in die Honigfalle falscher Romantik tappen.
Wissenschaftlerinnen im Kino sind entweder beflissen oder Karikatur, oder sogar beides. So wie Diane Krüger, die im Film Das Vermächtnis der Tempelritter eine Archäologin spielt, die auf der Rückseite der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung eine Botschaft entdeckt, die in Geheimtinte geschrieben wurde – ein unfreiwillig komischer Verschwörungsthriller im
Groschenheft-Format.
Und dann ist da noch Eva Pflug als Leutnant Tamara Jagellovsk vom Galaktischen Sicherheitsdienst in dem zum Mythos gewordenen deutschen Science-Fiction Raumpatrouille Orion.
Kino-Wissenschaftlerinnen sind also vor allem Fiktion: Science-Fiction. Das gilt auch für die berühmteste von allen: Sigourney Weaver als Ellen Ripley in den Alien-Filmen – vergessen wir nicht, dass auch Ripley zunächst einmal eine Wissenschaftlerin ist, die dann bald die Qualitäten eines weiblichen Terminator erlernt. Notgedrungen wird sie zu einer Wissenschaftlerin des Tötens.
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Solche Wissenschaftler handeln mit einer immer knapper werdenden Währung, deren Stabilität gerade während der 2020er-Pandemie in vielfacher Hinsicht erschüttert wurde: Vertrauen. Ihr Schwinden, die Skepsis gegenüber Autoritäten, Ordnungshütern, Machthabern ist der heimliche Text des Wissenschaftsthemas.
Es ist nicht neu, hat mit Coronaleugnern nichts zu tun und stammt aus jenen guten alte Zeiten, als man bei Wort »Querdenker« noch an Peter Glotz und Heiner Geißler dachte, die beiden lagerüberschreitenden Generalsekretäre von SPD und CDU.
Dr. Kimble war zwar in der zum Kinofilm gewordenen Serie immer »Auf der Flucht«, er war eines Kapitalverbrechens angeklagt, und redete wie ein Verschwörungstheoretiker (»Sie sind hinter mir her« – »wer sind 'sie'?«), aber das war
im Kalten Krieg, als man Paranoia noch glaubte und nicht öffentlich für verrückt erklärte, und er war Arzt.
Wem kann man im Film noch vertrauen? Bevor Christian Drosten in Mission Impossible 2021 die Hauptrolle spielt und die Reihe übernimmt? Vorschläge erbeten.
(to be continued)