ABSTAND/ZOOM
J_JALOUSIE |
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Typisch 80er Jahre. Ein Mann für gewisse Stunden | ||
(Foto: DVD-Cover) |
Von Nora Moschuering
Ich stakse mit vorsichtigen Schritten in die wie immer doch recht kalte Isar und stehe da so eine Weile herum, als – plötzlich – so etwas wie eine Arschbombe neben mir niedergeht. Hab ich nicht kommen sehen und ist auch eher nicht so isartypisch und vielleicht wars auch keine, aber zumindest der Effekt ist der gleiche: Alle drumherum sind nass. Das stört sie aber nicht, völlig euphorisiert, wie ein Kind, das zum ersten Mal das neue Spider Man 3D-Eis entdeckt, ruft sie: »Der Sommer ist da!!« Sie treibt mit aus dem Wasser herausragendem Bauch und Brüsten an mir vorbei die Isar hinunter. Tschüss dann.
Der Sommer kommt mir in dieser Form und ohnehin dann fast zu plötzlich. Ich bin da nicht so. Also verbringe ich viel Zeit hinter den halb heruntergelassenen Rollläden in meinem Zimmer oder in meinem Büro, in dem eine automatisierte Riesen-Jalousie auf der Fensteraußenseite praktischerweise weiß, wann es mir zu hell und wann zu dunkel ist. (Theoretisch kann ich sie auch selber fahren, aber ich nehme auch gerne an, was sie meint, schließlich ist sie die Expertin.) Wie ich so in diesem Halbdunkel in der Arbeit sitze, komme ich dann auch zu dem Schluss, eher mal einen abseitigen J-Begriff zu nehmen: Jargon, Jonglieren, Jokus, James, Jagd ... klar, kann man alles machen. Jonglieren war dabei lange der Favorit, schon um endlich mal den Clown-Wash im Circus Krone integrieren zu können, aber nicht nur dazu, sondern zu jedem einzelnen Begriff flossen die Ideen. Nur bei Jalousie, da floss wirklich gar nichts. Mich hat sozusagen die totale Inspirationslosigkeit inspiriert. Jalousien – who cares? Und – nebenbei – wo kommen die überhaupt in Filmen vor? Aus Erfahrung weiß man schließlich, dass es sehr schwer ist, Themen oder eben auch Dinge, die einen nie interessiert haben, retrospektiv zu erinnern, man vergisst sie quasi automatisch. In welchen Filmen also, die ich mal gesehen habe, kamen Jalousien vor? Oha. Keine Ahnung. Hinzu kommt, dass ihr Auftreten ja ohnehin meist eher hintergründig ist, sie etwas Unauffälliges, rein Stimmungsgebendes haben.
Es ist meine kalte Isar, in die ich rein muss, meine Challenge oder mein Auftrag diesen Monat, ein bisschen so wie die Lady in der Fielmann-Werbung aus den 90ern, die einen Privatdetektiv aufsucht, um ihn auf die Suche nach günstigen Brillen-Angeboten zu schicken. Im Hintergrund: Jalousien, wie bei jedem Privatdetektiv, der was auf sich hält.
Das liegt wahrscheinlich am Polizei-Background, den sie häufig haben. Im letzten Münchner Polizeiruf »Frau Schrödingers Katze« kamen Jalousien vor, nicht zentral, aber als Stimmungsgeberin, als die motivierte Polizistin Eyckhoff (Verena Altenberger) nicht locker lassen will und nachts noch mal ins Revier kommt, um etwas zu überprüfen. Das gelbe Licht einer Straßenlaterne scheint durch die Jalousien, und Eyckhoff steht in einem gelb-schattig-gestreiften Licht. Das Bild sagt: Ja, ich arbeite zwar in einer Behörde (Jalousie), aber trotzdem bin ich motiviert (warmes helles Licht).
Das fällt dann doch schnell auf, wenn man so über Jalousien sinniert: Behörden und Institutionen scheinen prädestiniert für Jalousien. Das sieht man sowohl, wenn man sie in der realen Welt besucht oder in ihnen arbeitet, als auch wenn man sie im Film und hier natürlich besonders in Krimis sieht.
In »True Detectives« hängen in den Fenstern zwischen den Büros Jalousien, auch bei »Akte X« oder Der Pate findet man sie immer wieder. Sie scheinen etwas Lapidares und Bürokratisches zu sein, sie sind überdies kostengünstig und praktisch, aber seltsamerweise haftet ihnen auch was Dubioses und Mysteriöses an. Sie sind eine Form, um das »Draußen« so ein bisschen aus- aber auch ein bisschen einzuschließen. Geheimnisvoll sind sie aber auch, wenn man sie eben gerade nicht sieht, sondern nur Licht durch sie fällt, das dann wiederum auf jemanden fällt. Also ja: Sie sind das Gegenteil von Scheinwerfern und Filtern, aber irgendwie auch nicht.
Mir fällt Only God Forgives ein, ein Film, der wirklich nichts sein will, außer verdammt cool und das ist dann doch sehr wenig. Das Einzige, an was ich mich erinnere, ist dann auch das Licht und die Farben, allerdings sind da keine Jalousien, sondern Wände mit Muster. Das ist auf jeden Fall raffinierter als die Linien der Jalousien und hat sicher viel mit Bangkok zu tun, gehört aber eigentlich nicht in diesen Text.
Körper werden zerschnitten durch Licht und Schatten. Körper werden zerschnitten, weil sie an einer Jalousie vorbeigehen und Menschen ihnen von der anderen Seite des Fensters zusehen. Beides macht Jalousien wahrscheinlich auch so attraktiv für den Film noir, zeigen sie doch visuell die Zerrissenheit und Abgründigkeit der Menschen.
Durch Jalousien kann man spionieren und man kann neugierig sein, man muss nur vorsichtig sein, wenn man den Finger zwischen ihnen zurückzieht, denn das macht ein leises »Klack«. Es ist toll, dass man die einzelnen Lamellen kippen kann und so mehr oder weniger Licht hereinlassen kann. Also ja, die Begeisterung wächst.
Und da: der Koreanische Pavillon auf der 53. Biennale in Venedig, 2009. An den erinnere mich. Er wurde von Haegue Yang bespielt, einer südkoreanischen Installationskünstlerin. Der Pavillon, ohnehin ein zartes Gebäude, war gefüllt mit Jalousien. Sie bildeten leichte, durchlässige Wände in Pastelltönen. Ob sie sich bewegt haben, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube von irgendwoher kamen Licht und Töne. Je nachdem, wo man nun stand, veränderte sich das, was man sehen konnte und auch das, was man von anderen sehen konnte. Der eigene Körper als Effekt, als Teil der künstlerischen Arbeit. (Vielleicht hat 2012 der ein oder die andere, den zentralen Raum im Haus der Kunst in München gesehen, der von ihr bespielt wurde).
Dann stocke ich mit den Ideen und suche Rat bei Thomas Willmann, wenn sich jemand mit Film und auch seinen Nebensächlichkeiten auskennt, dann er. Und er kennt sich aus, es kommt ganz viel Input von Filmen, die ich noch nicht gesehen habe und unbedingt gucken muss. Ich picke mir hier mal raus, was ich selbst gesehen habe: Psycho z.B. und hier die Eröffnungsszene. Eine Kamera – der ZuschauerInnenblick –, fliegt durch die Luft auf ein Zimmerfenster zu, unter der fast ganz geschlossenen Jalousie hindurch, geradewegs hinein in das Verruchte, das Unbewusste, den Trieb. Eigentlich haben die beiden Liebenden die Jalousien fast vollständig geschlossen und befinden sich ohnehin in einem Stockwerk, das außerhalb jeder Reichweite »normaler« Blicke wäre, aber wir schaffen das. Natürlich sind KinozuschauerInnen immer neugierig und irgendwie voyeuristisch, das bedient Hitchcock immer wieder. Auch bemerkenswert die Titelsequenz davor: Lamellen, die die Schrift durchtrennen oder sie vielleicht auch durchstreichen, als wollten sie ihre eigenen Informationen in Frage stellen.
Es gibt auch ein Video-Essay »Venetian Shadows«, das unbedingt jeder Mensch gesehen haben sollte, der sich für Jalousien und Film interessiert (und ich bin mir sicher, da gibt es so 1-2). Bei mir ist in der Kompilation mal wieder Harrison Ford hängen geblieben, aber nicht wegen seiner Attraktivität oder seinem schelmischen Blick, sondern weil mir in Erinnerung gebracht wird, was für A***Rollen er immer wieder gespielt hat. In diesem Fall Rick Deckard, der in Blade Runner die zurückweichende Rachael bedrängt und sie gegen eine Jalousie drückt. Deckard, Indy und Co.: Frauen meinen »Nein«, wenn sie »Nein« sagen, sie wollen Abstand, wenn sie es andeuten und erst recht, wenn sie zurückweichen!! Ein extrem problematisches Männerbild, was er in einigen seiner Rollen transportiert. (Mehr dazu im Video-Essay: »Predatory Romance in Harrison Ford Movies«).
Schwieriger Übergang, aber ich mache es mal an der Zeit fest: Die 1980er: De Palmas Body Double (Der Tod kommt zweimal), Adrian Lynes 9 1/2 Weeks (Neun Wochen und drei Tage – Erinnerungen an eine Liebeserfahrung) und Paul Schraders American Gigolo (Ein Mann für gewisse Stunden – btw der deutsche Titel: so gut) haben die Jalousien alle sehr prominent als Plakatmotiv. Generell, meint Thomas, waren sie in den 80ern/90ern als visuelles Motiv enorm beliebt – da war ja immer die Wahl: Szene mit Scheinwerfer hinter einem langsam rotierenden Ventilator oder durch Jalousien ausleuchten.
Das Licht fehlt an bestimmten Stellen, teilweise liegt etwas im Dunkeln: Das führt zu einer Verunsicherung des Sehens. Wir befinden uns wie in einer Haegue-Yang–Installation, es ist nicht ganz greifbar, wir können uns nicht komplett verorten und wenn wir an uns selber herunterblicken, sind unsere eigenen Körper nicht mehr vollständig da.
Und dann steckt in dem Wort auch noch die »Eifersucht«, aber auf sie werde ich in diesem Text nicht mehr eingehen, mir ging es – völlig profan – nur um das industriell gefertigte Ding und wo gibt es das Ding zu kaufen? Z.B: Bei JalouCity, deren Logo aussieht, als sei es aus einem 80er-Aerobic Video. JalouCity ist ein Franchise-Unternehmen, ich frage mich, ob das zukunftssicher ist, während ich zu Recherchezwecken eintrete. Die Dame überzeugt mich sehr schnell von Plissees: Weicher, wärmer, lichtdurchlässiger. Ich muss ihr zustimmen (»P« kommt ja noch, also wer weiß …). Es liegt ein dicker Katalog mit Stoffen aus, aus denen Plissees, Jalousien, Rollos und Lamellenvorhänge bestehen können. Nur ein Bruchteil von dem, was es gibt, meint sie und ich bin beeindruckt – aber nur sehr kurz.